Mersinger Brauterwerb

Der Mersinger Brauterwerb


Zeit: zwischen Boron - Firun 1032 BF
Ort: Gut Gernatsborn und Gut Gernatsquell / Baronie Schlotz sowie Burg Mersingen / Baronie Pulverberg(Rabenmark)

 

Am Südufer des Gernats zwischen Gut Gernatsborn und Gut Gernatsquell im Boron 1032 BF (Baronie Schlotz)

So gut es auf dem knirschend harten Schnee ging trabten die beiden Reiter neben dem Gernat flussaufwärts entlang. Es war früher Vormittag und die Praiosscheibe neigte ihre Strahlen auf Dere herab, als würde sie dem winterlichen Tage Trost spenden wollen, denn es war bitterlich kalt. Überall wo die warmen Fühler der Sonne nicht hingelangten, dort entblößte sich die Kälte des Morgens in vollen Zügen. Storko von Gernatsborn-Mersingen ä.H.|Storko von Gernatsborn, der erste der beiden, zog sich seine Pelzmütze tiefer ins Gesicht, sodass er kaum mehr durch die langen Haare des Fuchfells das er am Kopfe trug sehen konnte. Hinter ihm ritt sein Grenzjäger Wolfram, der gerade misstrauisch die Ausläufer des Wutzenwaldes betrachtete. Auch wenn die Reise von seinem eigenen Gut nach Gut Gernatsquell den Namen "Reise" kaum Wert war, so nahm er zur Sicherheit seinen treuen Grenzjäger als Geleitschutz mit. Zwar würden weder die verfluchten Söldner aus Firunsfelde im Süden noch die Bregelsaumer Raubritter aus dem Norden jenseits des Gernats einen solchen Wintermorgen als guten Tag zum Überfall ansehen, doch man hörte immer öfter, dass sich Meuten von Rotpelzen ja sogar schon westlich des Wutzenwaldes herumtreiben würden. Storko blickte sich um. Der Gernat war so weit flussaufwärts an seinen Rändern zugefroren, doch das Eis war lange nicht dick genug um jemanden tragen zu können. Kein Heerzug könnte den Fluss hier überqueren, sie würden einen Tod der Kälte im Wasser erleiden. "Umso besser", dachte sich Storko, "zumindest im Winter ist man vor nördlichen Gefahren geschützt". Der Grenzjäger ritt gleich hinter ihm. Gegen die Kälte schützte ihn ein dicker erdfarbener Wollmantel, gegen Feinde Kurzbogen und Kurzschwert. Er war in Beorwang, als Sohn eines Gerbers, aufgewachsen und kannte die Gegend wie seine zerschlissene Manteltasche. Vor zwei Tagen war er schon die Strecke abgeritten, als Storko ihm einen Brief für Valyria von Baernfarn-Binsböckel übergab und ihm auftrug diesen nach Gut Gernatsquell zu bringen.
Genau zwei Tage nachdem sich Storko mit dem Schreiben bei seiner Nachbarin Ihrer Hochgeboren Valyria von Baernfarn-Binsböckel angekündigt hatte war er nun auf dem Weg zu ihr. Storko erwünschte sich bei ihr Rat, denn wer sonst könnte ihm bei seiner Frage wohl besser helfen, als eine Dame von Stellung und Rang wie Valyria, die sich mutmaßlich im hohen Adel der Region auskennen müsse. Er hatte Valyria zwar erst ein Mal persönlich getroffen, als sie vor gut einem Mond zur Unterzeichnung des Schlotzer Schutzbund|Schlotzer Schutzbundes für wenige Tage bei ihm zu Gast war. Ihre charmante und zuvorkommende Art überzeugte ihn, dass sie die richtige Ansprechperson für sein Anliegen sei. Mit ihr war gewiss ein Gespräch über dieses delikate und zugleich für Storko wichtige Thema möglich.
Den ersten den er um Rat bei seiner Suche bat war Ritter Sieghelm von Firnsjön, doch das war doch eher vergebens. Wie könnte auch ein alter Ritter die Wünsche und Anliegen eines jungen und aufstrebenden Edelmannes verstehen. Praiosmin von Siebenstein, die Ritterin zu Siebeneichen schlug er vor. Pah, als ob es Storko nach einer altmodischen Rittersfrau gelüsten würde, die wohl ihre strammen Schenkel nur jeden zweiten Praiostag öffnen würde und jeden Morgen Waffenübungen abhält anstatt das Bette zu teilen. Dann schlug der Gute noch seine eigene Tochter vor. Storko sagte ihm doch, dass sie aus hohem Hause und auch schön anzusehen sein solle; was hat Sieghelm daran nicht verstanden.
Nicht dass Storko kein Glück mit den Frauen hätte. Da war Harike, seine erste (und auch bisher einzige) große Liebe. Sie war wie er eine Kadettin in Wehrheim und ein Jahr über ihm. An ihre schwarzen Locken und ihr breites Lächeln erinnerte sich Storko noch in manchen einsamen Nächten. Heute ist sie tot, gefallen in der Schlacht vor Wehrheim, und man muss die Toten ruhen lassen.
Nun die Dirnen in Wehrheim waren auch nicht zu verachten - nicht, dass er die gemeinen Huren angerührt hätte, mit denen sich die anderen Söldner der Waldlöwen die Zeit und das Geld vertrieben - nein die Offiziere hatten ihre eigenen "Gesellschafterinnen".
Aber nun war er allein, und sehnte sich schon seit seiner Ankunft in Gut Gernatsborn|Gernatsborn nach einer weiblichen Hand an seiner Seite, wie lang war es doch schon her seitdem er die Wärme einer Frau empfunden hatte. Doch es war nicht nur sein Verlangen nach Liebe und Lust, es war auch die Pflicht, die ihn eine Braut suchen ließ. Er war der einzige Verbliebene der Familie Gernatsborn. Vater, Brüder und Mutter - gestorben im Kampfe für das Reich. Was ist das Reich? Nur noch ein Schatten, eine Illusion. Er muss nun sein Haus neu begründen und zugleich stärken, wenn es nicht untergehen will. Dies kann nur mit einer Heirat in eine mächtige Familie geschehen. Dann muss ihm seine Frau Kinder schenken, viele Kinder.

Das Husten des Grenzjägers hinter ihm riss Storko aus seinen Gedanken. Im Westen erblickten sie schon das landwirtschaftliche Gut vor ihnen. Das zweistöckige Haupthaus, aus dessen Kamin Rauch drang, überragte das Schnee durchzogene Bild des Gutes und versprach schon aus der Ferne eine warme Rast. Storko, der zum ersten Male in Gut Gernatsquell|Gernatsquell ankam, ließ seinen Blick schweifen: Gesindehaus, Stallungen, Schmiede und weitere gut ein halbes Dutzend zählende Gebäude waren auszumachen. Doch keine Mauer, keine Wachposten oder ein Turm. Gut Gernatsquell lag nahezu schutzlos für jeden Kriegsfürsten da, ja geradezu wie auf dem Präsentierteller, wäre es nicht von den meisten Himmelrichtungen vom verwunschenen Wutzenwald umschlossen und von Norden durch den zwar mehrere Schritt breiten, aber auch nur etwa hüfttiefen, Oberlauf des Gernat geschützt. Noch flacher war der Altarm des Gernat, der das Gut von Süden her einrahmte, und der in der Mitte bereits verlandet war; an dieser Stelle führte ja auch der Weg zum Gutshaus hin. Nun, jetzt im Winter war der Gernat ohnehin zugefroren, so dass man die felsige Halbinsel von allen Seiten her erreichen konnte.

Die beiden ritten in den Hof vor das auf der Firunseite der Halbinsel gelegene Haupthaus, ein zweistöckiges Fachwerkhaus, dem man Satinavs Spuren deutlich ansah. Nicht dass das Gutshaus herunter gekommen aussah, aber das Alter war dem Bauwerk anzumerken. Die Dachschindeln aus armarischem Schiefer waren an vielen Stellen mit Moos bewachsen, und wiesen auch sonst deutliche Spuren der Verwitterung auf.

Ein Knecht eilte aus dem an die Ostseite des Haupthauses anschließendem Gesindehaus heran um die Zügel des Pferdes zu nehmen, Storko nickte ihm wortlos zu, stieg vom Pferd ab um sogleich seine Handschuhe auszuziehen und mit dem heißen Atem die Finger zu wärmen. Ohne weitere Worte zu verlieren schritt er durch den festgestampften Schnee in Richtung Gutshaus.

Er wollte schon auf das Tor zu gehen, als er Valyria an der Koppel bemerkte. Sie sah den Pferden auf der Koppel zu, während ein schwarzbärtiger Mann diese ritt. Valyria hatte den Gast schon bemerkt und drehte sich, ihn willkommen heißend, zu ihm um.

"Gernatsborn, Travia zum Gruß. Ihr müsst früh aufgebrochen sein. Firuns weiße Pracht hat Euch also nicht vor dem Ritt abgehalten."

"Gewiss nicht. Auch Euch ein Travia zum Gruß. Schöne Pferde habt Ihr auf der Koppel. Euer Zureiter?" fragte Storko mit einem Nicken in Richtung des Schwarzbärtigen.

"Nein. Ein Verwandter. Odilon Wildgrimm von Baernfarn|Odilon sieht sich die Pferde an. Es gibt kaum einen, der mehr Ahnung von Pferden hätte. Er begutachtet die Dreijährigen, für die es Interessenten gibt, damit ich einen angemessenen Preis festsetzen kann."

Storko blickte zu dem Schwarzbärtigen, der ihm kurz zunickte, sich dann aber wieder dem Falben widmete.

"Ein schönes Pferd. Klein, aber kräftig." Storko kannte sich dank seiner Zeit bei der Armee durchaus aus mit Pferden. Der Junker sah sich die Pferde an, die auf der Koppel standen. Er und Valyria unterhielten sich eine Weile über die Pferde auf der Koppel und über die Zucht. Storko gewann den Eindruck, dass Valyria bei dem Gestüt ihrer Familie die Geschäfte führte. Ihr Anteil bestand in der Geschäftsführung, beim Verhandeln und erforderlichenfalls auch beim Feilschen. Natürlich hatte sie auch Kenntnisse von Pferden als solches, aber was das handwerkliche betraf, das Zureiten von Pferden und auch die Auswahl, welchem Zuchthengst welche Stute zugeführt wurde, verließ Valyria sich auf ihre Verwandten. Da hatten ihr Schwiegervater Deggen und der Oheim Odilon die Zügel in der Hand.

Storko nickte bedächtig. "Ja, die Auswahl des richtigen Hengstes und der richtigen Stute ist wohl die entscheidendste Sache für eine gute Zucht. Da braucht man ein gutes Gespür meine ich."

Valyria nickte.

"Das ist bei den Menschen, zumal beim Adel, ja oft nicht anders" fuhr Storko fort. "Auch unsereiner erhofft sich bei der Wahl des vor Travia angetrauten, dass ein gesunder und kräftiger Erbe geboren wird."

Valyria lachte. "Ja, neben Travias Segen gilt es vor allem auf Tsas Segen zu hoffen. Und bei manchen Verbindungen kommt auch Phex nicht zu kurz, wenn es darum geht, dass Gold zu Gold und Einfluss zu Einfluss kommt. Bei so vielen Gesichtspunkten ist es fast schon ein kleines Wunder, wenn auch noch Rahja der Verbindung ihren Segen spendet."

Valyria dachte an ihre eigene - rein aus politischen Gründen geschlossene - Ehe mit Raul von Baernfarn nach. Ihrer beider Eltern hatten es arrangiert, ohne sie, die beim Verlöbnis vierzehn war, gefragt zu haben. Nun, diesen Luxus wollte sich das Haus Binsböckel nicht leisten. Mit den Baernfarns aus Gallys hatte es die Gelegenheit gegeben, ein kleines Adelsgeschlecht fest an ihre Familie zu binden und die wohlhabende Handelsstadt Gallys unter ihren Einfluss zu bringen. Allein das hatte gezählt. Nun, was sie selbst betraf, hatte sie dennoch Glück gehabt. Raul und Valyria waren sich mit gegenseitigem Respekt begegnet und hatten auch bald Nachwuchs zustande gebracht. Rahjas wilde Leidenschaft war in beiden nicht entflammt, aber immerhin Freundschaft und Vertrauen prägten ihre kurze Ehe bis zum frühen Tod des Gatten.

"Oh ja, Ihr sagt es. Diese Gedanken beschäftigen auch mich. Ihr wisst, dass ich der letzte meines Geschlechtes bin. Ich bin es meinen Vorfahren schuldig, meine Linie nicht aussterben zu lassen."

Valyria nickte. Für einen Moment war sie sich nicht sicher, ob Storko vorsichtig darüber nachdachte, ihr den Hof zu machen. Doch Valyria wies den Gedanken rasch zurück. So wie sie Storko kannte würde er nicht nach einer Witwe mit zwei Kindern suchen, sondern eine gänzlich eigene Familie gründen wollen.

"Ja. Ihr habt die zwanzig ja schon überschritten. Die meisten in Eurem Alter sind schon vor Travias Altar getreten. Welchen der Zwölf besonders zu Ehren ist dabei Euer Ansinnen?"

"Nun, das ist eine schwierige Frage, ob man mehr Travia, Rahja, Tsa oder Phex ehren will. Ich würde sagen, Tsa und Rahja sind die für mich in dieser Sache wichtigsten Gottheiten. Jung genug muss sie sein, um neues Leben nach Gernatsborn zu tragen. Also ausschließlich den Herrn Phex zu ehren, auf reichem Erbe oder Mitgift zu hoffen und mit einer angejahrten Gattin letztlich kinderlos zu bleiben wäre nicht mein Ziel."

"Und dann wäre ja noch zu beachten, wie Ihr Euch politisch positionieren wollt. Mit jeder Familie, in die man einheiratet, nimmt man auch mögliche Fehden mit. Nun seid Ihr, wie man hört, dem Hause Rabenmund loyal eingestellt. Damit dürften sich Eheschließungen mit dem Haus Bregelsaum beispielsweise eher ausschließen, wenn Ihr nicht die Seiten wechseln wollt."

Storko nickte leicht.

"Nun könntet ihr entweder danach streben, Euch fest mit dem Haus Rabenmund zu verbinden, was Euch Sicherheit und mächtige Verbündete einbringen könnte, aber möglicherweise auch Gegner des Fürstenhauses zu Euren Gegnern macht. Und es würde allerdings schwierig, von diesem ehrwürdigen Geschlecht eine geeignete Gemahlin zu finden. Das Haus Rabenmund ist in seiner Heiratspolitik sehr auf Phex bedacht."

Wieder nickte Storko. Dass das darpatische Fürstengeschlecht bei seiner Heiratspolitik sehr darauf achtete, nur in die nobelsten und höchsten aller Familien einzuheiraten. Schwer zu glauben, dass das Haus Rabenmund an einer Junkernfamilie Interesse in Sachen Heiratspolitik entwickeln würde.

"Vielleicht ist es ratsam, eine Jungfer aus einer Familie zu suchen, die aus altem und noblen Haus und großem Haus stammt. Familien wie die meinige, die Binsböckels. Oder die von Familie Mersingen|Mersingen. Oder auch das ehrwürdige Haus Sturmfels. Was meint Ihr, wäre das eine geeignete Familie?"

"Oh ja durchaus."

"Wenn Ihr es wünscht kann ich bei meiner Schwester, der Baronin, einmal die Augen und Ohren offen halten nach geeigneten Partien des Hauses Binsböckels. Oder... im Haus Mersingen gibt es die Jungfern Syrenia von Mersingen ä.H.|Syrenia und Glyrana von Mersingen ä.H.|Glyrana, beides sittsame und brave junge Damen. Syrenia, die ältere, dürfte in jedem Fall eine gute Partie sein, was meint Ihr?"

"Nun ja, durchaus. Das Familie Mersingen|Haus Mersingen ist ein altes und nobles Haus, und ein Junker wie ich dürfte sich geehrt fühlen, käme eine solche Verbindung zu Stande.

Vielleicht wäre Syrenia schon verheiratet, hätten die schweren Fährnisse und Ereignisse der Wildermark nicht alle familiären Belange hintan gestellt. Glyrana ist vielleicht noch etwas jung, und vor allem wird ihr Vater sie nicht vor der älteren Schwester einem Freier zur Braut geben. Aber lasst uns in die Stube gehen. Ihr seid gewiss ausreichend durchkühlt nach dem Ritt durch das von Firun gesegnete Land. Ein warmer Schluck Jagertee oder Meth wird Euch gut tun."


Anfang Hesinde 1032 BF irgendwo südöstlich des Wutzenwald

Wenige Tage nachdem Storko Valyria auf Gut Gernatsquell besucht hatte stapften neun Gestalten durch den tiefen Schnee auf offenem Felde zwischen zwei spärlich bewaldeten Hügeln vorbei. Nein, es stapften nur acht, der neunte Storko ritt auf seinem Pferde, welches sich und den zu Tragenden aber genauso mühevoll über den nachgebenden Untergrund beförderte. Der Edelmann und Anführer ritt an der Spitze des Zuges, dahinter marschierten seine acht Soldaten in einer lockeren Zweierreihe gefolgt von einem beladenen Pferd.
Es schneite, ja es schneite und wollte seit dem Morgen nicht wieder aufhören. Die weißen Flocken glitten wie viele kleine Wollkneul vom Himmel herab und erschwerten nicht nur das Vorankommen am Untergrund, sondern auch die Sicht in die Ferne. "Wenigstens ist es nicht so kalt" dachte Storko, der aber ohnehin tief in seine Pelze hineingekrochen war. Sie würden sich wohl selbst da die Sicht so schlecht war nicht verlaufen. Nicht dass Storko jeden Hügel in der Gegend beim Namen nennen konnte, doch aufgrund der Schlachten kannte er das Land zwischen Wehrheim und Trollpforte ganz gut. Sie müssten wohl jetzt schon auf Friedwanger Land sein, doch Baronie Friedwang|Friedwang würden sie heute nicht mehr erreichen können, denn die Praiosscheibe, oder was man durch das Schneegestöber davon ersinnen konnte, neigte sich schon tief. Storko entschied sich nicht über die Reichsstraße in Richtung Burg Mersingen zu gelangen, denn die Gegenden dort waren oft schwer umkämpft und unsicher. Hier in der Wildnis gab es keine Söldlinge und Kriegsfürsten zu erwarten, allein das Reich Firuns musste überwunden werden, was aber das Vorankommen erheblich verzögerte. Wölfe und Rotpelze waren zusätzliche Bedrohungen. Deshalb nahm Storko auch seine Soldaten mit auf den Weg. Er hatte etwas überlegt, ob er ein paar nicht doch in Gernatsborn zum Schutze zurücklassen sollte. Doch ein Angriff war im Winter nicht zu erwarten und falls die Rotpelze auch schon westlich des Wutzenwaldes ihr Unwesen treiben würden, dann hätten sie nie gewagt noch wären sie fähig gewesen sein Wehrgut zu plündern, da dort auch waffenfähige Freie dieses verteidigen können. Besser seine Waffenknechte sind bei ihm und können ihn beschützen.
Storko drehte sich um und sah sich seine Soldaten an. Alle hatten sie ihre Spieße geschultert, die Rüstungen und Tellerhelme waren kaum unter den wollenen Mänteln und Kapuzen auszumachen, doch manches Mal blickte der Wappenrock darunter hervor: blau und weiß, die Farben von Gernatsborn. Schweres Gepäck hatten sie zu tragen. Über den großen Schilden am Rücken trug jeder seine Habseligkeiten als Marschgepäck im Rucksack. Das ist das Militär. Die Armee war für viele Jahre Storkos Zuhause und nun hat er sich die Armee nachhause mitgenommen. Gleich hinter ihm ging Spieß Wehrheimer, ein rüstiger und groß gewachsener Mittvierziger mit dunkelbraunem Vollbart. Wenn Storko als Offizier das Hirn der Einheit war, dann war der Spieß das Herz. Mit ihm verband Storko so einiges, denn dieser war Ausbildner in Wehrheim und brachte selbst Storko erfolgreich durch die Grundausbildung. So wie alle seiner Soldaten war auch Spieß Wehreheimer zuerst ein Reichssoldat gewesen und wurde dann ein Wehrheimer Waldlöwe. Doch im missfiel der Verlust von ehrbarer Disziplin bei diesen Söldnern und war nun froh strikt militärische Ordnung und Drill unter der Führung Storkos durchführen zu können. Er war loyal, so loyal wie ein Unteroffizier einem Offizier nur sein kann, und Storko war ihm auch loyal. Er braucht einen Mann wie ihn, denn ein Offizier wie Storko muss entscheiden, ein anderer muss aber auch die Befehle umsetzten können.

Storko beutelte sich den Schnee von den Schultern und hob lässig seine mit einem pelzbesetzten Handschuh geschützte Hand um ein Zeichen zu geben. Es war schon recht spät geworden und sie mussten ein Nachtlager vorbereiten. Eine Steinkonstellation vor ihnen bot guten Schutz gegen die Wetterseite. Ohne weitere Worte über die Anordnung des Offiziers verlieren zu müssen bellte der Spieß unverständliche Kommandos durch die kalte Luft. Wie im Gänsemarsch gingen die Soldaten schnellen Schrittes zum Lagerplatz für die Nacht und begannen unverzüglich nachdem sie ihr Gepäck abgeladen hatten mit der Errichtung der Zelte und eines Lagerfeuers - der Spieß überwachte alles und trieb seine Soldaten zur Eile an.
Der Offizier aber stieg gemächlich von seinem Ross ab und durchwühlte eine Satteltasche. Aus ihren Tiefen kramte er einen silbernen Flakon heraus, aus dem er erst einmal einen tiefen Schluck nahm. Dann strich er sich vorsichtig über seinen teils eingefroren Bart und dachte nach.

Er war Valyrias Rat gefolgt und nach Burg Mersingen aufgebrochen um die Jungfer Syrenia von Mersingen ä.H.|Syrenia zu umwerben. Sie war wirklich eine prächtige Partie. Die Familie Mersingen ist wahrlich eine hohe und mächtige Familie und Syrenia nicht nur, wie sich Storko schon erkundigt hatte, die Tochter des Burgsasses von Burg Mersingen und Reichskanzleirats a.D. Gisborn von Mersingen ä.H., sondern auch die Nichte von Yolande von Mersingen ä.H. der Pfalzgräfin zu Weidleth. Es blieb nur noch zu hoffen, dass sie auch schön anzusehen ist und willig im Schlafgemach. Doch wie sollte er, ein Junker im Hinterland der Wildermark, es schaffen die Jungfer und die Familie ihm gewogen zu stimmen auf das ein Traviabund möglich wäre. "Es wird mir schon etwas einfallen, wenn ich einmal dort bin" murmelte Storko in seinen Pelz, "es ist mir immer noch etwas eingefallen, so Phex hilft". Nach dem traviagefälligem Gastrecht wird man ihm bestimmt in diesem Winter für ein paar Tage Unterkunft in der Burg gewähren, und dann wird sich schon eine Möglichkeit offenbaren. "Wenn ich einmal in diese Familie eingeheiratet bin" murmelte Storko weiter und lächelte verträumt "dann werde ich sehen ob an den Mersinger Meisterplänen, wie man sich erzählt, wirklich etwas dran ist".

Sein Zelt war aufgebaut, ein Soldat brachte das Gepäck hinein und der Offizier Storko bezog seinen Lagerplatz für die Nacht...


Hesinde 1032 BF auf Burg Mersingen (Baronie Pulverberg)

Gemächlich schlenderte der Junker von Gernatsborn an einem kalten aber von Praios gesegneten Hesindemorgen über den Hof der mächtigen Burg Mersingen. Der Boden war gefroren und spiegelglatt, weshalb einige Knechte gerade dabei waren die wichtigsten Wege mit Asche zu besichern. Gerade als er fast ausgerutscht wäre blieb er stehen und betrachtete die düsteren Gemäuer der trutzigen Feste. Am anderen Ende des Platzes sah er wie ein halbes Dutzend Golgariten versuchte diesen zu überqueren und stellte genüsslich fest, dass diese, zumal sie Plattenrüstungen trugen, sogar weit mehr Probleme hatten als er selbst. Storko sah sich den beeindruckenden Bergfried, aus dem die Bewaffneten gekommen waren, genauer an. Tief in den Mauern müssen die Mersinger wohl ihre Archive aufbewahren, und wenn sie diese öffnen würden - so hat man es ihm erzählt - dann könnten sie eine Besitzurkunde nach der anderen herausholen bis ihnen das ganze Reich gehört. In so eine Familie einzuheiraten, dass gefiel Storko. Aber bis dorthin war es noch ein langer Weg.

Am gestrigen Abend waren der Junker und seine Mannen auf der Burg angekommen, wurden nach den Geboten der Travia Willkommen geheißen und es wurde ihnen für die nächsten Tage ein geeigneter Platz in der Feste gewiesen – der Edelmann Storko war in einem Zimmer im Gästehaus untergebracht, seine Mannen bekamen Plätze in einem Schlafsaal zugewiesen.

Wie sollte Storko die Jungfer Syrenia auf ihn Aufmerksam machen, geschweige denn vor den Traualtar bringen? Zuerst waren Erkundigungen über die Dame zu machen, weshalb er weiter über den glatten Boden in Richtung der Amtsstube des Kammerherrn wankte, den er schon am gestrigen Abend kennen gelernt hatte. Der Herr der Kammern der Burg kann ihm bestimmt über die Mitglieder der Mersinger Auskunft geben.
„Tschhh“, ein rutschendes Geräusch drang an sein Ohr, gefolgt von einem metallenem Scheppern. Einer der Golgariten war am Eis ausgerutscht und lag mit gespreizten Beinen auf dem Bauch. Er hörte kurzes Gelächter der sonst so Schweigsamen, die aber sogleich dem Hingerutschten wieder auf die Beine halfen. Storko schmunzelte ebenfalls über den Anblick, doch konzentrierte sich wieder auf seine eigenen Schritte.
Da stand er auch schon vor der hölzernen Tür der Kanzlei des Kammerherrn, vor der ein Soldat Wache schob. Dieser nickte ihm freundlich zu und begrüßte ihn mit einem „Ifirn zum Gruße“. Storko murmelte dasselbe der Wache entgegen, worauf dieser dann sogleich dem Edelmann die Tür öffnete. Er trat durch den Eingang in eine größere Stube, an dessen Ende schon ein Kamin entzündet war und Wärme bot, in der an einem mit übermäßig vielen Schriftstücken bedeckten Tisch ein Schreibgehilfe diese abarbeitete. Storko trat an ihn heran, räusperte sich und wollte gerade nach dem Kammerherrn fragen. Da hörte er aus dem Zimmer dahinter, deren Tür nur angelehnt war, den Herrn mit einem anderen sprechen. „Boron zum Gruße, Euer Wohlgeboren, der werte Herr ist gerade in einer Besprechung“ sprach ihn der Schreibdiener an und erhob sich dabei von seiner Schreibtischfront. Storko beachtete ihn nicht weiter, sondern trat näher auf die angelehnte Tür zu um bis zum Ende der Besprechung zu warten, und auch - neugierig wie er war - um zu lauschen. Zwar sprachen die beiden Herren energisch, doch stellte sich der Gesprächsstoff als recht langweilig dar, da es, soweit er folgen konnte, um die Unterkunft und Verpflegung von markgräflichen Soldaten ging. Genau mit diesen Problemen hatte er sich die letzten Jahre bei Heer und Söldnerschar beschäftigen müssen.
Nach kurzem Warten trat schnellen Schrittes der Besucher des Kammerherrn vor die Tür. Storko nickte dem Herrn, der gut einen halben Spann größer war, grüßend zu – der Storko aber keines Blickes würdigte – und musterte ihn. Der edel gekleidete Mann zählte wohl etwas weniger als fünfzig Götterläufe. Seine streng nach hinten gekämmten Haare betonten seine hohe Stirn und unterstrichen seinen ernsten Blick. Während er an Storko vorbeimarschierte ließ er eine wuchtige Reitergerte, die er in seiner rechten Hand trug, in seine linke schnalzen. „Wer das wohl sei? Sei’s drum“ dachte er sich und klopfte an die ohnehin geöffnete Tür des Kammerherrn an. Dieser registrierte ihn und erwiderte seufzend „Herein, edler Herr. Was kann ich für Euch tun?“. Storko, der noch im Türstock stand, trat ein und fragte höflich „Nun, ich hoffe ich störe Euch nicht, doch hättet Ihr vielleicht ein paar Momente. Ich würde Euch nämlich gerne ein paar Fragen über die Jungfer Syrenia von Mersingen stellen?“ „Was wollt ihr denn über die edle Dame wissen?“ antwortete der ältere Mann - dem man sein Alter sowohl an seinen grauen etwas zerzausten Haaren, als auch an seinen nicht wenigen Falten erahnen konnte - während er seine Miene misstrauisch verzog. „Ähm“ begann Storko etwas verlegen zu antworten „nun ja, ich habe schon von der Schönheit der Jungfer Syrenia gehört, und wollte nun ...“ Er sah in das Gesicht vor ihm, welches den Blick noch mehr verzog und auf jemanden hinter ihm wandte. Schnelle Schritte marschierten an Storko vorbei. Es war eben jener strenge Mann, der vorher in der Stube gewesen war. Dieser blieb vor dem Kammerherrn stehen und ordnete ihm mit dusterer befehlender Stimme an: „Und vergesst nicht alles Nötige zu veranlassen, damit die morgigen Gäste zufrieden sind!“ Der Kammerherr nickte unterwürfig. Der Mann drehte sich um, marschierte mit gesetzten Bewegungen aus der Kammer, doch starrte diesmal Storko mit seinen schwarz-glänzenden Augen finster an, während er seine Gerte in die andere Hand sausen ließ. Storko dachte sich, dass dieser wohl irgendetwas von seinem Gespräch gehört haben muss, welches ihm missfallen haben musste. „Sagt, wer war denn jener edle Herr eben?“ fragte er sein Gegenüber. „Das wisst ihr nicht? Nun, Gisborn von Mersingen ä.H. der Burgssass“ . Plötzlich schoss es ihm wie von Praios’ Strahl getroffen durch den Kopf. Gisborn von Mersingen ä.H. ist der Vater von Syrenia und er hatte vor dessen Ohren offenkundig über die Schönheit seiner Tochter geredet, und damit auch sein Interesse an ihr bekundet – Gisborn schien dies nicht besonders gefallen zu haben. Das war nicht die beste erste Begegnung, die man sich mit seinem zukünftigen Schwiegervater vorstellen könnte.

Da der Kammerherr auch in weiterer Folge nicht besonders gesprächig war – Diskretion und Verschwiegenheit schienen Tugenden auf Burg Mersingen zu sein - stand er wenige Momente später wieder im kalten Burghof. Wie sollte er es nun schaffen die Jungfer zu gewinnen, ihr Vater schien ihn ja nun nicht gerade zu mögen. Sein Vorhaben stand unter denkbar schlechten Sternen. Da hörte er Schritte von hinten auf ihn zukommen. Storko drehte sich um und sah einen Knecht mit einem Bottich auf der Schulter. Gerade als er den Bediensteten nicht weiter beachten wollte sprach dieser ihn an. „Euer Wohlgeboren, edler Herr. Als ich im Nebenraum den Boden aufgewischt hatte, habe ich zufällig Euer Interesse an der Jungfer gehört.“ „Und was interessiert dich das.“ antwortete Storko gelangweilt. „Nun ich könnte Euch vielleicht etwas über sie erzählen, was Euch auch weiter helfen könnte, wenn ...“ „Wenn was?“ „Wenn der edle Herr sich ebenfalls erkenntlich zeigen würde.“ „Was erlaubt sich dieser Knecht!“ grollte er ihn an. Insgeheim gefiel ihm aber ein Mann solchen Schlages und er war nur zu bereitwillig ein derartiges Geschäft einzugehen. Er griff in seine Jackentasche, blickte um sich ob jemand zusah, um dann eine Silbermünze herauszuziehen. „Diese bekommst du, wenn du mir etwas Lohnendes erzählen kannst.“

„Ja die Jungfer Syrenia“, sprach der gewitzte Knecht mittleren Alters, „sie war schon als Mädchen ein aufbrausendes Geschöpf – das hat sie zweifelsohne von ihrer Mutter geerbt – und auch heute lässt sie es sich selbst im Winter nicht nehmen jeden Windstag Vormittag im Wäldchen südlich der Burg auszureiten. Sie bringt ihren Vater immer wieder zur Weißglut, da sie sich dabei aus der Burg davon stiehlt ohne Geleitschutz mitzunehmen.“ „Woher weißt du das überhaupt alles?“ „Mein liebes Weib arbeitet, Phex sei Dank, bei ihr als Magd.“ „Gut“ sprach Storko und drückte währenddessen die Münze in die Hand des Dieners „wir haben nie über die Sache geredet. Wenn dich wer fragt was unser Gespräch auf sich hatte, dann erzähl, dass ich dir aufgetragen hätte die Kammer meiner Soldaten zu putzen.“ Der Knecht nickte und zog von dannen.
Storko dachte mit einem schiefen Lächeln nach: „Also ein wildes Fräulein ist diese Syrenia, nun bei Rahja, ich hoffe man kann sie zähmen.“ Er blickte hinauf zum Himmel und sah mit geschlitzten Augen zur Praiosscheibe, während er sich durch sein Kinnbärtchen strich. Jetzt half eine rechte List – Hilf dir selbst, dann hilft dir Phex! Sein Informant hatte doch gesagt, dass Syrenia jeden Windstag einen Ausritt unternimmt, und es dabei tunlichst versucht zu unterlassen einen Geleitschutz mitzunehmen. Windstag ist doch morgen schon. Er zwirbelte seinen Bart und lächelte wiederum schief. Es war ein für ihn typisches Lächeln wenn er über etwas Listiges oder Anzügliches nachdachte.

Nächsten Morgen zog er schon früh mit seinen Mannen aus Burg Mersingen hinaus – doch er zog keinesfalls fort, sondern in das genannte Wäldchen, durch welches die Jungfer ihren Ausritt machen sollte. Nahe dem Waldpfad, der hindurch führte, schlugen sie ihr Lager auf. Vier seiner Mannen hüllte er in schmutzig abgewetzte Umhänge und ordnete ihnen an die Kapuzen immer tief im Gesicht zu tragen. Sie sollten nun Wegelager sein und der Dame im Wald auflauern. Die Soldaten waren loyal und listige Attacken und Täuschungsmanöver gewohnt. Er werde dann als Held die Räuber verjagen und so die Jungfer vor ihrem Tode retten – vorausgesetzt die Jungfer führe keine Bedeckung mit sich. Das wirke doch auf jedes Weibsbild. Nicht, dass Storko ein Held war oder jemals gewesen wäre. Auch in der Schlacht blieb er lieber am Feldherrenhügel als sich dem Feind entgegen zu werfen – kam der Feind zu nahe heran, dann setzte er ihm mit der Armbrust aus der Ferne zu. Wer kein Held ist, kann doch als solcher gelten, wenn er sich nur ins rechte Licht rückt.
Wenige dutzend Schritt im lichten Wald vom Pfad entfernt wartete er in polierter Plattenrüstung mit Schaller auf seinem Pferd, sein Schwert schon aus der Scheide gezogen, bereit die vermeintlichen Übeltäter zu verjagen. Er dachte noch nach, ob die ganze Geschichte nicht doch unglaubwürdig oder inszeniert wirken würde – aber wer stellt schon einem Helden Fragen, wie er die Heldentat vollbrachte. Wer mit hohen Einsätzen spielt kann viel gewinnen!

Gemächlich ritten zwei Jungfern durch einen kalten Wintermorgen. Tatsächlich hatte es Syrenia wieder einmal geschafft zusammen mit ihrer Schwester aus der Burg auszubrechen ohne beschützende Soldaten mitzunehmen, die sie nur stören und verlangsamen würden. Auf den ersten Blick sahen die beiden fast aus wie Zwillinge. Lange schwarze Haare kamen unter den Pelzhauben hervor und die gleichen glänzend-schwarzen Augen blickten nach vorne. Syrenia sprach mit ihrer jüngeren Schwester: „Sag Glyrana, wie war es eigentlich, das Leben im Kloster?“ Was sollte Glyrana denn antworten? Gestern war sie erst aus dem Kloster zurückgekehrt, in dem sie die letzten Jahre verbracht hatte. Lange war sie auf ihre ältere Schwester böse gewesen, da sie ihr die Schuld gab, dass der Vater sie ins Kloster schickte. Genauso wie ihre Schwester, war auch Glyrana aufbrausend und wild gewesen, doch die Jahre hatten ihre Aufgabe nicht verfehlt. Beherrschter und demütiger war sie geworden, ja mehr als man einer jungen Frau in ihrem Alter zutrauen würde. Nur noch selten konnte sie ihre Gefühle nicht im Zaum halten und wurde wie ihre Schwester noch heute war. Sie hatte schon längst ihren Frieden mit Syrenia geschlossen. „Bei der Heiligen Noiona, ich habe mich um die Kranken gekümmert und um Linderung für ihre Leiden zum Herrn Boron gebetet.“ „Du hast dich verändert, Glyrana“ sprach Syrenia „früher als Kinder hatten wir viel Spaß, kannst du dich noch erinnern?“ Nun sie hatten tatsächlich Spaß und stifteten sogar ihre älteren Brüder zu Blödsinn an. Aber sie war immer nur ein Anhängsel ihrer Schwester gewesen. „Und was hast du die ganzen Jahre gemacht? Jetzt bist du ja schon über zwanzig Sommer alt und noch immer kein Mann an deiner Seite. Haben sich deine Träume, die du mir immer in der Schlafkammer erzählt hast, nicht erfüllt?“ sprach sie neckisch ihrer älteren Schwester zu. „Pah!“ erwiderte diese, trieb ihr Pferd an und fegte nach vorne davon. Glyrana folgte ihr so gut es ging, sie war schon länger nicht so schnell geritten und Syrenia war ihr dabei weitaus überlegen.

Sie kamen auf dem schneebedeckten Pfad in das Wäldchen hinein. „Warte auf mich!“ rief Glyrana nach vorne. Syrenia sah einige dutzend Schritt vor ihr einen umgefallen Baum, der den Waldpfad so blockierte, dass sie nicht einfach mit dem Pferd darüber springen konnte. Sie dachte sich, dass dies ihre nunmehr schlecht reitende Schwester nie schaffen würde und verlangsamte ihr Reittempo. Da sprangen plötzlich ein paar düstere Gestalten hinter den Bäumen hervor und richteten blitzartig ihre Spieße gegen die Jungfer. Ihr Pferd sichtlich geschockt von der Bedrohung wieherte laut und stellte sich hoch auf seine Hinterbeine. Syrenia versuchte mit aller Kraft ihr Reittier unter Kontrolle zu halten. Doch vergebens, die gute Reiterin fiel rücklings vom Pferd und landete mit ihrem Hinterteil auf dem - Firun sei Dank – weichen Schnee.
Storko hörte den Lärm durch das mit Schnee bedeckte Gestrüpp, klappte sein Visier hinunter und trieb sein Pferd an.
Syrenia bekam es jedoch nicht mit der Angst zu tun, sondern wurde wütend. „Was wollt ihr Strauchdiebe von mir! Was erlaubt ihr euch, mich zu überfallen!“ warf sie ihnen in einer bestimmten Stimme zu, während sie ein schlankes Kurzschwert aus der Scheide an ihrem Gürtel zog. Glyrana, die weiter hinten ritt, sah den Überfall und blieb zuerst einmal mit Abstand stehen. Ohne, dass die Jungfern weiteres unternehmen konnten sprang ein edler Kämpe gerüstet in Platte auf seinem Pferd durch die lichten Baumreihen hervor. Er wirbelte sein Schwert durch die Luft und kreuzte die Klinge mit einem Spieß. „Ich werde euch Dieben noch das Fürchten lehren - eine edle Dame zu überfallen!“ drangen seine Worte blechern durch den Helm. Genauso wie Storko es ihnen angeordnet hatte senkten seine Mannen ihre Waffen und flohen schnurstracks in den Wald. Syrenia saß noch im Schnee und setzte sich ihre beiseite gefallene Pelzmütze auf. Storko zog sein Schwert in die Scheide hinein, sprang von seinem Pferd und öffnete sein Klappvisier um sodann der Jungfer seine Hand anzubieten. Nun sah er Syrenia das erste Mal. Sein Vater schon hatte ja gesagt man solle kein Korn kaufen, bevor man es nicht probiert hat. Hübsch anzusehen war sie schon, die Jungfer. Schwarze Haare und Augen verrieten Ähnlichkeiten zu ihrem Vater. Ob sie auch eine tsagefällige Statur hatte, das konnte er aber unter den Pelzen die sie trug nicht einmal erahnen. Syrenia blickte aufgeregt aber auch dankbar in ein sanft lächelndes Gesicht des heldenhaften Kriegers, der sie wohl vor den Dieben bewahrt hatte. Sie nahm die Hand an und er half ihr wieder auf die Beine wahrend er sie ansprach. „Edle Dame, ich war gerade mit meinen Waffenknechten im Wald unterwegs, da hörte ich Kampfeslärm. Als ich Euch bedroht von diesen Übeltätern sah, zog ich die Waffe um jene zu verjagen.“ „Bei den Göttern, habt Dank!“ antworte sie. „Wie unhöflich, ich vergaß mich vorzustellen. Ich bin Junker Storko von und zu Gernatsborn. Und ihr seid?“ „Jungfer Syrenia von Mersingen. Was für ein Glück, dass Ihr in der Nähe gewesen seid, mein Herr – alleine hätte ich sie schwer verjagen können.“ Aus der Richtung aus der auch Storko gekommen war liefen seine restlichen Soldaten heran. Einer nahm die Zügel von Syrenias Pferd, die anderen verfolgten die vermeintlichen Wegelagerer in den Wald.
Glyrana verfolgte die Szenerie bisher von weiter hinten, doch lenkte nun ihr Pferd in die Richtung. Das Ganze ging so schnell vonstatten, sodass sie aufgewühlt war, zugleich aber auch beeindruckt von dem mutigen Krieger in seiner strahlenden Rüstung, den sie vor sich sah.
Syrenia bemerkte, dass ihr Gegenüber auf jemandem hinter ihr blickte und wandte sich um. „Ach ja, darf ich vorstellen, meine jüngere Schwester Glyrana.“ „Rondra zum Gruße“ sprach Storko und verbeugte sich höflich, so gut wie es seine Rüstung erlaubte. Glyrana antwortete lediglich mit einem verzagten aber breiten Lächeln. Umso besser, dachte sich Storko, nun hatte er gleich zwei Mersinger Jungfern gerettet. Die Karten waren für ihn nun gut gemischt. „Während meine Mannen den Wald nach den Übeltätern durchforsten bestehe ich darauf Euch heil in die Burg zu begleiten“ sprach er bestimmt. „Gewiss, es wäre mir eine Freude. Mein Vater wird sich bei Euch bestimmt dankbar zeigen“ antwortete Syrenia. Er half ihr aufs Pferd hinauf und die drei ritten gemeinsam zurück zur Burg. Storko erzählte den Jungfern schwungvoll und leicht übertrieben - wobei er insbesondere Syrenia ansprach, beziehungsweise diese das Wort ergriff - von seiner Zeit in der Reichsarmee, den Schlachten die er „focht“ und von seinem geerbten Junkergut am Oberlauf des Gernats.
Storko war sich sicher bei den Jungfern einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben, und dass niemand seine kleine List entdecken würde.


Nachdem Syrenia ihre Schilderung beendet hatte, schickte er die beiden jungen Damen aus dem Raum, die sich mit einem Knicks zurückzogen und wandte sich Storko zu. Mit ernster Miene lehnte er sich in seinem sich der Burgsass in seinem gepolsterten Sessel zurück und betrachtete seinen Gast nachdenklich. „Habt Dank für Euer mutiges und beherztes Eingreifen, Wohlgeboren. Nicht auszudenken, was den beiden hätte zustoßen können. Das Gebiet um die Burg ist gemeinhin sehr sicher, doch der strenge Winter macht aus braven Bauern gelegentlich Schurken.“
Mit einem Fingerzeig wies er seine Knappin an aus seinem Schatten zu treten. „Schenk seiner Wohlgeboren ein.“ Das etwa zwölfjährige Mädchen tat wie ihr geheißen, um dann wieder ihren Posten im Rücken des Burgsassen einzunehmen.
„Auf Euer Wohl.“ Er hob seinen Pokal und nippte einige Male an dem mit Wasser verdünnten Almadaner.
Noch immer hielt Gisborn seinen Gast in seinem Blick gefangen, als er im Plauderton fortfuhr. „Was treibt Euch in diese Region, Wohlgeboren, wo Ihr doch im Wutzenwald beheimatet seid. Zudem im vollen Kriegsornat und Bewaffneten im Gefolge.“ Storko antwortete sogleich. „Die Geschäfte, mein Herr, die Geschäfte. Ich kann eine Kupfergrube am Fuße des Gernatsborner Hügels mein Eigen nennen. Zwar ist der Winter nicht die Zeit im Tagbau das Kupfererz zu fördern, wohl ist es aber die Zeit dieses in Hochofen und Schmiede zu verarbeiten, als auch Handelskontakte zu schließen um es zu verkaufen. Aus dem Kupfer werden in Gernatsborn gar bestes Kupferbesteck und –geschirr als auch Dachschindeln hergestellt, die Feuerfest sind und sich insbesondere für Wehrbauten eigenen - sofern ich Euch damit nicht langweile.“ Er nahm einen guten Schluck des verdünnten Weines ehe er fortfuhr. „Und ich bin Offizier, ich reise niemals ohne meine Soldaten oder Rüstung und Waffen. Es herrscht Krieg in der Wildermark, ohne Bedeckung zu reisen wäre allzu leichtsinnig.“ Storko ließ sich in seinem Pokal von der jungen Knappin nachschenken. Dann erzählte er weiters von seinem Dienst als Offizier in der Armee, sowie von der Geschichte der Familie Gernatsborn, und unterließ es nicht insgesamt drei Mal darauf hinzuweisen, wie all seine Verwandten heldenhaft im Kampfe um Land und Reich gefallen sind. Gisborn musterte den Junker genau und fragte auch immer wieder detailliert nach.
Nach einiger Zeit kamen die Jungfern wieder in das Zimmer und - nachdem sie höflich fragten, ob sie sich zu den Herren setzen dürfen – nahmen Platz. Storko und Gisborn hatten gerade ein Gesprächsthema zu Ende geführt, weshalb er die Zeit nutzte um die ältere Jungfer anzusprechen. „Meine liebe Dame. Ich wollte Euch fragen, ob Ihr möglicherweise geneigt wäret mich auf Gut Gernatsborn zu besuchen und mich dorthin zu begleiten. Es wäre mir eine wahre Freude Euch mein Land und Gut zu zeigen. Doch nur sofern Ihr“ und er nickte Gisborn zu „es erlauben würdet. Für die Sicherheit Eurer Tochter stehe ich mit meinem Leben und der Leben meiner Soldaten ein“ sprach er bestimmt weiter.
“Gerne will ich Eurer Einladung auf Gut Gernatsborn entsprechen, Euer Wohlgeboren.“ Syrenia lächelte milde und neigte leicht den Kopf.
„Dürfte ich sie begleiten, Vater? Ihr wisst, dass wir uns lange Jahre nur selten sahen, und es gibt noch vieles was wir uns zu berichten haben.“ Glyrana hatte sich bei ihren Worten erhoben und einen Schritt vorgetreten. Ihre Augen funkelten wie die Eiskristalle, die sich an den Läden des Burgfensters gebildet hatten.
Die Frage nach einem Besuch seiner Töchter auf Gut Gernatsborn überraschte ihn nicht wirklich, ebenso wenig, dass Glyrana ihre ältere Schwester begleiten wollte. Lange Jahre hatte sie die Gesellschaft der älteren gemisst. Wohl hatte er die Blicke bemerkt, die sein Gast mit Syrenia offen austauchte, doch ließ er sich Zeit mit seiner Antwort.
„Ich stehe in Eurer Schuld, so dass es mir nicht behagt, Euch Eure Bitte abzuschlagen, doch wisst Ihr nur zu gut, wie es um die Sicherheit in der Baronie Schlotz bestellt ist. Gerade wo Wutzwald nicht fern ist. Zwar habt Ihr bewiesen, dass ihr mutig seid und mit dem Schwert umzugehen versteht, doch behagt es mir nicht meine Töchter unnötiger Gefahr auszusetzen, zumal sie ihr Eigensinn nicht zum ersten Mal in Not brachte.“
Sein Blick wanderte zu seinen Töchtern, die auf Stühlen neben der schweren Eichentüre vor einem schweren Wandteppich Platz genommen hatten, und schuldbewusst die Augen niederschlugen.
Für den Hauch eines Herzschlages stahl sich der Anflug eines Lächelns auf seine sonst unbewegten Züge, als er das Schauspiel betrachtete, denn nicht mehr als das war es.
„Wenn die beiden nun versprechen würden, zukünftig auf diese einsamen Ausritte zu verzichten und Ihr mir für ihre Sicherheit bürgen würdet, wäre ich aber geneigt, Euerem Wunsch zu entsprechen.“ Für einen Moment glitt sein Blick in die Ferne, als käme ihm eine Idee, die er nicht unbedacht lassen wollte.
Sofort sprangen beide wenig damenhaft auf, nickten eifrig und versicherten ihre Zustimmung, ehe ihnen der lauernde Blick ihres Vaters auffiel.
„Wenn dem so ist, so sollt ihr meine Zustimmung erfahren“, unterbrach Gisborn seine Töchter sogleich zufrieden.
„Wo dies nun geklärt ist, wollt Ihr mich zum Abendmahl begleiten? Der Koch versteht sein Handwerk trefflich und es ist bereits dunkel, so dass Ihr sicher die Nacht verweilen wollt.“

Das Licht einer Hand voll Kerzen spiegelte sich im glänzend polierten Silber der Leuchter und der matten Oberfläche der tiefdunklen Wandvertäfelung und schimmerte auf dem feinen Batist des blütenweißen Tischtuchs. Das Besteck war aus getriebenem Silber gefertigt, das Geschirr bestand aus Porzellan liebfeldscher Manufakturen und die Wein- und Wassergefäße auf dem Tisch waren aus kostbarem grangorer Glas.
Gisborn bot seinem Gast einen belehnten Stuhl an und nahm dann ihm gegenüber Platz, während sich die beiden Jungfern zu seinen Seiten niederließen. Wie schon in seinem Arbeitszimmer stand seine Knappin wie ein Schatten hinter ihm. „Ihr müsst meinen Vetter, den Markgrafen, entschuldigen, wichtige Angelegenheiten halten ihn der Tafel fern, zumal er ohnehin häufig bei seinen Ordensbrüdern zu speisen pflegt.“
Auf ein knappes Handzeichen des Burgsassen trugen die Domestiken mit zwei Knechten und der Hilfe des Pagen den ersten Gang auf – frisch gebackenes, weißes Fladenbrot mit noch dampfenden geschmorten Schnecken und einem passenden, leichten Roséwein. ...


Ende Hesinde 1032 BF auf Gut Gernatsborn (Baronie Schlotz)

Endlich waren sie angekommen. Vor ihnen konnten sie vage im morgendlichen Winternebel den Gernatsborner Hügel erblicken. Daneben rauschte der Gernat leise unter dem dünnen Eis das den Fluss bedeckte. Voran ritt Storko, an ihn anschließend die beiden Jungfern Syrenia und Glyrana, und weiter hinten marschierten die Soldaten mit zwei Packpferden.
Am gestrigen Abend war die Praiosscheibe schon zu weit im Westen verschwunden, als dass sie vor Anbeginn der Dunkelheit auf dem Gut angekommen wären, weshalb sie im südlich gelegenen Dorf Beorwang die Nacht verbrachten. Da der von Transylischen Söldnern besetzte Ort Firunsfelde auch nicht weit weg war entschied Storko im Ort sicher das Nachtlager aufzuschlagen. Seitdem der Ritter des Dorfes seit einiger Zeit verschollen war und daher von den Waffenträgern Storkos und Gut Gernatsborn im Schutze abhängig war, boten die Bewohner und der Schulze sofort bereitwillig die einzige Dorfschänke „Zum Wilden Hupen“ den Adligen an. Storko hatte den Jungfern an diesem Abend noch berichtet, dass er mit anderen Adligen des Schlotzer Landes in den letzten Monden den Schlotzer Schutzbund gegründet hatte um zusammen den Gefahren des Landes zu trotzen und die Gegend von diesen finsteren Söldlingen zu befreien. Nach der Schneeschmelze soll ein Kriegszug durchgeführt werden. Storko sparte bei seinen Erzählungen den jungen Frauen gegenüber wie immer auch diesmal nicht mit gekonnt gesetzten selbstbeweihräuchernden Passagen. Die Tage davor waren mühevoll und kalt gewesen, doch waren sie - Firun sei Dank – keinen nennenswerten Gefahren ausgesetzt.
Die jungen Damen überblickten das Gernatsborner Land: schneebedeckte Äcker und Felder, einzelne kahle Bäume, der Fluss im Norden, dazwischen ein Hügel auf dem dicht gedrängte Häuser vernebelt zu sehen waren. Syrenias Gesicht begann eine zweifelnde Miene anzunehmen und blickte ihre Reisebegleiter an. „Ihr müsstet mein Land an einem schönen Sommertag sehen!“ erhob Storko die Stimme, “weite satte Felder und Wiesen, mit Obstbäumen die pralle Früchte hervorbringen. Die Strahlen der Sonne würden sich im kupfernen Dach spiegeln, ihr würdet die Augen kneifen müssen“ und lächelte dabei. „Das kann ich mir gut vorstellen“ erwiderte Glyrana und lächelte zurück. Dann setzten sie sich wieder in Bewegung und passierten am flacheren Südhang ein paar Bauernkaten bevor sie dem Tor des Guts näher kamen. Die Wehrmauer war unbemannt, doch hatte schon eine mit einer Glefe bewaffnete Frau die Tore weit geöffnet. Bevor sie den Eingang passierten sahen die Jungfern hinauf zur Mauer wo eine erstaunlich wenig zerschlissene Flagge an eine Fahnenstange angebracht war: Blau schrägrechts auf Silber, oben rechts Schwert und Sense gekreuzt in Schwarz.
„Ingerimm zum Gruße Euer Wohlgeboren“ sprach die Frau am Tore, die wohl um die dreißig Sommer zählen musste. „Seid gegrüßt Girte“ antwortete er im Vorbeireiten. Am Brunnen hinter dem Tore blieben die drei Reiter stehen. Gleich kamen zwei Knechte aus dem Stall zur Linken um die Pferde in Empfang zu nehmen. Die Soldaten marschierten unter den Kommandos von Spieß Wehrheimer im Gleichschritt in den Hof und begaben sich nach einem letzten Bellen des Weibels, was wohl ein Kommando zum Abtreten gewesen sein muss, in das Gesindehaus zur Rechten. Als höflicher Offizier sprang Storko sofort vom Pferd ab um den Damen, zuerst Syrenia dann ihrer jüngeren Schwester, beim Absteigen zu helfen – bei letzterer kam er jedoch zu spät, da sie schon selbst abgestiegen war. Sie hörten nun die Schläge, die aus der Schmiede rechts vor ihnen kamen. Aus dem großen Schornstein des Gebäudes drang dunkler Rauch heraus. Storko erklärte „Meiser Rodiak ist ein wahrer Herr seines Faches. Er verarbeitet das am steilen Nordhang gewonnene Kupfererz und stellt in meinem Auftrag Geschirr, Besteck, Krüge, Dachschindeln und vieles mehr her“ während er mit den beiden weiter in Richtung Haupthaus schritt. Ein stattlicher Herr, der Gutsverwalter wohl, kam aus dem steinernen Haus heraus und begrüßte die Damen und den Junker herzlichst. Er versicherte sogleich die Zimmer für die Jungfern herzurichten und ein ordentliches warmes Mahl zubereiten zu lassen. Nicht, dass es auf Gernatsborn so viele Zimmer für edle Gäste geben würde. Neben dem eigentlichen Schlafgemach standen in den Obergeschoßen nur das ehemalige Kinderzimmer und eine weitere kleinere Gästekammer zur Verfügung. Die Jungfern baten den Verwalter zusammen eine Kammer zu bekommen.
Durch die mit kunstvollen kupfernen Einlegarbeiten verzierte Tür gelangten sie in den Vorraum, in welchem eine breite hölzerne Treppe ins nächste Stockwerk hinauf führte. Kupferne Gegenstände und Verzierungen waren im Haus allgegenwärtig und verliehen den Räumen einen festlichen warmen Charakter. „Werter Storko“, sprach Syrenia, nachdem er den Frauen ihre Räume im zweiten Obergeschoß gezeigt hatte, „meine Schwester und ich werden uns bis zum Nachmittag ausruhen und uns frisch machen.“ Eine Magd trug gerade das Gepäck ins Zimmer. „Gewiss meine lieben Damen. Ich werde zur Erfrischung euch einen warmen Kräutertee bringen lassen, und die Mägde sollen warmes Wasser in die Wanne im Bad einlassen.“ Die beiden nickten dankend und verschwanden im Zimmer.
Storko tat es seinen Gästen gleich. Er kleidete sich um, machte seine Toilette und begab sich danach in sein Schreibzimmer um etwaige Korrespondenzen und die Wirtschaftsbücher durchzugehen.

„Endlich können wir ungestört miteinander reden“ sprach Syrenia während sie ihrer jüngeren Schwester mit einem Kamm durch Haar strich. Glyrana lag noch im lauwarmen Wasser der Kupferwanne, dahinter stand Syrenia in mehrere Handtücher gehüllt um ihrer Schwester die Haare zu kämmen und zu trocknen. So wie früher in der Kindheit badete zuerst die Ältere, die Jüngere musste sich mit dem weniger heißen und sauberen Wasser begnügen. „Was hältst du eigentlich von Storko und allem hier?“ „Mir gefällt er recht gut. Ein zuvorkommender und edler Offizier scheint er mir zu sein.“ ihr Blick schweifte ins Leere „Ja und ein schönes Gut hat er auch.“ „Ich weiß nicht, wir sind hier in der hintersten Wildermark. Nur Hügeln, Wiesen und Wälder. Kein größerer Ort oder eine Burg, nicht einmal eine Straße die in der Nähe vorbei führt. Aber kein Wunder, dass er und sein Land dir gefallen. Hast ja die letzten Jahre nur Klostermauern und schweigsam keusche Boronsdiener um dich gehabt.“ Glyrana ärgerte es wenn ihre Schwester so mit ihr sprach. Sie schlug mit ihren beiden Fäusten ins Wasser und das Nass spritzte aus der Wanne heraus. „Halt den Mund!“ keifte sie Syrenia aufbrausend an „Er ist ja ohnehin nur an dir interessiert - merkst du das nicht!“ „Haha“ schmunzelte sie und sprach dann „So mache ich nicht weiter, da werde ich ja wieder ganz nass“. Dann ging sie aus dem Bad um sich im Zimmer nebenan anzukleiden.

Erst spät, als das Tageslicht schon zu verschwinden begann, erschienen die beiden Edlen zum Mahl im ersten Stock. Storko saß schon lange an der Tafel. Mit „Welch wundervoller Anblick, welch hübsche Gäste darf ich an meiner Tafel haben“ begrüßte er sie und rückte den Damen den Stuhl beim Platznehmen hin. Er meinte seine Worte wahrlich ernst. Nicht nur, dass er sich recht allein am Gut fühlte – was er auch war – sondern auch weil er tatsächlich noch nie junge, schöne und edle weibliche Gäste bei sich hatte – die Ritter aus dem Schlotzer Land waren keines von alledem. „Ihr schmeichelt uns, mein Herr“ erwiderte Syrenia und schmunzelte dabei, während sie sich an der Tafel niederließen. Der Kamin war angezündet und an der Tafel waren kupferne Kerzenständer mit flackerten Bienenwachskerzen aufgestellt, was den großen Raum wohlig warm machte. Eine Magd schenkte allen in kupferne Pokale ein, während zwei andere Knechte die Speisen herein trugen. Auf einer Platte trugen sie ein Spanferkel mit Apfel im Maul und auf einer anderen Rübenmus mit frisch gebackenen Broten. Alle hatten Hunger und angesichts der Speisen bekamen sie noch mehr Appetit. „Lasst mich auf euch anstoßen.“ Erhob Storko seinen Kelch. „Auf dass wir schöne gemeinsame Zeiten haben werden.“ Dann tranken sie. Das Getränk tat wohlig warm im Hals und Leibe. „Ahh, das ist gut. Es ist Meth von meiner werten Nachbarin ihrer Hochgeboren Valyria von Baernfarn-Binsböckel. Wirklich ausgezeichnet.“ „Die rechtmäßige Baronin von Gallys?“ fragte Syrenia. „Ja, sie bewirtschaftet das Gut Gernatsquell, nicht viel weiter flussaufwärts von hier, mit einer Metherei und einem Gestüt.“ „Mir dünkt, wir haben sie schon einmal als Kinder kennen gelernt.“ sprach Glyrana. Ihre ältere Schwester viel ihr ins Wort: „Vielleicht können wir ihre Hochgeboren auf dem Gut die nächsten Tage einmal besuchen und das Gestüt und die Metherei besichtigen“. „Nun, gewiss“ antwortete er, während er als wie auch die Damen zu essen begannen.

Storko hatte sich schon die ganze Reise nachhause Gedanken gemacht wie er am besten das Herz einer der Jungfern gewinnen könnte. Er hatte noch keinen Plan, sofern man bei so etwas einen festen Plan haben kann. Auch kannte er sich mit Organisation und Schlachtplänen besser aus, als mit den Herzen junger Damen. Sein Auftritt und die Rettung muss wohl einiges an Eindruck hinterlassen haben, sonst wäre Syrenia nicht der Einladung nachgekommen. Auch wollte die jüngere Schwester mitreisen. Nicht, dass er es darauf abgesehen hätte gleich zwei Damen mit auf seinem Gut zu haben, aber zwei waren besser als eine. Beide waren recht ähnlich hübsch und Storko kannte die Art einer jeden noch nicht gut genug.

Nachdem sie zu Ende gegessen hatten waren ihre Bäuche voll und Storkos Wams spannte sich gleichermaßen wie die Kleider der jungen Damen. Durch die Wärme im Raum und den reichlichen Meth hatten alle drei rote Backen bekommen, und lehnten sich zufrieden in ihren Stühlen zurück. „Ich habe mir gedacht, ob wir übermorgen nicht zusammen auf die Jagd im Gernatsborner Wald gehen wollen. Davor würde ich euch gerne morgen das Armbrustschießen beibringen, sofern ihr mögt.“ „Ich habe mich schon des Öfteren im Fernkampf mit der Armbrust versucht, aber eine kleine Übungseinheit wird uns sicher gut tun.“ Sagte Syrenia bevor sie abermals an ihrem Kelch nippte. „Gerne würde ich im Wald auf die Jagd gehen!“ stieß es kurz danach hell erfreut aus dem Munde Glyranas hervor. „Auch wenn ich im Schießen nicht wirklich gut bin.“ „Ich werde es euch morgen schon noch zeigen“ antwortete Storko ihr lächelnd.

Er klatschte in die Hände und die Knechte und Mägde kamen in das Zimmer um die reichlichen Überreste wegzutragen – und wohl selbst zu verspeisen. Ein Junge um die vierzehn Götterläufe kam hinein, bewaffnet mit einer großen Flöte. „Das ist der Sohn meines Gutsverwalters“ stellte Storko ihn vor „und er ist mit seinem jungen Alter ein guter Flötenspieler. Würdet ihr mir die Ehre geben mit euch einen Tanz zu wagen.“ Tanzen war eine Gelegenheit einander näher zu kommen. Er stand auf um seinen Arm den Damen anzubieten. Bevor Glyrana reagieren konnte, nahm die Schwester den Arm des Herrn verschmitzt lächelnd an und sie gingen an das andere Ende des großen Raumes an dem genug Platz für das Tanzen vorhanden war. Der Junge stimmte ein. Storko umfasste mit der einen Hand die Hüfte Syrenias und tastete sie sanft und unmerklich ab. Sie war schlank, doch ihr Leib war durchaus groß genug um ein gesundes Kind tragen zu können. Eine ruhige und rhythmische Melodie erklang und beide setzten einen Schritt nach dem anderen. Storko konnte tanzen, er hatte es auf der Kadettenanstalt gelernt. Ein jeder Offizier musste tanzen können. Syrenia war aber die weitaus bessere Tänzerin und ihr war das auch bewusst. Sie begann mit ihren Reizen zu spielen und presste ihre Rahjasäpfel prall zusammen, sodass Storko – auch schon vom guten Tanzstil seiner Partnerin verwirrt – es nicht lassen konnte immer wieder seine Augen hinunter in das Dekolleté Syrenias zu werfen. Ihr gefiel es ihn zu reizen, umso mehr da sie schon einiges an Meth intus hatte. Nicht, dass er ihr so sehr gefallen würde, doch es reizte sie mit ihm zu spielen. Glyrana beobachtete die beiden leicht traurig mit einem glasigen Blick und schlürfte den süßen Honigsaft aus ihrem Kelch.

Drei Lieder ging es so weiter und nicht nur Storko kam ins Schwitzen. „Habt dank, ihr seid ein hervorragender Tänzer“ sprach Syrenia - wohl wissend, dass dies nicht so war – um ihn in Verlegenheit zu bringen. „Ich muss mich etwas ausruhen.“ Sie nahm Platz und schank sich neuen Meth ein. Glyrana lächelte Storko hoffnungsvoll an. Dieser wischte sich den Schweiß mit einem Tüchlein vom Gesicht und bot auch mit einem „Meine Dame, gestattet ihr“ der jüngeren Schwester den Arm zum Tanze an. Die Musik erklang. Sie war eine weitaus schlechtere Tänzerin als ihre Schwester und trat ihm immer wieder auf die Füße. Sie schien sich auch gar nicht auf das Tanzen zu konzentrieren, sondern lächelte immer ihr Gegenüber mit rot glühenden Backen verträumt und beschwippst wie sie war an. Die Ältere beobachtete die beiden Argwöhnisch und sie bemerkte das unbeholfene Schwärmen ihrer Schwester. Sie wurde ärgerlich, ob des Verhaltens ihrer jungen Schwester - nicht in erster Linie weil es unbeholfen oder unpassend war, sondern sie wurde etwas eifersüchtig. Nach dem ersten Lied stand sie auf, unterbrach den Flötenspieler, nahm ihre Schwester an die Hand und sprach „Ich denke wir werden uns nun zurückziehen. Der Tag war lang und der Meth hat uns auch schon zugesetzt. Ich wünsche euch eine gute Nacht.“ Glyrana wurde von ihr widerwillig mitgezogen. Zurück blieb ein von zwei Frauen hin und her gerissener, verwirrter Storko.

Am nächsten Tage standen die Damen spät auf und ließen sich das Frühstück ins Zimmer bringen. Storko störte das nicht, wie gewohnt ging er schon früh morgens seinen Geschäften nach und sah in Hof und Schmiede nach Recht und Ordnung. Dann erkundigte er sich bei seinem Grenzjäger Wolfram nach neusten Ereignissen in der Umgebung. Dieser berichtete ihm, dass einige Rotpelze selbst hier westlich des Wutzenwaldes gesichtet worden waren und sie wohl der Hunger zu so mancher Tat antreiben würde.

Erst nach Mittag traten die Jungfern in den Hof des Guts. Der Grenzjäger hatte nach Anweisungen seines Herrn einen Strohballen mit einer Schießtafel an der einen Seite aufgestellt. Auf fünfzehn Schritt Entfernung sollte geschossen werden – viel mehr würde der kleine Innenhof auch nicht hergeben.

Der Himmel war von einer tief liegenden grauen Wolkenschichtbedeckt bedeckt und tauchte alles in ein dumpfes Licht, der kalte Wind pfiff aus allen Richtungen, als ob Firun selbst aus dem Norden blasen würde.
Die beiden gruben sich in Wams, Haube und Schal aus Pelzen ein. Eine ganz weidfrauische Gestalt gaben sie ab in ihrer pelzbesetzten Lederhose und dem Wams. Syrenia blickte etwas missmutig um sich und wollte sich ihre Handschuhe anziehen, da kam auch schon Storko auf sie zu und begrüßte sie mit einem „Sei der Tag dem Herrn Firun gegönnt, meine Lieben“ und nahm ihre Hand mit beiden Händen. Sie lächelte etwas verzagt. Er begrüßte Glyrana mit derselben Geste. „Kommt, wir haben den Schießstand schon aufgebaut, und ich habe auch etwas geübt.“ Der Grenzjäger hatte zwei Armbrüste in der Hand und verneigte sich vor den Edlen. „Wir schießen auf etwa fünfzehn Schritt, also nicht besonders weit. Wenn wir morgen auf der Jagd sind müssten wir wohl auf eine größere Distanz treffen um erfolgreich zu sein. Ich werde es euch einmal vorzeigen.“ Der Grenzjäger reichte ihm seine Fernwaffe und er begann sie zu spannen. „Zuerst müsst ihr sie am Boden abstützen. Mit der bloßen Hand ist dabei nichts zu machen, zum Spannen braucht man schon einen Geißfuß. Mit diesem Hebel spannt man sie.“ Er strengte sich an. „So, gar nicht so einfach, da muss man schon etwas Kraft haben. Aber ich helfe euch falls nötig.“ Beide schauten ihm zu, die eine mehr interessiert, die andere weniger. „Nun wird der Bolzen hineingelegt. So, geladen und gespannt und bereit zum Feuern.“ Er richtete die Waffe auf das Ziel. „Nun noch zielen und den Hebel zum feuern betätigen. Feuer.“ Das Geschoß zischte aus der Armbrust heraus und traf das Ziel, wenn auch nur am Rand. „Tja der Wind macht die Sache nicht so einfach“ rechtfertigte Storko den unperfekten Schuss. Syrenia die seinen belehrenden Anweisungen eher gelangweilt zugesehen hatte übernahm die Waffe und sprach „Nun wie gesagt habe ich schon öfters geschossen.“ Die Spannte die Waffe weit mühevoller als Storko, doch ließ sich nicht von ihm helfen. Dann zielte sie, schoss und traf die Mauer neben dem Ziel. „Ahh, das gibt es doch nicht!“ keifte sie in den Wind und wurde zornig. Glyrana schmunzelte. „Tja wie ich gesagt habe, der steife Luftzug verzerrt die Schussbahn. Ich denke ihr müsst weiter höher zielen.“ „Was weiter höher, das denke ich ganz und gar nicht, der Wind kommt ja von der anderen Seite an der Scheune vorbei“ erwiderte sie argwöhnisch und begann die Waffe noch einmal zu spannen und zu laden.
Glyrana hörte Stimmen aus dem Wind. Durch das Tor marschierten die Soldaten im Gleichschritt mit erhobenen Spießen unter dem Kommando des Weibels, einen Marschgesang auf den Lippen:

O du schöner Wutzenwald

I. Heute wollen wir marschieren
Einen neuen Marsch probieren
In dem schönen Wutzenwald
Ja da pfeift der Wind so kalt.

Refrain
O du schöner Wutzenwald
Über deine Höhen pfeift der Wind so kalt
Jedoch der kleinste Sonnenschein
Dringt tief in's Herz hinein.

II. Und die Birsel und der Lans
Geh'n Praiostags gern zum Tanz
Weil das Tanzen Freude macht
Und das Herz in Liebe lacht.

Refrain

III. Ist das Tanzen dann vorbei
Gibt's gewöhnlich Keilerei
Und dem Bursch' den das nicht freut
Man sagt der hat kein Schneid.

Refrain

Glyrana beobachtete die Soldaten beim Exerzieren von ihrer Position weiter weg, während sich ihre Schwester mit der Armbrust abmühte. Irgendwas ließ sie wieder an den Überfall der Räuber im Wald erinnern. Damals hatte sie ebenfalls die Banditen von weiter hinten beobachten können. Ihr dünkte es als ob die Spieße der Soldaten vor ihr und die der Wegelagerer dieselben waren. Ja, sie waren in zerlumpte Umhänge gehüllt, doch ihre Stiefel und Beinkleider waren sauber und sahen den der Soldaten bemerkenswert ähnlich. Wie kann das sein, überlegte die junge Frau. Hatte bei dem Überfall der edle Herr Storko seine Finger im Spiel. Das ergab doch keinen Sinn. Sie runzelte die Stirn. Warum sollte er sie überfallen und dann retten?

„Ahhh“ die zornigen Flüche ihrer Schwester unterbrachen ihre Gedanken „bei all finsteren Mächten, das gibt es doch nicht, ahh.“ Nachdem Syrenia mit Mühe ein zweites Mal die Waffe gespannt hatte traf sie nur ins Stroh neben dem Ziel. „Nun der Wind...“ versuchte Storko ihren Ärger zu beschwichtigen. Glyrana lachte. Syrenia warf wütend die Armbrust in den Schnee und stapfte zurück ins Haus. „Puh, die ist wirklich aufbrausend, so wie es der Knecht auf Burg Mersingen gesagt hatte“ murmelte er in sich hinein und blickte auf die verbliebene Schwester. Glyrana zuckte mit den Achseln und neigte ihren Kopf zur Seite. „Gerne will auch ich es versuchen, aber ihr müsst mir helfen.“ Sie hob die Waffe vom Schnee auf und reichte sie dem Herrn. „Ihr müsst Geduld haben, man trifft nicht gleich beim ersten Mal, insbesondere nicht bei dem Wind, wie ich ja gesagt habe.“ „Keine Sorge, so schnell wie sie werde ich nicht wütend“ sagte sie und lächelte dabei. Storko wiederholte die Anweisungen, spannte und lud die Waffe. Sie schaute ihm zu aber war eigentlich nicht bei der Sache. „Nun zielen und schießen.“ Glyrana legte die Fernwaffe angespannt an, wollte die Schussvorrichtung betätigen, doch vergriff sich. Sie rutschte aus ihren Händen und der Bolzen schoss in die Höhe. Mit peinlichem Lachen entschuldigte sie sich: „Ich hatte noch nie eine Armbrust in der Hand, entschuldigt meine Ungeschicklichkeit mein Herr.“ Storko lachte mit ihr mit: „Kein Grund zur Sorge, ich werde euch helfen.“ Er spannte und lud die Armbrust abermals und gab sie ihr in die Arme. „Passt auf“ sprach er während er von hinten sie umschlung um beim Zielen und Schießen behilflich sein zu können. Wieder war sie nicht bei der Sache. Ihr wurde ganz mulmig so nahe an diesem Herrn. Sie roch den wohlig würzigen Geruch seines Bartwachses, mit dem er jeden Morgen diesen zu Recht zwirbelte. „So, und nun abdrücken.“ Er bewegte ihre Hand um den Auslöser zu betätigen. Zisch machte es und der Bolzen flog schnurstracks in Richtung Scheibe, und traf sie inmitten. „Großartig“ rief der Grenzjäger von drüben zu „Blattschuss!“. Storko und Glyrana lächelten.

Beide wiederholten die Übung noch ein paar Mal und sie stellte sich mit der Zeit durchaus fähig an, auch wenn sie ihm das Spannen überließ.
„Ich denke ihr seid nun reif für die Jagd morgen“ sagte er mit ihr am Arm während sie wieder ins Haus eintraten. „Vielleicht werden wir gar eine Wildsau erlegen“ meinte sie. „Ha, eine Wildsau ist wirklich keine einfache Angelegenheit. Wir werden sehen.“ In Wahrheit war Storko kein besonders begabter Jäger, war aber dran sich zu verbessern. Bisher hatte er nur ein junges Reh erlegen können. Ansonsten überließ er dem Grenzjäger Wildbret auf das Gut und den Esstisch zu bringen. „Wir werden morgen beim Sonnenaufgang aufbrechen, ihr solltet euch beide deshalb dafür ausruhen.“ „Ich freue mich schon darauf“ verabschiedete sie sich derweil und ging in ihre Gemächer.

„Na, hast du mit dem Storko Spaß gehabt“ keifte Syrenia als ihre Schwester das Zimmer betrat. Sie hatte sich an einen Stuhl gesetzt und schrieb am kleinen Tischchen in ihr Tagebuch. „Hättest dir ruhig von ihm helfen lassen können, dann häst’ vielleicht auch getroffen.“ „Was weißt du schon, hast ja noch nie eine Armbrust in der Hand gehabt. Ich hätte dich wohl besser nicht zu diesem von den Göttern verlassen Krautjunker mitnehmen sollen!“ In Glyrana kam die Wut hoch, doch sie versuchte sich zu bändigen und in borongefälliger Ruhe zu üben. Sie sprachen an diesem Abend nichts mehr miteinander.

Glyrana hatte viel Zeit zum Nachdenken. Was hatte es damit auf sich. Hatte der Junker möglicherweise den Überfall nur vorgetäuscht um sie beide kennen lernen zu können? Wenn dem so ist, war dieser Storko doch ein wahrer Phexgeselle. Und um was ging es ihm dann wirklich, war er an Syrenia interessiert, oder gar an ihr selbst? Er hatte doch eigentlich seine Schwester eingeladen – sie ging die letzten Wochen noch einmal in ihren Gedanken durch. Vor einem Mond war sie noch im Kloster gewesen und nun im Herzen der Wildermark, möglicherweise umworben von einem edlen Junker. Wie sich doch die Zeiten ändern können.

Am nächsten morgen wurden sie früh geweckt. Nach einem Frühstück bestehend aus frischem Brot, gekochten Eiern und warmer Milch, welches sie getrennt einnahmen, kamen sie bei den ersten Praiosstrahlen im Hof vor dem Stall zusammen. Der kalte Wind des gestrigen Tages hatte sich weitgehend gelegt und die dicken Wolken wurden gar von manchen Strahlen durchbrochen.

„Ich wünsche den Damen einen wundervollen guten Morgen. Ifirn war uns gnädig und scheint einen schönen Wintertag zu senden“ begrüßte der Junker die beiden, wie gestern in Leder und Pelze gehüllten, Jungfern mit einer leichten Verbeugung. Auch Wolfram der Grenzjäger, welcher dahinter stand und die Pferde bereit holte, verbeugte sich grüßend.
Als hätte es ihren Wutausbruch gestern nicht gegeben begrüßte ihn auch Syrenia mit freundlicher Stimme „Einen wundervollen Morgen wünsche ich. Wo soll unser Jagdausflug denn hin gehen?“. „Ifirn sei das gute Wetter gedankt“ fügte Glyrana noch hinzu.
„In den Gernatsborner Wald soll es gehen. Es ist der Wald gleich südlich von hier, aber wir werden die Pferde mitnehmen um das gute Wetter zu nützen und etwas am östlichen Rand entlang zu reiten. Wolfram wird uns begleiten und auf die Pferde aufpassen während wir in den Wald hineinpirschen.“ Erklärte Storko und half den Damen währenddessen aufs Pferd.

Sie ritten durch das Tor und dann den Hügel hinab durch die schneebedeckten Felder und Wiesen. Nach einer guten Stunde - zur Rechten der Wald, zur Linken der Gernat – machten sie halt und stiegen ab. Storko nahm seine Armbrust vom Pferd, ein besonderes Stück mit Zielvorrichtung, und übergab eine zweite den Damen. Syrenia nahm sie sogleich an sich. Er wollte absichtlich mit den beiden alleine in den Wald hinein. Er wusste ja, dass sie lieber ohne Bedeckung unterwegs sein wollen und falls es etwas „Gefährliches“ gab konnte er sie ja beschützen. Bären waren im Wald selten und machten Winterschlaf, die Wildschweine würden ihnen wohl davonlaufen und waren nur mit Frischlingen besonders gefährlich und Wölfe waren auch nur in der Nacht unterwegs, dachte er sich. Wolfram hatte ihn am Morgen nochmals gefragt, ob er sie nicht begleiten solle, doch Storko lehnte ab. Er wollte auch sehen, ob die Damen für das Stapfen im Schnee und solcherart Anstrengung zu haben waren, oder ob sie sich gar dafür zu gut waren. Im Kampfe der Schlacht und bei der Jagd – also dem adligen Üben für den Kampf – konnte man den wahren Charakter eines Menschen herauslesen. Ja und auch im Liebesbette, doch so weit waren sie noch lange nicht.

Er schulterte einen Rucksack und seine Armbrust. Ein Jagdmesser und auch ein Schwert hatte er am Gürtel, und einen breiten Speer in den Händen – für alle Fälle. Die Jungfern hatten sich auch ihre Waffengürtel mit Kurzschwertern umgehängt.

„So los geht’s. Möge uns Firun wohl gesonnen sein. Es hat ja die letzte Zeit hier nicht geschneit, ich denke wir werden einige Spuren finden können. Mit etwas Glück können wir sogar heute Abend Wildbret an der Tafel genießen.“ Sprach er und stapfte durch den pappigen Schnee in den Wald vor. Die Jungfern blickten hinauf auf das von Weiß besetzte Dach der Baumkronen über ihnen.
„Hoffentlich triffst du heute besser, wenn du die Waffe gleich an dich nimmst“ raunte Glyrana ihrer Schwester fast unhörbar zu, während sie dem Junker folgte. Ob Syrenia es gehört hat oder nicht, jedenfalls reagierte sie nicht darauf.

Nach einiger Zeit des vorsichtigen Pirschens durch den Winterwald fand Storko eine Spur. „Seht“ er deutete auf Abdrücke am Boden vor ihm und sprach leise „eine Spur. Ich denke es ist ein Reh.“ Und murmelte noch weiter „Wer weiß wie alt die schon ist.“ „Ja könnte ein Reh gewesen sein“ bemerkte Syrenia bestimmend.

Storko benetzte seinen Finger mit Speichel und hielt ihn in die Luft um die Windrichtung bestimmen zu können.
„Wisst ihr, die Pirschjagd ist die anspruchsvollste alle Jagdtechniken. Der Waidmann muss das Wild nämlich selbst aufspüren, er darf sich nicht von ihm überraschen lassen. Der Wind ist hierbei entscheidend. Sie gilt sie als die Jagd, die den höchsten persönlichen Einsatz und verlangt das größte Maß an jagdlicher Erfahrung und waidmännischem Geschick. Denn es herrscht Chancengleichheit für Wild und Jäger, die in keiner Jagdform so gegeben ist, wie in der Pirsch. Sie ist dir firungefälligste Jagdtechnik.“ Er erzählte ihnen, was er erst selbst vor einigen Wochen bei dem Jagdausflug mit Ritter Sieghelm von Firnsjön erfahren hatte.

Die Windrichtung ließ sich nicht richtig bestimmen. „Es ist windstill, also können wir uns an das Reh von unserer Seite anschleichen.“ Sagte er, in Wahrheit jedoch unschlüssig.

Ein Vögel der auf einem Baum über ihnen saß flog davon und der Schnee des Astes überschüttete sie mit weißen Flocken. Ihre Pelze waren in Schnee gehüllt und sie lachten zusammen „Haha, bei Firun, hoffentlich hat uns der Vogel nicht gehört und versucht nun das Reh zu warnen.“ Lachte Storko. „Aber nicht so laut, sonst vertreiben wir alle im Wald“ mahnte Syrenia die beiden solgleich.

Sie folgten weiter der Spur und es begann leicht zu schneien. Zwar drangen nur vereinzelte Flocken auf den Waldboden, doch die Äste der Bäume neigten sich immer tiefer und gaben immer wieder nach um ihre schwere Fracht abzugeben. Mit der Zeit wurden die Flocken zahlreicher als würden ganze Schneewände vom Himmel herabstürzen.
Storko konnte die Fährte des Rehs nicht mehr aufnehmen, der Waldboden war bedeckt von flockig frischem Weiß. Er gab zu „Ich denke wir haben die Spur verloren.“ „Ich glaube eher du hast sie verloren“ murmelte die Ältere in ihren Pelzschal. „Ein paar Stunden Stapfen umsonst“ fügte sie noch merklich an. „Tja, beim Jagen muss man wohl geduldig sein“ sprach Glyrana in einem belehrenden Ton und blickte sich nach der Spur in der Umgebung um.

Aber was war denn da. Glyrana sah eine kleine Spur. „Das kann doch nur ein Hase gewesen sein“ machte sie die anderen leise darauf aufmerksam. „Ja tatsächlich, und die Abdrücke sind noch ganz frisch“ fügte Storko hinzu. „Den erwischen wir, er kann nicht weit gekommen sein“ sprach Syrenia wieder erfreuter aus.
„Lasst uns gleich die Armbrüste vorbereiten. Nicht, dass wir wenn wir den Hasen gefunden haben zu lange dafür brauchen und er uns entwischt.“ Storko spannte seine. Die Jungfern bereiteten die zweite Armbrust vor, nicht ohne dabei miteinander zu nörgeln und sich wiederholt gegenseitig zu berichtigen.
„Und jetzt leise und vorsichtig“ mahnte er. Die beiden nickten.
Langsam und ohne einen Ton von sich zu geben pirschten die drei der Spur hinterher. Es schneite in Mengen, doch die Abdrücke waren so frisch, dass sie nur an manchen Stellen nicht mehr zu entdecken waren, doch bald an anderer Stelle wieder gefunden werden konnten.

Nach einer guten halben Stunde sahen sie den Hasen in etwa zwanzig Schritt Entfernung zwischen zwei Bäumen. Er hatte sie noch nicht bemerkt. Storko gab ein Zeichen und alle drei legten sich in den weichen Schnee auf den Boden um nicht gesehen zu werden. Die Sicht war schlecht, eine Unzahl von Flocken versprerrte das Blickfeld. Er lud, legte die Waffe an und zielte. Glyrana hatte die Armbrust gerade geladen und wollte ebenfalls anlegen, da riss die Schwester sie mit feurigen Augen aus ihren Armen um selbst zu zielen. Glyrana schüttelte ablehnend den Kopf, blieb aber still um sie nicht zu verraten.
Leise sagte er „Feuer!“ und beide betätigten den Abzug. Zsss, machte es und die Geschosse schnitten durch die weißen Wände. Doch vergebens. Syrenias Bolzen schlug in den Baum neben dem Tier ein, seiner knapp neben dem Hasen in den Schnee. Die Flocken wirbelten dem Hasen um seine Löffen und er suchte mit breiten Sprüngen zickzack schnell das Weite im Wald. „Häst’ mich schießen lassen!“ warf Glyrana der Schwester recht laut vor. Syrenia warf die Waffe wütend in den Schnee und ging mit verschränkten Armen ein paar Schritt zum nächsten Baum um sich abzureagieren.
„Firun ist uns heute wohl nicht hold, aber kein Grund sich aufzuregen“ versuchte er zu beschwichtigen. Glyrana lächelte ihn verzagt an und stand auch aus ihrer liegenden Position auf. „Firun ist uns heute wirklich nicht hold. Ich denke wir sollten wieder zurückgehen. Das Wetter scheint ja auch immer schlimmer zu werden.“ Sprach Syrenia wieder beruhigter.
„Nun wie ihr wollt. Wandern wir wieder zurück, die Mittagstunde wird ja wohl auch schon angebrochen sein und es wird früh dunkel in dieser Jahreszeit.“ Er packte die Waffe wieder zusammen, schulterte den Rucksack und nahm den Speer in die Hand.
„Hoffentlich finden wir in dem Schneegestöber wieder Heil zu den Pferden am Waldesrand zurück“ gab Glyrana besorgt zu bedenken.
„Nun macht euch keine Sorgen, liebe Jungfer“ blickte er sie schmunzelnd an „ich bin hier aufgewachsen und kenne den Wald wie meine Westentasche“. Das war eine glatte Beschwichtigungslüge. Das letzte Mal, an dem er in diesem Teil des Waldes war, war gut sein halben Leben her. Das Waldstück kannte er gar nicht.

Er hatte tatsächlich Mühe zurück zu finden, denn ihre eigenen Spuren waren mit der Zeit bedeckt vom neuen Schnee nicht mehr auszumachen. Er ließ sich aber nichts anmerken. Sie müssten ja nur nach Osten wandern, dann würden sie den Wald verlassen und könnten sich über den Gernat orientieren. Bei Phex, hoffentlich war seine Einschätzung der Himmelsrichtungen richtig.

Sie stapften weiter und Storko ließ sich seine Unsicherheit nicht anmerken. Nach einer Stunde erhob Glyrana leicht fordernd das Wort „Ist es noch weit? Vor lauter Schnee kann ich im Wald nichts mehr erkennen. Können wir nicht eine kleine Pause einlegen, mein Magen knurrt auch schon so?“

Storko blieb stehen, rammte den Speer in den Boden und setzte seinen Rucksack ab. „Keine Sorge, es ist nicht mehr weit“ log er „lasst uns etwas rasten. Ich habe eine kleine Stärkung mitgenommen.“ Er teilte etwas Käse, Hartwurst und Brot aus und reichte den Jungfern eine Flasche mit Meth, was er alles aus seinem Rucksack herausholte. Er selbst trank aus einem silbernen Flakon, den er aus seinem Wams genommen hatte und überlegte wie sie am besten zurück gelangen könnten.
Das Mahl, wie karg es auch war, und der gute Trunk taten den jungen Frauen gut. Es weckte wieder ihre Lebensgeister und wärmte die kalten Glieder.
„Was trinkt ihr denn da Storko? Mögt ihr keinen Meth?“ fragte Glyrana interessiert.
„Doch doch. Aber bei der Kälte ist mir der Löwenbissschnaps das Liebste um mich zu erwärmen“ antwortete er.
„Darf ich ihn kosten, wenn er doch so wärmt.“
„Nun ich weiß nicht ob er euch bekommen würde. Er ist wirklich stark und als ich ihn selbst das erste Mal trank bekam er mir ganz und gar nicht.“
„Aber was, so schlimm kanns doch nicht sein“ meinte sie und nahm ihm den Flakon energisch ab. Der Meth stieg ihr ja auch schon schnell zu Kopf, denn im Kloster gab es nicht oft solch gute Getränke, die einen vom Inneren wärmten. Sie nahm einen Schluck und ließ es ohne groß zu überlegen durch ihren Gaumen hinunterwandern. Die Schärfe brannte in Rachen und Hals.
„Du machst dich ja richtig gut!“ stieß es aus Storko hervor. Er wurde rot. „Ahm, ich meinte ihr ... ähm, meine Dame“ stotterte er. Das war ihm peinlich. Der Löwenbissschnaps ließ ihn an Wehrheim zurückerinnern und hatte den rohen Ton aus ihm herausgebracht, der in der „Höhle der Löwen“ mit den Rekruten bei der Aufnahmeprüfung, also beim Saufen, üblich war.
Sie bekam davon ohnehin nichts mit, denn sie war mit sich selbst schon genug beschäftigt. Das Brennen setzte sich im Magen fort. Sie dachte sich, dass sie zum Glück schon das ganze Brot aufgegessen hatte, ansonsten hätte sie sich tatsächlich übergeben müssen. Sie setzte sich auf den Boden. Doch breitete sich aufgrund des Schnapses wohlige Wärme von ihrem Bauch aus im ganzen Körper aus.
„Gib mir mal den Flakon, lass mich mal kosten“ sprach Syrenia und nahm ihrer Schwester den Trunk ab um daran zu riechen. „Päh, grauslich. Kein Wunder, dass dieser Trank einem nicht bekommt. Ihr seid das wohl schon besser gewohnt“ sagte sie spöttisch und gab Storko den Schnaps zurück. Sie trank noch einen Schluck des guten Methes, gab ihn auch der Schwester, dass diese den brennenden Geschmack des Gesöffs besänftigen kann und erklärte den beiden „Lasst uns nun aufbrechen, umso früher wir wieder im warmen Haus sind umso besser.“ Dann machte sie ein paar Schritte in eine Richtung.
Da erblickte sie ein paar seltsame Spuren. „Kommt her und seht euch die Spuren an“ rief sie den beiden nicht allzu laut zu. Storko kam heran und auch Glyrana erhob sich wieder. Sie erblickten mehrere Spuren, die nicht allzu lange her zu sein schienen. Stiefel, Hufe und auch Abdrücke wie von einem Tier. „Das können nur Rotpelze gewesen sein“ meinte Storko. „Vielleicht zwei oder drei und ein beschlagenes Pferd oder so haben sie auch mit gehabt.“ „Rotpelze!“ stieß es aus dem Munde Glyranas hervor während sie ihr Schwert aus der Lederscheide zog. „Und einer scheint auch verletzt gewesen zu sein. Seht das Blut das da klebt.“ Auch Syrenia zog mit Anspannung blank.

Nun musste er sich als Held beweisen. Wenn er eine Handvoll Räuber in die Flucht schlagen hatte können, so muss er auch mit wenigen Rotpelzen fertig werden können. Ansonsten würde er sein Gesicht bei den Damen verlieren. Er musste handeln wie ein Held.
Storko erhob die Stimme und zog sein Schwert in die Höhe „Sorgt euch nicht meine lieben Jungfern. Ich werde diese Eindringlinge aus meinem Wald vertreiben und euch bis zu meinem letzten Blut beschützten!“ Das ärgerliche war nur, dass er allein war und keine Mannen hatte die er befehligen konnte.

„Seid vorsichtig, wir werden ihnen hinterher schleichen und sehen was sie im Schilde führen.“
Angespannt wie die beiden waren folgten sie den Anweisungen Storkos und verfolgten die Rotpelze durch das winterliche Unterholz.
Das Schneegestöber wurde weniger und nach einer viertel Stunde des Verfolgens trafen sie auf eine kleine Lichtung im Wald. Da waren sie tatsächlich, die Rotpelze. Einer versuchte ein Feuer zu entzünden, der andere verletzte Goblin grunzte irgendwas umher, ja und er dritte gar schien vor zu haben das arme Pferd, das sie bestimmt irgendwo her gestohlen hatten, hinten zu schlachten. Ein Pferd von seinen war es nicht. Dann kann es nur ein teures Pferd aus der Zucht von Gut Gernatsquell sein, dachte er. Diese Halunken.

Sie gingen am Waldesrand in Deckung und Storko überblickte die Lage. Er versuchte ruhig zu bleiben. Er war ja nicht allein, er hatte zwei bei ihm die er befehligen könnte, richtige Soldatinnen waren es nicht aber ...
Er wusch sich die Gedanken wieder vom Kopf. Diese Rotpelze ließen sich doch überwinden. Es waren nur drei und sie waren hungrig, abgemagert und verletzt. Storko blickte zu den Damen neben ihm. Beiden war die Anspannung aufs Gesicht geschrieben und ihre Brustkörbe hoben und senkten sich mit jedem aufgeregtem Atmen schwer. Beide hielten ihre Kurzschwerter bereit.
„Wir werden sie gemeinsam überwinden“ sprach er ihnen Mut zu. In diesem Augenblick sah er in ihnen nur Soldaten, hübsche zwar, aber Soldaten unter seinem Kommando. Er ahnte Übles, wenn ihr Vater der strenge Gisborn davon Wind bekommen würde, ja und noch Übleres wenn einer der jungen Damen etwas zustoßen sollte. Phex steh mir bei, dachte er sich.

„Wir werden unsere Armbrüste spannen und laden“ begann er den Schlachtplan flüsternd zu erläutern. „Wir geben jeweils einen Schuss ab und stürmen dann gemeinsam mit gezogenen Waffen auf die Rotpelze zu. Sie sind hungrig und schwach, wir werden sie überwältigen können.“ Syrenia und Glyrana nickten unsicher.

Die Fernwaffen waren gespannt und geladen, die Nahkampfwaffen lagen bereit. „Schießt auf den der Feuer macht, ich nehme mir den weiter hinten vor. Den Verletzten können wir im Nahkampf besiegen.“
Syrenia hatte die Armbrust an sich genommen und richtete das Ziel auf einen Goblin. Diesmal überließ ihre Schwester ihr die Waffe ohne Protest.
„Fertig?“ fragte er sie und bekam zweimal leise und unsicher „Ja“ als Antwort.
„Feuer!“
Fast gleichzeitig betätigten Storko und Syrenia den Abzug. Die Bolzen flogen den Ahnungslosen zu und – sei es die Konzentration aufgrund der ernsten Lage gewesen, Beistand gütiger Götter oder einfach nur Glück - trafen. Storkos Geschoss bohrte sich tief in den Hinterschenkel des Goblins, der beim Pferd stand, hinein und er viel nach hinten um. Syrenia konnte einen Streifschuss an der Schulter beim Rotpelz der gerade Feuer machte erreichen.
Storko legte die Armbrust zur Seite und griff nach dem Speer. „Los!“ befahl er den beiden. Wie als wäre die Deckung ein Schützengraben rappelte er sich darüber und stürmte mit einem „Angriff, Ahhh!“ auf die Mitte der Lichtung los. Den Speer trug er wie eine Pike und lenkte die Spitze auf den Verletzten.
Mit ein paar Momenten und Schritt Abstand dahinter stürmten die beiden Frauen ebenfalls mit einem „Ahhh!“ auf den Lippen hinterher.
Die Goblins waren völlig überrascht worden. Der verletzte Rotpelz auf den Storko zustürmte versuchte noch seinen rostigen Säbel zu greifen. Doch vergebens. Schon bohrte sich die Spitze der Waffe tief inmitten seines Körpers hinein. Der Offizier konnte die Verwunderung auf dem Gesicht des Lebewesens lesen, als er ihm mit einem noch tieferen Bohren den Lebensatem herauspresste.
Der andere war zwar an der Seite getroffen, doch flink hatte er mit der anderen Hand nach seiner Keule gegriffen um die angreifenden Frauen abzuwehren. Syrenia die als erste auf ihn zukam erhob ihr Schwert zum Schlag und ließ es auf den Feind niedersausen. Rondras Gunst war ihr nicht hold und sie traf nicht nur daneben, sondern rutsche wegen des Anlaufs auch noch am weichen Schnee aus. Sie viel auf den Rücken. Der Goblin sah seine Chance und hob die Keule hoch hinauf um ihr auf den Kopf zu schlagen. Der rostige Nagel der durch das Holz geschlagen war sauste auf sie hinab. Um das Schwert hochzuziehen war es zu spät, doch gewandt rollte sie sich auf die Seite und konnte ausweichen.
Storko derweil hatte sein Schwert gezogen, denn der Speer steckte im Körper des Feindes fest, und wandte sich nun dem hinteren Rotpelzen zu. Vom Bolzen im Bein schwer getroffen lag er auf den Knien mit dem Rücken ihm abgewandt. Gerade als er versuchte aufstehen stach Storko kräftig von hinten in seinen Leib. Er hörte ein Röcheln und dunkles Blut wurde von den Lumpen die der Rotpelz wohl seine Kleidung nannte aufgesogen.
Der verbleibende Goblin erhob abermals seine Keule um die Menschenfrau am Boden niederzuschlagen. Nun war Syrenia in einer weitaus schlechteren Position um Ausweichen zu können. Ihre Schwester Glyrana kam ebenfalls bei ihnen an und erkannte die Not und Ausweglosigkeit der Schwester. Ohne viel überdenken zu können stieß sie die Spitze des Schwertes nach vorne und stach dem Feind in die Bauchgegend. Sie zog es wieder heraus und sah das Blut auf der Klinge. Sie roch den Gestank des Gegenübers und ihr wurde übel. Der Feind wankte etwas zurück hielt aber seine Keule noch hoch. Syrenia sah die Gelegenheit, die durch diese Ablenkung geboten wurde und stach von ihrer liegenden Position dem Rotpelz tief in den Unterleib. Blut spritze heraus und benetzte den weißen Boden. Er ließ seine Waffe fallen und stürzte nach hinten um.

Glyrana half ihrer Schwester auf. Eine Mischung aus Furcht und Aufregung waren in ihre Gesichter geschrieben. Ihr Brustkorb bewegte sich schnell und der heiße Atem drang in die kalte Luft des heranrückenden Abends. Beide Schwestern umarmten einander. Gemeinsam hatten sie einen Feind besiegt - ohne die Hilfe Glyranas hätte der Goblin seine Keule auf den Kopf Syrenias niedersausen lassen können.
Der Offizier überblickte das blutbefleckte Schlachtfeld und hob sein Schwert als Zeichen des Sieges in die Höhe. Die Schlacht war gewonnen, keine Verletzte oder Tote – die Götter standen wohl auf seiner Seite. Rondrianisch war der Sieg nicht besonders, aber im Krieg und der Liebe war ja bekanntlich alles erlaubt.
Er ging zu den beiden hin, die sich mittlerweile voneinander gelöst hatten, und legte sanft seine beiden Hände auf die Schultern der Frauen. „Ihr seid mutige Kämpferinnen, meine Lieben, ich muss euch ein großes Lob aussprechen.“ Beide antworteten mit einem leicht verzagten Lächeln. „Die Rotpelze sind nun besiegt, so bald werden keine mehr in meinem Wald kommen und fremde Pferde stehlen.“

Sie gingen zum Pferd weiter hinten um es näher zu beäugen.
„Scheint ein Packpferd zu sein“ meinte Syrenia. „Zuerst dachte ich, dass es sich um ein Zuchtpferd von Gut Gernatsquell handelt, aber ... was hat es denn in den Taschen.“ Er öffnete die Satteltaschen. „Planen, Stäbe, hmm ... es muss sich um ein Zelt handeln. Das Pferd kann nicht vom Gestüt kommen. Es gehört Reisenden. Ich werde mich umhören, ob jemand überfallen worden ist.“ Und wenn sich keiner meldet umso besser, hatte er doch in Gernatsborn sowieso zu wenig Pferde, dachte er sich noch.

„Es ist schon spät, bald wird es dunkel, wir sollten schleunigst den Schauplatz hier verlassen und aus dem Wald finden“ begann Syrenia zu drängen. „Und was ist mit den toten Rotpelzen. Wir können sie doch nicht so einfach liegen lassen. Das wäre nicht nur gegen den Willen Borons, sondern auch gefährlich, denn mancherorts beginnen die Toten des Nachts zu wandeln, wenn sie nicht bronsgemäß bestattet werden.“ Gab Glyrana zu bedenken. Storko antwortete: „Macht euch keine Sorgen, Glyrana, der Herr Firun wird sich um sie kümmern und sie aufnehmen. In der Nacht kommen die Wölfe und es wird nichts mehr von ihnen übrig bleiben was noch umher wandeln kann.“
Glyrana blickte ihn mit großen Augen an, nickte dann betroffen und versank für wenige Minuten in ein stilles Gebet: „Ich muss für ihre Seelen beten.“

Storko sah sich um. Verflixt, dachte er, wie kommen wir wieder aus dem Wald heraus. Da erinnerte er sich wieder an die kleine Lichtung. Als Kinder waren er und seine Brüder einmal hier her gewandert um Beeren zu pflücken. Wenn das die Lichtung war, dann wäre es nicht mehr weit zum Waldrand.
„In diese Richtung müssen wir gehen, es ist nicht mehr weit, kommt“ sprach er zu den beiden und nahm die Zügel des Pferdes in die Hände.
Es hatte schon längst zu dämmern begonnen und unter das Baumdach drang nur noch diffuses Licht. Eilig stapften sie durch den Schnee.
Währenddessen dachte Storko, dass die beiden nun bestimmt beeindruckt von ihm sein müssen. Den Beweis, dass er ein guter Kämpfer war hatte er ja nun abermals geliefert. Doch mittlerweile war es ihm unklar welche der Töchter Gisborns er bevorzugen würde. Zuerst war ihm Syrenia ins Auge gestoßen, aber sie ist oft doch zu sehr aufbrausend und wütend. Die Schwester jedoch scheint sich beherrschen und benehmen zu können, sie ist eine gar liebe Jungfer. Ihm schien es gar, dass sie sich in ihm verguckt hat, aber man kann bei Frauen nie wissen und interpretiert Kleinigkeiten zu hoch, das hatte er schon mehrmals gelernt. Vom Aussehen waren die beiden seiner Meinung nach gleich zu bewerten und von gleichem Hause, also vielleicht sollte er sich doch um Glyrana bemühen. Er blickte nach hinten um die beiden abermals zu mustern.

Da wurde der Wald auch schon lichter und die letzten Strahlen der Sonne gewährten einen Blick auf die Senke des Gernats vor ihnen.
Jetzt müssen sie nur noch Wolfram seinen Grenzjäger mit den Pferden finden. „Und wohin jetzt?“ fragte Syrenia. „Mein Gespür sagt mir, dass wir etwas nördlich durch den Wald pirschten, also nach Süden“ war seine Antwort. „Nur, dass euer Gespür euch nicht täuscht. Es ist nämlich schon dunkel“ fügte sie noch an.
Storko hatte Recht. Nach einer viertel Stunde sahen sie die Pferde und Wolfram in der Ferne. Er stapfte sichtlich besorgt auf sie zu. „Bei Firun, ich habe mir schon das Schlimmste ausgemalt“ rief er ihnen zu. „Kein Grund zur Sorge“ tat Storko den Jagdausflug herab.
Wolfram brachte die Pferde herbei.
„Wild haben wir keines erlegt“ erzählte ihm Syrenia, „aber ein Pferd haben wir mitgebracht“ fügte Glyrana noch hinzu. Der Jäger runzelte die Stirn als er das Packpferd sah. „Diebische Rotpelze, ich werde mit dir in Gernatsborn darüber sprechen ...“ sagte ihm Storko.
Sie entzündeten Fackeln und ritten im langsamen Schritt mühselig durch den hohen frisch gefallenen Schnee.


1. Firun 1032 BF nahe des Wutzenwaldes (Baronie Schlotz)

Schnee wirbelte herab, in rauen Mengen. Praios Schild glühte in sanftem, pastellfarbenem Licht durch die Schar der tanzenden, hellglänzenden Flocken, fiel auf Harsch und weiß bedecktes Tannicht. Frau Travia schüttelte wohl gerade die Betten ihrer göttlichen Geschwister aus, droben auf Burg Alveran.

Die Stille war atemberaubend. Ebenso wie die endlose Einsamkeit umher.
Die Acht waren heilfroh - beim Heiligen Alboran von Baliho, Beschützer aller Friedwanger Reisenden - Ponys mit auf ihre beschwerliche Reise genommen zu haben. Robuste, zähe Aarmaris, denen man nachsagte, von den Reittieren der Ferkinas abzustammen.
Pferde hätten sich schwerer getan, einen Pfad durch den angefrorenen Schnee zu finden. Niemand wusste, ob sie hier überhaupt noch einem Weg folgten.
Auch ihre kleineren Verwandten sanken tief in die Firunspracht ein, das struppige Fell war eisverklebt, die eisstarrenden Nüstern bebten schwer vor Anstrengung, dampften wie Drachenmäuler. Die Ponys keuchten und schnaubten. Den drei Packtieren im Schlepptau erging es nicht viel besser.
Zwei gescheckte Alborandiner eilten, Schnee aufstäubend voraus, den Hunden schien der Winter Spaß zu bereiten.
Die Reiter hatten sich tief in ihre pelzbesetzten Winter-Mäntel gehüllt, blinzelten missmutig in das Gleißen des Schneefelds und die grimme Kälte. Jeder der sieben Männer und die Frau schwieg. Nur ab und an rieb sich einer etwas Frost aus dem Bart, den Augen, von den Wangen. Ihre Reittiere tölteten, bewegten im Passgang jeweils immer nur auf einer Seite die Hufe vorwärts - eine merkwürdig schaukelnde Art, sich fortzubewegen.

Etwas Gutes...hat die Kälte ja, dachte der Anführer. Ebenso wie der tiefe Schnee. Beides hält den Abschaum der Wildermark davon ab, uns zu überfallen. Das heißt: Hoffentlich ....Wenn nicht, werden die Hunde uns warnen. So uns die Götter gewogen sind. So es in diesem verfluchten Landstrich überhaupt noch gute Götter gibt...
Er blickte zu einer eigenbrötlerischen Krähe, die weit oben im Schneewind schaukelte. Ein schwarzer, zerzauster Schatten am Himmel. Irgendwo im Wald (vermutlich war es der Wutzenwald, aber menschengegebene Namen zählten hier draußen, in Firuns Reich, wenig) heulten die Wölfe - ein schauerlich klagender, an und abschwellender, eher nach Mitleid heischender als furchterregender Gesang.
Die Alborandiner, Hütehunde von Geburt, stutzten, hechelten, bellten mutig zurück. Das Echo hallte von den Hügeln und Baumreihen wieder.

Die Wildermark, dachte Alrik Tsalind von Friedwang|Alrik und verzog, was auch an der unerbittlichen Kälte lag, das Gesicht. Im Grunde gehört dieser Landstrich wieder den Tieren und dem Wald und dem Wetter. Und dort, wo noch Menschen umherstreichen, sind diese kaum von Bestien zu unterscheiden.
Der Friedwang zuckte zusammen, als ihn wieder etwas in die Schulter biss. Orksch...verfluchte Flöhe. Er tastete nach der ledernen Schnur, die an seinem schalgeschützten Hals hing, zog das fein gedrechselte, hölzerne Röhrchen daran hervor. Der Zylinder war mit Löchern bedeckt. Im Inneren lag ein zerklumptes, mit Harz und Blut getränktes Stück Stoff.
Sicher ein Dutzend der Biester waren heute schon der Flohfalle zum Opfer gefallen. Beim Herrn des Mondes, es würde ihn eine Freude sein, sie heute abend, auf Gut Gernatsquell|Valyrias Gut, dem Feuer zu überantworten. Einzelne Schneeflocken verirrten sich kalt unter sein Hemd, er beeilte sich, die überaus nützliche Gerätschaft wieder zu verstauen. Ein heißes Bad, mit Kräutern darin, wäre natürlich nützlicher gewesen, aber jetzt, mitten im Winter, nicht so leicht zu bewerkstelligen.

Der Schnee prickelte feucht auf der Haut, wie er da ununterbrochen vom Himmel fiel, eine Art zartes Knistern lag in der Luft. Es war erschreckend in den Wald zu blicken - ein Wall aus schneebedeckten, ansonsten kahlen Laubbäumen, dazwischen silbrige Tannen und Fichten, über allem ragten die Felsen der Vorsichel auf: Eine grausige, peraineverlassene Einöde. Chaos und Unordnung in Vollendung. Aber auch irgendwie auf schauderhafte Weise schön, eine Erinnerung an die Welt, wie sie einmal gewesen war, bevor die Götter den Menschen, die Axt und die Fackel erschaffen hatten.

Wildermark. Allein der Name war Unsinn, fand der Streuner-Baron: wilde Mark. Eine Mark, das war ein festes Bollwerk, eine wehrhaftes Grenze gegen irgendetwas. Was bedeutete da ein selbst schon der Wildnis anheim gefallenes Grenzland? Einen Widersinn in sich wie ein diebischer Wächter oder ein freigiebiger Händler. Entweder die Wildermark war noch einigermaßen zivilisiertes Reichsgebiet. Oder aber ein Teil des Chaos, aber dann hätte sie sich jenseits der Grenzen des Raulschen Reiches befinden müssen, in den Schwarzen Landen. Nein. Mit der Wildermark verhielt es sich wie mit Rohajas Herrschaft. Nichts Halbes und nichts Ganzes.
Die Kaiserin Rohaja, die in Ochsenblut (auch dieser Name taugte zum Symbol) das stolze darpatische Wappentier endgültig geschlachtet hatte. Wenn es die Sumugraphie erlaubt hätte, wäre der Friedwanger längst auf Selindians Seite übergewechselt. Nur sein Groll gegen Answin Rabenmaul war immer größer gewesen als die Abneigung gegen das "Püppchen" auf dem Greifenthron, von dem sein Bruder, einst ein Knappe des Grafen Answin, so gerne höhnte. Die "höchste der vier Praiosgongs", nannte er sie spöttisch...meinte damit wohl Answin, Hal, Selindian und eben dessen ältere Schwester. Oder "unser aller mit der Raulskrone prämiertes Mutterschaf". Nein, ein Schaf war Rohaja wahrlich nicht - sie hatte Klauen und Zähne.

Der Brabaker ließ sein rotbraunes Pony - irgendjemand hatte ihm den ohne Zweifel scherzhaft gemeinten Namen "Shadif" gegeben - etwas zurückfallen.
Alrik zog die schweren Stulpenhandschuhe aus, verstaute sie, tastete nach seiner Pfeife am Gürtel, und den Tabaksbeutel. Ah, wie der Frost biss...
Er stopfte den als Drachen gestalteten Pfeifenkopf mit den krümeligen, würzig riechenden Krumen, fingerte dann, die kalte Pfeife im Mundwinkel, nach dem anderen Gürteltäschchen, zog das Kästchen mit Feuerstein, Stahlring und Zunder hervor. Der Sattel knarzte. Das Kunstück, den brennenden Pilz am Sattelknauf einzuklemmen, trotz des Geschaukels freihändig zu reiten, den torqueförmigen Schlagring über den Flint zu ratschen und das Zünderstückchen anzuzünden, brachte sicher nur er fertig - aber das Publikum für dieses Gauklerstück fehlte. Das Pony schnaufte durch den Schnee, eine warme, lebende, unruhig zuckende Masse aus Fleisch, Mähne und Fell. Es bemerkte in seinem Trott den auf seinem Rücken brennenden Zunder nicht einmal.

Alrik entzündete seine Pfeife, sog den Rauch ein, paffte heftig, warf das verkohlte, schwach glimmende Klümpchen in den Schnee. Rasch zog er die Handschuhe wieder an, die Finger schmerzten bereits.
Mit geschlitzten Augen musterte er seine kleine Streitmacht, die da durch die Winterlandschaft an ihm vorbeizog. Das Milchgesicht mit dem kristallgeschmückten Stab in der Faust und den aus der Kapuze hervorwehenden weißen Haaren - das war Hesindian ya Phaitos|Hesindian Silpho ya Phaitos, sein Hofmagier. Er wirkte durch sein Greisenhaar älter, durch das Kindergesicht jünger als der Mittdreißiger, der er eigentlich war. "Schlangenzunge" nannten sie ihn auf der Burg, des Lispelns wegen, das er einer xeraanischen Piratin verdankte.
Das verfluchte Weibstück hatte dem Unglücklichen die Zungenspitze abgeschnitten, damals, bei der Überfahrt nach Maraskan, an Bord der "Fran-Horas". Auf der Suche nach dem Grab von Alriks Großvaters, der vor Jergan einem Käferbiss zum Opfer gefallen war, weiland in Retos Krieg, eine Suche, auf der sie einen Krug mit Taluedwasser gefunden hatten. Dem der Graue es verdankte, dass er nun wieder einigermaßen wie ein vernünftiger Mensch (nun ja, eher Achaz oder Goblin) und nicht wie ein lallender Idiot sprach.
Ein echter Freund, auch wenn Hesindian zur Trunksucht neigte. Sie hatten sich gegenseitig das Leben gerettet, erst der Magus ihm, auf dem Schwertzug jenseits der Berge, wo Hesindians Haare so weiß der Schnee um sie herum geworden waren. Ob des Grauens der Verfluchten Lande... Dann hatte der Baron sich revanchiert, in der Schlacht am Arvepaß gegen Warunks Untode und deren ogrischen Anführer. Wo Ruß auf der Walstatt geblieben war, sein Streitross, ein echtes Shadif.
Hinter dem Magister ritt Bishdarielon von Suunkdal|Bishdarielon, kein Freund (den konnte man sich wenigstens aussuchen), nur sein Bruder...Zu allem Überfluss auch noch sein Zwillingsbruder.

Der Baron stieß einige graue Wölkchen hervor, die leicht mit Shadifs Drachenodem mithalten konnten und grinste: Geringschätzig, verächtlich, mitleidig? Er wusste es selbst nicht. Es folgte das Rondra gefällige Waffengesinde: ein derber, rothaariger Kerl und ein nicht minder bäurisch wirkendes Weib mit dem Waffenrock der Steinbockgarde (ihre schuppenförmigen Schilde zeigten den silbernen Bockskopf auf rot-blauem Grund), sowie die beiden Suunkdaler Büttel im wattierten Waffenrock, matt blinkende Beckenhauben auf ihren klobigen Köpfen. Und natürlich Roderick, sein ewiger Knappe, der wieder mal einen ganzen Steinwurf weit zurückgefallen war, als hätte er das Reiten gestern erst gelernt. Roderick von Oppstein. Treue Seele, der Pagenkopf...

Der Adelige lachte, gab dem "Shadif" Schenkeldruck, das im Schweinsgalopp durch die weiße Wüstenei zockelte und wieder aufholte. Die beiden Hunde bellten ihn freudig an. Einige Reiter blickten hoch.
Er wusste den Ausdruck in den Gesichtern der Soldaten nicht leicht zu deuten. Nur das die Furcht überwog.
Furcht vor ihm, ihren Herren, um dessen unergründliche, geheimnisvolle Macht diese schlichten Gemüter nur zu gut wussten. Gerade deswegen verachtete er sie alle: Es hatte Zeiten gegeben, da war er selbst nur ein erbärmliches Häufchen Elend gewesen, armseliger als jeder Büttel, ein Gassenjunge im Tiefen Süden, nicht mehr wert als der hochquellende Schlamm unter seinen schuhlosen Füßen. Herumgestossen und halb verhungert. Und nun - Baron...Gestern Abschaum, heute ein "Hochgeboren", vor dem sie alle katzbuckelten.
Vielleicht waren die Brabaker Zeiten die besseren gewesen, beim Heiligen Assaf. War das Leben wirklich immer nur Theater, nur Schein? Früher, ja früher, da war klar gewesen, wer die Guten, wer die Bösen waren...Oder sich zumindest vor Praios im Recht befand.
Bishdarielon, sein Bruder, wenn man den nachts zur Hundswache weckte, wusste der sicher auch heute noch das Licht der Zwölfgötter von der Finsternis der Niederhöllen (wie des Namenlosen) zu unterscheiden. Ein heruntergekommener Edelmann, - was sonst in diesen Zeiten? -, aber selbst und gerade mit Viertagebart, mit wirrer Lockenpracht wirkte er überaus elegant und vornehm, jedenfalls weitaus vornehmer und eleganter als er, Alrik Francesco, der doch den gleichen Mutterleib mit Alrik Bishdarielon geteilt hatte. Der Ältere hatte darauf verzichtet, den silber-schwarzen Waffenrock mit den Schwingen und dem Boronsrad des Golgaritenordens anzulegen, wirkte mit den schwarzstählernen Arm- und Beinschienen sowie dem dunklen Kettenhemd aber auch so schon düster und borongefällig genug.

Alrik Francesco tastete nach seiner Augenklappe, die ihm etwas ungemein Verwegenes gab. Allein deswegen trug er sie noch - der Anschein von Kriegserfahrung war wichtig heutzutage - obwohl er seine Blessuren vom Schwertzug gegen den Dämonenmeister schon lange mit maraskanischem Heilwasser auskuriert hatte.
"Bei meiner Treu" fing Alrik Bishdarielon an (o, wie der Phexdiener diese Floskel mittlerweile hasste): "Wie weit ist es denn jetzt noch bis Gernatsquell? Fürwahr, ich friere wie ein nostrischer Schneider..."
"Du hast gehört, was der Köhler vorhin gesagt hat...Horge, oder wie der hieß"
"Ja doch. Bis zum Fluss ist es noch `gut ein Wassermaß´, aber das war heute morgen, vor vielen Stunden...Jetzt haben wir bereits Nachmittag..."
"Und der Weg ist nunmal überaus schlecht bei diesem Firunswetter. Gräme dich nicht, es könnte schlimmer sein. Bis auf den Gehenkten ist uns noch kein größeres Ungemach begegnet..."
"Gewiss, wir könnten den Horden Aldorons des Schlächters über den Weg laufen oder Kalten Alriks begegnen..."
"Kalter Alrik - das bin ich schon genug". Der Mondschatten lachte. "Bei Einbruch der Dunkelheit sind wir auf Valyrias Hof, verlass dich drauf..."
Unverhohlenes Misstrauen schlug ihm entgegen. Alrik Francesco seufzte innerlich. Kein Zweifel: Bisch hatte seine Leibwachen gewiss nicht nur wegen dem gefährlichen Weg bei sich - sondern auch wegen ihm, seinem Reisebegleiter.

Eigentlich sollte er seinen Bruder lieben - aber wie, wenn er sich selbst immer weniger ausstehen konnte? Er wusste um die unausgesprochene Frage im Gesicht des Erstgeborenen: Was wollen wir eigentlich auf Gut Gernatsquell? Er hatte ihm mehr als einen Grund für die überaus beschwerliche Reise nach Schlotz genannt: Das sorgfältig zu schmiedende Bündnis zwischen der Herrin von Gallys und dem Golgaritenorden, um die feindlich besetzte Stadt am Artemaberg zu befreien - gemeinsam mit dem Schwarzsichler Trutzbund. Die Sache mit dem Binsböckel-Benefizium in Senkenthal, zum Totengedenken an den von Gernot heimtückisch ermordeten Bannvogt Travin. Eine Stiftung, die es durch Valyria aufzulösen galt, wollte der Edle künftig uneingeschränkt über sein Gut herrschen. Noch ein Grund: Eine Frau für dich finden, Bishdarielon, der du zwar nicht meine Tochter oder jüngere Schwester bist, aber immerhin auch schon fast vierzig Götterläufe zählst. Und trotz Mitgliedschaft im Golgaritenorden auch nicht als totes Kapital des Hauses Friedwang enden sollst. Einige halten dich sicher schon für elfisch veranlagt, auch wenn du es natürlich nicht bist, man kann auch einfach Pech haben auf dieser Welt - vor allem bei Frauen. Warum nicht demnächst eine fesche Binsböckel vor den Altar der Travia führen - die heiraten schließlich alles, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist...deine kleine Sylvana hätte dann endlich eine Mutter...

Sie ritten wieder eine Zeitlang schweigend, am Waldrand entlang, während der Wind pfiff, der Schnee herabwirbelte, und die qualmende Pfeife langsam zwischen seinen Zähnen erkaltete.
Sind wir eigentlich noch viel besser als die Zombies der Dunklen Herrin, dachte er schwermütig. Keine herzlichen Gefühle mehr, nicht einmal für den eigenen Bruder...Verfeindete Zwillingsbrüder, wie bei Rohal und Borbarad. Nichts gemeinsam außer Hass. Oder doch Hassliebe? Der wahre Grund in die Baronie Schlotz aufzubrechen, nun, das war für ihn ein Traum gewesen, vor einigen Tagen. Ein Tagtraum, in dem er Bishdarielon gesehen hatte, im wilden Schwertkampf mit einem jungen, blassen, leicht blasiert wirkenden spitzbärtigen Burschen, die Häuser von Gut Gernatsquell im Hintergrund (die Metherei und das Gestüt kannte er nur zu gut von einem Gemälde, das oben auf Burg Friedstein, in Serwas Gemach, hing).
Ein junger Edelmann, in dessen Augen eine verzweifelte Hoffnung gewesen war, die er selbst nicht mehr teilte.
Jugendfrische. Eine der wenigen Dinge, die selbst ein begnadeter Phexjünger, ein einstiger Meisterdieb wie er, sich nicht einfach zu stehlen vermochte, auch wenn er sie noch so schmerzlich vermisste. Gegen den unerbittlichen Strom der Zeit selbst half nicht einmal Taluedwasser.
Der Strom der Zeit...manchmal spiegelten sich für ihn Bilder aus der Zukunft darin. Die Vision... Zweifelsohne hatte sie ihm der Fuchshelm gesandt, den er seinerzeit, kurz vor der Trollpforte, den Schergen des Gierigen Feilschers abgejagt hatte.

Ein Duell. Eine hervorragende Möglichkeit, Bishdarielon loszuwerden, sollte nicht ganz Friedwang im Bruderzwist, in ewiger Fehde wie die übrige Wildermark untergehen. Notfalls musste er eben etwas nachhelfen.
"Bald, Bishdarielon", sagte er laut. "Bald werden wir unser Ziel erreicht haben."
Alrik Francesco lachte, aber das Lachen reichte nicht bis zu seinen Augen.
Sofort spürte er das schlechte Gewissen. Welcher Dämon, welcher Yel´Arizel sass eigentlich die ganze Zeit auf seiner Schulter, dass er sich hier ständig das Verderben seines eigenen Bruders wünschte? Hatte er die sinnlose Bluttat von damals schon vergessen - die zu sühnen er überhaupt erst Geweihter des Brabaker Phextempels geworden war? Alles außer Mord, das war immer seine Devise gewesen, auch und gerade in den Zeiten, als er noch der ungekrönte Herrscher der Brabaker Diebe gewesen war.

Wildes Hundegebell lenkte ihn ab. Was zur Namenlosen Pestilenz?! Gestalten, im Hangwald...Ein Überfall? War dass die Strafe der Götter für seine frevlerischen, gerade zu niederhöllischen Gedanken? Egal, er hatte jetzt andere Sorgen.
Pfeile schwirrten vom Waldrand heran, mit Wucht. Einer der Gardisten, der Rothaarige, schrie auf, als das Geschoss in seinen Arm schlug. Alrik Francesco duckte sich unter einem weiteren Boronsgruß. Das Pony scheute, wich zur Seite aus...

Kleine, geduckte Gestalten, ein Mischmasch aus rotem und dunklem Fell, huschten heran, sicher zwei Dutzend, der Gestank nach nassem Hundefell verriet den Goblin. Einer der Hunde, er hieß wohl Leomar, jaulte auf, als ein weiterer Pfeil ihn durchbohrte, er zusammenbrach und in einer roten Blutlache liegen blieb. Die Angreifer fächerten sich auf, versuchten sie ohne Zweifel einzukreisen. Aber mit ihrem Hinterhalt waren sie selbst in eine Falle geraten: Die untersetzten Goblins sanken jetzt, auf freiem Feld, tief in den Schnee ein, mussten mühsam vorwärts waten, was ihnen viel Zeit und Kraft kostete.
Bisch blickte spöttisch zu seinem Bruder hinüber - na, großer Krieger, was befiehlst du uns nun, schien er sagen zu wollen. Alrik tastete nach der Armbrust am Sattel, öffnete die lederne Halterung und zog gleichzeitig einen Bolzen aus dem Köcher.
Er befahl gar nichts, die Situation war eindeutig: Würden sie sich einigeln, böten sie ein gutes Ziel für die Pfeile, und waren leichter einzukesseln. Ein Gegenangriff würde ihnen selbst zuviel Kraft abverlangen.
Einfach abwarten, ihre auseinander gezogene Schlachtlinie war gar nicht mal so schlecht. Nur der Verwundete jammerte lauthals. Einer der Alborandiner hatte den ersten Rotpelz erreicht und sich in ihm verbissen. Verdammt, der Hund hatte mehr Schneid als sein Waffengesinde...
"Die kleinen Stinker hätten besser Schneeschuhe mitnehmen sollen", knurrte der Baron, zog die verdrillte Sehne der Armbrust über die Nuß, ein kleines Metallrad, dass sich in der Schußschiene drehte, klackend in den Drücker einrastete und nun die Sehne hielt. Dann legte er den dickbauchigen Bolzen in die hölzerne Rinne. Die Goblins hasteten näher, Säbel, Bögen, Schleudern, Speere, Äxte und Knüppel in der Hand, fingen an kehlig zu schreien - wohl mehr um sich selbst Mut zu machen.
Bishdarielon lachte. Er lachte wirklich, wie er da sein Schild hob und den Rabenschnabel schwang. Er schien es wohl für eine Art heilige Pflicht zu halten, die Wilden Lande vor Raubgesindel zu reinigen.

Alrik zielte, achtete kaum auf einen wütend geschleuderten (geworfenen?) Stein, der seinen Mantel nur streifte.
Der Räuber vor ihm schlug Haken wie ein Phexhase, also schwenkte er die Waffe nach rechts, wo dessen Spießgeselle gerade den Verwundeten attackieren wollte. Er drückte den Abzug. Krachend gab die Nuss die Sehne frei, der Stahlbogen entspannte sich mit Wucht, der Bolzen zischte durch die Luft. Blut sprühte in den Schnee, gefolgt von dem getroffenen Rotpelz. Das Steinbeil flog dem Räuber aus der Hand, er riss sein hauergeschmücktes Maul auf, die Augen unter der fliehenden Stirn und der Lederhaube verdrehten sich. Ein Zucken der Fellstiefel, ein letzter, blutfeuchter Brüller, dann lag der Unhold still.
Die Gardistin, Rondraja war ihr Name, wehrte einen weiteren Pfeil und - Klonk- einen Stein mit dem Schild ab, dann zog sie ihr Kurzschwert, um ihren vor Schmerz halbohnmächtigen Kameraden, Travius, zu decken. Die beiden Suunkdaler eilten dem Edlen zur Hilfe. Das war beinahe überflüssig. Wie ein Schmied, der auf den Amboss eindrosch, hieb er nach links und nach rechts, haute die Suulak nieder, dass das Krachen der Knochen und Schädel weithin zu hören war. Der Magier deutete gebieterisch mit der Hand in die Menge. "FULMINICTUS DONNERKEIL - triff und töte wie ein Pfeil!" Ein weiterer Rotpelz brach, wie von der Faust eines unsichtbaren Riesen getroffen, zusammen.

Alrik lenkte sein Pferd herum, zur linken Seite, wo nun ebenfalls Goblins heranhasteten. Der Baron warf die Armbrust in den Schnee, zog mit scharrendem Geräusch das Rapier, wehrte damit einen Pfeil ab. Dann trieb er Shadif auf die drei Angreifer zu. Einer versuchte dem Pony einen Speer mit gekrümmter Klinge in den Bauch zu treiben - die Gier, nein, der Hunger in seinen Augen zeigte, dass es vor allem das Fleisch gewesen war, das die Strauchdiebe angelockt hatte. Ein wuchtiger Hieb, und die Glefe zersplitterte. Der Streuner zog dem Burschen das Rapier über die Fratze, was einen häßlichen Schlitz hinterließ. Schreiend brach der Goblin zusammen, hielt sich das befellte Gesicht, bekam einen letzten, tödlichen Stoß, genau zwischen die Schulterblätter, hustete seinen Lebenssaft aus. Die beiden anderen flohen, von Roderick vom Pony herab bedrängt, der einem weiteren der Feiglinge mit dem Schwert den Garaus machte.
So schnell, wie der Überfall begonnen hatte, war er auch wieder zu Ende. Einige der überlebenden Rotpelze zerrten den Hundekadaver mit sich in den Wald. "Na dann guten Appetit", lachte Alrik Francesco grimmig. "Sowas nennt man wohl auf den Hund gekommen". Sechs oder sieben der Burschen färbten dafür den Schnee mit ihrem Blut, wurden vom Leichentuch des Schnees zugedeckt. Wahrlich eine teuer erkaufte Mahlzeit...
Panisches Gewieher lenkte ihn ab. Zwei der Verrecker hatten es doch tatsächlich geschafft, sich unbemerkt an die Packtiere heranzuschleichen und eines davon loszuschneiden. Mit ihrer bockigen Beute im Gewahrsam (der eine zog das Pferd am Zügel, der andere drosch mit einem Speerschaft auf das arme Tiere ein) entschwanden auch sie im Wald, in unglaublicher Geschwindigkeit über einen Trampelpfad im Schnee hinweg.
Bishdarielon wollte ihnen schon nachsetzen, aber der Baron hielt ihn ab: "Lass sie!" Dieser Wald sah alles andere als einladend aus, und der Schneefall wurde wieder stärker.
"Genug, wir haben nur das Zelt verloren...Heute abend sind wir ohnehin in Gernatsquell. Sieh es als Wegzoll..."
Verächtlich blickte er auf einen Suunkdaler Waffenknecht, der aus dem Sattel gestiegen war, und einem von Bischs stöhnend herumkriechenden Opfern (der Rabenschnabel hatte ihm den Arm zertrümmert) den Gnadenstoss gab.
"Jetzt ist mir warm", lachte der Golgarit mit blutbesprenkeltem Gesicht. Er ließ sich von seinem Diener einen Lappen reichen, hängte sich den Schild an einem Lederriemen über die Schulter, und reinigte die Streithacke. Sein Schwert, Jasperion, hatte er noch nicht einmal gezogen. Er entkorkte die Wasserflasche, nahm einen tiefen Schluck, blickte triumphierend auf die "Strecke" wie ein erfolgreicher Jäger.
"Das wird nachher ein Festmahl für die Wölfe, ha..."
Alrik ließ sich von Roderick die Armbrust reichen, klopfte etwas Schnee ab, verstaute sie am Sattel.
"Ich hätte wirklich liebend gern noch ein paar mehr von den roten Stinkern erlegt", grollte Bishdarielon. "Noch können wir ihre Fährte folgen, bevor der Schnee die Spuren verwischt."
"Wir sind nicht zur Goblinhatz hierhergekommen - und der Wald ist ihr Revier, nicht das unsere. Da, im Gesicht...hast du auch noch Blutflecken...".
Der Baron blickte zu Travius, der gerade vom Magier versorgt wurde. Hesindian war ebenfalls abgestiegen, hielt den Arm des Büttels und schien in einem Heilzauber versunken zu sein. Ein Balsambunde, oder wie das Sprüchlein hieß...Er hatte es auch schon öfters in Anspruch nehmen müssen.
"Wir sollten froh sein, das wir ohne größere Verluste davongekommen sind", meinte Alrik. "Wäre der Schnee weniger tief gewesen...Rondraja, sammel die Waffen der Goblins auf, die brauchbar erscheinen, den Rest zerstörst du...Dann eilen wir uns, bis zum Gutshof ist es noch eine gute Strecke Wegs..."

Bishdarielon blies ein Büschelchen rotes Goblinhaar vom Rabenschnabel, ließ die Waffe elegant um die Finger wirbeln - und dann mit dem Stiel voran in der Lederschlaufe an seinem Gürtel versinken. O Rondra, er sah gewiss gerade kuhuuler aus als kuhuul, wie man auf Maraskano sagte.

Der Edle von Senkenthal spürte die bewundernden Blicke des Waffengesindes (aber auch Rodericks mit der Topffrisur) im Rücken. Wenn das kein Sieg gewesen war...Weniger über die paar armseligen Goblins, nein, mehr über sein blasiertes Bruderherz. Er hatte die überlebenden Stinker laufen lassen, mitsamt dem Zelt...das hieß, die Büttel würden auf dem Rückweg im Freien übernachten müssen. Bei dem Wetter. Während der Herr Baron noch immer sein eigenes Rundzelt, für sich und den Knappen hatte.
Das würde nicht nur Frostbeulen, sondern auch viel heimliche Wut geben. Er, Bishdarielon, hatte das Mannschaftszelt ja zurückholen wollen, was leicht möglich gewesen wäre. Aber nein, eine Krähe hackte der anderen ja kein Auge aus, und Langfinger schlagen keine Diebeshand ab...
Es missfällt dir wohl, deinesgleichen niedergemetzelt zu sehen, du aus der Brabaker Gosse herbeigeschwommene Ratte, der du einst dem gleichen "Broterwerb" nachgegangen bist wie diese Elendsgestalten...Ja, Gewalt verabscheut ihr natürlich, ihr Phexjünger, fürchtet sie wie der Fuchs den Jäger. Ist sie es doch, die euch am meisten bei euren finsteren Geschäften stört...Spätestens, wenn die Stadtgarde euch ihre Hellebarden unter die Nase hält...Seis drum, er hatte Alrik gehorcht, als (offiziell) Rangniederer der beiden.
Ein nur halbtoter, plötzlich wieder zuckender Goblin qiekte, als ihm der andere Suunkdaler mit der Ochsenzunge den Rest gab. Es klang wie ein abgestochenes Schwein. Dann lag endgültig Ruhe über der eingeschneiten Waldschneiße.
"Sollten wir die Rotpelze nicht besser verbrennen?", verkündete Bishdarielon in die Aufbruchsstimmung hinein (die Leichen waren gefleddert - armselige Waffen, sah Francesco ähnlich, diesen Mist einzusammeln- auch Travius hatte der Magier verarztet).
"Wie meinen?"
"Wir sind hier in der Wildermark...Da tappen genug Leiber herum, die Boron gestohlen wurden..."
"Gerade wolltest du sie noch an die Wölfe verfüttern..." Alrik hatte seine Pfeife erneut gestopft und qualmte schon wieder. "Können wir nun?" Kopfschüttelnd sah Bishdarielon, wie Brüderchen in einem Fellbeutel ein paar armselige Münzen zählte. Goblinbeute...O, dieser Kreuzerfuchser.
"Nein, können wir nicht. Auch abgenagte Knochen haben in diesem Land schon das Laufen gelernt, bei meiner Treu..."
"Wir haben uns erst vor einer Stunde gestri...hallo, ich bin dein Baron..."
Der Golgarit schwang sich aus dem Sattel, nahm Rondraja die brauchbar aussehende Streitaxt eines Goblinkriegers aus der Hand, prüfte die Schneide, na, wirklich ganz annehmbar, er strich vorsichtshalber noch einmal scharrend mit dem eigenen Schleifstein darüber.
"Wwa...was soll denn das jetzt wieder?" nölte sein Bruder hinter ihm, nuschelig am Mundstück der Pfeife vorbei, während er die Heller und Taler wieder zurück in das Säckchen klirren ließ.
Ohne zu antworten, ging der Golgarit daran, den Kadavern einer nach den anderen die klobigen Häupter abzutrennen. Es fiel ihm nicht schwerer als Holz hacken. Einen Augenblick lang dachte der Krieger dabei an sein allererstes zweibeiniges Opfer: einen goblinischen Wilderer, der, wohl gar nicht all zu weit von hier entfernt, in den Wäldern am Gernat, weiter südlich auf Burg Rabenmund zu, in eine wilde Hetzjagd des Grafen Answin geraten war.
Knirschend fiel bereits der vorletzte Kopf.
"Bei allen Zwölfen - willst du jetzt, also, willst du da mit ihren Köppen Imman spielen?" Der Baron schüttelte den Kopf. "Nun komm schon, mach hin, ich möchte nicht in die Dunkelheit geraten..."
"Ich will nur gaaanz sichergehen, dass sie heute nacht hübsch liegenbleiben...Und nicht etwa gleich nach uns an Valyrias Tür klopfen...."
Er sägte, hieb auf die letzte Leiche, ein bereits steifgefrorenes, schneebestäubtes Fellbündel ein. Einen Moment lang empfand er doch Abscheu, als sich die Halswirbel nur mit Mühe durchhacken ließen. Metzgerarbeit. Geschafft...Die Rümpfe links und rechts dampften ihre letzte Wärme aus.

Vor Anstrengung schloss er kurz die Augen, keuchte, spürte den Schnee, begann zu frieren. Gütige Frau Rondra, was hatte er gezittert, als der andere Goblin, von einem der Armbruster angeschossen, vor ihm gelegen war - und er, der Knappe des Rabenmunds, ihm den Gnadenstoss geben sollte, auf Befehl seines Herrn, des späteren Thronräubers. Wie froh er gewesen war, als der Rotkittel doch noch einmal aufgesprungen war und sich mit einer Stachelkeule gewehrt hatte. Bevor er ihm mit dem Rabenschnabel den Brustkorb gespalten hatte...Diese hohle, knirschende Geräusch...

Er öffnete die Augen wieder. Das Goblinhaupt unter ihm starrte ihn ähnlich vorwurfsvoll an wie sein Opfer von damals, mit fliehender, eingeschlagener Stirn und schiefem, hauergeschmückten Maul. Mit dem Stiefel drehte er die Schreckfratze um, ließ sie in den Schnee blicken. Dann warf er die schartig gewordene Axt beiseite. Er blickte zu seinem Bruder, hoffte, dass er die Warnung, die in seiner schaurigen Tat lag, verstanden hatte.
Nebenbei sah er, wie Roderick totenbleich in einen Weißdornbusch spie.
Ja, liebe Güte, ich bin Golgarit. Ich fürchte den Tod nicht.
Auch Francesco hatte die Lektion verstanden, schwieg.
Du glaubst doch nicht, das ich glaube, dass du mich wegen irgendwelchem Larifaari nach Gernatsquell begleitest, dachte Bishdarielon. Oder mir gar eine standesgemäße Ehe gönnst, die meine Macht dir gegenüber vergrößern würde.
Meinst du, ich kann nicht zählen? Ein Magier, zwei Büttel, du...ihr seid meiner kleinen, unnützen Leibwache weit überlegen. In der Wildermark kann es immer tragische Opfer geben...ein Schuss aus dem Hinterhalt genügt...wir sind Brüder gewiss...Zwillingsbrüder...aber was heißt das schon? Wir waren zu viert im Leib unserer Mutter, Baronin Tsalinde...und zwei von uns sind gleich nach der Geburt gestorben...Es hieß, sie waren eben zu schwach. Aber wenn wir ehrlich zu uns sind, haben wir sie getötet...Unsere eigenen Brüder...weil wir unser kleines Königreich nicht mit ihnen teilen wollten, es gar nicht konnten...und auch du warst am Ende den Toten näher als den Lebenden. Wie bei einer Drachenbrut - da fressen sich die Geschwister auch gegenseitig auf, damit der Stärkste sich an ihrem Fleisch laben kann und hernach um so mächtiger über die Berge zu herrschen vermag.
Ist das jetzt deine Rache, kleiner Fran - dass du jetzt mich beseitigen willst, weil die Baronie zu klein für uns beide ist? Die Rache des Schwächeren? Des ewigen Zweiten am Erstgeborenen?
Bishdarielon spürte die Lust an der Gefahr, an der Herausforderung, in sich aufsteigen. Ha, mal sehen, ob Ihr den Mumm habt, einen Diener Borons zu töten. Wenn Ihr euch nicht mal recht traut, ihm Goblins über das Nirgendmeer zu schicken, ihr Memmen...

Der Mondschatten reichte seinem Knappen ein Seidentüchlein mit dem Barönlichen Steinbockwappen darauf. "Ja, wisch dir das mal ab..." Er verdrehte das unverdeckte Auge. Die heutige Jugend. Die Nervenanspannung des Geplänkels, vermutlich...und nun diese Sauerei. Typisch Oppstein. Herrschen wollen ohne viel Drecksarbeit.
"Das Frühstück...war wohl irgendwie schlecht..." jammerte Roderick.
"Jaaja, jetzt aber genug der Andacht" Alrik Francesco lenkte das Pferd wieder Richtung Fluss. Er musterte Bisch. Anscheinend sah der gerade wieder Gespenster, so wie der stierte, der Wahnsinnige. Was sollte diese abergläubische Köpforgie? Die Dunkle Herrin beeindruckte man mit sowas nicht.
Ein Golgarit als Bruder...na wunderbar...fehlt eigentlich nur noch ein Zombie in der Familie.
"So, also jetzt...Ich möchte heute noch auf dem Gutshof ankommen...Nein, Roderick, das Tüchlein kannst du erstmal behalten, wasch es am Gernat aus, danke."
Bishdarielon schwang sich in den Sattel, sah den weißhaarigen Magier an - der ihm mit bleicher Hand den Vortritt ließ. Hesindian, dieses Milchgesicht. Ich traue dir auch nicht, am allerwenigsten...reit du voran...
"Schlangenzunge" zuckte mit den Schultern, schloss tatsächlich auf, den Zauberstab wie eine Reitgerte gegen die Kruppe seines Aarmaris schlagend. Die magiertypische Arroganz in seinem Blick, die gefiel Bishdarielon überhaupt nicht...


"Redenhardt, Ismena!" Valyria von Baernfarn-Binsböckel|Valyrias Stimme klang hart über die Hoffläche von Gut Gernatsquell. Erbost eilte die Herrin auf die Kinder zu, die im Schnee tollten, um einen kleinen Schneebären, den sie im Lauf des Vormittags gebaut hatten, herum. Und dabei den Jüngsten in der Kur hatten. "Lasst ihn sofort in Ruhe!"
Die Binsböckel spürte einen Moment etwas wie Widerstand der Kinder, ihrem Befehl gegenüber. Kein Wunder bei dem Vater...Deggen, der alte Sturkopf. Seine Kinder schienen zu ahnen, dass er und nicht sie, die "Reingeschmeckte", einmal das unangefochtene Oberhaupt der Familie gewesen war.
Sie zog den weinenden kleinen Buben, der gerade von den Älteren mit Schnee eingeseift wurde, aus dem Knäuel heraus.
"Timo hat angefangen" brummte Redenhardt. "Er hat Ismena gebissen." Dem Jungen war anzusehen, dass er einen solchen Übergriff auf das schwache Geschlecht nicht dulden wollte. Das Mädchen zeigte die Abdrücke der Zähne auf ihrer schönen, weißen, schon jetzt zart und aristokratisch wirkenden Hand.
"Er ist noch nicht einmal halb so alt wie ihr". Sie klopfte den Schnee aus den Gewändern des Jungen. Aber bereits erschreckend kräftig, dachte sie. "Ihr solltet die Vernünftigen sein." Schwarzgelockte Haare, wilder Blick, vier Götterläufe alt. "Also, warum hast du Ismena gebissen?"
"Ischmena hat wieder gesagt" Das pausbäckige Kind flennte. "Ich...ich bin ein schmu..schmutziges...Räuberbalg..."
"Ismena, wie oft soll ich dir noch sagen, das sich solche schlimmen Schimpfwörter für eine künftige Edeldame nicht ziemen. Wer austeilt, muss auch einstecken können. So, und jetzt vertragt euch wieder...Ihr spielt doch sonst so gerne zusammen."
Sie wuschelte dem Jungen über den Lockenkopf, nicht ohne Schauder. Er hat irgendwie den Namenlosen im Leib. Meine beiden Mündel aber auch. Zwillinge, wie so oft im Schwarzsichler Adel, am Ersten Tag der Dritten Dämonenschlacht geboren. Und er da: Timoin. Ein Findelkind, damals im Winter 1028 vor der Tür des Gutshofs abgelegt. Sagt das Gesinde. Es scheint aber mehr zu wissen als ich, und das ist nicht gut. Das mit dem Räuberbalg etwa...woher haben die Kinder das?
Sie blickte über den eingeschneiten Wasserlauf hinweg hinaus in die Einöde. Wo die Friedwanger nur blieben? Sie war sich sicher, dass des Rätsels Lösung mit ihnen zu tun hatte...der eigentliche, insgeheime Grund, warum sie um dieses Treffen gebeten hatte.
Die Herrin von Gernatsquell strich dem Jungen etwas Schnee aus den Locken. Ihr Blick fiel dabei auf den fehlenden oberen Rand des rechten Ohrs.

Ein Erbfehler, wie er im Hause Friedwang häufig in männlicher Linie vererbt wurde...

 

Die Kavalkade töltete auf dem zugefrorenen Gernat. Misstrauisch lauschte Alrik Francesco dem dumpfen Stampfen auf dem Schnee - aber das Eis schien zu halten.
Die erste Abendröte färbte die Landschaft in ein magisches Licht, Kälte drang vom erstarrten Flüßchen herauf. Der Baron hüllte sich fröstelnd in seinen Umhang.
Tatamp...Tatamp...
Für die Fische war der Klang der Pferdehufe, mit ihren Wintereisen, sicher...ungewöhnlich. Eingeschneite Wälder zur Linken wie zur Rechten. Die Gegend schien wirklich urig zu sein - eine gute Entscheidung, auf dem Fluss zu reiten. Gernatsquell verfügte über keine größere Befestigung, das wusste Alrik - seine Stärke war, dass es eher versteckt lag und die Wälder außen herum nur schwer zugänglich waren.
Sie passierten zwei dick eingemummte Bauern, die in einem Eisloch nach Gnitzen fischten - eine Beute, die bläulich schimmernd auf dem weißen Untergrund zappelte. Die Reiter erfuhren, dass das Gut eigentlich geradewegs vor ihnen lag, an einem Altarm des (hier eigentlich noch recht jungen) Gernat. Tatsächlich, im Schneetreiben tauchten nun weiße Giebel, die rauchenden Schornsteine des Haupthauses und davor ein mit Holz beladener Schlitten auf.


Wenig später saßen Alrik, sein weißhaariger Hofmagus und Bishdarielon an einem arangefarben lodernden Feuer des Rittersaals. Den Kamin zierte das Bärenwappen der Gutsherrin, das eindeutig jüngeren Datums war als das Gebäude selbst. Es roch angenehm muffig und ölig - das Odeur von Macht und jahrhundertealter Tradition. Die Bodenbalken knarzten bei jeder Bewegung der fein geschnitzten Stühle.

Das Abendessen war verdaut, die Flohfalle geleert. Nun kreisten die Trinkhörner - sie ließen sie sich den bittersüßen, goldfarbenen Ogermeth schmecken. Jagdtrophäen und Ölgemälde blickten sie schweigend an.
Angemehm ermattet, musterte der Baron von Friedwang den Radleuchter über seinem Kopf, paffte eine Pfeife. Wenn er die Augen schloss, sah er noch immer den endlosen Schnee fallen.
Der Goblinüberfall war zur Genüge abgehandelt worden , die Konversation plätscherte gerade freundlich und etwas belanglos dahin. Alrik fühlte sich satt und schläfrig, woran auch der Gutenachttrunk seinen Anteil hatte.
Beinahe wäre er eingenickt, ein merkwürdiges Wort weckte ihn aus seinem Halbschlaf.
"Gloranier?" Im letzten Moment hielt er das Trinkhorn fest das ihm schon aus der Hand rutschen wollte.
"Ja..." Valyria nickte heftig. "Die Artemareiter haben sie aufgespürt, oben in den Bergen. Am Yrrwengletscher war es wohl, im Sommer..."
"Knechte des Eisigen Jägers?" Auch Bishdarielon blickte ungläubig. "Soweit im Süden?"
Hesindian hatte den Finger gegen sein Kinn gelegt, lauschte gespannt jedem Wort und schwieg, ganz unergründlicher Magus. Ihm schien die ganze Zeit ein wenig langweilig gewesen zu sein - hatte er doch zuvor eine samtene Serviette allein durch Blickkontakt angehoben und wieder auf die Festtafel niedersinken lassen - auf und ab, auf und ab, wie einen Schmetterling. Nun hielt er in dem entrückten Spiel inne, griff nach seinem Trinkgefäss, dass in einem eisernen Halter stak.
"Nuuun...Karjala hat es mir erzählt, als sie mit einem ihrer Handelszüge hier durchgekommen ist. Ist allerdings schon ein paar Wochen her. Ob ihr es glaubt oder nicht...die Diener der Eishexe sind mit einem Fliegenden Schiff gestrandet...wohl in den Bergen abgestürzt..."
"Mit...einem Fliegenden Schiff?" Alrik verzog den Mund. Seine Linke glitt waagrecht durch die Luft, verharrte. "Schiff?" wiederholte der Baron dann.
"Ja, bei Praios Gnade. Schwarze Magie, nehme ich an, mögen die Unsterblichen uns beistehen. Dämonische Magie. Wie damals in Gareth. Fliegende Festung und so weiter. Kaum zu glauben, eigentlich, aber was kann man heutzutage noch ausschließen? Ich habe es von Karjala erfahren, ist wirklich schon etwas länger her...aber normalerweise hat es seine Richtigkeit, was die Händlerin einem erzählt...Nun, sie hat das Schiff nicht selbst gesehen, aber mit einem der Reiter gesprochen, der bei dem Scharmützel dabei war. Zuvor müssen die Frostigen Nordenheim überfallen haben...Auf eisigen Libellen sind sie geritten, heißt es..."
Alrik nickte. Solange war es noch nicht her, dass er selbst auf einem dieser Ungetüme gesessen hatte. Frostbeißerinnen oder wie die Nagrachfrevler sie nannten...
"Das schlimmste ist: Das Ding, das Flugschiff, ist einfach davongeflogen...mit Alvan, Jorgan dem Firunsgeweihten und Veneficus an Bord...und Alvans Kindern, die von den Gloraniern entführt wurden..."
"Ja, d a v o n habe ich gehört" Alrik nickte, mit Besorgnis in der Stimme. Er hatte eigentlich einige seiner Gardisten nach Nordenheim schicken wollen, um Odilons Tochter Alvan zu helfen. Aber die Büttel waren auf halben Weg in einen Hinterhalt geraten. Kapuzen-Rando...wieder mal der. Rando Hirsbach und die Apfelbande, wie sich seine Halsabschneider nannten, die schon seit vielen Götterläufen den Schratenwald unsicher machten.

Die Sokramorier... hatten ihm einfach nicht verziehen, dass er seine Versprechen bezüglich der "Schwarzsychler Fryheyt", die er ihnen mal vollmundig gegeben hatte, tja, nie wirklich in die Tat umgesetzt hatte. Damals, im Praios 1029, als die Thronräuberin Oleana gestürzt worden war, in einem wilden, blutigen Gefecht auf dem Marktplatz von Friedwang.
Genau genommen hatte er seine Versprechen alle gebrochen. Freies Jagd- und Fischrecht für die Bauern, freie Kultausübung an den "heiligen Seen, Felsen und Bäumen", die niedere Gerichtsbarkeit, das Recht auf Schulzenwahl, Freilassung aller Hintersassen, Befreiung von sämtlichen Abgaben an Kaiserin und Marschall - was die Sokramorier verlangt hatten, war aber auch einfach illusorisch gewesen.
Pah. Hätte er sich als Landesherr etwa selbst bestehlen sollen? Sowas war nicht nur eines Barons des Reiches (na gut, der Wildermark), sondern mehr noch eines Mondschattens unwürdig - bei den flinken Fingern des Heimlichen. Ganz zu schweigen davon, dass die Tempel von Praios und Travia da ohnehin niemals ihren Segen dazu geben würden...
Dummerweise befand er sich aber nun in einem endlosen Kleinkrieg mit den meisten der "Altgläubigen" (wie sich die ketzerischen Anhänger von Sokramor, Levthan, Sumu und Saturia, von Riesen, Karnmann und Feen in der Südsichel nannten).
Seine Gardisten waren damals jedenfalls blitzblau geprügelt, ausgeplündert, ohne Waffen, Rüstungen und Pferde auf die Burg zurückgekehrt. Die Räuber hatten sie an Bäume gebunden und ihnen - das war ihr Markenzeichen - zum Spott Äpfel auf die Köpfe gesetzt. In Anspielung auf den Firungefälligen Apfelschuss Odilon Wildgrimms von Baernfarn. Ein Götterurteil, mit dem Alvans Vater, ein echter Meisterschütze, weiland den Trutzbund von Greif und Bär und damit die "Schwarzsychler Fryheyt" der Barone gegen das Haus Rabenmund durchgesetzt hatte. Zehn Jahre war das nun her.
In den meisten Fällen hatten Kapuzen-Randos Diebe, geschickte Bogenschützen, das Obst getroffen. Nur beim armen Traviafried - da war der Schuss etwas zu tief gegangen. Einen halben Schritt, um genau zu sein. Bei einem darpatischen Langbogen ziemlich ungesund, sowas.
Alrik schnaubte in seinen Meth.
"Ja, die Geschichte mit den geraubten Kindern kenne ich. Aber warum muss ich eigentlich erst nach Schlotz, in die entgegengesetzte Richtung, reiten, um den Rest zu erfahren...?" Der Streunerbaron beugte sich vor. "Weiß man schon etwas Neues...?"
"Das hier ist Gut Gernatsquell, nicht das Redaktionshaus des Aventurischen Boten..." Valyria lächelte sarkastisch. "Veneficus war wohl schon der Herr des Schiffs und der Lage, aber eben nicht ganz, wie so oft...Plötzlich erhob sich das Gefährt wieder in die Lüfte, aus welchem Grund auch immer. Dann wurde es vom Wind gen Firun geblasen. Wie eine Feder. Das ist das letzte, was man von ihnen gesehen hat - oder was ich aus Edorlys erfahren habe. Ich hoffte eigentlich, du wüsstest mehr."
Alrik lief leicht rot an. Sollte er zugeben, dass seine Macht über die Baronie überaus begrenzt war? Ebenso wie sein Wissen über die Vorgänge im Schratenwald, in den Bergen und den Käffern außerhalb Marktfriedwangs? Dass es "die" Baronie Friedwang eigentlich nicht mehr gab - nur noch einen Flickerlteppich aus aufsässigen Dörfern, Inseln in einem Meer aus Räuberei und Gesetzlosigkeit?
"Oleana IV." - so nannten ihn die Leute schon spöttisch, nach seiner, haha, Amtsvorgängerin, deren Schergen auch kaum einen Schritt vor das Burgtor hatten setzen können. Wenn sie nicht von wilden Pfeilschauern hatten überschüttet werden wollen.
Und Gernots Tochter hatte anders als er über ein ganzes Banner an Söldnern und Totschlägern verfügt.
Mit den Oberfriedwanger "Firunsgesellen" oder "Bosjäckeln" (Räuber, Rebellen, Aufständische, wie immer man das wilde Pack in den Wäldern nennen wollte), da gab es zur Zeit einen Waffenstillstand (sonst hätten er und seine Büttel es nicht mal bis Senkenthal geschafft). Bis zur Schneeschmelze, so war es ausgehandelt(andernfalls hätte er sich die Strapazen einer Winterreise sicherlich nicht zugemutet).
Ein von der Schwarzsichler Hexenkönigin Ludwina vermittelter, brüchiger Waffenstillstand. Der für den "Baron von Friedwang" fast noch blamabler war als die peinliche Niederlage, die seine Gardisten bei Nordenheim hatten einstecken müssen.
Einen Passierschein hatten sie ihm an der Gießenbrücke ausgestellt - einen PASSIERSCHEIN!!! Im Namen Sokramors der Schwarzen und der "Freien Sichel"! Teuer bezahlt noch dazu...nur gut, dass er noch eine Kiste mit gut gefälschten Dukaten und Silbertalern in der Schatzkammer verwahrte...Diese kleine Rache hatte er sich dann doch gegönnt...Blödes Geschmeiß. Pisste man vor diesen zottelhaarigen Orkhirnen in den Schnee, würden die es für eine Goldader halten...
Trotzdem. Der Geweihte konnte es drehen und wenden wie er wollte: Niemand nahm ihn mehr sonderlich ernst, schon gar nicht als Baron. Der Heimliche war zwar der Gott des Gelächters, aber so hatte er sich eine "phexgefällige Herrschaft" über Friedwang wahrlich nicht vorgestellt.
"Nun, über meine Burg ist dieses Schiff sicher nicht geflogen..."
sagte Alrik gedehnt. "Aber Veneficus ist ein erfahrener Magier. Er wird mit der Situation schon fertig werden. Da bin ich mir ganz sicher. Ebenso wie Jorgan, ein überaus kundiger Waldläufer, und Alvan, die damals immerhin auf Maraskan mit dabei war und viele Götterläufe zur See gefahren ist..."
"Ja, zur See vielleicht, aber doch noch nie in den Himmel, bei Praios...Und Veneficus...einfach verschwunden..." Valyrias Anteilnahme klang gespielt. Es war ein offenes Geheimnis, das ihr Verhältnis zu dem Magier, dem ranghöchsten Vertreter der Familie Baernfarn, nie ganz spannungsfrei gewesen war.
"Venficus ist schon immer schnell in die Luft gegangen" versuchte Alrik die Situation mit einem Witz zu entspannen. Valyria lachte tatsächlich, wenn auch nur kurz und abgehackt.
"Du hast Recht...Die Götter werden sie schon behüten, auf ihrer gefahrvollen Reise...Schlimmer als das Jahr des Feuers kann es gar nicht werden..." Die Baernfarn-Binsböckel schluckte, musste sie doch einen Moment an ihren Gemahl Raul denken. Der bei der Einnahme der Stadt Gallys durch den Endlosen Heerwurm so grausam ums Leben gekommen war.
"Wir sollten an die Zukunft denken", sagte Alrik, mit einem kurzen Seitenblick zu Bishdarielon. "Das Chaos in der Wildermark wird nicht ewig andauern. Du weißt, warum ich mit dem Edlen von Senkenthal hier bin...?"
Valyria folgte Alriks Blick. Der Edle von Senkenthal, dachte sie...tss...glaubst du, man sieht nicht, dass ihr Brüder seid? Karjala hat mich längst über alles informiert.
"Bishdarielon von Senkenthal" sagte Ihre Wohlgeboren laut. "Manche nennen ihn auch...den Wahren Alrik..."
"Wir sind uns bereits einig geworden, was die Herrschaft über Friedwang angeht", sagte der Baron eilig, bevor sein Bruder antworten konnte.
"Er mag der Ältere sein, das streite ich gar nicht ab...aber von Rechts wegen bin ich jetzt der Baron..."
"Das würden andere vielleicht ein klein wenig anders sehen", sagte Valyria, scheinbar freundlich. Bisch blickte säuerlich, "Schlangenzunge" schwieg.
"Ja, aber nicht das Haus Baernfarn. Immerhin ward ihr immer der Meinung, Serwa wäre die legitime Nachfolgerin von Gernot auf dem Steinbockthron gewesen. Zumindest wurde sie weiland vom Landvogt als Baronie-Tutorin eingesetzt. Ich habe sie geheiratet, damit bin ich der Erbe unserer Mutter, der Baronin Tsalinde..."
"Eine gewagte Deutung". Bishdarielon schlürfte geräuschvoll einen Schluck Meth. "Bei meiner Treu...Gernot war ein Verräter, ein Diener des Bethaniers, Serwas Hochzeit mit ihm von vorneherein ungültig, wenn es noch Götter in Alveran gibt...Einem Dämon wollte er sie opfern, der Frevler...und eure Hochzeit ist ebenfalls unter falschen Vorrausetzungen zustande gekommen...Nein, durch Betrug...Wenn ich stillhalte, dann nur, um die Situation nicht noch weiter zu verkomplizieren. Um unserer Mutter willen, die sich sicher keinen Bruderkrieg gewünscht hätte..."
"Ganz so einig scheint Ihr Euch ja nicht zu sein...", sagte Valyria spöttisch.
"Ist das der Dank" Alrik paffte hektisch. "Dass ich meine schützende Hand über dich halte, Bishdarielon? Ich und der Golgaritenorden. Immerhin hat dein geliebter Answin die Schlacht auf den Silkwiesen verloren, wenn ich mich recht entsinne..."
"Und Hela, die Dämonenbuhle, das letzte Weib das es wagte, nach der Kaiserkrone zu greifen - die hat sogar die zweite Dämonenschlacht verloren, wenn ich mich recht entsinne..."
"Nun wirst du aber grob unsachlich...Rohaja und Hela, die kannst du nun wirklich nicht miteinander vergleichen..."
"Ja, Hela hatte wenigstens noch ein starkes, geeintes Reich unter sich...Rohela ist nur ein verzogenes Gör, ein Spielball der Fürsten..."
Valyria räusperte sich scharf, rief ihre Rolle als Gastgeberin in Erinnerung.
"Ich kenne keine Rohela, ich kenne nur Ihre Kaiserliche Majestät, Rohaja von Gareth", sagte sie scharf.
"Verzeiht", sagte Bishdarielon. "Ich wollte mich nicht echauffieren..."
"Und Ihr..."
"Du, bitte..."
"Und Du willst also eine von Binsböckel heiraten? Unter welchem Namen eigentlich? Alrik von Friedwang? Oder doch Bishdarielon von Senkenthal?" Valyria verzog leicht den Mund. Diesen düsteren Answinisten und Boronsritter wollte sie eigentlich keinen ihrer Kousinen zumuten. Oh, wie sie arrangierte Ehen hasste...
Liebe. War von Rahjas größtem Geschenk an die Menschen eigentlich nie die Rede? Einem wunderbaren Geschenk, dass sie für ihre wahren Lieblinge sogar gemeinsam mit der gestrengen Travia verlieh...

"Was hätte meine Familie von der Verbindung? Die Baronsherrschaft über Friedwang haben die Baernfarns schon, und Senkenthal ist bereits ein Benefizium für den von Gernot ermordeten Bannvogt Travin, einem von Binsböckel,...also hätte ich weder als eine von Binsböckel noch als eine von Baernfarn den geringsten Vorteil aus einer solchen Ehe..."
"Über das Benefizium müssen wir auch noch sprechen...angesichts der Umstände..." brummte Alrik.
"Ich bin nicht das Oberhaupt des Hauses Binsböckel", sagte Valyria knapp.
"Und als Baronin von Gallys kümmert mich Senkenthal wenig...Ich sehe momentan nur wenig Sinn in einer Verbindung zwischen deinem Bruder und dem Haus Binsböckel...Für beide Seiten..."
"So eine schlechte Partie ist er ja nun auch wieder nicht..."
Von wegen "Valyria", dachte Alrik. Eigentlich sollte man dich "Allüria" nennen.
Bishdarielon erhob sich, mit klirrendem Kettenhemd. "Verzeih. Ich dachte eigentlich...also...ich bin hierhergekommen...nun, auch ich habe einen mir wertvollen Menschen verloren, Valyria. Ich weiß also, wie dir zumute ist. Wenn, dann würde ich nicht irgendeine Binsböckel zur Frau nehmen, sondern selbstverständlich dich."
Alrik verdrehte das unverdeckte Auge. So war das nicht ausgemacht...War Bisch betrunken?
"Wir sind hier doch nicht beim Gallyser Kulturspectaculum! Schneist hier rein und machst Valyria einen Heiratsantrag, nicht zu fassen..." Der Friedwanger stand auf und schüttelte das gelockte Haupt. "Der Ogermeth, Valyria...der hats aber wirklich in sich...entschuldige..."
Valyria lächelte verlegen. Auch wenn dieser Ritter ihrem Raul körperlich nicht sonderlich ähnlich sah, ein wenig erinnerte er ihn doch an ihren Gemahl. Und sei es nur, weil sie in Bishdarielons Gegenwart an den Tod denken musste.
"Ich danke dir für deine artigen Worte...Bishdarielon", sagte sie milde.
"Aber ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre...Schon allein, weil ich Gut Gernatsquell nicht ohne weiteres verlassen kann und du in Senkenthal bleiben musst, als Hüter des dortigen Boronangers, wenn ich es richtig verstanden habe..."
"Ja, aber nicht als Ladenhüter!" Alrik drückte seinen Bruder wieder in den Stuhl zurück. "Kennst du keine Adelige, die in das Haus Friedwang einheiraten möchte..?"
"Heilige Mutter Travia, warum verlangt hier eigentlich jeder, dass ich die perfekte Ehe für ihn arrangiere...?" Die Edle nippte an ihrem Ogermeth.
Alrik nahm Platz, sah erstaunt.
"Wie meinst du das?"
"Nun, erst vor kurzem war Junker Storko von Gernatsborn hier, ebenfalls auf Brautschau..."
"Storkower?"
"Von Gernatsborn. Mein Nachbar. Ein umgänglicher Mensch, vor allem sorgt der Junker zusammen mit Ritter Traviahold "der Bastard" aus dem Wutzenwald|Traviahold und dem Schlotzer Schutzbund dafür, dass ich hier einigermaßen ruhig schlafen kann."
"Und, wen hast du ihm empfohlen...?"
"Nun. Gisborns Töchter scheinen es ihm angetan zu haben. Die Jungfern Syrenia und Glyrana von Mersingen..."
"Mersingen? Gisborn Aurelian und seine Töchter?" Alrik verzog den Mund, blies einen Rauchkringel aus. "Die Nichten der Pfalzgräfin Yolande dürften ja wohl ne Nummer zu groß sein für so n kleinen Krautjunker aus dem hintersten Wutzenwald..."
Bishdarielon verwehte hüstelnd die Rauchwolke mit der Hand: "Wen von den beiden will er denn freien? Alle zwei ja wohl nicht? Oder ist er ein Novadi..."
"Das musst du ihn schon selbst fragen. Welche von den beiden er zur Braut will...Ich sitze hier ja auch im hintersten Wutzenwald."
"Entschuldige, so habe ich es nicht gemeint" grummelte Alrik.
"Schon gut. Aber diesem Storko, dem gönne ich eine gute Ehe...Krautjunker würde ich ihn nicht nennen, im Gegenteil. Er ist ein Leutnant der Wehrheimer Waldlöwen, mit besten Manieren...Absolvent der Wehrheimer Kriegerakademie, der letzte seines Hauses...mit guten Kontakten zu Leomar von Berg...Sein Gut kann sich sehen lassen, zumal in dieser Gegend, in diesen Zeiten. Mustergültig bewirtschaftet. Ich frage mich gerade, ob er mit Delo von Gernotsborn verwandt ist, dem tobrischen Kanzler..."
"Die Mersingens sind eine borongefällige Familie" sagte Bishdarielon leise. "Dem Golgaritenorden äußerst wohlgesonnen..."
Alrik schüttelt erneut heftig den Kopf. "Ich glaube nicht, dass sie verwandt sind...von Gernotsborn und von Gernatsborn...das sind doch zwei paar unterschiedliche Namen..."
Valyria zuckte mit den Schultern. "Mal mit A, mal mit O, gewiss. So ganz kenne ich mich in dieser Gegend und den Adeligen hier noch nicht aus..."
"Hattest du nicht mal was mit der kleinen Mirl von Mees-Mersingen?" stichelte Bishdarielon in Richtung seines Bruders. "Die Edle von Lucranns End, die jetzt in Rappenfluhe hockt?"
"Nein" Alriks Stimme klang wie ein in den Richtblock geschlagenes Henkerbeil.
"Wie?"
"Nein im Sinne von: Ich hatte nichts mit der `kleinen Mirl von Mees-Mersingen, die jetzt in Rappenfluhe hockt´."
"Man erzählt sich da aber so einiges, wie sie ihr Gut erhalten hat..."
"Ach ja? Warum nimmst du nicht die, wenn dir an dem Haus Mersingen soviel liegt?"
"Wer sagt, dass mir an dem Haus Mersingen..."
Bishdarielon stockte mitten im Satz, starrte auf eines der mit Eisblumen verzierten Fenster. Draußen fielen noch immer einzelne Schneeflocken herab.
Ein Hund gab dort Laut - ein kurzes, durchdringendes "Wuff".

"Was ist?" fragte Alrik.
Bishdarielon griff nach dem Schwert, das hinter ihm gegen die Wand lehnte.
"Irgendjemand ist da draußen...Ich habe den Schnee knirschen hören..."
"Ich habe den Schneeee knirschen hören..." Alrik lachte in sein Methhorn.
"Bei dem Wind? Normalerweise hörst du doch nur das Gras wachsen..."
"Sehr witzig. Irgendwas treibt sich da draußen herum, bei meiner Seel..." Bishdarielon gürtete sich Jasperion um. Die Zeit bei den Chapewahas im Tiefen Süden hatten seinen Gefahreninstinkt ungemein geschärft...und irgendwie fühlte er sich gerade unwohl, als würde ein Dutzend Armbrüste auf ihn angelegt. Oder als würden sich die glühenden Augen eines Raubtiers in seinen Nacken bohren...
"Vielleicht jemand vom Gesinde, der auf die Latrine gegangen ist", schlug Valyria vor, mit leichter Irritation in der Stimme. "Sei unbesorgt. Wenn es ein Fremder wäre, würden unsere Hofhunde sofort Alarm schlagen...und im Gänsestall wären jetzt auch schon die Niederhöllen los, glaub mir...die Barnfanis verhalten sich auch völlig ruhig..."
Alrik ließ die Pfeife ausgehen und klopfte sie in den Kamin hinein aus. Die Flammen loderten hoch...
Wie damals in Hauckes Zuflucht, dachte er schaudernd. Dem Rittergut in Garetien während des Jahres des Feuers. Als Bishdarielon diesem geflügelten Löwen über den Weg gelaufen ist, wie hieß dieser Dämon noch gleich. Grakvaloth...Offenbar hat der Gutste da einen dauernden Schaden davongetragen. Jetzt kann er keine Stunde in einem Gutshof sitzen, ohne gleich auf Gespensterhatz zu gehen.
Der Gedanke, dass sein Bruder vielleicht nicht mehr ganz richtig im Oberstübchen sein könnte, löste aufrichtiges Bedauern in ihm aus, und Unbehagen. Verfolgungswahn...eine ganz üble Sache.
"Du hast Valyria gehört..." sagte Alrik mit Noionitenstimme. "Alles-ist-in-bester-Ordnung...Können wir jetzt wieder auf das Geschäftliche kommen, ja?"
Bishdarielon verrieb den Frosthauch an der Scheibe etwas, starrte hinaus, stutzte aufgeregt.
"Da draußen ist wirklich jemand...ein Goblin?!"
"Ein Goooblin...etwa einer von denen, die du heute auf der Lichtung einen Kopf kürzer gemacht hast?" Alrik prustete ob des eigenen Witzes.
"Ja, er hält seine Hände wirklich merkwürdig. Als ob er untot wäre...und er geht vom Hof weg...Merkwürdig...Jetzt wo du es sagst. Einen Kopf scheint er auch nicht mehr zu haben..."
Valyria war stirnrunzelnd ans Nachbarfenster getreten. "Also, ich sehe nichts...beim besten Willen nicht."
Alrik langte sich an die Stirn, fühlte Scham in sich glühen und spürte leichte Atemnot. Das wurde ja immer schöner...ausgerechnet in dem Moment, in dem er bei Valyria eine gute Partie für seinen Bruder klar machen wollte, entpuppte der sich als völlig plemplem. Komplett durch die tobrische Brise...Als Fall für den Orden der Heiligen Noiona, nicht des Golgari.
Wie peinlich. Irgendwann musste es ja mal soweit kommen. Ein Grakvaloth konnte den Verstand eines Praioten in Hirsebrei verwandeln.
Der Magier erhob sich, griff nach Nasrûlgin, seinem kristallgeschmückten Stab. "Wir können ja einmal nach´sssehen", lissspelte Schlangenzunge.
Der Baron von Friedwang starrte geradeaus. Ich rekapituliere, dachte er, erschöpft nicht nur vom langen Ritt. Nicht nur, dass ich mit einem Passierschein durch meine eigenen Ländereien reiten muss, nein. Mein bekloppter Bruder sieht kopflose Goblins, wo keine sind, und mein Hofmagier, der selbst wie ein Rotpelz spricht, gibt ihm auch noch Recht?
Der Mondschatten angelte sich eine Tonflasche Ogermeth. "Also guuut, sehen wir einmal nach, bevor am Ende noch jemand kopflos in den Gernat plumpst..."


Hesindian ließ überderisch glühendes Fackellicht an seinem Zauberstab aufscheinen, als er auf den Hof trat. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen. Die Nacht war bitterkalt. Nach wenigen Schritten hielt der Magus inne. "Hier issst tatsssächlich jemand gelaufen!" sagte er, wies auf den Boden. Kleine Fußstapfen führten über den Hof, begannen sich unter dem herabrieselnden Schnee wieder im allgegenwärtigen Weiß aufzulösen.
"Na also, wusste ichs doch..." Bishdarielon blickte kampflustig - was auch seinem Bruder galt.
"Ja...irgendein Diener ist zum heimlich Gemach gelaufen und wieder zurück. Wunderbar, und du hast ihn aufgespürt. Noch in tausend Jahren werden die Barden von dieser Heldentat des tapferen Bishdarielon von Senkenthal singen. Können wir jetzt wieder hinein...mir ist nämlich kalt..." Alrik stapfte auf den Boden, um das Leben in seine erstarrten Füße zurückzuholen. In der Ferne orgelten Wölfe. Die Hunde antworteten winselnd in ihrem Verschlag.
"Es muss einer vom Hof gewesen sein, sonst hätten die Hunde längst Alarm gegeben", nickte Valyria. Der Wind wurde heftiger. Ein dumpfes Klappern lenkte sie ab.
"Ah, da drüben...die Tür zum Gesindehaus steht offen. Des Rätsels Lösung...und morgen ist es dort drinnen wieder kalt wie in einem Eiskeller..."
Hesindian ließ den Fackelschein über die Hoffläche gleiten...
"Dort liegt etwasss´", sagte er schließlich. Der Magier bückte sich, hob ein grünweißes, steifgefrorenes Stück Wolle hoch.
"Ein Fäustling...ein Kinderhandschuh..." sagte der Golgarit erstaunt, der neben Hesindian getreten war. Langsam trat so etwas wie Verstehen in seine Augen. "Ein schlafwandelndes Kind, aber ja. Kaum größer als ein kopfloser Goblin. Deswegen hat es die Hände so komisch vor sich gehalten, in die Luft..." Bishdarielon erschrak. "Gnädige Marbo...Es läuft gerade in den Wald hinaus...bei diesem Firunswetter...das arme Kind..."
Die Edle griff nach dem Handschuh-und erschrak: "Der gehört Timoin..."
Timoin...den hatte sie fast vergessen während der Plauderei am Kamin.
Sie schlug den angefrorenen Schnee von der Wolle: Kein Zweifel...die beginnende Laufmasche hatte sie erst vor wenigen Stunden an Timoins rechten Fäustling entdeckt.
"Timoin?" fragte der Senkenthaler. "Ein Bauernkind?"
Valyria biss sich auf die Unterlippe, was nicht nur am schmerzhaften Frost lag. Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, die beiden von Friedwangs einzuweihen.
"Ein Findelkind. Vor vier Jahren hier abgegeben, als Neugeborenes...im Winter, jetzt um diese Jahreszeit..."
"Vier Götterläufe...ein bißchen jung für eine derart gefahrvolle Queste." Alrik wirkte unsicher. "Hab doch gesagt, es ist kein kopfloser Goblin", fügte er schnell hinzu. "So ein Blödsinn..."
"Wer hat ihn denn ausgesetzt?" wollte der Golgarit wissen.
"Wer das so genau wüsste. Eine Frau...ziemlich abgemagert, blass, schwarze Haare...sagt zumindest Gitta...Eine Jägerin vielleicht, sie hatte eine Armbrust dabei und einen Dolch. Die arme Gitta hatte regelrecht Angst, dass sie ihr etwas antut, wenn sie das Kind nicht nimmt. Behauptet sie jedenfalls. "
"Gitta?"
"Der Magd, der die Fremde den Säugling einfach in die Arme gedrückt hat, vor dem Karrenhaus, in ein paar schmutzige Tücher gehüllt, mehr nicht." Valyria musste lächeln. Sie war damals nicht auf dem Hof gewesen, sondern hatte das Schlagen von Feuerholz im Wald beaufsichtigt.
Gitta. Damals war sie fünfzehn oder sechzehn Götterläufe alt gewesen. Fleißig, gutmütig und nicht dumm, aber sehr naiv. Die Edle konnte sich noch gut erinnern, wie die Waldbauerntochter pausbäckig, hüftig und mit wehenden Zöpfen auf sie zugelaufen war.
"Ich habe ein Kind bekommen, ich habe ein Kind bekommen...", hatte die Magd aufgeregt geschrieen - und Valyria dem armen Ludolf sofort eine Backpfeife übergezogen: Gittas damaligen Freund. Darüber wurde auf Gernatsquell heute noch herzhaft gelacht. Nun ja, Ludolf, dieser Herzensbrecher, der hatte sich die Ohrfeige verdient, so oder so....Auch wenn es keine besseren Handwerker gab als ihn und seine schmuddeligen Brüder. Wenn es galt, ein kaputtes Fuhrwerk, ein eierndes Rad oder eine krumme Deichsel auf Vordermann zu bringen. Nur war Ludolf wirklich strohdumm - angeblich hatte er von der Fremden und der Übergabe des Säuglings rein gar nichts mitgekriegt.
"Und dann ist die `Jägerin´ einfach wieder im Wald verschwunden. Timotheus...das soll der Name des Kindes sein...Die Eltern waren angeblich Köhler, die damals erfroren, verhungert oder der Sieche zum Opfer gefallen sind oder alles gleichzeitig..."
"Timotheus?" meldete sich Alrik zu Wort. "Ziemlich geschwollener Name für so ein Köhlerbalg..."
"Deswegen nennen ihn hier auch alle Timoin" meinte Valyria. "Mehr weiß ich nicht, auch wenn unter meinem Gesinde offenbar weit mehr gemunkelt und gemutmaßt wird...das der kleine Timo schlafwandelt, war mir eigentlich auch neu...Aber er ist schon ziemlich frühreif und selbstständig, kann sich auch schon allein anziehen..."
"Das ist kein Schlaf-, das ist ein Boronswandler", knurrte Alrik und nahm einen Schluck Ogermeth. "Ich steh hier kein Praiosunser lang und klebe bereits am Boden fest. Selbstständig, ha...Wenn wir uns nicht beeilen, kann Timoin in einem halben Wassermaß seine Eltern in die Arme schließen...in seine steifgefrorenen Ärmchen."
Hesindian, der der schwachen Spur ein Stück weiter gefolgt war, kehrte im Licht des Zauberstabs zurück.
"Der Kleine ist offenbar schnurstracks auf den Gernat hinausgelaufen"
"In welche Richtung?" wollte Valyria wissen.
"Flussabwärts."
"Die Götter sei Dank schon mal nicht in den Wald", meinte Bishdarielon. "Wo kommt man da hin?"
"Ein paar Meilen weiter nördlich liegt Gut Gernatsborn", antwortete Valyria. "Wir dürfen keine Zeit verlieren. Es ist kalt, und da draußen heulen Wölfe..."

"Weit kann er nicht gekommen sein" meinte Hesindian. "Ein Vierjähriger kann gar nicht so schnell durch den Schnee stapfen. Und seine Fußspuren sind auch gut zu sehen."
Valyria nickte. Bishdarielon führte den Trupp an. In seiner ausgetretenen Spur ließ es sich gut laufen, so dass sogar die wenig kräftige Valyria mit den Männern Schritt halten konnte. Hesindian hatte ihr angeboten, dass sie auf dem Gut bleiben könnte, drei Paar Augen hätten sicher genügt, um einen kleinen Jungen zu finden. Aber Valyria hatte abgelehnt, obwohl es ihr niemand übel genommen hätte, wenn sie sich um das Gut und um die Kinder gekümmert hätte anstatt hier durch den Schnee zu stapfen. Aber sie konnte es nicht riskieren, Alrik und Bishdarielon den kleinen Timoin allein finden zu lassen.
Valyria war besorgt. Oh Firun, hoffentlich hat der Kleine seine Mütze auf, dachte Valyria. Denn eines war klar: Wer auch immer das Findelkind gebracht hatte, hatte es im Vertrauen darauf getan, dass man hier gut für ihn sorgen würde. Und das würde sie tun. Wer auch immer dieser jemand war, in irgend einer Beziehung stand er zum Hause Friedwang, das folgte aus der unzweifelhaften Abstammung des Jungen von eben dieser Familie, wie das verkümmerte rechte Ohr bewies. Und aus irgend einem Grund sollte offenbar der Rest der Familie Friedwang von der Existenz des Jungen nichts wissen. Bei den Erbstreitigkeiten, die es innerhalb der Familie gab, war das kein Wunder. Wer konnte den ausschließen, dass irgendwer einen möglichen Konkurrenten um den Steinbockthron nicht schlicht aus dem Weg schaffte? So wie die Brüder Alrik und Bishdarielon sich gegenseitig den Tod an den Hals wünschten? Die wilden und unsicheren Umstände der Friedwanger Lande würden es einem leicht fallen lassen, den Tod eines Jungen unauffällig zu realisieren.
Valyria war sich ziemlich sicher, dass weder Alrik noch Bishdarielon das Kind zu ihr hatten bringen lassen. Sie müsste sich schon arg in ihrer Menschenkenntnis täuschen. Offen blieb aber die Frage, wer das Kind zu ihr gebracht hatte, und warum. Valyria hatte hierzu einen Verdacht. Einen vagen Verdacht, aber es war das einzigste, das ihr plausibel erschien. Denn immerhin fiel die Geburt des Kindes vor vier Jahren, also im Winter 1028, zeitlich zusammen mit der Zeit, in der Alriks Gemahlin Serwa von der Tyrannin Oleana auf Burg Friedstein gefangen gehalten war. Es wäre Serwa jedenfalls möglich gewesen, in dieser Zeit im Geheimen ein Kind auf die Welt zu bringen und heimlich zu ihr bringen zu lassen.
Nun, diese Theorie war nicht nur mehr als vage, sie warf auch um so lauter die Frage nach dem Vater des Kindes auf. Valyria schüttelte den Gedanken ab. Zu viel Grübeln über Unklares war nicht gut. Zuallererst ging es schließlich um das Kind. Und wie sagte nicht schon der angejahrte frühere Immanspieler Fran Bauerbeck, als man ihn auf sein außerehelich gezeugtes Kind ansprach: ,Die Götter mögen jedes Kind.'
Valyria beeilte sich, um den anderen hinter her zu kommen. Es war tatsächlich anstrengend, mit Bishdarielon Schritt zu halten, obwohl der Golgarit die Arbeit des Spurens auf sich genommen hatte.

Ein lautes Wiehern erklang, gefolgt von dem Quäken eines Kindes.
"Da ist ja ein Kind!" rief ein Reiter aus und stieg vom Pferd ab. Valyria erkannte unzweifelhaft die Stimme des Gernatsborners wieder. "Timoin!" rief sie, lief auf den jungen zu und hob ihn hoch. Dann fiel ihr Blick auf den Reiter

Bishdarielon hatte vorsorglich blank gezogen. Man konnte ja nie wissen, und den fremden Reiter kannte er nicht. Dann bemerkte er, dass noch zwei weitere Reiter dem ersten gefolgt waren. Nein, zwei Reiterinnen. Dahinter waren noch ein Reiter und ein weiteres Pferd.
"Valyria, die Zwölf zum Gruß!"
"Enchanté, Storko von Gernatsborn-Mersingen ä.H.|Storko von Gernatsborn. Ihr seid zurück von eurer Reise? Und noch dazu in Begleitung." Valyria blickte zu den beiden Reiterinnen. Auch wenn es schon eine Weile her war, da sie Syrenia von Mersingen ä.H.|Syrenia und Glyrana von Mersingen ä.H.|Glyrana von Mersingen begegnet war, so erkannte sie die Schwestern gleich wieder, nicht zuletzt weil sie ja kürzlich erst mit Storko über die Mersingerschwestern gesprochen hatte. "In reizender Begleitung, wie ich sehe. Travia zum Gruß, die Damen. Ich nehme an, Ihr seid auf dem Weg nach Gernatsborn."
"Ja, gewiss, gewiss" bestätigte Syrenia müde. "Wäre nicht so viel Schnee gefallen und so mach anderes passiert, wir hätten den Gutshof schon längst erreicht."
"Bei Nacht und Schnee sind es gut und gerne noch drei Stunden bis Gernatsborn. So ihr nicht weiter reiten wollt durch die Nacht, lasst mich in Travias Namen Euch Gastfreundschaft gewähren."

„Wir wollen euch nicht zur Last fallen, euer Hochgeboren. Aber wir würden wirklich gerne eure Gastfreundschaft in Anspruch nehmen.“ Storko blicke dankbar die Dame am.
„Nein, nein. Kommt nur, mein Hof ist nicht weit“ wies Valyria ihnen den Weg.
Der Junker Storko und seine Begleitung waren in winterliche Jagdkleidung aus Leder und Pelzen gehüllt, in denen sich schon viel Schnee und selbst etwas Dreck festgezogen hatte. Der etwa 90 Finger große Herr Mitte Zwanzig trug einen fein gepflegten Bartschnitt und seine halblangen brünetten Haare drangen leicht aus der Pelzhaube hervor. Die beiden Jungfern, die nur etwas kleiner als ihr Begleiter gewachsen waren, sahen sich recht ähnlich, beide hatten langes schwarzes Haar und dunkle Augen Sie waren allesamt müde und sahen geschafft aus, das konnte man beim näheren Hinsehen an den dunklen Augenringen und dem Ausdruck auf ihren Gesichtern herauslesen. Sie schienen wohl einen langen Tag gehabt zu haben.
Storko nahm erstmals die anderen drei Begleiter Valyrias war. „Travia zum Gruße meine Herren“ sprach er und nahm seine Kopfbedeckung dabei höflich ab. „Das sind die liebreizenden Jungfern Syrenia und Glyrana von Mersingen, und meine Wenigkeit ist Junker Storko von und zu Gernatsborn.“ „Travia zum Gruße“ sagten die beiden Damen fast wie im Chor. In der nur spärlich beleuchteten Dunkelheit konnte er die drei zuerst nicht gut mustern. Zweifellos war einer von ihnen ein Magier. Und wenn sie Gäste der Baronin von Gallys waren, so müssen sie wohl von Bedeutung sein, dachte er sich. Wie einfache Waffenknechte sahen sie nicht gerade aus.

Bishdarielon von Suunkdal|Bishdarielon runzelte die hohe Stirn, während das Kind noch immer plärrte, wie am Spieß. Er schob Jasperion in die steifgefrorene, stahlverstärkte Lederscheide zurück. Syrenia und Glyrana von Mersingen? Der "Krautjunker" Storko? Merkwürdiger Zufall...gerade hatten sie noch darüber gelästert, äh, gesprochen. Im spärlichen Licht konnte er leider nur wenig von den "liebreizenden Damen" wie dem Galan in ihrer Begleitung erahnen. Er verneigte sich routiniert, vor allem in Richtung der Damen, und wollte sich vorstellen, als sein Bruder (dieser Brabaker Gassenstrolch!) sich einfach vorbeidrängte, ihn dabei sogar anrempelte.
"He, also..."
Alrik Tsalind von Friedwang|Alrik beachtete den Protest seines Bruders nicht, sondern hauchte den beiden Mersinger Jungfern formvollendet jeweils einen Kuss auf die Handrücken - ohne sie dabei mit den Lippen zu berühren.
"Werte Damen, geschätzter Herr. Mein Name ist..."
"WUHÄÄHÄÄÄÄ...MAMAAAAA...MAMAAAAA"
Ein Fingerschnippen des Barons, mit der behandschuhten Rechten: "Hesindian?"
Der Magier rammte seinen glosenden, bergkristallgeschmückten Zauberstab in den Schnee, ging auf das weinende Kind in Valyrias Armen zu, streichelte ihm über das schwarzgelockte Haar und murmelte etwas, was sich anhörte wie Bosparano - oder einfach nur tröstende Worte? Der Junge verstummte schlagartig, schneuzte stattdessen in ein Taschentuch, das der Magus sich buchstäblich aus dem Ärmel geschüttelt hatte.

"Ah danke. Ich bin Baron Alrik Tsalind von Friedwang, das ist mein getreuer Lehnsmann, der Edle Bishdarielon von Senkenthal" (leichter Spott in der Stimme) "und dort, das ist Hesindian Silpho ya Phaitos, seines Zeichens Hofmagier auf Burg Friedstein. Edler von Orweiler bist du doch glaube ich auch noch, in Gallys oder?"
"Ja. Mein Turm iß aber im Krieg abgebrannt..." lispelte es ebenso lakonisch wie scheinbar gleichmütig zurück. Der Magier wischte dem Buben den Schnee aus den Haaren und zog die fellgefütterte Kapuze darüber. Dann musterte er die weiße Kinderhand, rieb sie, versuchte das Leben in sie zurückzuholen. "Einige Finger ßehen ziemlich erfroren auß", verkündete Hesindian mit Obermedicusstimme. "Daß Kind ißt ziemlich außgekühlt. Beßer, ich ßpreche einen Balßam." Das tat er wohl auch - zumindest folgte erneut Gemurmel und eine Art Trance, sowohl des Zauberers als auch seines "Opfers"
Nun, im gleichmäßig strahlend, wunderschönen magischen Licht des Stabs konnte Storko die Gesichter des Trios deutlicher unterscheiden.
Der Baron von Friedwang und sein "getreuer Lehnsmann" schienen nahe Verwandte zu sein, zumindest sahen sie sich auffallend ähnlich. Leicht untersetzte Statur, vielleicht acht Spann und zehn Halbfinger groß, schwarze, schulterlange Ringellocken, vornehm blasse Aristokratengesichter. Wenn auch eindeutig Landadel, wie er selbst. Die hohe, harte Stirn ließ in beiden Fällen enorme Sturheit erahnen, die kräftigen darpatischen Stiernacken zeugten buchstäblich von Hartnäckigkeit. Beide schienen Enddreißiger zu sein, mit ersten grauen Haaren an den Schläfen.
Und doch gab es Unterschiede. Dieser Baron Alrik etwa hatte eine schwarzsamtene Klappe über dem rechten Auge, die ihn recht verwegen aussehen ließ (um nicht zu sagen, verrucht?). Das unverdeckte, leicht mandelförmige linke Auge funkelte ebenso spöttisch wie listig, wie ein einzelner Stern am nachtschwarzen Himmel. Auch der verkniffene Mundwinkel kündete von ständiger, durchaus etwas selbstgefälliger Belustigung über die Dinge, die um ihn herum in der Welt geschahen. Oder über seine Mitmenschen?
Die Finger, die sich nun eine Meerschaumpfeife mit Drachenkopf stopften, waren auffallend lang, zart und geschmeidig (Storko merkte zu seiner eigenen Verwunderung, dass er sich gerade unwillkürlich des Verbleibs seines Dukatenbeutels am Gürtel vergewissert hatte).
Überhaupt war der Friedwanger deutlich zierlicher geraten als sein mutmaßlicher Verwandter. Unter dem Pelzmantel zeichnete sich dafür bereits ein Schmerbäuchlein ab.
Ein schwarzer, fein gezwirbelter Spitzbart schmückte das scharf geschnittene Kinn des Freiherrn, die Nase war auffallend groß, platt und breit wie bei einem Boxer (erst der Blick auf den Senkenthaler zeigte, dass dieser einen ähnlichen eingedrückten Gesichtserker besaß, der also wohl nicht einfach mal gebrochen war). Storko fiel ein, was er von den markanten "Friedwanger Bocksnasen" gehört hatte, in Anlehnung an das Steinbockwappen der Baronie.
Auch die Oberlippen sprangen leicht vor, über großen, weißbleckenden Zähnen - was zusammen mit den langgestreckten Gesichtern den "bockigen" Eindruck noch verstärkte.
Capriciös wie der Capricorn im Wappen des Hauses Friedwang - irgendwo war ihm dieser merkwürdige Satz schon einmal zu Ohren gekommen...Ohren...ja, da war auch etwas. Das linke war auffallend spitz, beim rechten fehlte einfach der obere Rand, wie mit dem Säbel weggeschnitten. Allerdings wiederum bei beiden Männern. Ein Erbfehler in der Großfamilie?
Die mächtige, mit Marderfell besetzte Schaube des Herrn Baron erschien ihm einen Hauch zu protzig, fast schon leicht ludenhaft. Sonst waren nur leichte Reitstiefel zu sehen- und ein hervorspitzendes Rapier.

Der Edle Bishdarielon hingegen war in einen grauen, pelzbesetzten Wintermantel gehüllt, unter dem ein dunkelglänzendes Kettenhemd klirrte. Dazu gesellten sich schwarzstählerne Arm- und Beinschienen, mit deutlichen Kratzern und Beulen: Ihr rondrianischer Träger ging einem Gefecht offenbar selten aus dem Weg. Auch die lederne Hose war tiefschwarz. Ein "Schwarzer Ritter" wie aus den Legenden.
An der Seite baumelte ein schmuckloses Schwert, im Gürtel selbst steckte ein Rabenschnabel. Der Mann wirkte gedrungen, drahtig, kräftig und überaus wendig, jeder Spann ein düsterer Krieger, keine Unze Fett zuviel am Leib - wiederum wie ein schwarzgefellter Steinbock, jederzeit bereit, einen Eindringling in sein Revier vom höchsten Gipfel aus gnadenlos in den Abgrund zu stoßen.
Der Blick aus den mal unruhig flatternden, mal stechenden, schwarzen Augen ließ - arrogant und von der Seite her -, kein Zweifel daran, dass dieses Revier überaus großzügig bemessen war (und vermutlich stetig mit seinem Verteidiger umherwanderte). Der dunkle Schönling konnte sich darüber hinaus vor Rahja sehen lassen und war sich dessen sicher bewusst. Die üppigen Locken wehten wirr im Nachtwind, das Kinn war frisch rasiert, duftete sogar noch nach Rasierschaum. Seltsam, irgendwie kam der Edle Storko aristokratischer und "majestätischer" vor als der Baron...und sie sahen sich wirklich verflucht ähnlich, fast schon wie Brüder. Oder gar Zwillingsbrüder?

Ach ja - der Magier, der im Schnee kniete und die Hände des Jungen umklammert hielt, als wolle er inbrünstig mit ihm beten. Sein weinroter, dick gefütterter, mit arkanen Symbolen bestickter Kapuzenmantel wirkte opulent, die schlichte, hellgraue Kutte darunter hingegen fast mönchisch. Darüber ein jungenhaftes Akademiestreber- oder Milchbubigesicht, das überhaupt nicht zu den langen, schlohweißen, greisenhaften Haaren passte, die ebenfalls im pfeifenden Wind flatterten...Schwer zu sagen, wie alt der Magier wirklich sein mochte, Storko schätzte aber, nur wenig jünger als die beiden anderen Friedwanger. Das Gesicht war aufgedunsen und teigig, die Nase stark gerötet - vom Winterwetter oder von Gebranntem? Tatsächlich rochen alle drei stark nach Honigwein....

Alrik, dessen Pfeife nun tapfer gegen die Schnee-Böen anbrannte, zauberte denn auch eine tönerne Flasche Ogermeth hervor. "Kleine Wegzehrung, die Herrschaften...und Damen natürlich?" Erneut verneigte er sich, mit spitzbübischem Grinsen. "Ich finde, die haben wir uns verdient nach der heutigen Aventüre".
Er drückte dem Junker den Trunk in die Hand - und hatte im nächsten Moment einen Stapel Zinnbecher parat - kleine Schnapsbecherchen, die mit firunsgefälligen Jagdmotiven verziert waren. Valyrias überraschter Blick ließ ahnen, dass diese aus ihrem Inventar stammen mussten.

„Habt Dank, Euer Hochgeboren“ verneigte sich Storko leicht „uns friert schon etwas, und unsere eigenen Methreserven sind schon zur neige gegangen.“ Er holte eine tonerne Flasche heraus und schüttelte sie. Es war nur noch ein kleiner Schluck drinnen zu vernehmen. „Vorzüglich Euer Ogermeth, Eure Hochgeboren Valyria. Ich denke ich werde noch ein Fass bei Euch für mein Gut bestellen lassen“ sprach er zu ihr und verbeugte sich dabei ebenfalls.
Alrik gab Storko und den Damen einen Zinnbecher und schank ein. Ungewöhnlich schnell kippten die drei den guten Bienensaft hinunter. „Ah, das tut gut“ gab Glyrana zum Besten und wischte sich ein paar Tropfen des Trunkes die vom hastigen Trinken daneben gegangen waren von der Wange.
Bishdarielon sah den drei zu und es schien ihm als ob er im schlechten Licht gar Blutflecken an der Kleidung der drei erkennen würde. Er runzelte die Stirn. Da war doch was in der Dunkelheit. Er sah gen Norden. Das leise Plätschern des Flusses vielleicht dachte er sich. Nein, da rief doch jemand.
„Herr Storko, Euer Wohlgeboren!“ rief eine Stimme durch die Nacht und kam näher.
„Mein Grenzjäger“ meinte der Junker beiläufig „wir wollten den Kinderscheien folgen und er wartete weiter drüben“.
Aus der Dunkelheit kam ein in weidmännischer Kleidung gewandeter Mann mit zwei Pferden an den Zügeln. Angesichts der vielen hohen Herren und Damen blieb er mit etwas Abstand stehen und verbeugte sich tief.
„Daß ißt ja unßer Roß“ lispelte der Magier, wandte sich vom Kinde ab und richtete sein magisches Licht in Richtung der Pferde. „Tatsächlich, es ist das Ross, welches die Rotpelze erbeutet haben!“ stieß es aus Bishdarielon hervor als er es ebenfalls erkennen konnte. Seine Hand glitt wieder zur Waffe, irgendwas kam ihm almadanisch vor. Wie gelangte dieser ‚Krautjunker’ zu ihrem Pferd. Stand er gar mit den Biestern im Bunde, in der Wildermark konnte man auf alle Abscheulichkeiten treffen.
Alrik merkte die Anspannung seines Bruders und schob sich vor ihn als dieser näher kommen wollte, und lächelte Storko fragend an.
„Ist das Euer Pferd?“ fragte Storko. „Wir mussten im meinem Gernatsbornder Wald gegen einige Goblins kämpfen die sich dort verschanzt hatten. Sie haben ein Feuer gemacht und wollten das Pferd schlachten und essen.“ „Wir haben die Rotpelze besiegt“ merkte Syrenia an und ihre Schwester nickte. „Ein Zelt scheint das Pferd zu transportieren, weiters haben wir es nicht angesehen“ erklärte der Junker.
„Nun dann, habt Dank, dass ihr es uns zurückbringt!“ und Alrik schüttelte ihm die kalte Hand. „Das Ross wurde uns von Rotpelzen auf der Reise heute gestohlen. Eine Gruppe Goblins überfiel uns, wir konnten sie wieder vertreiben, doch das Packpferd haben sie erbeutet. Danach müssen sie sich wohl in eurem Wald zurückgezogen haben.“
Bishdarielon entspannte sich wieder und schritt zu ihrem Pferd um es zu mustern. Seine schwarzen Locken wehten in der kalten Luft wie ein schwarzer Schleier der sich im Wind spielt, als er an den Damen vorbei ging. Syrenia, die zwar müde und geschafft war, wurde erstmals auf den schönen Mann aufmerksam und beobachtete ihn von der Seite unmerklich, nur ihre daneben stehende Schwester konnte die Blicke erkennen.
„Die Rotpelze die sich hier herumtreiben sind doch eine ernst zu nehmende Gefahr“ Storko sah Valyria dabei an. „Wenn das Wetter wieder besser ist und wir im Schlotzer Schutzbund Kriegsrat halten, dann müssen wir uns gut überlegen, ob wir nicht doch erstmal auf Goblinhatz gehen sollen oder Firunsfelde befreien.“
„Nun, wollen wir nicht nach Gernatsquell zurückgehen“ antwortete Valyria. „In der warmen Stube lässt sich weit besser plaudern, der Junge braucht ein warmes Bett“. Das Kind hatte die Baronin mittlerweile hoch genommen und es schmiegte sich ruhig an sie.
Die Jungfern nickten und Storko sprach „Gewiss, gewiss, auch wir vermissen schon ein warmes Feuer. Habt nochmals Dank für das Übernächtigungsangebot“ während er sich warme Luft in seine Handschalen blies.
„Aber auf dem Rückmarsch müsst ihr uns noch genauer erzählen, wie sich das Ganze zugetragen hat“ bat ihn der Edle von Suunkdal, der von hinten die Stimme erhob.
Die mittlerweile neun Personen gingen durch die winterliche Nacht nach Gernatsquell. Storko, Syrenia und Glyrana berichteten, dass sie auf einem Jagdausflug heute im Gernatsborner Wald unterwegs waren, dass sie einer Spur folgten und die Rotpelze trafen, und diese im Kampfe überwältigen konnten. Die Nacht habe sie überrascht und dann hörten sie noch Geräusche eines Kindes in der Dunkelheit denen sie gefolgt waren.

Große Aufregung auf dem Gutshof, der bald im Fackelschein vor ihnen lag. Hundegebell hallte durch die frostige Nacht. Roderick, der getreue Knappe, war gerade dabei, zusammen mit Valyrias Oberknecht einen Suchtrupp zu organisieren - als die Vermissten buchstäblich hereinschneiten.

Wenig später befand sich Timoin mit einem heißen Stein an den Füßen im Bett, während der Rest (um die drei "Gernatsborner" vermehrt) sich am prasselnden Kaminfeuer aufwärmte. Wieder und wieder ließ man die aufregenden Ereignisse des Tages wie der Nacht Revue passieren.

Alrik hatte sich etwas zurückgezogen, paffte am Kamin. Auch wenn er hätte schwören können, dass er dem Junker nie bewusst begegnet war (auf einem der Hoftage in Rommilys mal, das vielleicht), irgendwoher kam der ihm bekannt vor. Und da war noch etwas, was ihn sofort auffiel...Syrenia und Bishdarielon konnten es gut miteinander, dass spürte er sofort (auch wenn beide das selbst vielleicht noch nicht merkten).
Dieser Storko runzelte gelegentlich schon die Stirn, wenn er etwas sagen wollte, Syrenia ihm aber einfach ins Wort fiel - und der Senkenthaler einfach den Faden aufnahm, wie bei einer Dame, die man beim Tanz elegant ihrem eigentlichen Partner vor der Nase wegschnappte.
Um genau zu sein: Brüderchen himmelte die Mersingen an, als hätte sie allein sämtliche Goblins niedergestreckt und das Packpferd mit dem Zelt zurück erobert - und als wäre der Fortbestand des Raulschen Reiches davon, von einem alten Gaul und etwas Stoff, abhängig gewesen. Die Jungfer wiederum war hin und weg gewesen, als das Wort "Golgaritenorden" gefallen war - ja ja, Meister Boron, das beste Rahjaicum, vor allem für eine von Mersingen.
Sie duzten sich bereits gelegentlich, ohne es sich förmlich angeboten zu haben, ihre Blicke tasteten sich ab, noch etwas zurückhaltend, aber das Eis zwischen ihnen schmolz bereits, schien sich stattdessen immer mehr in Richtung des armen Storko aufzutürmen.
Bishdarielon nannte sie zart schmachtend "Fräulein Syri", sie ihn lachend "Herrn Bisch". Das sie immer wieder mal hochging wie ein Eimer Hylailer Feuer, der beiläufig ins Feuer der Konversation gegossen wurde, schien ihn eher anzustacheln.

Der Freiherr kaute am Mundstück der Pfeife. Der Herr von Senkenthal liebte halt rassige Frauen. Bischs letzte große Liebe war eine Chapewaha gewesen, eine Häuptlingstochter von einem kriegerischen Unterstamm der Mohahas irgendwo im tiefsten Regenwald am Jalob.
Die hatte renitente Männer schon mal mit Giftpfeilen gespickt oder zu Schrumpfköpfen verarbeitet. Eine Jaguardame, wahrlich eine Tochter Kamaluqs... Dagegen war Syrenia kaum mehr als ein gelegentlich fauchendes, neckisch Tatzenhiebe austeilendes, kluges Kätzchen - mit den schwarzgefärbten Rabenkrallen, wie sie offenbar im borongefälligen Haus Mersingen weit verbreitet waren. Hübsch, vor allem die großen Katzenaugen, aber irgendwie kindlich, die wohlbehütete Tochter aus bestem Hause...Wie viele Jahre trennten sie und Bishdarielon? Er war Ende Dreißig, sie Anfang zwanzig - liebe Güte...
Er merkte, wie Valyria sich neben ihn stellte.
"Könnte sein, dass Bishdarielon demnächst in die Mersinger Meisterpläne eingeweiht wird", knurrte er, grimmiger als er beabsichtigt hatte. "Vielleicht schon heute Nacht..." fügte er mehr für sich selbst hinzu.
"Eifersüchtig?"
Alrik deutete mit dem Kopf auf Glyrana. Diese schien tatsächlich verstimmt zu sein, auch wenn sie ihren Groll artig zurück hielt. Immer wieder versuchte sie, die Situation für sich auszunutzen, den eher verwirrten als zornigen Junker in ein persönliches Gespräch zu verwickeln.
"Der arme Storko...Hat ein herrliches Gut, rettet die Grazien vor irgendwelchem Raubgesindel und wird jetzt so düpiert...Glaub mir, er wäre die mit Abstand bessere Partie...Bisch kann keine fünf Heller in der Hand behalten...Gib diesem Verschwender die Herrschaft über die Khom, und nach ein paar Wochen wird dort der Sand knapp..."
"Und doch ist auch der Junker kein Novadi. Dein Bruder hat es richtig gesagt: Beide Töchter Gisborns heiraten kann er nicht..."
"Das ging aber auch wieder mit dem Namenlosen zu. Wir unterhalten uns gerade noch über Storko und seinen Harem...und da fällt er auch schon, padautz, vom Himmel...Ach was solls. Wie gehts eigentlich dem Jungen?"
"Ja, der Heilzauber hat ihn wohl vor bleibenden Schäden gerettet. Dank Hesindian wird er, werden wir alle mit dem Schrecken davonkommen..."
Die Baronin überlegte, ob sie jetzt die Karten auf den Tisch legen sollte.
"Timoin...also mit seinem rechten Ohr..."
"Syrene...bei den Cyclopäern ist das glaube ich eine Meerjungfrau mit überaus betörendem Gesang". Alrik hörte bestenfalls halb zu. "Die damit Seeleute auf die Klippen lockt. Kein gutes Omen..." Der Baron trank noch einen Schluck Ogermeth. In diesem Fall aber wohl mehr für mich. Mersingen - ein überaus mächtiges, einflussreiches Haus, im Schatten des Kaiserthrons...Das einer wackeligen Herrschaft wie der meinigen schnell gefährlich werden könnte. Was sollte er dagegen unternehmen? Den Becher mit Honigwein zwischen die Turteltäubchen werfen?
"Der Fluch der Mersingens" orakelte er dumpf. "Das Unglück folgt ihnen auf dem Fuße, sagt man...Denk mal drüber nach..."
"Also wie ein Ertrinkender sieht mir dein Bruder aber nicht aus..." lächelte Valyria. "Und einen Fischschwanz vermag ich bei Syrenia auch nicht zu entdecken..."
"Ja, Bisch hat sich halt Wachs ins Ohr gestopft, wie dieser Thorwaler Seefahrer, wie hieß er noch gleich...Ach was, der ganze Kerl besteht aus Wachs, formbar in den Händen eines ehrgeizigen Mädchens. W i r könnten bei der ganzen Sache baden gehen, meine Liebe..."
Valyria sah ihn verdutzt an.
"Tja, hast du ihm nicht vorhin selbst gesagt, dass das Haus Baernfarn in Friedwang nichts mehr zu gewinnen hat? Weil es durch Serwa dort bereits mit auf dem Thron sitzt? Das heißt nicht, dass ihr nichts zu verlieren habt..."
"O bitte Alrik, keine Intrigen zu derart später Stunde. Die beiden unterhalten sich einfach nur nett, das ist alles. Jetzt siehst du Gespenster - nicht dein Bruder...Also ich werde jetzt schlafen gehen...."
Alrik nickte. Dann dämmerte ihn etwas. Nein, es fiel ihm wie Drachenschuppen vom Auge.
Jetzt wusste er, woher er diesen Storko kannte. Der fein gepflegte Stutzerbart, die brünetten Haare. Seine Vision...
Natürlich - der junge Edelmann war es gewesen, der sich mit Bishdarielon duelliert hatte. Kein Zweifel: Der Grund entwickelte sich da drüben gerade.
"Liebe ist wie Kartenspielen um hohe Einsätze" murmelte der Mondschatten.
"Man kann dabei sehr viel gewinnen, aber auch in Windeseile alles verlieren. Ja, ich denke, auch ich werde jetzt dem Lieblingsgott meines Bruders huldigen. Ich wünsche uns allen...schöne, zukunftsweisende Träume..."

Selbst ein Dummkopf konnte erkennen, dass Syrenia und Bishdarielon einander gut Leiden konnten, stand es doch gerade auf ihren Stirnen geschrieben. Storko wusste es und Glyrana, die aufgrund der Jahre im Noionitenkloster eine besonders gute Menschenkenntnis besaß, ebenso. Vergeblich versuchten beide das Steuer der Unterhaltung in ihre Richtung zu ziehen, doch Syrenia entriss es immer sogleich und der Golgarit sprang sofort auf den Gesprächsstoff an.
Woher kannte Storko den Edlen Bishdarielon, irgendwie kam er ihm bekannt vor. Ja, im Gefolge Answins kämpfte er im Jahr des Feuers. Er hatte gar ein Bild Bishdarielons in Gedanken wie dieser in der Schlacht einige Skelette mit seinem Reiterhammer zertrümmerte – er selbst hatte das Feld hinter ein paar Reigen Pikenieren überblicken können. Seis drum, dachte er sich, besser einen am Tisch mit dem er auf der gleichen – doch wohl nicht derselben - Seite kämpfte als auf der anderen.
„Bei meiner Treu, Fräulein Syri...“ sprach Bishdarielon wieder einmal. Storko kam fast das Kotzen. Der dreiste Kerl kannte die Mersinger Jungfer erst seit zwei drei Stunden und nennt sie schon bei einem selbst kreierten Spitznamen. Und noch schlimmer war, dass sie es auch zuließ, nein sie erwiderte das Verhalten des Gegenübers auch indem sie ihn „Bisch“ nannte.
Nun reichts, dachte sich Storko, stand auf und begann bestimmend die Stimme zu erheben: „Wir hatten alle einen langen Tag und wir wären gut beraten wenn wir nun alle in unsere Kammern zu Bette gehen. Wenn Euer Vater Gisborn“ und er blickte Syrenia an „wüsste was wir heute erlebt haben ...“. Er sprach in einem Ton, der Gisborn von Mersingen ä.H. etwas ähnelte.
Syrenia erhob nicht weiter die Stimme, sondern besonn sich wieder auf gutes und angemessenes Benehmen. Seine Idee den Vater in die Gedanken Syrenias zu rufen schien Früchte zu bringen. Sie stand auf – Bishdarielon tat es ihr sogleich gleich – und verabschiedete sich „Euer Wohlgeboren, wir sind wahrlich müde und werden uns nun zurückziehen“ indem sie auch ihren Handrücken ihm zustreckte. Etwas unbeholfen nahm er die Hand in die seine. Er blickte in die dunkel lackierten langen Fingernägel der Mersingerin. Dann versuchte er einen Handkuss anzudeuten, berührte aber unbeabsichtigt ihre zarte Haut mit seinen rauen Lippen. Sie ließ sich nichts anmerken und wandte sich mit ihrer Schwester im Arm dem Ausgang des Raumes zu.
„Eine borongefällige Nacht, Herr Bishdarielon“ sprach Storko mit einer gewissen Lakonie und blickte nicht besonders freundlich. Dann schritt er den Damen nach, es schien fast stolzierend zu wirken. Bishdarielon blickte hinterher.
Nachdem Storko die Jungfern sicher in ihre Kammern geleitet hatte, ging er auch in die seine. Morgen Früh, dachte er, werden sie so Phex will wieder nach Gernatsborn abreisen, und der schwarz gelockte Schönling wird Vergangenheit sein.

Odilon Wildgrimm von Baernfarn|Odilon hatte sich den ganzen Abend lang ruhig verhalten, hatte still an seinem Humpen Ogermeth genippt und sich damit begnügt, die vielen Gäste hier im Haus zu beobachten. Er hatte nicht gedacht, dass hier so viel los sein würde an diesem Winterabend in Gernatsquell. Nur kurz hatte er eigentlich Valyria besuchen wollen, um die Nachschubliefe rungen für Edorlys mit der Baronin zu besprechen. Wer hatte den ahnen können, dass ein guter Teil des Jungadels der Sichel dieser Tage auf Brautschau wäre... und noch dazu, das dies alles in Gernatsquell geschehen würde. Aber gut. Seinen alten Freund Alrik wieder zu sehen hatte ihn wirklich gefreut. Seit den Tagen, die sie gemeinsam auf Maraskan zugebracht hatten, verband den schwarzbärtigen Jäger eine tiefe Freundschaft mit dem einäugigen Friedwangen. Trotz aller Unterschiede in beider Charakter und Wesen hatte der Friedwanger sich den Respekt des alten Jägers erworben. Und das war, so musste Odilon sich eingestehen, zumal für einen Phexjünger bestimmt nicht leicht. Odilon hatte die Friedwanger Brüder ebenso wie die Mersinger Schwestern genau beobachtet. Dass Geschwister sich so unähnlich sein konnten war überraschend. Nicht vom Aussehen her, gerade die Friedwanger Brüder glichen sich ja fast wie ein Ei dem anderen, wäre da nicht Alriks markante Augenklappe. Wohl aber vom Wesen her. Auch die Mersinger Schwestern hatten ein doch sehr unterschiedliches Auftreten. Der beredten und lebensfrohen Syrenia stand die ruhige und besonnene Glyrana gegenüber. Und wie es schien zog die kokett auftretende Syrenia nicht nur Storko sondern auch Bishdarielon in
ihren Bann. Odilon merkte, dass auch Valyria über diese Situation nicht erfreut war. Travias Gebote lagen der Gutsherrin sehr am Herzen, und dass sich zwei ihrer Gäste in ihrem Haus gegenseitig ausstechen und übertrumpfen wollten, um der Aufmerksamkeit einer Dame willen, war Valyria gewiss nicht recht. Odilon merkte genau, dass Valyria stets versucht war, eine vermittelnde Haltung einzunehmen und den Zwist zu überspielen, indem sie ebenso oft wie vergeblich versucht hatte, das Gesprächsthema in andere Bahnen zu lenken. Und dann war da noch die Sache mit Timoin. Ebenso wie Valyria wusste er genau, was es mit dem Ohr des Jungen auf sich haben konnte. Und Odilon kannte nur zwei männliche Nachkommen Alborans. Alrik und Bishdarielon. Mit hoher Wahrscheinlichkeit also war einer der beiden der Vater Timoins. Oder gab es andere leibliche Nachkommen des mythischen Alboran? Wer vermochte das schon zu sagen? Der finstere Gernot und seine Blagen gehörten jedenfalls nicht zu den leiblichen Nachkommen Alborans, auch wenn sie einem das damals gerne einzureden versucht hatten. Aber wer? Alrik oder Bishdarielon? Wusste der Vater überhaupt von seinem Kind?
Nun, es war an der Zeit, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Storko hatte die beiden Mersingerschwestern gerade nach oben geleitet, um sie zu Bett zu bringen, während die Friedwanger Brüder noch am Tisch saßen und ihre Krüge leerten. Gut so. "Da fällt mir ein, Alrik" begann Odilon. "Valyria bewahrt immer noch ein paar Dinge aus Burg Friedwang auf, die ja Deiner Familie gehören. Da ist dieses eine Bild des Runahand zum Beispiel, das mit der Dame und dem Apfel. Soll das weiterhin hier bleiben oder willst Du es wieder nach Friedstein zurück bringen“. Odilon wies mit der Hand auf das Bild an der Wand, das Alrik aus dem Bericht Hesindians bekannt war. Alrik sah auf und warf einen flüchtigen Blick auf das Bild "Stimmt, das Bild gehört meiner Familie. Fragt sich, wo es im Augenblick sicherer aufgehoben ist. Derzeit, glaube ich, lasse ich es lieber hier. Ich möchte auf einem Ritt durch den firungefälligen Winter und den Goblinverseuchten Wald ja nicht so einen schweren Schinken mitnehmen. Da könnte es ja Schaden nehmen. Nein, ich weiß ja wo es ist, und wenn wieder Frieden herrscht im Land, hole ich es ab“. Odilon nickte. "Wie Du willst. Valyria freut sich bestimmt, das Kunstwerk noch eine Weile hier aufgehängt lassen zu dürfen." Alrik schlenderte durch die Stube und betrachtete das Bild. Für ihn ebenso wie für Bishdarielon war das Bild ungemein wertvoll. Gewissermaßen war das Bild eine Art Stammbaum, das seine Abkunft vom Heiligen Alboran belegte. Leider auch die seines Bruders Bishdarielon. Aber gerade deswegen war es in Gernatsquell derzeit wohl am sichersten aufgehoben. Da bestand immerhin nicht die Gefahr, dass irgendein Konkurrent um den Steinbockthron es zu stehlen versuchte. "Wenn ich es nun mitnehmen möchte?" begann Bishdarielon. „Es gehört mir genauso sehr wie Francesco... wie Alrik. Odilon seufzte hörbar, führte aber seinen darin allgemein mitklingenden Vorwurf zur Überflüssigkeit von Bruderzwist nicht weiter aus. "Lieber Bruder, was willst Du damit?" legte hingegen Alrik nach. "Das Bild ist für uns beide wertvoll, egal in wessen Besitz es ist. Hauptsache es ist sicher verwahrt. Wir sollten endlich als Familie zusammen halten."
"Spricht Alrik und meint damit, ich solle anerkennen, um mein Erstgeborenenrecht betrogen worden zu sein" konterte Bishdarielon "Was heißt hier Erstgeboren? Wer von uns beiden als Erster zur Welt kam wird sich doch ohnehin nicht mehr klären lassen." "Haltet Frieden, Freunde" mahnte Odilon. "Familie ist eine wichtige Sache. Man kann sich seine Familie nicht aussuchen, aber wenn die Familie zusammen hält, kann man fast allen Fährnissen des Schicksals erfolgreich widerstehen. Ach, Valyria. Da wir beim Thema Familie sind. Hast du inzwischen herausgefunden, wer die wirklichen Eltern Timoins sind?" "Nein" antwortete Valyria und setzte sich, eine Laterne zur besseren Ausleuchtung der Stube mitbringend, zu den anderen an den Tisch. "Ich meine, niemand sollte ohne Familie aufwachsen. Was meinst Du, Valyria, wäre es nicht besser, wenn Du den kleinen adoptierst? Du kümmerst Dich ohnehin um ihn, und er wächst mit Deggens Kindern und Deinen Kindern ohnehin wie Geschwister auf." Valyria verstand. Odilon sagte das auch deswegen, um zu beobachten, wie Alrik und Bishdarielon reagieren würden. Doch den beiden war nichts anzumerken. Entweder sie verstellten sich gut, oder aber es wartatsächlich keiner von Ihnen der Vater des Kindes. "Meinst Du, Odilon?" "Ja. Warum auch nicht. Der kleine Timoin ist ein aufgewecktes Kind, hat einen wachen Verstand. Ich denke, er wird es bestimmt mal weit bringen, wenn man ihm die Chance gibt. Die Chance auf Bildung und Aufstieg, die ihm ein guter Name ermöglicht. Timoin von Baernfarn, hört sich doch gut an."
Aus den Augenwinkeln beobachtete Odilon die Friedwanger Brüder, denen
jedoch keine verräterische Reaktion anzumerken war. "Warum nicht, Odilon" stimmte Alrik zu. Gwandromir und Arinia hattest Du ja auch anerka... ich meine adoptiert. Beide werden zwar niemals mehr erben vom Hause Baernfarn als den Namen, aber sie haben es zu etwas gebracht und haben ein Auskommen." Odilon war sich nun fast sicher, dass Alrik nichts über die Herkunft des Kindes wusste. "Meinst Du, Odilon? Nicht dass ich mit meinen Zwillingen und Deggens Kindern ja nicht schon genug Nachwuchs umsorgen müsste." Valyria reagierte noch ein wenig zögerlich, obwohl sie eigentlich von Odilons Idee überzeugt war. Für das Kind war es mit Sicherheit das Beste, um geborgen aufwachsen zu können. "Valyria entdeckt ihre fürsorgliche Ader" spöttelte Bishdarielon leicht. "Ihr solltet ein Waisenhaus eröffnen, da Ihr nun fünf Kinder groß zieht, von denen nur zwei Eure Eigenen sind.“
Der Spott Bishdarielons überzeugte Valyria endgültig. "Die Wege der Götter sind unergründlich, Wohlgeboren. Und wenn Herrin Travia uns ein Waisenkind schickt, dann wird das seine Gründe haben. Ja, Odilon, ich stimme Deinem Vorschlag zu. Aber unter einer Bedingung. Du wirst sein Pate und wirst ihn, wenn die Zeit reif ist, im Firungefälligen Waidwerk unterweisen. Der kleine hat ein Händchen für die Natur, fühlt sich im Wald regelrecht zu Hause. Da könnte ich mir keinen besseren Lehrmeister vorstellen."
"So bekomme ich auf meine alte Zeit noch einen Schüler. Gut, Valyria. So soll es sein. Dann beeiden wir das hier, vor den heiligen Zwölfen und vor Alrik und Bishdarielon von Friedwang als Zeugen“.

Wie immer erwachte Storko am nächsten Morgen früh. Die Jahre in denen „Tagwache!“ durch Kasernenhof und Korridore gebrüllt wurden hatten ihre Spuren hinterlassen und ließen ihn auch noch heute nahezu zur gleichen Zeit aus seinen Träumen erwachen.
Er wusch sich, putzte seine Stiefel und zog sich an. Sorgfältig rasierte er seine Backen und kämmte sein Haar ordentlich nach Hinten, Pomade hatte er leider nicht bei sich gehabt. Darauf ging er in den Speiseraum, in dem aber die verschlafenen Bediensteten noch lange kein Frühstück vorbereitet hatten. Er klopfte an die Türen der Jungfern um sie zu wecken. Umso früher er von Gernatsquell – nicht, dass er die Gastfreundschaft der Baronin von Gallys nicht schätzte - verschwinden konnte umso eher war er diesen „Bisch“ los.

Storko saß am Tisch im Speisezimmer. Der Kamin wurde schon entzündet und eine Magd brachte ihm gerade eine angeordnete heiße Milch. Er nippte genüsslich am warmen Trunk, der mit Honig wohlschmeckend gesüßt war, und dachte über die Jungfern nach. Ja diese Syrenia ist wahrlich ein Weibsdämon. Mit ihr würde er es keinen Götterlauf aushalten können, kann sie sich doch fast nicht mäßigen. Aber aus gutem Hause, ja. Tsa, sei Dank hat sie doch die jüngere Schwester. Vielleicht ist Glyrana eher die bessere Wahl für ihn? Sie schien ihm vernünftiger zu sein, und irgendwie dachte er, dass er ihr gefallen würde.
Kurz darauf betrat die Herrin des Guts den Frühstücksraum. Storko erhob sich höflich „Guten Morgen Euer Hochgeboren. Ich hoffe Ihr hattet eine erholsame Nacht. Und wie geht es dem armen Kinde?“ „Timoin schläft noch, er schläft wie ein Lamm“ antwortete sie. Die Magd stellte derweil frisches Brot, Butter und Honig auf den Tisch.
Etwas verschlafen aber frisch gekämmt kamen die Mersinger Jungfern zu Tisch. „Einen tsagefälligen Morgen wünsche ich den jungen Damen“ sprach Valyria sie an. Sie machten vor der Hochadligen einen angemessen Knicks und setzten sich dazu.
Storko begann die Baronin wieder anzusprechen. „Bei Travia, ich danke Euch für die Unterkunft. Auch Ihr seid selbstverständlich auf meinem bescheidenen Gut jederzeit als Gast willkommen. Ich will Euch mit uns als Gäste aber nicht länger belästigen,“ Valyria machte eine herabtuende Geste „deshalb werden wir nach dem reichlichen Mahle hier nach Gernatsborn zurü...“ „Was!“ viel Syrenia ihm ins Wort „ihr habt uns doch versprochen, dass wir in Gernatsquell Imkerei, Metherei und Gestüt besichtigen können. Jetzt wo wir schon hier sind, würde ich alles sehr gerne sehen.“ Sie zog dabei einen belehrenden Blick auf. „Habe ich das?“ murmelte Storko. „Ja gerne werde ich euch durch meine Wirtschaftsbetriebe und das Gestüt führen“ antwortete die Gutsherrin erfreut ob des Interesses – auch wenn sie ohnehin wusste, dass das Interesse mehr ihrem Gast aus Friedwang galt – „auch wenn im Sommer weit mehr und es besser zu besichtigen wäre.“
Storko ballte aus Ärger seine Fäuste unter der Tischkante. Glyrana bemerkte als gute Beobachterin seine Wut, wollte seine Hände ergreifen doch zog gleich zurück.


Gitta ging, die Schürze gerafft, hinüber zum Hühner-Stall, um ein paar Eier fürs Mittagsomelett zu suchen - und nach den kleinen Küken zu sehen, die vielleicht schon geschlüpft waren.
Auf dem ganzen Gutshof herrschte helle Aufregung: Eine derart hohe Zahl von Gästen zu bewirten, war jetzt, gerade im Winter, keine leichte Aufgabe. Das Feuer musste am Brennen gehalten werden, die gnädigen Herrschaften bedient, vor allem schon das Mittagsmahl zubereitet werden.

Die junge Magd trat in den Verschlag ein, wo die prachtvollen Hennen auf ihrer Leiter saßen und mit einfältiger Wonne vor sich hingackerten. Tatsächlich, im Stroh brüteten ein paar der Hühner aufgeplustert vor sich hin. Sie wollte gerade eines der Tiere hochheben - als ihr Rock von hinten hochgezogen wurde - ohne jede Vorwarnung. Sie spürte schmutzige, schwielige Finger, die ohne jede Scham...nach ihrem Rahjahügel griffen. Es folgte ein derber Klaps gegen den Po.
"Guten Morgen, Gitta..." kicherte es, roh und bedrohlich, hinter ihr, gefolgt von einem schmierigen Lachen. Erschrocken keuchend drehte sich die Dienstmagd um, hastig ordnete sie ihre Gewänder.
Sie sah einen stoppelbärtigen, glatzköpfigen Mann in buntgescheckter Kleidung in der Tür stehen. Er lachte bleckend wie ein Moosaffe, versuchte auch nach ihren Brüsten zu tatschen - und erntete eine schallende Ohrfeige.
Er griff wütend nach ihrer Hand, drehte das Gelenk um.
"Ah, du tuust mir weeh". Tränen traten Gitta in die Augen.
Im nächsten Augenblick spürte sie ein Messer an der Wange. "Tuuu das niee wieder...oder ich prügel dich windelweich, meine Hübsche...und ritze dir ein paar Zinken in dein Elfengesicht. Zur Warnung...für dich und andere...Hast du mich verstanden?"
Gitta nickte, unter Schmerzen. Der Mann ließ los, das Messer verschwand am Gürtel. Die Hühner gackerten aufgeregt durcheinander.
"Irgendwann werden wir noch sehr viel Freude miteinander haben". Der Eindringling schnippte sich eine einzelne Feder vom Wams.
"Soo...also, spucks aus, kleine Moß."
Gitta sah ihn schweigend an.
"Spuuucks aus...Was hast du mitgehört? Oder sind deine Ohren auch zu nichts zu gebrauchen?"
"Sholtan...bist du verrückt geworden? Du sollst nicht hierher auf den Hof kommen." Ängstlich blickte die Dienerin nach draußen. "Nicht einfach so, am helllichten Tag..."
"Sholtan" warf die Tür zu. "Sei unbesorgt...wir sind doch ganz unter uns, hähä...also, Kleines" Er hob ihr vor Angst und Empörung zitterndes Kinn mit einem schmutzigen Zeigefinger an. "Dir gehts doch gut, sitzt hier in einer gemütlichen Penne, während wir draußen im Knackert bibbern und Buttlack leiden müssen. Also...w a n n kommt der nächste Handelszug dieser Karjala Usterbinger hier durch...?"
Gitta schluckte. "Ich weiß es nicht...."
"Ichweißesnichtichweißesnicht", äffte Sholtan sie nach, täuschte einen Fausthieb an, weidete sich an ihrem Schrecken, stieß sie gegen einen Stützpfeiler.
"Blöde Schicks. Ist das etwa der Dank, dass Gundo seine schützenden Hände über dich hält, he? Ist das der Dank?"
Ängstliches Schweigen.
"Lass mich in Ruhe..."
"Aber das lassen wir dich doch...Noooch..."
Sholtan spuckte aus. "Was glaubst du, würde deine Herrin mit dir machen, dummes Gänschen, wenn sie erführe, wessen Kind du ihr in Obhut gegeben hast Dass du mit uns unter einer Decke steckst und Zaster nimmst für einen Wink hier, eine Gefälligkeit dort...Oder dass du Phexlidas heimliche Esche bist. Dass du dir die Zunge von einem Weibsbild in den Hals stecken lässt, du selemitisches Moß..." Der Räuber reckte die große, schmierige Zunge heraus und ließ sie kreisen. "Gütige Mutter Traviaaa, sie würden dich mit Schimpf und Schande vom Hof jagen..." Ein stoßartiger, gehässiger Lacher. "Zurück in das Schweinekaff Talf, aus dem du stammst. Nein, dalfen wirst du dann gehen, bis an dein Lebensende. Also, was weißt du uns zu berichten? Gibt es hier wieder was zu gampfen oder nicht?..."
"Es sind Gäste da, ja", sagte Gitta verstockt.
"Weiterweiterweiter....oder muss ichs aus dir herausschneiden?"
"Junker Storko von Gießenborn...die Jungfern Syrenia und Glyrana von Mersingen...und zwei hohe Herrn aus Friedwang..."
"Ahahaha...hat wohl viel Draht dabei, der hohe Besuch...kann man da was locker machen? Klunker? Moos?" Sholtan drehte die linke Hand vielsagend nach innen.
"Nein...und für euch stehl ich eh nichts..."
Gitta blickte stur gerade aus. Dann seufzte sie. "Der Herr von Senkenthal und Seine Wohlgeboren Storko...die buhlen um die Jungfer Syrenia...und zanken sich. Weil die dem Senkenthaler schöne Augen macht...obwohl der Herr Storko sie erst unlängst vor Raubgesindel gerettet hat, das sie und ihre Schwester verschleppen wollt." Ein verächtlicher Blick. "Mehr weiß ich nicht..."
Ein schiefes Grinsen. "Kesse Schicks", sagte Sholtan dann. "Bist eine kesse Schicks, so wahr ich Sholtan Flinkfinger heiße. Na komm schon. Was hast du sonst noch ausbaldowert? Wie gehts unserem kleinen Timoin...?"
"Aufs Eis ist er gestern Nacht gegangen, geschlafwandelt hat er. Die Herrin will ihn adobieren, oder wie man sagt...Als eigenes Kind annehmen..."
"Wie? Der gehört ihr doch gar nicht. Das wird der Elster nicht gefallen, beim Heiligen Assaf. Egal...diese Jungfern...wo kommen die her...was sind das für schnieke Weiber?"
"Es sind die Töchter eines hohen Herrn aus der Rabenmark...Gibsorn oder so ähnlich..."
"Der vielleicht wirklich ein hübsches Sümmchen für die beiden bezahlt. Die Friedwanger, was sind das für Littische...?"
"Baron Alrik..."
"Barooon Alriiiik...der größte Schnapphahn, zwischen hier und Brabak...da werden wir uns beeilen müssen, bevor der den Zaster abgreift...und der andere?"
"Weiß ich nicht, kenn ich nicht...Bishdarielon heißt er wohl...Ein Ordensbruder ist er...rahjagefällig sieht er aus...Waffenknechte haben sie auch dabei...Eine ganze Handvoll...und einen Zauberer..."
"Rahjagefällig...das du immer nur an das eine denkst, dumme Metz...Aber immerhin, die Mersinger Weiber lohnt es offenbar, hopps zu nehmen... Wenn das schon u n s e r e Ordensbrüder und -Schwestern vor uns machen wollten..." Sholtan Flinkfinger griente. "Gut, sehr gut...Hast dein Ei für heute gelegt, mein Hühnchen. Hier hast du deinen Taler..." Er drückte Gitta ein silberne Münze in die Hand...
"Was soll ich jetzt tun?"
"Nun, wir werden erst mal palavern müssen. Aber wenn die hohen Herren sich zanken...um so besser...versuch sie aufeinander zu hetzen...Streit zu schüren. Ihre Eifersucht irgendwie anzustacheln...sind flink mit der Klinge...diese hochnäsigen Edelleute...vielleicht nehmen die uns etwas von der Maloche ab..."
"Aufeinanderhetzen? Gütige Mutter Travia...aber..."
"Du schaffst das schon...Bist ja eine kesse Schicks. Gehab dich wohl..." Ein schiefes Grinsen, dann war Sholtan Flinkfinger nach draußen verschwunden...

Gitta verließ aufgewühlt den Hühnerstall, ein paar Eier im Körbchen.
Es waren gute darpatische Land-Hühner, die selbst im grimmen Winter ihre Perainegabe ins Stroh legten.

Gerade begann es wieder zu schneien, sie eilte sich, ins Haupthaus zu gelangen. Sholtan...ein kleiner Strauchdieb, mehr nicht...Der Kahlkopf hatte sie gerade eben keinesfalls eingeschüchtert.
Auch wenn er seit vielen Götterläufen versuchte, den gefährlichen "Räuber von Welt" zu mimen. Den ruchlosen Erpresser. Ha! In einer Woche würde er wieder bettelnd, als heimatloser Landstreicher vor dem Gutshof stehen und vom Oberknecht einen Leib Brot oder ein paar Äpfel erhalten.
Der Wehrheimer Diebesgilde hatte Flinkfinger beitreten wollen, aber dann war die schöne Grafenstadt einfach in Trümmer gefallen, im Jahr des Schreckens. Und alt war er geworden, genauso wie Gundo "der Knochenbrecher" - die einzigen Knochen, die beim Räuberhauptmann heute noch knackten, das waren seine eigenen.
Die junge Magd mochte die meisten Räuber drüben in ihrem Waldlager, sie liebte das Gefühl, dass sie, die ach so dumme, kleine, schutzbedürftige Gitta ein Geheimnis hatte, von dem die Menschen hier auf dem Hof nichts ahnten...Natürlich, in den gestrengen Augen von Herrn Praios war solcher liederlicher Umgang Unrecht, aber, nun...zum einen war gerade Winter, da schien die Sonne ohnehin nur selten durch die grauen Wolken. Zum anderen hatte sie dafür in den Augen der milden Göttin Travia wohlgetan, damals, in dem gräulichen Todeswinter dem kleinen Timo ein Zuhause zu geben, mochte dessen Mutter auch eine Räuberin sein. Und die Knochenbrecher-Bande waren bislang so gute, ruhige, unauffällige Nachbarn gewesen, wie ein dreckiges Dutzend Wegelagerer es nur hatte sein können. Nach allem, was Gitta wusste, hatten sie früher mal die Gegend um Burg Rabenmund unsicher gemacht, später das Zweimühlensche und die Rommilyser Gegend, dann waren sie durch die Wirren des Krieges wieder gen Firun vertrieben worden.
Kein Fuchs beschmutzte seinen eigenen Bau, und so verzichteten Gundos Leute bislang darauf, Gut Gernatsquell einen ihrer nächtlichen Besuche abzustatten. Solange dort ein guter Happen, ein Schlückchen Brandt oder ein Wink auf fettere Beute im Wutzenwald zu erhaschen war...Ein paar einsame Wanderer etwa oder ein einzelnes Fuhrwerk. Hier wurde ein Bauernhof überfallen, dort mal in die Spendenschale eines Landtempelchens gelangt. Nur nichts zuviel riskieren...

Die junge Magd hatte im Lager das Gerücht aufgeschnappt, dass sich Gundo vor vielen, vielen Jahren mit einem mächtigen Adelshaus (oder gar der Fürstin selbst !) angelegt hatte - und bei der anschließenden gnadenlosen Hetzjagd viele seiner alten Bande zum Heimlichen gegangen waren. Unter anderem sein Räuberliebchen, die man zu Rommilys gerädert hatte oder die einer grausamen Wunde erlegen war, so genau konnte (oder wollte) man es ihr im "Fuchsbau" nicht sagen. Der arme Gundo...Seitdem scheute er offene Kämpfe und Blutvergießen noch mehr denn früher...

Jedenfalls sah Gitta sich weniger als Opfer denn als heimliche Schutzalveraniarin des Hofes. Heiliger Herr Ingerimm, verschon mein Haus, ein anderes nimm....und außerdem...die Elster küsste wie keine zweite, auch wenn die junge Magd heimlich vom schönen, immer noch bärenstarken Gundo träumte (selbst wenn dessen Haare grau und schütter geworden waren und er mehr dem Schnaps zusprach, als ihm guttat).

Dass diese Schnapphähne allerdings die beiden Jungfern verschleppen wollten, der Gedanke missfiel ihr schon...auch wenn Sholtan ein Großmaul war und Gundo Überfälle auf Blaublütige scheute...Am liebsten hätte sie die beiden Mersingens gewarnt, aber, oje...sie hätte sich auch so schon kaum getraut, derart vornehme Damen anzusprechen, nein, keinen Pieps würde sie, die schmutzige kleine Magd, in deren Gegenwart hervorbringen. Und dann auch noch vor Räubern warnen, mit denen sie selbst unter einer Decke steckte? Ausgeschlossen, Mutter Travia behüte...die Aufregung allein würde ihr die Kehle zuschnüren...Sicherlich würden die Edelfräulein sofort jede Lüge, jedes Ausweichen ihrerseits mit strengen Blicken entlarven...Mitgefangen, mitgehangen...der Spruch spukte mit einem mal in ihrem Kopf herum...sie hatte sich auf diesen Hexenritt eingelassen, nun konnte sie nicht mehr ohne weiteres absteigen...Sie würde das tun müssen, was eine Bauerntochter wie sie am besten konnte: Sich ducken und dumm stellen und warten, bis die großen Ereignisse über sie hinweggerollt waren...Und die beiden Kampfhähne listig aufeinander hetzen ...
Dieser düstere, waffenklirrende Bishdarielon war mit Abstand der bessere Schwertfechter, das sah selbst ein Bauernkind wie sie...in einem Duell würde er diesen Storko nicht umbringen, nur verwunden, soviel wusste sie von adeligen Gepflogenheiten...wenn der Herr Junker schon eine Wunde hatte, würde er seine beiden Gespielinnen bei einem Überfall nicht mehr recht verteidigen können und wollen...Schlau, ja, dieser Sholtan war wirklich ein überaus schlaues Köpfchen...

Gitta ging in die Küche, wo bereits lautstark geköchelt und geschnibbelt wurde, und im Kamin das Feuer für das Mittagsmahl hochloderte. Wie schön warm es hier war...und dann der Essensduft. Der Gedanke, dass der Hof von Räubern ausgeplündert (oder sie mit Schimpf und Schande davongejagt) werden könnte, gefiel ihr in diesem behaglichen Augenblick weniger denn je...besser war es, wenn zwei wildfremde, hochnäsige Adelsdämchen in Gundos Hände fallen würden...deren Familie schwamm doch sicherlich in goldblinkenden Dukaten...und der Knochenbrecher war trotz seines Beinamens kein menschenfressender Oger...
Niemandem würde wirklich etwas geschehen. Gitta seufzte. Einen Moment lang war ihr sehr heiß zumute. Was dachte sie hier gerade: Adelige aufeinander hetzen...Jungfern entführen lassen? Das war doch mindestens zwei Nummern zu groß. Und doch, Phex würde sie für soviel Hinterlist bewundern...

"He, dummes Ding, hast du nichts besseres zu tun, als Maulauffen feil zu halten", schimpfte Zarah und schlug ihr mit einem halbgerupften Fasan gegen die Schulter. "Noch eine Stunde bis Mittag...Die Eier kommen da in die Füllung - der Inhalt, gell, nicht wieder die Schalen, nee? Dann muss die Praiosilie geschnitten und die Soße angerührt werden..."
Die ältere Magd legte das Geflügel auf den großen Küchentisch und musterte die Eier: "Die sind aber arg mickrig...Hast du nicht mehr gefunden...und ganz dreckig sind sie auch...hättest sie ja schon etwas abwischen können..."
Typisch Zarah, hatte immer zu nörgeln. Die hagere, unscheinbare, aber eigentlich recht gut aussehende Frau raffte ihre Schürze und wischte die Eilein gründlichst damit ab.
"Irgendwie bist du heute wieder ganz verträumt...ausgerechnet heute, wo wir Gäste haben." Ein begütigendes, aber auch forschendes Lächeln. Neugierig war die Magd auch, und überaus gesprächig. Die hatte ihr gerade noch gefehlt...
"He, was ist denn los? Irgendeine Laus ist dir doch über die Leber gelaufen, oder?"
Gitta wich ihrem Blick aus.
"Nichts..."
"Ist es wieder Ludolf?"
"Ach, das ist lange vorbei..." Sie winkte ab. Ihr Blick fiel auf einen Reißstrohbesen am Kamin. Plötzlich kam ihr ein Einfall, blitzartig und verstohlen, wie eine Ratte, die ungesehen durch einen Spalt ins Innere der Vorratskammer huschte.
"Dieser Herr Bishdarielon..." sagte sie leise.
"Ja, unheimlicher Kerl" sagte Zarah und es klang zugleich bewundernd, wie "unheimlich gut aussehender Kerl". Sie legte die Eier wieder ins Körbchen: "Was ist mit diesem schwarzen Ritter?"
"Aber nur wenn du versprichst, niemandem zu sagen, dass du es von mir hast..."
"Ich kann schweigen wie ein Grab, dass weißt du doch..."
Jaja, wers glaubt...
"Versprichst dus beim Heiligen Travinian?"
"Jaja, wenns sein muss..." Zarah blickte um sich, nahm Gitta beiseite. "Was ist mit ihm?"
Gitta spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug. Gleich würde es kein Zurück mehr geben. Andererseits - ihre Freundin im Wutzenwald wäre begeistert von soviel Ruchlosigkeit.
"Also, äh...der Ludo. Heute früh hat der Ludolf gesehen, wie der Ritter aus der, äh, Besenkammer gekommen ist" flüsterte sie aufgeregt (wobei die Aufregung nicht gespielt war). "Hat er jedenfalls gerade eben zu mir gesagt, draußen am Hühnerstall."
"Ja und...? Wahrscheinlich hat er sich halt in der Tür geirrt. Der Herr Ritter, meine ich..."
"Nuuun .... Dann hat sich die Dame Syrenia von Mersingen aber auch in der Tür geirrt." Gitta strahlte über das ganze Gesicht, in finsterem Stolz über die Lügengeschichte, die sie sich hier gerade ausdachte.
"Die kam nämlich gleich danach raus. Und ihre Kleider waren ziemlich .... unordentlich für so eine feine Dame," dichtete sie hinzu, und vergas nicht, noch ein klein wenig Entrüstung in ihre zitternde Stimme zu legen. "Hat zumindest der Ludolf gesagt..."
So, nun war es heraus, das böse Gerücht in der Welt. Sie schämte sich ein paar laut pochende Herzschläge lang für ihre Bosheit - andererseits, warum sollten immer nur die hohen Herrschaften zum Mittel der, wie sagte man, Intriga, greifen...Und beim strohdummen Ludo hatte sie ohnehin noch ne Rechnung offen. Der hatte nämlich wirklich mal mit ihr in der Besenkammer...igitt, wie widerwärtig und grobschlächtig der Bauerntölpel damals der Göttin Rahja "gehuldigt" hatte. Jetzt bekam er halt die gerechte Strafe dafür.
Zarah sah ihr in die Augen, ziemlich verdutzt, aber auch erschrocken.
"Bist du...sicher?" Jetzt klang sie wie eine dumme junge Gans, als die sie Gitta hier die ganze Zeit behandelte. "Bist du dir ganz sicher?"
"Hat zumindest Ludo gesagt". Gitta nickte. "Und schon vorher hat er..." Sie errötete und kicherte. "Ganz komische Geräusche aus der Kammer gehört, hat er gesagt, hihi..."
Zarah atmete unter ihrer Gesindehaube scharf aus, wischte sich hektisch über die fleckige Schürze. "Das ...das ist ja....einfach unglaublich...da denkt man, solche hochgeborenen Menschen sind ganz was besonderes...haben Minne, und Anstand, und sind sehr galant zueinander...und dann sowas...in der Besenkammer...übereinander hergefallen wie Hund und Hündin...nein sowas...der arme Herr Storko, das hat er nicht verdient...so ein netter, vornehmer Mensch..."
"Aber kein Wort, dass dus von mir hast...Eigentlich sollte ichs auch nicht weitererzählen...Am besten überhaupt kein Sterbenswörtchen zu niemanden...Ich will den armen Ludolf da schließlich in nichts reinziehen, weißt du? Und selber auch keine Scherereien bekommen..."
"Jaja, sicher...herrjeh, die Soße brenzelt schon..." Zarah sah sich verlegen um. "Brennholz...wir brauchen mehr Brennholz...da, nimm den Korb und bring noch ein paar Scheite Holz...in der Besenkammer...unglaublich...und ausgerechnet Ludolf hats gesehen?!"
Gitta huschte nach draußen, froh, der Situation erstmal entronnen zu sein.
Bald würde die feiste Ratte namens "Gerücht" Nachwuchs bekommen und sich ihre Brut in Windeseile auf dem Gutshof vermehren...

Mit gekonntem Rühren rettete Zarah die Soße alsbald vor dem Anbrennen. Wenige Spritzer blubberten aus den Blasen des Topfes hervor und gelangten auf die am Morgen frisch angezogene Schürze der Magd. „Welch unzüchtiges Pack“ murmelte sie verärgert vor sich hin „hat unsere gütige Herrin als Gäste. Bietet ihnen edle Gemächer, Spreis und Trank nach Travias Geboten an, und wie danken sie es ihr – ganz und gar nicht Traviagefällig.“
Der Truthahn war nun gerupft und Zarah nahm das große Fleischermesser zur Hand. „Wo bleibt dieses Ding von Gitta nur bloß, das Feuerholz ist schon fast alle“ sprach sie mit sich und blickte zur Feuerstelle.
„TSchh“ ging es und das Messer sauste herab um den Vogel den Kopf abzutrennen. Im selben Augenblick als das Haupt des Tieres vom hölzernen Brett das als Küchenunterlage diente flog öffnete sich die Tür und Zarahs Mann Olger betrat die Küche. Auf seinen Armen war Brennholz aufgeladen.
„Wo ist Gitta?“ sprach Zarah ihren Angetrauten ohne Gruß an.
„Sie hat mich gebeten das Holz in die Küche zu bringen. Sie selbst soll in der Stube sauber machen, hat sie gesagt“ antwortete der vollbärtige, stark aber etwas behäbig wirkende Mann.
„Die will nur von den schweren Arbeiten drücken, das Luder. Ah, ja schnell heiz das Feuer wider gut an, der Truthahn muss gegrillt werden und Mittag ist bald, die Herrschaft will ja gut verköstigt werden. Die ehrenwerte Herrschaft, tja ...“ Zarah machte die Türe wieder zu und vergewisserte sich, dass Gitta nicht in der Nähe war.
Olger machte sich daran dem Feuer neue Nahrung zu geben während er mit seiner Frau sprach: „Was bist du so bissig heute wieder, in der Frühe warst du noch ...“.
„Was meinst du?“ Sollte Zarah ihm es erzählen, nun es war ja ihr Mann.
„Olger, ich sage dir“ und sie wurde leiser „weißt du was ich soeben erfahren habe, der heilige Travinian selbst würde sich im Grabe umdrehen wenn er so etwas wüsste.“
„Was ist denn? Du bist ja ganz außer dir“ Olger stand von Feuer auf und blickte verwundert.
„Aber du musst mir versprechen es nicht weiter zu erzählen, und besonders nicht Gitta.“ Sie sah ihn ernst an.
„Ja Ja, was gibt es denn“ antwortete er.
„Also“ und Zarah begann heftig zu erzählen „Gitta hat mir vorher erzählt, dass sie von Ludolf gehört hat, dass der Ludolf gesehen hat wie der Ritter aus Friedwang ...“
Olger fuhr ihr ins Wort: „Welchen meinst du? Den mit der Augenklappe?“
„Nein nein, den anderen, dieser Schönling. Also der Ludolf hat gesehen wie er aus der Besenkammer gekommen ist und kurz darauf die Mersinger Jungfer Syrenia ... Jungfer haha, da kann ich nur lachen.“
„Ist das die vorlautere von den beiden?“ wollte Olger fragen.
„Ja genau die, ich sags dir die hats faustdick hinter den Ohren. Also, ganz zerkrempelte Kleider sollen sie gehabt haben die beiden, hat der Ludolf gesagt. In der Besenkammer, die feinen Herrschaften“ Zarah begann sich zunehmend aufzuregen.
„Aber meine Liebe, waren wir nicht doch auch in der Besenkammer, meine Liebe ...“ und Olger legte dabei seinen Arm um ihre Hüfte.
„Ja“ sie drückte ihn energisch weg „aber wir sind nun verheiratet und ähm, tja damals kannten wir uns ja schon ein paar Monate. Aber die beiden haben sich erst gestern in der Nacht kennen gelernt. Und außerdem sollte man von hohen Herrschaft ein weiß Travia besseres Benehmen erwarten können, insbesondere wenn man als Gast wo weilt.“
„Und von wem hast du das alles?“ fragte Olger und wandte sich wieder der Feuerstelle zu.
„Na von Gitta und die hats vom Ludolf. Ja, und der Ludolf hat sie auch dabei gehört, ein Poltern und Japsen, ein Stoßen und Stöhnen sag ich nur. Pfui!“
„So“ sprach Zarahs Mann und stand vom lodernden Feuer auf „nun kannst du den Vogel grillen. Da in der Ecke ist auch schon eine gute Glut.“
Er klopfte sich den Dreck von den Ärmeln. „Also hat der Junker von Gernatsborn nicht die Edeldamen hergebracht?“
„Ja, er soll sie gar in der Rabenmark vor finsteren Räubern gerettet haben und gestern vor Rotpelzen. Ich sage dir der scheint ein anständiger Edelmann zu sein, immer ein gutes Benehmen. Und dann so ein Ritter aus Friedwang, der ihm in der ersten Nacht die Begleitung wegschnappt...“
Zarah beruhigte sich wieder. „Also bist du fertig. Dann steh nicht dumm in meiner Küche herum. Schick mir Fija, die soll mir helfen, wenn du sie findest ... und du kannst auch gleich noch etwas Holz hacken gehen.“
Sie öffnete ihm nicht besonders freundlich die Tür. „Und erzähl Gitta nichts, dass ich es dir erzählt habe...“
„Ja sicher, von mir wird sie kein Sterbenswörtchen bekommen“ antwortete er und stapfte durch den Schnee in den Hof hinaus.

Trotz des kalten Winterwetters ging es geschäftig zu am Hof, denn nicht oft hatten sie so zahlreichen Besuch aus hohem Hause und deshalb fiel Olger tatsächlich Fija, seine älteste Tochter, über den Weg, die ohnehin gerade selbst zu ihrer Mutter in die Küche gehen und helfen wollte.
Bei den Holzstößen hinter dem Hof angekommen sah er den großen Holzpflock in dem zwei Äxte hinein gehauen waren. Dahinter stützte sich sein Zweitgeborener Linnert an den Holzpflock an und pfiff ein Lied.
„Bursche!“ rief der Vater schon von weitem „Alle am Hof arbeiten sich die Hände und Beine wund und du machst Pause. Auf geht’s Holzhacken.“
Olger und der gerade erwachsen gewordene Linnert nahmen die Beile zur Hand und ließen sie auf die Scheite niedersausen. Trotz der Kälte fanden sich bald Schweißperlen an ihren Stirnen.
Linnert, der wesentlich schwächer als der Vater war und an anstrengenden Arbeiten wohl nicht sonderlich interessiert versuchte mit dem Vater ein Gespräch zu beginnen, um damit eine kleine Pause zu erhalten.
„Vater, wer sind die ganzen hohen Gäste die auf dem Gut weilen?“
„Ja Sohn“ und er stützte sich auf seine Axt „da sind einmal die Friedwanger. Der eine mit der Augenklappe ist der Baron so weit ich weiß und der andere Ritter ist sein Bruder. Die haben auch einen Zauberer bei sich, der spricht wie eine Schlange, besser du siehst ihm nicht in die Augen, ich glaub der hat nen bösen Blick.“
„Und die hübschen Damen?“ fragte Linnert weiter.
„Wie sprichst du von denen – aber eigentlich hast du recht, und bist auch schon lange im rechten Alter. Ja, das sind edle Jungfern aus Burg Mersingen und ihr Begleiter ist unser werter Nachbar stromabwärts der Junker vom Gernatsborn. Aber weißt du was mein Sohn“ und er legte seinen breiten Arm um die Schulter „so edel sind die gar nicht immer, das kannst, nein sollst du gut wissen. So edel und anständig wie unsere Herrin Valyria ist nicht bald eine. Mutter hat mir erzählt, dass Gitta gesagt hat, dass sie vom Ludo weiß, dass dieser gesehen hat wie der Schönling von einem Friedwanger es mit der älteren Mersinger in der Besenkammer wild getrieben hat. Wild gestöhnt sollen sie haben und die Kleider waren zerrissen als sie wieder herauskamen, wie die Wilden jedes Traviagebot verachtend. So jetzt weißt du es. Gerade von Menschen von gutem Blute sollte man Anstand erwarten können.“
„Aha in der Besenkammer also, ist das ein guter Ort für so was?“ bemerkte Linnert.
„Du wirst dich hüten Bursche, mach mir in Zukunft keine Schande. Ich will kein Enkelkind vor dem Traviabund sehen.“
Olger rammte seine Axt in den Pflock und Linnert ebenso.
„Ich denke das reicht fürs Erste. Ich bring das Holz zur Küche, du kannst im Stall helfen. Ich denke die vielen Pferde der Herrschaft die wir haben brauchen Pflege und Hane sicher deine Hilfe.“

Linnert schlenderte auf die andere Seite des Hofes zu den Stallungen in denen die Pferde der Gäste untergebracht waren. Er ließ seine Gedanken schweifen. Die Besenkammer, ein guter Ort um Rahja zu huldigen. Wie gern würde er dort ein Stündchen mit Gitta verbringen – sie war zwar wenige Jährchen älter aber umso reifer waren ihre Rahjasäpfel in seinen Vorstellungen.
Mit einem knarren öffnete sich das breite Tor des Pferdestalls. Er erblickte den Stallknecht Hane, wie er gerade dabei war ein Pferd zu bürsten. Weiter hinten war noch jemand der sich um ein Tier zu kümmern schien, doch er kannte ihn nicht, wohl ein Diener der Gäste.
„Braucht du Hilfe“ fragte Linnert Hane gelangweilt.
„Sicher immer, wir sollten noch am Vormittag fertig werden, vielleicht wollen die Herrschaften noch ausreiten. Nimm die Bürste und fang an der anderen Seite an.“
Linnert nahm die Pferdebürste und begann sachte das Pferd von der einen Seite zu pflegen.
„Sag mal Hane, darf ich dich was fragen“ sprach er Hane an und stoppte mit seiner Arbeit.
„Um was geht es denn“ der Blondschopf von Mitte Zwanzig hob sein Haupt um Linnert ansehen zu können.
„Warst dun schon mal in der Besenkammer?“
„Na sicher, was ist das für eine Frage“ blickte Hane verdutzt.
„Nein ich meine um mit einer holden Magd etwas Spaß im Dunkeln zu haben“ und Linnert grinste dabei.
„Nun ja schon, aber besonders bequem ist es da nicht, da ziehe ich den Heustadl schon vor“ und er grinste ebenfalls.
„Weißt du was ich gehört habe Hane, du wirst es nicht glauben.“ Seine Stimme wurde leiser. „Mein Vater hat mir erzählt, dass er von der Mutter weiß, dass die von Gitta gehört hat, dass Ludo gesehen hat wie es zwei der Gäste in der Besenkammer wie die wilden Tiere getrieben haben. Im ganzen Stockwerk war das Gepolter zu hören und dann sind sie ganz zerzaust und zerrissen herausgekommen als sei das Gang und Gebe als traviagefällige Gäste eine Rahjaorgie zu machen. “ Seine Backen wurden ganz rot, weniger weil er sich aufregte, sondern weil er sich das Ganze lüstern vorstellte.
„Ja, und der Ludo hats gesehen?“ fragte Hane zweifelnd.
„Ja und er hats sogleich der Gitta erzählt. Glaubst du, dass ...“
„Wer von den Gästen war es denn, weiß du das auch?“ wollte Hane nun neugierig herausfinden.
„Der eine aus Friedwang, der ohne Augenklappe und die ältere Mersingerin, sollen es gewesen sein. Kennen sich gerade ein paar Stunden und schon schnappt der Ritter aus Friedwang dem Junker die Jungfer weg...“

Die Person, die ebenfalls im Stall weiter hinten war und sich um sein Pferd kümmerte, hatte schon lange die Ohren gespitzt um dem Gespräch zu lauschen. Bleich erstarrt und zugleich außer sich stand sie dar. Sie war niemand anderes als der Genzjäger Wolfram des Junkers von Gernatsborn.
Welch Schmach und Schande Storko so zu betrügen und zu hintergehen. In der Nacht mögen sie sich wohl aus ihren Gemächern in die Besenkammer geschlichen haben um heimlich Rahja zu huldigen ... und das nachdem Storko die Jungfern zwei Mal vor der Gefahr gerettet hatte. Keine Ehre kann der Ritter Bishdarielon haben, keinen Anstand die Jungfer Syrenia. Wolfram musste seinen Herrn warnen und eilte aus dem Stall hinaus ...


Bishdarielon gähnte und blinzelte in die Wintersonne, als er in den knirschenden Schnee des Hofs trat. Einzelne Schneeflocken umwirbelten seinen Mantel, den er sich fester um die kräftigen Schultern schloss. Harzigsüßer Methgeschmack lag auf seinen Lippen...
Nuun...er hatte nicht gerade einen Kater...aber wirklich nüchtern war er gestern auch nicht gewesen...was für ein schöner Abend, trotz allem...Er hatte sich sehr angeregt mit Jungfer Syrenia unterhalten...Fast schon etwas unziemlich, tadelte er sich selbst, sie war ja die Begleitung des Herrn Storko von Gernatsborn...Stalcair nannte man solche Leute wie ihn in Albernia...Jäger oder Falkner....In einer Mischung aus schlechtem Gewissen und Amüsement ob der eigenen Verruchtheit (da wäre er doch beinahe seinen Prinzipien untreu geworden, nur niemals die Contenance verlieren) schüttelte er den Gedanken an gestern ab wie den Schnee und die Kälte, die sich auf Haupt wie Mantel legten...Natürlich, Syrenia wäre eine hervorragende Partie, irgendwie verstand er sich auch gut mit ihr, sie hatte Witz, Charme und Esprit, aber...sie war zu jung, und so unbedarft...er wollte sich nicht nachsagen lassen, ein Stalcair zu sein, ein Jäger von üppiger Mitgift, bloßer Schönheit und eitlen Adelstiteln...Einen Moment lang sah er wieder Ake-Tscheya vor seinem inneren Auge...die lockenköpfige, dunkelhäutige Schönheit aus dem Tiefen Süden...das war wohl echte Liebe gewesen, gerade weil sie kaum aus unterschiedlicheren Welten hätten kommen können, er, der verschleppte Baronssohn aus Darpatien, sie, die Häuptlingstochter in den "lieblichen" Jalobauen...Mitgift...ja, das konnte man im Dschungel der Chapewahas reichlich haben...Schlangen mit Gift, Frösche mit Gift, Pflanzen mit Gift, Blasrohrpfeile mit Gift...

Bishdarielon lachte in sich hinein, traurig und erleichtert zugleich. Schlag dir Syrenia aus dem Kopf, dachte er sich. Im Grunde war sie nur ein Spielzeug für dich gewesen, gestern Abend, ein liebreizender Zeitvertreib...und umgekehrt....

Er drehte sich um und sah gerade, wie die rabenschwarze Schönheit, Arm in Arm mit dem Junker aus der Tür des Haupthauses trat. Es versetzte ihn einen leichten Stich zu sehen, wie beide miteinander schäkerten, und sich, insofern dieses starke Wort überhaupt angebracht war, gerade wieder "versöhnten"...
Fast schon schien die Mersingen ein schlechtes Gewissen zu haben wegen der Tändelei von gestern...Es folgte, sauertöpfisch blickend, Schwester Glyrana, gefolgt von Valyria und seinem einäugigen Bruder im Pelzmantel, die unvermeidliche, rauchende Meerschaumpfeife im Mundwinkel. Ein typisches Adelstreffen auf dem Lande...

Die Mersinger Schwestern: Sie wetteiferten beide um die Gunst Storkos, das sah er, so gut wie er es spürte...der Gedanke, dass er Syrenia nur bekommen könnte, wenn sie die Unterlegene dieses Zweikampfs und damit "überschüssig" sein würde, ließ den leichten Stich in seiner Brust schmerzhafter werden...
Sie schwirrten beide an ihm vorbei wie die Täubchen, während Valyria irgendetwas über die Geschichte des Gutshofs erzählte.

"Die Liebe und der flinke Difar, die bereiten beide Schmerzen. Das eine tut in der Hose weh, das andere kommt von Herzen," spottete Alrik und paffte ihm seinen widerliche Tabaksqualm ins Gesicht. Bishdarielon vertrieb die Wolke betont gelassen mit der Hand.
"Was weist du schon über Herzensdinge, Bruder...?" sagte er, rümpfte die Nase (was allerdings auch an der Kälte lag) und steckte die Hände unter seinen Mantel. "Es gibt Dinge, da helfen weder List noch Dukaten."
Eher beiläufig sah er, wie ein kräftiger Mann in Jagdgewandung vom Stall aus auf den Hof eilte, an einen Hackklotz vorbei, in dem eine Axt steckte.

Als der Bursche das Grüppchen Adeliger erspähte, blieb er abrupt stehen...Irgendwie sah er erst Bishdarielon, dann Syrenia, die noch immer in Storkos Armen eingehakt war, merkwürdig an. Fast schon empört, ja zornig...Ach ja, das war dieser Begleiter des Junkers, Wulfram, oder so ähnlich...Der Ritter von Suunkdal lächelte begütigend (und ein klein wenig spöttisch) zurück...Sieh an, sie an, dachte er, noch ein klammheimlicher Verehrer der Jungfer?! Diesmal aus dem einfachen Volke? Sie ist ja auch wirklich hübsch geraten, bei Rahja....Der Jäger sah demonstrativ zur Seite, wirkte irgendwie verlegen, aufgewühlt und hilflos...seltsamer Kerl...vermutlich irgendein dumber Waldläufer, den das Leben in der Einsamkeit dieses Wutzenwaldes zum schrulligen Schrat hatte werden lassen...
Wo war eigentlich sein Waffengesinde? Ach ja, da drüben trieben sie sich herum, hatten eine närrische Schneeballschlacht mit dem Knappen Roderick angefangen, diese großen Kinder...Ihm sollte es recht sein...Zum ersten Mal seit langem war er wieder einigermaßen mit sich im Reinen, ja gut gelaunt...Syrenia hatte sich von Storko gelöst und tänzelte verträumt Schnee aufraffend durch den Schnee, während Alrik mit Valyria palaverte - es ging wohl um die Erträge aus der Metherei wie dem Gut, phexische Dinge, über die sein ...fürchterlich unaristokratischer Bruder stundenlang fachsimpeln konnte...

Storko hingegen näherte sich seinem, wie hatte er ihn genannt, Grenzjäger, der ihn tatsächlich linkisch zu sich heranwinken versuchte. Grenzjäger...das passte, der Bursche war wohl wirklich ein Grenzfall in seiner närrischen Art, mit dem verkniffenen Gesicht und einen Blick, der zum Fürchten war...
Beide flüsterten aufgeregt miteinander....Seltsame Vertraulichkeit zwischen einem Herrn und seinem Bediensteten, aber das konnte jeder halten, wie er wollte. Glyrana lenkte ihn ab.
"Ein herrlicher Wintertag heute, nicht wahr? Valyria hat angeboten, uns nachher auch noch das Umland zu zeigen. Wäret Ihr so liebenswürdig, uns zu begleiten?" Ein ungemein süßes Schmusekätzchen-Lächeln - aber irgendwie war da ein Löffel Honig zuviel hinein gerührt. Auch der kurze Seitenblick zu ihrer Schwester entging Bishdarielon nicht...
"Unter eurem Schutz wäre mir nicht bang...Ihr seid sicherlich weit herumgekommen...und versteht mit dem Schwert zu fechten."
Bishdarielon stand stramm, nickte.
"Fürwahr, bei meiner Seel. Ich habe viele Dinge gesehen auf der Weltenscheibe, war in der Wüste Khom, im sündigen Al´Anfa, und auf Sukkuvelani bei den Wilden..."
"Sukkulavani?" Glyrana verhaspelte sich, was so niedlich wie gespielt wirkte.
"Sukkuvelani. Ein Eiland in der östlichen Charyptik, sicher kurz vor dem Rand der Weltenscheibe...von wilden Menschenfressern bewohnt, vom Dschungel überwuchert und reich an Diamanten und anderen Schätzen...ganz in der Nähe befindet sich ein riesiger Feuerberg, der vor Urzeiten bei einem Ausbruch einfach auseinander gerissen wurde...der letzte Außenposten des Al´Anfanischen Imperiums...eine merkwürdige Gegend...das Ende der Welt..."
"Weltenscheibe? Ich habe aber mal gehört, Dere soll eine vollkommene, makellose Kugel sein. Rund wie ein Apfel..."
Ob Bishdarielon wollte oder nicht, er musste kurz auf die strammen, festen Brüste der Mersingen blicken, über die sich bei diesen Worten scheinbar zufällig strich...
Sie lächelte. "Ein Apfel...aber dann würden wir ja irgendwann einfach herunterfallen, nicht wahr?" Ein glucksend, aber auch ungemein charmantes Mädchen-Lachen.
"Nun, eine Biene...also eine Fliege...eine Wespe..." Bisch wurde abwechselnd warm und kalt zumute. "Die fällt ja auch nicht herunter...Aber ein Mensch ist ja auch keine...Biene..."
"Wespe..." neckte Glyrana ihn.
"Wespe..." nickte Bishdarielon. Bei Borons Schweigegebot, was schwatzte er da die ganze Zeit? "Also ich vermute, unsere Welt ist eine Scheibe. Wie die Maraskaner behaupten...eine Scheibe, die sich beim Flug um ihre Achse dreht...deswegen auch die Bewegungen der Sterne am Himmel. Aber um solche Dinge wissen wohl letztlich nur die Götter, bei meiner Treu..."
"Ach, die Maraskaner. Das sind doch alles Strauchdiebe, habe ich gehört. Rebellen...was verstehen die schon von Sternen...?"
"Nun, von Wurfsternen verstehen diese Räuber viel" versuchte Bishdarielon einen Scherz.
Glyrana lachte tatsächlich, blickte dann zum Junker, der gerade seine Unterhaltung mit dem Grenzjäger beendet hatte.
"Storko hat uns ja erst vor kurzem vor Raubgesindel gerettet." Ein kurzes Zwinkern, während sie mit dem Fingern an ihrem schwarzen Haar spielte, das vornehm blasse Gesicht zur Seite geneigt..."Um ein Haar hätten sie uns überfallen, ausgeraubt...und vielleicht noch... schlimmeres mit uns getan..." Ein sinnlich-frivoles Lächeln, dann ein erneuter Blick zu Syrenia, die ebenfalls näher kam. Wollte sie in ihrer Schwester am Ende die Eifersucht wecken? Oder in Storko? Was waren denn das für Kindereien?
"Ihr würdet uns doch sicher ebenfalls beschützen...falls da draußen wieder irgendwo die Goblins lauern würden?"
"Gewiss...ich würde sie für Euch von der Weltenscheibe fegen..." Der Edle von Suunkdal verneigte sich, halb im Scherz, halb ernst.
"Etwa - mit dem Besen?" kam es spitz über Storkos (bebende) Lippen.
Bishdarielon sah irritiert zum Junker.
"Wenn es sein muss...Auch wenn ich glaube, dass die beiden wehrhaften Damen unseren Schutz gar nicht nötig hätten, nicht wahr?"
Storko stellte sich neben Glyrana, und auch ein Stückweit zwischen sie und den Suunkdaler.
Bishdarielon blickte zu seinem Bruder. Ah, typisch, das hier sollte eine Führung für alle werden, stattdessen nahm er Valyria ganz für sich allein im Beschlag. Er lächelte Syrenia an, die gerade einen Schneeball formte - und ihn leichthin in Bishdarielons Richtung warf, eher zum Auffangen gedacht.
Die Schneekugel zerplatzte harsch, als sich Storkos Faust in der Luft um sie schloss. Eine äußerst unbeherrschte, gefühlsgeladene Bewegung, überraschend feindselig. Bishdarielon entging nicht, dass irgendetwas den Gernatsborner im Innersten getroffen hatte...
"Was wollte Euer Jägermeister denn von Euch?" fragte der Ritter. Es sollte freundlich klingen, hatte aber einen irgendwie herablassenden Beiklang, wie er selbst fand. "Dieser Wulfram..."
"Wolfram...Grenzjäger Wolfram heißt er...Ein treuer, überaus anständiger, göttergefälliger Diener..." Jedes dieser Eigenschaftswörter klang plötzlich wie ein stiller, nein, laut peitschender Vorwurf. Storko verstummte, wirkte für einen Moment ratlos und überfordert. Er rieb sich den zerdrückten Schnee an der Jacke von der Hand.
Bishdarielon versuchte die Situation, die aus irgendeinem Grund verfahren zu sein schien, durch einen Scherz aufzulockern. "Was ist mit...Grenzjäger Wolfram? Man könnte ja fast meinen, er habe auch ein bewunderndes Auge auf Ihre Wohlgeboren Syrenia geworfen...was ich...überaus gut verstehen kann..."
Eisiges Schweigen...auch von Glyrana...
"Aber auch ihre Schwester...also Glyrana...hat natürlich auch Liebreiz...also sie hat da so ihre..." Der Suunkdaler merkte, wie ihm die Worte ausgingen - und er stattdessen auf die Mersinger Ausbuchtungen vor sich starrte.
"Reize?" versuchte Storko zu "helfen". Er hörte sich überaus gereizt an.
"Wenn Ihr das sagt..." Nun merkte Bishdarielon, wie sich die Irritation auf ihn übertrug. Irgendwie hatte er einen Moment lang dass Gefühl, es bei diesen beiden Gernatsbornern mit unberechenbaren Hinterwäldlern zu tun zu haben.
"Ich denke, wir sollten die Führung nun beginnen..." sagte Syrenia und blickte stirnrunzelnd (und irgendwie hilfesuchend) zu Valyria (bei der es immer noch um den derzeitigen Preis pro Festschritt Holz oder irgendetwas in der Art ging).
Stille, in der man nur das leise Rieseln des Schnees hören konnte.
"Gewisse Räumlichkeiten" Storko schnaufte schwer " hast du ja bereits ausgiebig inspiziert, scheint mir...du...und der edle Ritter von Senkenthal...Nach allem, was man so hört.."
Syrenia wollte verwirrt antworten, aber Bishdarielon kam ihr zuvor.
"Was hört man denn so...mein edler von Gernatsborn?"
"Junker...von Gernatsborn, falls Euch das gestern irgendwie entgangen sein sollte...wahrscheinlich ward Ihr aber einfach zu sehr abgelenkt. Mein Titel ist Junker..."
"Das weiß ich. Ich meinte `edler´...im Sinne von edel, Herr Junker."
"Wollt Ihr mich foppen? Ich denke, ich brauche mich von jemandem wie Euch nicht über die Bedeutung dieses Wortes aufklären zu lassen..."
Syrenia war endgültig perplex. "Was ist denn eigentlich los?" Sie suchte den Arm des Junkers. Dieser stieß sie regelrecht weg - heftiger, als er beabsichtigt hatte.
Bishdarielon schüttelte den Kopf. Gestern hatte dieser Jungspund ja noch ganz annehmbar und vernünftig gewirkt, heute kam er ihm vor wie ein betrunkener Bauerntölpel.
"Edel meint zum Beispiel: Anständiges Benehmen gegenüber Damen..." Der Golgarit merkte, wie sein alter Feind, der Jähzorn, das Achterdeck seines Verstands zu entern begann, wie ein Rudel Piraten, dass johlend und schreiend längsseits ging.
"Aber vielleicht hat man ...in Gernatsborn...noch nicht davon gehört." setzte er noch eins drauf.
"Ihr wollt mich beleidigen?"
"Keineswegs" versuchte Bishdarielon die Schärfe herauszunehmen. "Nur, verzeiht, dass ich jemand sein soll, der die Bedeutung des Wortes edel nicht kennt...das könnte man ebenfalls als grob beleidigend auffassen."
"Ihr habt selbst gesagt: Ein Edelmann benimmt sich anständig gegenüber Damen. Insofern diese sich selbst noch wie Damen benehmen..." Ein tadelnder Seitenblick zu Syrenia. "Heute früh in der Besenkammer...Geziemt sich dieses Verhalten etwa eines Edelmanns?" Storko wurde laut. Valyria und Alrik unterbrachen ihr Gespräch.
"Ich wüsste nicht, dass wir beide uns heute früh in der Besenkammer getroffen hätten" antworte der Senkenthaler mit Noionitenruhe.
"Wollt Ihr mich verspotten? Der ganze Hof spricht schon davon..."
"Bislang brüllt nur ihr hier auf dem Hof herum....Erklärt Euer unmögliches Benehmen, Gernatsborn, bevor i c h die Geduld verliere..."
"Tut nicht so scheinheilig...Erst verführt Ihr die Dame Syrenia, wie eine Belhankanische Liebesdienerin, raubt Ihr in der Besenkammer die Ehre. Dann werft Ihr Euch auch noch schamlos an ihre Schwester heran..."
"Ein Belhankanische Liebesdienerin braucht niemand zu verführen... Was faselt Ihr eigentlich da die ganze Zeit. Seid Ihr betrunken? Sucht Ihr Streit?" Bishdarielon wich einen Schritt zurück, die Hand verirrte sich zum Schwert.
"Wollt Ihr abstreiten, dass Ihr in der Besenkammer ward?"
"Ja...Was soll ich in so einem dunklen, muffigen Loch unter der Treppe?"
"Ahaaa...Ihr wisst also genau, wo sich die Besenkammer befindet...und wie es dort aussieht" Storko nickte heftig, mit rotem Kopf und Verbitterung in der Stimme. "Nun habt Ihr Euch gehörig verplappert..."
"Liebe Güte...Valyria hat da gestern Nacht die Lampe herausgeholt...die Kammer meint ihr doch, oder? Die ist ja kein Geheimnis..."
Die Gutsherrin kam näher. "Gibt es ein Problem...?"
"Außer, dass Herr Storko den Verstand verloren hat und mich der Lüge, nein, der Ehrlosigkeit bezichtigt, eigentlich nichts Besonderes." Bishdarielon verschränkte die Arme.
"Dieser Mann hat sein Gastrecht missbraucht und mit der Jungfer Syrenia ...schändliche Dinge getrieben...Euer Gesinde spricht bereits seit einer Stunde von nichts anderem."
"Das ist nicht wahr!" meinte die junge von Mersingen.
"O doch. Sogar im Stall..."
"Merkt Ihr nicht, dass Ihr es seid, der Ihre Wohlgeboren hier vor aller Welt bloßstellt...aufgrund einer aberwitzigen Anschuldigung" zischte Bishdarielon. "Selbst wenn es so wäre...die Damen von Mersingen sind nicht euer Besitz...weder Glyrana noch Syrenia...nur weil ihr sie aus der Hand von Strauchdieben gerettet habt, seid Ihr noch lange nicht verheiratet...schon gar nicht mit beiden. Ihr seid es doch, der hier zwei junge Frauen aus bestem Hause...nacheinander durchprobiert wie man sich ein passendes Pferd aussucht...Vor Räubern gerettet, ha! Bei meiner Seel, vom Regen in die Traufe sind sie gekommen...in die Hände eines hinterwäldlerischen Wüterichs ohne Ehre, Anstand oder wirklich vornehme Familie."
Nun hatte der Jähzorn beim Edlen endgültig das Ruder übernommen.
"Das reicht! Ich verlange Satisfaktion..." Storko zog seinen Handschuh aus und warf ihn Bishdarielon vor die Füße.

Alrik, der die Szene beobachtet hatte, verdrehte die Augen, auch das unter der Klappe. Das ging ja schneller als erwartet. Das sah seinem trotteligen Bruder ähnlich. Für was gabs denn Dienstmädchen und Stallmägde - das man sein "Schwert" regelmäßig fegen konnte, und nicht im ungünstigsten Moment von der Rahjaglut übermannt wurde. In der Besenkammer, was für eine Blamage...Im Grunde konnte er Storko verstehen - er wünschte ihm sogar alles Gute.
Valyria wollte etwas sagen, aber der Baron kam ihr zuvor. "Ein Duell also...Aufs wievielte Blut?"
Der Junker musterte den drahtigen, kampferprobten Mann vor sich, wurde langsam wieder ruhiger - in jeder Hinsicht. Er wusste, dass er hier das Richtige tat. Hoffte es zumindest. Einen Moment lang schwankte er innerlich, fasste sich aber bald wieder.
"Aufs erste..." sagte er mit fester Stimme.
"Das ist doch sicher alles nur ein übles Missverständnis" meinte die Baernfarn. "Ich bin sicher, das wird sich alles aufklären. Ohne das ich hier Partei ergreifen will: Das hier ist mein Gutshof, da braucht es kein Blutvergießen, nicht auf den ersten, nicht den zweiten Stich - ich fordere Euch auf, erst einmal die Sache vernünftig zu klären...Und hernach kann man sich immer noch entschuldigen..."
"Sehr gerne werde ich mit dem Herrn Junker die Klinge kreuzen" knurrte Bishdarielon. "Bemüht Euch nicht, werte Valyria. Selbstverständlich ist an den Anschuldigungen nichts dran...aber allein einen solchen ungeheuerlichen Verdacht, ohne den geringsten Beweis, zu äußern stellt eine schwere Beleidigung dar...Meiner Person wie die der Dame von Mersingen...Dieses Duell ist allein eine Sache zwischen mir und diesem vorwitzigen jungen Herrn da..."
"Ich hoffe, du hast wenigstens eine Fischblase benutzt" kam es dumpf von Alrik. "Tschuldigung, i c h wollte niemanden beleidigen..."
"Benennt euren Sekundanten, Bishdarielon von Senkenthal" ächzte Storko.
Der Golgarit zog scharrend blank, stach den Handschuh auf, nahm ihn in die Hand.
"Sehr gern. Travius, mein getreuer Waffenknecht. Und Eurer wird dann wohl dieser Verleumder Wolfram sein, nehme ich an?"
Bishdarielon schlug Storko den Handschuh gegen das Gesicht.

„Ja, gewiss. Mein treuer Diener Wolfram wird mir zur Seite stehen.“ Mit empor gehobener Stirn blickte Storko ernst seinem Gegenüber entgegen, während seine Augen den Kontrahenten nochmals musterten.
Auch wenn Storko selbst dem Senkenthaler um doch ein paar Halbfinger überragte und dieser wohl auch nicht viel stärker gebaut war wie er, so hatte der Golgarit einige Jahre an Kampfeserfahrung mehr auf dem Buckel. Storko schätzte ihn als einen solchen ein der - im Gegensatz zu ihm selbst – durchaus in der Schlacht in den ersten Reihen stritt. Nun, ein Wettschießen mit der Armbrust, bei dem er möglicherweise überlegen sein könnte, kam als Duell zweifelsohne nicht infrage. Das letzte Schwertduell, das Storko durchgeführt hatte lag schon mehr als fünf Jahre zurück, auf der Kadettenanstalt und er hatte dabei noch verloren.
Aber seine Ehre war verletzt und ein Duell die einzige Möglichkeit diese wieder herzustellen ... er dachte daran was Gisborn von Mersingen, der Vater der Jungfern, sagen würde, wenn dieser von der Schandtat Wind bekommen würde. Obwohl es kalt war an diesem Firunstage glitten vereinzelt Schweißtropfen über Storkos Stirn herab.
„Lasst uns am morgigen Tage, wenn die ersten Strahlen der Praiosscheibe am östlichen Horizont zu sehen sind, vor dem Hof“ - und der Junker von Gernatsborn deutete auf eine schneebedeckte Wiese nahe dem Wasser des Gernats - „unsere Klingen aufs erste Blut kreuzen!“
Storko hatte gegenwärtig, abgesehen seines Dolches, keine Waffe bei der Hand und er wusste, dass er sich noch etwas überlegen musste um nicht definitiv der Unterlegene zu werden.

Valyria und die beiden Mersinger Schwestern standen verwundert und angewurzelt mit offenen Mündern da, ohne ein Wort sagen zu können. Allein der Friedwanger Baron Alrik zog genüsslich an seiner Pfeife und erhob dann das Wort. „Nun, Schiedsrichter sollte gewiss eine Neutrale und Edle wie Valyria sein.“
Der Golgaritenritter und der Offizier nickten einander mit stechenden Blicken zu und verließen die Szenerie ohne Worte zu verlieren in gegenüber liegende Richtungen.

Mit fragendem Blick wandte sich die Gutsherrin der einzigen Person zu die im Moment die Sachlage aufklären könnte. „Syrenia“ sprach sie mit ernster Stimme „ist an diesen Anschuldigungen irgendetwas wahr?“
„Nein“ antwortete die Jungfer verbittert und verärgert zugleich „das ist alles Lüge. Ich war in der Kammer von dem Zeitpunkt an als der Junker uns dorthin am Abend geleitet hatte bis er uns wieder früh morgens zum Frühstück weckte.“
Irgendwie hätte sich Valyria es schon vorstellen können, ein Techtelmechtel mit Bishdarielon und Syrenia. Die Jungfer war jung und hübsch, wie eine Rose in voller Blüte und der Friedwanger könnte ob seines stattlichen Antlitzes gewiss so manches junges Herz verzaubern. Das gestrige Verhalten am Abend, das die beiden miteinander an den Tag gelegt hatten war ihr nicht verborgen geblieben - die beiden konnten sich mehr als gut leiden, so wie sie miteinander scherzten und sich gegenseitig fast anbuhlten.
Sie wischte ihre Gedanken wieder beiseite. Unmöglich, dachte sie sich. Beide kamen aus gutem Hause, Syrenia gar aus einem der besten. Unmöglich also, dass sie so ihren Anstand verlieren würden und als Gäste in der Besenkammer untraviagefälliges Treiben veranstalten würden...

Storko marschierte mit festem Schritt in Richtung des Haupthauses, sein Grenzjäger folgte ihm zu seiner Rechten.
„Euer Wohlgeboren, ich musste Euch davon berichten ... das Gesinde des Hofes hatte es ja schon lauthals verbreitet.“ Wolfram war auch selbst aufgewühlt durch die Ereignisse. Als ob er ahnen würde, dass Storko nicht gewohnt war Kämpfe allein zu bestreiten und Hilfe in irgendeiner Art bedürfe fuhr er fort. „Wenn ihr wollt reite ich so schnell es geht nach Gernatsborn und hole Eure Soldaten...“
Der Offizier blieb stehen und legte seinem Untergebenem fast freundschaftlich die Hand auf die Schulter. Es gab nicht viele Prinzipien in Storkos Leben, doch eine die er besonders schätzte war Loyalität.
„Hab dank, Wolfram. Es war genau richtig mir es so schnell wie möglich zu berichten. Was wäre gewesen, wenn der Baron von Friedwang und die Baronin von Gallys vor mir davon Kenntnis bekommen hätten ... und ich wäre Ahnungslos gewesen.“
Kurz dachte Storko nach, ob er tatsächlich seine Mannen von Gut Gernatsborn herbeordern sollte, nur für alle Fälle. Im Ernstfall, wenn er unterlegen sein würde, wäre seine Militärmacht doch größer als die des Ritters. Nein, kämen seine Soldaten aufmarschiert würde dies ihn nur feige erscheinen lassen, und er musste ja seine Ehre wiederherstellen. Er selbst musste sich im Duell dem Feind stellen ... verdammte Ehre, dachte er sich.
Storko hatte noch immer seine Hand auf der Schulter Wolframs und schüttelte den Kopf. „Hol mir mein Schwert aus der Kammer, wir treffen uns an der Westseite des Gutes zu Waffenübungen.“

Wolfram eilte davon und der Gernatsborner Junker ging langsam und in Gedanken versunken hin und her durch den knirschenden Schnee.
Er war enttäuscht von Syrenia, schwer enttäuscht. Da bewahrt man sie vor Räubern und kämpft Schulter an Schulter gegen Rotpelze, und wie dankt sie es einem. Er war es gewohnt, dass so etwas zusammen schweißen würde – eine Schlacht lässt einander mehr Gemeinsames empfinden als zehn Jahre Traviabund, hatte ein Wehrheimer Oberst einmal gesagt.
Syrenia - diese Canaille - war für ihn Geschichte. Nie würde er mit ihr die Ehe eingehen können. Nicht nachdem sie gestern mit diesem Halodri gescherzt und gelacht und dann heimlich nachts Rahja gefrönt hatte.
Und grundsätzlich hat sie auch keinerlei Eigenschaften die zu ihm passen würden, er konnte sie sich einfach nicht auf Gut Gernatsborn vorstellen - die Schotterstrände des Gernats sowie die Waldränder des Wutzenwaldes standen zu ihr wohl eher wie die Faust zum Auge. Storko wurde wieder wütender, und wütend war er nur selten - es war eine Eigenschaft die wenige bisher bei ihm erblicken konnten.
Er verwischte das hämisch Grinsende Bild Syrenias in seinen Gedanken ... und malte das liebevoll lächelnde Bild Glyranas. Er beruhigte sich wieder etwas. Tsa sei Dank, gab es ja noch eine zweite Mersinger Tochter, und die war, gleichsam schön wie ihre ältere Schwester doch, von Eigenschaften die weit mehr mit den seinen übereinstimmten. Weitaus ruhiger und bedächtiger und warf nicht gleich alles hin, wenn es nicht nach ihrem Willen ging. Im Wald mit den Goblins hat sie sich auch gut geschlagen ... und gar den Löwenbiss überstanden. Von nun an wollte er Syrenia missachten und seine volle Aufmerksamkeit nur der Schwester zuteil werden lassen. Syrenia soll sich ruhig mit Ritter nach Friedwang verabschieden...

Das morgige Duell holte den Offizier in den Überlegungen wieder ein. Wie könnte er den erfahrenen Kämpfer bezwingen? Jegliche List und Tücke würde nur ehrlos erscheinen wenn sie heraus käme, auch fiel ihm nichts Passendes ein.
„Phex hilf“ sprach er leise und richtete sein Stoßgebet gen Alveran „oh Listenreicher, sollte sich alles für mich zum Guten wenden und ich mit einer Mersinger zum Traviaaltar schreiten, sodass ich in das mächtige Haus Mersingen einheiraten kann, dann gelobe ich Dir im eigenen Handels danach streben, dass Geld und Geschäftsinn wieder in die Wildermark Einzug halten. Mit Verstand, List und Tücke werde ich Geschäft, Reichtum und Handel vorantreiben.„


Am Platz des Hofes auf dem die Anschuldigungen ausgesprochen wurden stand mittlerweile nur noch Alrik, der Baron von Friedwang.
Valyria schien den Unschuldsbeteuerungen Syrenias geglaubt zu haben, denn sie machte sich auf von ihrem Gesinde zu erfahren wer dieses üble Gerücht in Umlauf gebracht habe. Die Jungfern hatten danach wutentbrannt - mit der Glut die sie von ihrer Mutter vererbt bekommen hatten - zu streiten begonnen und verließen ähnlich wie ihre vermeintlichen Favoriten, aber mit hochrotem Kopf, den Ort des Geschehens in verschiedene Richtungen.
Alle waren in Missgunst auseinander gegangen. Nur Alrik stand, in keiner Weise schlecht gelaunt, weiter am Hofplatz und rauchte genüsslich. Er schmunzelte, während er sich mit einem Finger das Auge unter seiner Klappe rieb.

Ja, das sah wirklich gut aus. Vor wenigen Stunden hatte noch eine dynastische Verbindung zwischen seinem Bruder und dem machtvollen Hause Mersingen gedroht - und nun, wie gewonnen, so zerronnen, haha...Gisborn war als ehrenvoll bekannt, er würde es niemals durchgehen lassen, dass man seine Tochter wildem Gerede preisgab wie ein dummes kleines zu Schanden gerittenes Bauernpferdchen. Würde Bisch nun auch noch das Duell verlieren, käme das einem Götterurteil gleich. Mit Daumen nach unten, was einen gewissen Golgariten anging...Sein Ansehen wäre auf einem Schlag komplett ruiniert...Dann würde er sich auf ewig in seinem Orden verkriechen müssen...dessen Klostermauern waren bekanntlich voll mit lebensängstlichen Dauerversagern...

Alrik hüllte sein Haupt in Rauchwolken, wie ein schweigender Berggott das seinige in Nebel...Er ging zurück ins Haupthaus. Hm...ein rondrianisches Duell aufs erste Blut. Genau hier lag auch der Ork begraben...der kleine Schönheitsfehler in seinem Plan zur vollständigen Vernichtung der Reputatio seines Bruders...

Nach Lage der Dinge würde der große Krieger einen rondragefälligen Schwertkampf nämlich nicht so ohne weiteres verlieren. Bisch war jahrelang Ordenskrieger in der Pestbeule gewesen, jetzt ein Golgarit, hatte mindestens bei drei großen Schlachten mitgefochten, der konnte mit links, der konnte mit rechts, der konnte vermutlich mit den Fußzehen besser fechten als jede Frau und jeder Mann auf diesem Hof, Odilon ausgenommen. Und Boron hielt sicher die schützenden Schwingen über seinen unermüdlichen Leichenschnitzer und Seelenbeschaffer...
Ehre...was zählte das schon...das "Feld der Ehre" war ein Acker, der nur Boron oder Kor reiche Ernte brachte...Für den "Wahren Alrik" war dieses eitle Gut Alles, entsprechend hatte er wohl auch bei der ollen Himmelslöwin ein Stein im Brett...Ein wilder Leu war der mit dem Stahl, kraftvoll, wendig, erfahren, gut ausgebildet.
Alrik selbst, kein Anfänger mit dem Rapier, nun, er hatte auch schon hilflos auf dem Boden gelegen, im Jahr des Feuers, auf dem einsamen Bauernhof am Rande des Schlachtfelds von Rommilys, nach heftiger Prügelei. Mit Bishdarielons Schwert an der Kehle...eine unangenehm spitzige Klinge, damals, als der Entrechtete noch nicht gewusst hatte, dass sie Brüder waren...
Tja, h e u t e würde der Große wohl sofort zustoßen, seinerzeit hatte er gezögert, zum Glück waren diese versprengten darpatischen Soldaten dazwischen gekommen...

Nein, Rondras Urteil stand wohl von vorneherein fest. Es sei denn, Phex würde gewitzt Fürsprache bei seiner ehrenpusseligen Schwester einlegen. Wenn Storko als Sieger aus diesem ungleichen Kampf hervorgehen sollte.
Er schlenderte durch den großen Saal, der bereits fürs Mittagessen eingedeckt wurde (da war er mal gespannt, wer hier noch alles und mit wem speisen wollte, selbst beim Gesinde schien die Stimmung ziemlich verhagelt zu sein). Hier und dort hingen Waffen an der Wand, vor allem Jagdwaffen, und Trophäen....Im Kamin knisterte und lohte ein munteres Feuer. Leckerer Essensduft lag in der Luft.

Er ging an eines der Fenster, öffnete es und paffte in die kalte Winterluft hinaus. Er würde nachhelfen müssen, aber wie? Das Schwert anfeilen...der Klassiker, aber gerade deswegen bedenklich...Gift ...natürlich nur um Bisch ein wenig zu schwächen...Rauschkraut? Hatte er irgendwie beides gerade nicht an der Hand...Blieb noch Magie...Hm, Hesindian hätte da sicherlich das eine oder andere Sprüchlein auf Lager...andererseits, sein Hofmagier hatte öfters mal seinen Moralischen, und jeder Zauber hinterließ Spuren...nicht für jeden Mannes Auge sichtbar, aber es gab schon Methoden, Schlangenzünglein etwa...und er wusste nicht, wie viele der Hesinderei Kundige es hier noch auf dem Gestüt gab...der Schuss konnte nach hinten losgehen...
Ein Rumpeln. Er schloss das Fenster und schlenderte zum Kamin, wo ein brennendes Holzscheit hinausgefallen war, bis an den Rand der Steinplatten. Mit dem Schürhaken beförderte er es zurück in die Flammen, bevor die Bodenbalken das Qualmen anfingen.
Sein Blick fiel auf zinnene Wappenteller, ein fein geschwungenes Trinkorn in seiner schmiedeeisernen Halterung sowie ein ausgestopftes Wiesel, die den Kamin zierten. Er tippte mit dem Zeigefinger gegen die spitzen Zähne des ausgestopften Raubtiers. Dann sah er einen Balläster, der mit einer Kugeltasche auf dem Sims lag. Schnepper, nannte man diese kleine Jagd-Armbrust auch. Verflucht, warum hatte Storko nicht die Armbrust gewählt, nach allem, was er wusste, war Bisch ein lausiger Schütze...
Der Baron war einen Moment lang allein im Rittersaal, wie er merkte. Oder? Sein Auge irrte umher, aber da war nichts, nur ein schwacher, flüchtiger Luftzug, wie so oft in alten Gemäuern. Dennoch fühlte er sich für einen Moment unwohl, regelrecht beobachtet. Die Dielen knarzten - waren das seine eigenen Bewegungen?
"Bist dus, Raul?" flüsterte er in den Raum hinein: "Bist du etwa auch von Gallys hierhergezogen, allzu tapferer Baron?". Unwirsch schüttelte er den Kopf. Jetzt sah er auch schon Gespenster, redete mit Luft. Nein, nur die Köpfe der Hirsche, Wildschweine und Rehböcke ließen ihn hier nicht aus den Glasaugen.
Fasziniert nahm er die Waffe an sich: ein hübsch gestaltetes Schießgerät, um damit Kugeln zu schleudern, mit Vogelkopf und angedeutetem, eingeschnitztem Gefieder - mit sowas jagte man gemeinhin Federvieh...In der Mitte war der Schaft nach unten durchgebogen, die Kugel schnellte von Anfang an durch die Luft, wie bei einem Miniatur-Katapult.
Wem das Prachtstück wohl gehörte? Eine leichte Staubschicht zeigte, dass die Waffe hier schon länger ungenutzt herumlag.
Verstohlen blickte der Mondschatten um sich. Weit und breit wirklich kein lästiger Zeuge zu sehen.
Fast schon einen Reflex folgend, ließ er das Gerät mitsamt Tasche unter dem Mantel verschwinden, eilte mit klopfendem Herzen nach oben, in sein Schlafgemach. Er war allein, Roderick, der mit ihm auf dem Zimmer schlief, abwesend. Er schlug die Tür hinter sich zu, atmete erstmal durch. All zu oft klaute er nicht mehr in seinem Alter und seiner Position. Nicht doch, er borgte sich hier das Ding nur aus, wollte es eigentlich nur ausgiebig begutachten...Klickend betätigte er den nur leicht angerosteten Abzug. Der Mechanismus schien, mit einigem Druck, zu funktionieren, brauchte vielleicht wieder mal etwas Öl. So würde er sich herausreden, falls man den Schnepper vermissen und bei ihm finden würde: Er wollte Drücker und Nuss im Schaftinneren nur ölen...Sein Knappe hatte ja Waffenöl bei sich...
Das Täschlein aus glänzendem Hartleder enthielt mehrere Bleikugeln, und auch einige fein polierte Steingeschosse. Außerdem einen Spannknebel, ein fein gedrechseltes Holzstück mit Haken, um die Sehne mit der Hand zurückziehen zu können.

In seiner Baronie waren solche Klein-Waffen immer beliebt gewesen, die Friedwanger Schrotensäck waren Papiertütchen, gefüllt mit Bleikügelchen und für Balläster gedacht. Eine Art Hagelschlag, das in seinem Residenzort manufakturiert worden war, in dem man Blei einen Turm hinunter gegossen hatte. Durch Sumus Griff war das flüssige Metall dann zu Schrotkörnern ausgeformt worden. In der Luft platzten die Tütchen auf, die kleinen Geschosse hagelten auf das Kleinwild und Jagdgeflügel herab. Vor allem sein schurkischer Vetter Gernot hatte diese Munition geschätzt, erhöhte sie doch selbst bei einem mittelmäßigen Schützen die Treffsicherheit ungemein (wenn auch zu Lasten der Reichweite).
Er wog die Waffe in der Hand...er selbst war ein recht guter Armbruster...

Einen Moment lang wunderte er sich über sich selbst. Hast du etwa schon einen Plan, Francesco di Palazzo, fragte er sich. Einen, den du selbst noch nicht kennst? "Wenn ich glauben würde, dass meine Haare wissen, was ich denke, würde ich sie mir sofort abrasieren", hatte sein Lehrmeister Kedio damals gesagt, in Brabak, zum Thema Geheimhaltung als Grundlage jedes phexischen Erfolgs. Wie so oft, wenn sein Schüler etwas ausheckte, ließ er sich erst einmal vom Gespür leiten, schnitzte dann hier und dort mit dem Verstand nach, bis die ersten Konturen des Plans sichtbar wurden...

"Aufs erste Blut" dachte er. Bishdarielon würde nicht im Kettenhemd kämpfen, damit beide die gleichen Chancen hatten. So ein Ballästerschuss aus dem Hinterhalt wäre in der Hitze des Gefechts schwer nachweisbar...und würde eine blutige Wunde hinterlassen...oder? Andererseits, eine Kugel blieb da ebenfalls auf dem Kampfplatz zurück...er verzog das Gesicht, legte den Schnepper unters Bett, schob die Waffe mit der Stiefelspitze darunter...Nein, so gut war der Plan nicht, zumal sein Fehlen beim Zweikampf auffallen würde...
Schuldbewusst zuckte er zusammen, als dumpf (offenbar mit einem Holzstock) gegen die Tür geschlagen wurde.
Der Friedwanger ließ auch die Kugeltasche unter der frischbezogenen linnenen Bettdecke verschwinden, räusperte sich. Woher wusste der Unbekannte, dass er sich hier auf dem Zimmer befand? "He...herein!"
Den Zauberstab in Händen, mit raschelnder Robe, trat Hesindian ein.
"Ah du bists...Wo warst du denn die ganze Zeit?"
Alrik schnupperte, aber sein erster Verdacht -Branntwein - bestätigte sich schon mal nicht.
Nichtsdestotrotz grinste ihn der Weißhaarige zufrieden an: "Einen trinken, natürlich...Proßt" Er zog eine Phiole mit bräunlicher Flüssigkeit hervor, die tatsächlich nur mehr halbgefüllt war.
Irritiert merkte der Phex-Geweihte, dass der Trageriemen der Tasche noch unter der Bettdecke hervorragte und es allgemein sehr unordentlich aussah. Hastig stellte er sich davor.
"Gib dir keine Mühe" lächelte der Magier. "Ich habe geßehen, wie du die Armbrußt an dich genommen haßt..."
"Haßt du...Hast Du?" verbesserte sich Alrik.
"Hab ich ja...so ein Unßichtbarkeitßtrunk hat ßo ßeine Vorteile..."
"Ein Unsichtbarkeitstrunk?" Der Mondschatten wollte nach dem Fläschchen greifen, aber Hesindians Hand zuckte mitsamt Inhalt zurück.
"Ssagn wir, ich habe ein bissschen Schloßgespenßt geßpeilt..." lispelte der Magus. "Ich habe alleß mitbekommen..."
Alrik hob die Augenbraue. Hatte er sich vorhin im Saal also nicht getäuscht..
"Dann weißt Du schon von diesem lächerlichen Zweikampf...?"
"Gewisss...und mehr als daß..."
"So, in der Besenkammer warst du also auch dabei, oder was? Elender Spanner..."
"Nicht doch...viel besser...ich war Mäußlein, als dieser komische Kahlkopf auf dem Hof herumgeschlichen ißt..."
Alrik blickte fragend.
"Daß der irgendwaß im Schilde geführt hat, war mir ßofort klar..." fuhr der Edle von Orweiler mit scharfsinniger Dexter Nemrod-Miene fort. "Und tatßächlich, im Hühnerßtall hat er mit einer der Mägde getuschelt......ich habe nicht alleß verßtanden, eigentlich nur daß Ende deß Geßprächs. Aber eß ging wohl darum, dass sie deinen Bruder und dießn Sstorko aufeinanderhetzen ßoll...ich bin ihr gefolgt und, was soll ich ßagn, dort had ße dießeß Gerücht mit der Beßenkammer in die Welt geßetzt...den Rßst weißt du ja..."
"Ach ja...und warum hast du mir nicht sofort bescheid gesagt..."
"Nuun...zum einen ist dießeß Elixier ßehr potent...es hat über eine Sstunde gedauert, biß ich mich wieder zurückverwandelt habe, und äß gab ßehr viel zu ßehen...außerdem, dießeß Duell ißt doch ganz in deinem Ssinne, oder?"
"Nur, wenns Bishdarielon Blut kostet..."
"Haßt du deswegen dieße Armbrußt an dich genommen?"
"Dein Scharfsinn ist bewundernswert....dann stimmt das mit der Besenkammer also nicht...wirklich schade...prügelt sich mein närrischer Bruder wieder mal völlig für lau...Jede Dienstmagd kann ihn hinters Licht führen...Dieses Elixier...könntest du dich damit noch einmal verwandeln?"
"Ssälbstverßtädnlich..."
"Und deine Gewänder und alles was du am Leibe trägst werden auch...Luft?"
"Gewiß..."
"Hervorragend. Du könntest ihn ein bißchen mit dem Dolch ritzen...beim Zweikampf...oder mit deinem Magierflorett...ohne dass ers merkt?"
"Nuun, daß ißt der kleine Haken..bei Gewalt oder Blutvergießn durch den Anwender wirkt daß Elixier nicht mehr..." Der Zauberer zuckte mit der Schulter.
"Ich würde ßofort wieder ßichtbar werden. Dafür ißt eß wirklich ßehr wirkungßvoll..." Er wies auf die Phiole, die sich gerade in Luft auflöste - nur eine bräunliche, zitternde Flüssigkeitssäule blieb zurück: Das Elixier schwebte scheinbar unbeeindruckt von Sumus Kraft über den Fingern des Hofmagiers, wackelte und schwappte aber bei jeder Bewegung, zeigte Luftbläschen: "Eß ißt so potent, dass sogar Dinge verschwinden, die damit in Berührung kommen. Wie die Phiole...?Ssiehst du? Oder beßer geßagt, ßiehst du nicht... Nur von Zeit zu Zeit taucht daß Glaß wieder auf...Faßzinierend, nicht wahr, bei der Allweißen Herrin?"
"Jaja. Wundervoll, einfach wunderbar..."Alrik rieb sich die Hände, zog die Tasche hervor und eine Kugel heraus. Plumpsend ließ er sie im Elixier verschwinden...im Wortsinn...
Der Mondschatten pfiff durch die Zähne. "Heiliger Assaf...das ist es...eine unsichtbare Kugel...nicht nachweisbar...im richtigen Moment auf unseren unbesiegbaren Recken geschossen, und dann...Schlangenzunge, du bist wunderbar...Setzt das Zeug auf die Spesenrechnung, ich zahl dir das Doppelte. Jetzt brauche ich nur noch einen fähigen Hecken-Schützen..."
"Alßo ich bin froh, wenn ich beim Pinkeln den Eimer treffe..." grinste Hesindian.
"Jaja, schon recht. Mir fällt bis morgen schon noch was ein..." Der Baron schnupperte Bratenduft. "Jetzt wollen wir erstmal sehen, wer alles Appetit aufs Mittagessen hat" Alrik nahm die Phiole an sich, die zwar unsichtbar, aber beunruhigend gut zu spüren war.

Gefolgt von Hesindian schritt er die ächzende Holztreppe zum Speiseraum hinab, dem Bratenduft entgegen.
Dort angekommen saßen schon die zwei Mersinger Damen und die Gastgeberin am Mittagstisch. Eine Magd schenkte ihnen gerade in die Becher ein.
Die Jungfern saßen mit hinuntergezogenen Mienen nebeneinander ohne gegenseitig Blicke oder Worte zu wechseln. Valyria erklärte ihnen gerade:
„Ich habe mich bezüglich der Verleumdungen bei meinem Dienstpersonal erkundigt und die Köchin bestätigte gar mit hochrotem Kopf, dass sie von diesem Gerücht wisse. Eine andere Magd hat es ihr erzählt, doch ich konnte sie noch nicht ausfindig machen. Ich bin mir sicher, dass es sich dabei nur um einen übelsten Scherz handeln kann. Die Verantwortlichen werden die Konsequenzen zu spüren bekommen ...“
Lächelnd nickte Alrik den Damen zu und setzte sich zu ihnen an den Tisch, daneben machte dich der Magier bequem und deutete der Magd sie solle ihm einschenken.
Syrenia und Glyrana grüßten ihn weder, noch blickten sie in an. Alrik konnte in ihren Gesichtern arroganten Stolz und Ärgernis erkennen.
Valyria lächelte dem Baron von Friedwang zurück.
„Es scheint mir als wenn weder der Junker zu Gernatsborn noch der Edle zu Senkenthal zu Mittag mit uns essen wird“ sprach sie mit besorgter Stimme.
Alrik verkniff sich einen hämischen Satz, der auf seinen Lippen lag und hob den Becher „So lasst doch uns auf das gute Mahl anstoßen und nicht im Gram verweilen. Bei den Göttern, ich bin mir gewiss alles wird sich zu Guten wende“ – zum Guten für ihn dachte er sich.
Die Tischgesellschaft machte es ihm nach und erhob die Becher, die Mersinger doch nur aus reiner Höflichkeit.
Ahh, guter Meth gab es zu trinken – Hesindian wischte mit seiner Schlangenzunge gekonnt ein paar Tropfen des guten Trunkes von seiner Lippe ab und ließ sie in den Mund gleiten.

Eine Magd und ein Knecht kamen in den Speiseraum um brachten ein silbernes Tablett auf dem ein gebratener Truthahn in guter Soße mit gekochten Süßkartoffeln dargereicht wurde.
Was für ein Dummkopf sein Bruder nur war, dachte sich Alrik, so einen guten Braten zu verschmähen.
Der Truthahn wurde aufgeschnitten und ausgeteilt und alle Beteiligten begannen zu speisen ... die Mersinger aßen langsam und mit voller Wahrung der Etikette ohne ihre Mienen zu verändern.
Alrik verspeiste das gute Mahl mit Genuss, doch überlegte er währenddessen wer nun der Heckenschütze sein solle, der die unsichtbare Kugel seinem Bruder in den Körper schießen würde. Welche guten Schützen waren denn auf dem Hof vorhanden. Nun, er selbst war ein recht guter Schütze, doch schied er selbstverständlich für diesen Zweck aus. Der zweifelsfrei beste Schütze war wohl Odilon, doch für so eine phexische Tat würde er ihn nicht gewinne können, das Ganze musste ja im Geheimen stattfinden. Wo war Odilon heute eigentlich? Er hatte ihn seit letztem Abend nicht mehr gesehen.
Unter Alriks Waffengesinde war kein guter Schütze, vielleicht sein Knappe Roderik – ob er dem Pagenkopf dies auftragen solle?
Verdammt, dass Hesindian mit der Armbrust nicht umgehen konnte, wenn er beim Duell nicht anwesend wäre würde ihn niemand vermissen und eingeweiht wäre er ja auch schon.
Der Friedwanger Baron legte den bis auf den Knochen abgenagten Truthahnflügel beiseite um sich noch ein paar Kartoffeln mit guter Sooße zu Gemüte zu führen.
Da war ja auch noch dieser Grenzjäger Wolfram oder Wulfram des Gernatsborners. Der konnte gewiss gut mit der Schusswaffe hantieren und wäre auch eine Möglichkeit zur Verwirklichung seines Plans ... ach nein, der Junker hatte ihn ja schon zu seinem Sekundanten ernannt.
Vielleicht konnte ja auch sein kompetenter Hofmagier einen geeigneten Schützen verzaubern, sodass er danach nichts mehr im Gedächtnis davon hat – am wichtigsten wäre ja, dass sein Plan nicht aufkommt.

Syrenia stand auf. Ihr Teller war leer und das Besteck ordentlich zur Seite gelegt. Die hübsche junge Frau verbeugte sich höflich vor der Baronin und schritt aus dem Speisesaal in Richtung ihrer Kammer.
Alrik stellte sich gerade vor, dass sein dummer Bruder – da es nun ohnehin schon egal wäre – in ihrer Kammer auf sie wartete. Wo war er überhaupt?
Glyrana wischte sich ihre Lippen mit der Serviette ab und tat es ihrer Schwester gleich, ein höflicher Knicks vor Valyria und dann aus dem Raum hinaus.

Die Gutsherrin hatte ebenfalls zu Ende gespeist und wandte sich den verbliebenen beiden Herren zu.
„Es beschämt mich zutiefst, dass durch ein so niederes Gerücht, von meinen eigenen Bediensteten erfunden, meine Gäste so entzweit wurden.“

Alrik drehte versonnen den Zinnbecher mit Meth.
"Aber was für einen Grund sollten sie gehabt haben, ein derart...heißes Gerücht in die Welt zu setzen?" sagte er gedehnt.
Valyria öffnete beide Handflächen zu einer etwas hilflosen Geste.
"Wer das wüsste..." seufzte sie. "Vielleicht ist es auch einfach nur ein Übermaß an Phantasie...ein Mißverständnis womöglich...erst vor ein paar Wochen wurde eine der Katzen versehentlich in die Besenkammer gesperrt...das gab auch merkwürdige Geräusche..."
Der Friedwanger merkte, wie sich sein Hofmagier neben ihm verspannte.
Ach ja, der Kahlkopf...der hatte diese Dienstmagd ja offenbar erst angestiftet...buntgescheckter Kerl, laut Hesindians Aussage, wohl nicht zum Gesinde gehörig...Alrik schlürfte etwas Honigwein. Der Gedanke mißfiel ihm, dass hier noch jemand Intrigen ausheckte, und er nicht wusste, was er damit bezweckte - geschweige denn, welche Rolle ihm selbst dabei zugedacht war...
Sollte er Valyria einweihen? Irgendwie sah ihn die Gutsherrin gerade äußerst durchdringend an, nach dem Motto "Steckst du vielleicht hinter der ganzen Scharade - Baron?" Er lächelte über den Becherrand zurück, wie ein Imrahspieler über seine Karten hinweg. Nein, nur ein Narr deckte sein Blatt vorzeitig, ohne Not auf...
"Wie heißt denn diese ...verdächtige Dienstmagd?" wollte er mit ehrlicher Neugierde wissen.
"Gitta...aber ich kann sie irgendwie nicht finden...scheint so, als plage sie bereits das schlechte Gewissen und sie verstecke sich vor mir..."
Die Edle seufzte. "Dummheit und Stolz wachsen auf dem gleichen Holz. Dieser Zweikampf ist vollkommener Nonsens. Wir sollten miteinander gegen das Chaos und die wahren Schurken kämpfen, statt uns hier auch noch gegenseitig das Leben schwer machen...Sprich du mit deinem Bruder, Alrik, eine wechselseitige Entschuldigung müsste doch noch möglich sein...ich werde versuchen, meinem Nachbarn Storko diese närrische Idee auszureden..."
"Ach, wenn mir Bisch zuhören würde...nur ein einziges Mal. Es ist zu spät für Entschuldigungen. Zuviele Worte sind schon im Nachhinein gefallen, selbst wenn sich alles nur als ein dummes Gerücht herausstellen sollte...ich habe schon Aristokraten sich um weitaus Geringfügigeres duellieren sehen..."
Alrik grinste. "Im Bethanierkrieg, im Feldlager am Arvepass, da gab es mal einen Ritter, ein Rabenmundfreund, der war offenbar auch sonst ein Geflügelliebhaber...hatte eine herrliche darpatische Landhenne als Haustier, nur zum Eierlegen vermute ich mal bei einem solchen Mann von Ehre...jedenfalls, eines Tages kommt der in sein Zelt zurück, findet sein Huhn nicht mehr...und sieht stattdessen, wie vor dem Nachbarzelt, dem Quartier eines Edlen von Bregelsaum ein gerupftes Hühnchen im Suppenkessel dampft...empört fordert er den adeligen Hühnerdieb und Mörder seines Haustiers zum Duell, sogar aufs zweite Blut, obwohl oder gerade weil der die Tat abstreitet...als die beiden schon auf dem Duellplatz stehen, eilte das dumme Huhn des Ritters gackernd herbei, als wäre nichts gewesen." Alrik lachte, Valyria blickte eher gequält.
"Alßo ich kenne die Geschichte nur mit einer heiligen Traviaganß, die angeblich mal in Friedwang, während der Hungerßnot, von Ssokramoranbetern..." lispelte Hesindian.
"Nicht doch...Ich hab alles mit eigenen Augen, äh, eigenem Auge gesehen...und hoho, was das beste war...als dann irgendein von Sturmfels in schallendes Gelächter ausgebrochen und die beiden Streithähne Narren schalt, ist, haben die beiden IHN gefordert, nacheinander, haha...wahrlich, der Profoss hatte alle Hände voll zu tun, eine offene Fehde in seinem Lager zu verhindern..."
Valyria rang mit ernstem Blick das Gelächter des Friedwangers nieder.
"Recht hat er daran getan, so einen Unfug nicht zu zu lassen. Erstes Blut, zweites Blut, drittes Blut...neumodischer Unsinn aus dem Horasreich", fauchte sie. "Ich habe schon Menschen an ihrer ersten und einzigen Wunde sterben sehen...Man kann auch mit einem Hieb eine Hand abschlagen oder einen Menschen anderweitig verstümmeln - und für was? Rechthaberei, Geltungsdrang und Eitelkeit, Dinge, die manche Heißsporne mit Ehre verwechseln. Früher, ja, da war ein Duell mal ein Götterurteil, etwas Rondraheiliges..."
"Das ist es im Grunde immer noch. Auch wenn ich dir ja Recht gebe, Valy, der Ablauf der Eriegnisse liegt nicht mehr in meinen Händen....Ich fürchte, die Kutsche Richtung Schwertergeklirr ist bereits abgefahren. Pfuschen wir den Göttern besser nicht ins Handwerk..."
"Bei Praios, man sollte die unsterblichen Zwölfe aber nicht wegen eines dummen Gerüchts, eines bloßen Missverständnisses oder gar einer dreisten Lüge behelligen, leicht könnte man Alveran damit erzürnen. Ich will ich mir nicht nachsagen lassen, ich hätte nicht alles versucht, um Blutvergießen zu verhindern..." Sie winkte einen Diener herbei: "Sucht nach diesem Storko und auch Bishdarielon, sagt Ihnen, dass ich als Herrin dieses Hauses um eine Unterredung mit ihnen bitte...Dringend..."


Gitta irrte, ein Kopftuch um den Kopf geschlungen, durch den Wald, folgte den Zeichen, die hier und dort für das kundige Auge hinterlassen worden waren: eine paar aufgeschichtete Steine hier, eine Einkerbung im Fichtenstamm dort...
Sie hielt Fine in den Händen, ein kleines Kätzchen (eben jenes, das sich unlängst in die Kammer des Schreckens, vormals die Besenkammer, verirrt hatte). Würde sie jemand vermissen - dann hatte sie eben die kleine Fine gesucht, an der sie, wie jedermann wusste, überaus hing.

Sie hatte es vor Aufregung (und schlechtem Gewissen) in Gernatsquell nicht mehr ausgehalten...sie musste Bericht erstatten, nachdem sich Sholtan nicht mehr hatte sehen lassen. Mal plagte sie die Unruhe, mal spürte sie fast so etwas wie verruchten Stolz, dass ihr Plan so wunderbar funktioniert hatte...
Phexlida würde sie dafür küssen. Eine Räuberin, sie würde noch eine echte Weggelagerin werden, wie in den Geschichten ihrer Großmutter...Ein bisschen selbstgefällig ließ sie das zitternde Kätzchen in ihrer warmen Umhängetasche verschwinden.

Da vorne, da war er schon, der eingeschneite Felsen mit dem lustigen, scheinbar knollnasigen "Trollgesicht", und der wüste Windbruch zu Linken. Vor ihrer Nase hing ein halber, vergammelter Tierknochen an einem Lederriemen von einem Ast herab. Das Lager der "Knochenbrecher" konnte nicht mehr...
Ein Knirschen im Schnee, gefolgt von einem hektischen Keuchen.
Der Angriff kam völlig überraschend, von hinten. Eine rohe, am Rücken behaarte Hand legte sich um ihren Mund, ungemein kräftige Arme packten sie. Der Mann in ihrem Rücken stank nach ungewaschenen Lumpen und billigem Fusel. Zappelnd und erstickt schreiend, wurde sie einige Schritt weiter gezerrt, auf eine Lichtung, mit roher Kraft in eine bitterkalte Schneewächte geworfen...
Sie schüttelte den Schreck ebenso ab wie den Schnee, fand sich in einem Kreis verwegen aussehender, in allerhand buntes, abgewetztes Zeug gehüllte Gestalten wieder - die Knüppel, rostige Säbel, Äxte und Beile und den einen oder anderen Säbel in Fäusten hielt. Es war Rappel, der sie gerade eben "entführt" hatte: ein verrückter, unberechenbarer Bursche, mit wucherndem Bart und ständig herausgedrehten Augen, und speckigem, breitkrempigen, hochaufragenden Hut mit rotem Hutband und Schnalle: "Ah..na...ha...ahaaaahaaa...Gitta....du?" grunzte er, baute sich breitbeinig auf und griff zu dem Kurzschwert, dass er an der Seite trug. Sprechen war nicht Rappels Stärke, dafür war er mehr der Typ Muskelmann, und dafür berüchtigt, alles kurz und klein zu schlagen, wenn er sich über irgendetwas maßlos aufregte...was öfters der Fall war. Typ Urviech halt.
"Wen haben wir denn da? Doch nicht etwa: Unsere kleine Meisterspionin Gitta von Talf?"
Ein schlanker Degen legte sich erst auf, dann unter die lederne Schnürung ihres Mieders, wo zwei pralle Brüste vor Empörung und Frost, aber auch Furcht zitterten. Gundo Knochenbrecher ragte über ihr auf, mit seinem großen Almadaner Hut, die Krempe an der Seite hochgeschlagen, von einer zerzausten Pfauenfeder geschmückt. Früher war der Räuberhauptmann blond gewesen, um die graue Farbe seines schulterlangen Haares zu verbergen, hatte der eitle Geck es schwarz gefärbt (das schüttere Haupthaar verbarg er unter dem Federhut).
Um das Lederwams mit geschlitzten Puffärmeln hatte er einen eleganten Stutzermantel geworfen, einen Windfang, wie man auf Füchsisch sagte: Der zweifelsohne (ebenso wie der fein ziselierte Degen) gestohlen war - vermutlich sogar dem gleichen Opfer. Auch die mächtigen Stulpenstiefel hatte er sicher nicht im Wald gefunden.
Trotz seiner mehr als 50 Winter sah Gundo immer noch umwerfend gut aus...Gitta war nicht die einzige Frau, die ihm zu Füßen lag - momentan vielleicht.

Fine wimmerte in ihrem Versteck, sie griff hastig nach der Tasche, bevor das Kätzchen herauskriechen konnte.

Sie sah um sich, suchte die großen Zelte, die vielen Fässer und Kisten des Räuberlagers. Die waren allesamt verschwunden, ebenso die Windfänge aus Tannenzweigen. Nur die steingefasste Aschefläche des einstigen Lagerfeuers, der Treppenabgang und die Mauerreste erinnerten noch an den "Fuchsbau" der Knochenbrecherbande (das Kellergewölbe unter der Lichtung hatte wohl vor Urzeiten zu irgendeinem viereckigen Bauwerk gehört, vielleicht ein Turm).
"Gundo, was zum Namenlosen soll das...?"
"Das Gleiche könnte ich dich fragen, Schätzchen" zischte er. Die Degenspitze zuckte. Ein kurzer Schmerz, dann floss Blut über ihre Wange. Gitta langte sich an die kleine Wunde.
"Aaah...warum tust du das? Ich habe doch alles getan, was ihr gewollt habt...sie werden sich duellieren, aufs erste Blut, morgen vor dem Gutshof..."
"Hör auf zu jammern, ich habe dich nur geritzt" Gundo Knochenbrecher ließ den Degen in der Scheide verschwinden. "Aufschlitzen sollte ich dich, ebenso diesen Moosaffen Sholtan. Was habt Ihr euch dabei gedacht...mirnichtsdirnichts einen solchen Hahnenkampf anzuzetteln? Die Aufmerksamkeit gleich eines ganzen Rudels dieser feinen Pinkel auf uns lenken? Mit Edelvolk ist nicht zu spaßen. Jetzt müssen wir unser Lager aufgeben...mitten im Winter die Platte polieren...wegen dir!!!"
"Aber...es hat doch alles wunderbar geklappt. Ich habe der Köchin erzählt, dass Ludolf Geräusche aus der Besenkammer gehört hat...und jetzt glauben alle, dieser Ritter und die Jungfer von Mersingen hätten, hihi, der Göttin Rahja gehuldigt...und Storko hat ihn dann sofort zum Zweikampf gefördert, als er davon erfahren hat..."
Sie suchte den Flinkfinger, der missmutig in der zweiten Reihe stand, immer wieder aufstampfte, um Firuns Peitschenhieben zu entgehen.
"Gefordert heißt das, gefordert...ja, herrlich...wunderbar durchdachter Plan. Was glaubst du, wie lange deine Herrin brauchen wird, um herauszufinden, dass du hinter allem steckst? Und dann...
Gundo wies mit der behandschuhten Rechte nach hinten: "Dann werden sie unserem Versteck todsicher auf die Spur kommen, jetzt, wo unser kleine Fehe eine wunderbare Fährte in den Schnee gezaubert hat, in Richtung Fuchsbau ..."
"I wo, in einem halbem Wassermaß ist alles wieder eingeschneit."
"Würdest du in der Wildnis leben wie wir, wüsstest du, dass es heute nicht mehr schneien wird..."
Gundo trat wütend etwas Schnee beiseite. "Sei froh, dass ich dummen kleinen Mädchen nichts tue, Dummchen, sonst würde ich deinen nichtsnutzigen Kopp den Schnöseln da drüben vor die Tür legen, als Abschiedsgeschenk ..."
Dann stieß er gegen einen von Gittas Bundschuhen, den linken: "Da hier - die Sohle wurde geflickt...ein klarer Hinweis darauf, wem der Schuh gehört...Odilon ist auf dem Gutshof...ein Waldläufer, der der Spur einer Maus von hier bis ins Güldenland folgen könnte...Man sieht sofort, dass es die Abdrücke deiner Schuhe sind da draußen..."
Er stemmte die Fäuste in die Seite. "Du wirst hier bleiben müssen...Du kannst gar nicht mehr zurück...oder sie werden dich als Räuberin anklagen...Wirst mit uns kommen müssen, Schicks...bleibt dir gar nichts anderes übrig"
Gitta blickte betreten zu Boden. Sie hatte sich für ungeheuer verwegen und raffiniert gehalten, aber sich angestellt wie ein halbstarkes, vorlautes, leichtsinniges Mädchen - dass sie ja auch war.

Eine Frauenhand legte sich auf Gundos Schulter.
"Lass gut sein..." Eine schwarzgelockte reifere, aber sehr sinnlich wirkende Frau, mit leicht geschlitzten Augen und katzenhaften Gesicht war hinter den Hauptmann getreten, zwei Kleinarmbrüste staken an ihrem Gürtel. Die schlanke Frau im ledernen Gewand sprach mit leichtem bornischen Akzent. "So schlecht ist das mit Sholtans Plan nicht. Du hast es gehört, sie werden sich morgen vor dem Gutshof duellieren. Das Gesinde und die Besucher stehen dann sicher herum, gaffen und halten Maulaffen feil. In der Zwischenzeit schleichen wir uns auf den Hof, ratzen was wir kriegen können, und ich nehme meinen kleinen Timoin mit, bevor..." Hass flackerte für einen Moment in den Mandelaugen der Räuberin auf "bevor diese Sontz Valyria, diese Leutschinderin meinen armen Timotheo stiehlt...und dann suchen wir uns eben ein neues Lager, am besten irgendwo an der Landbohle, wo es tüchtig was abzugreifen gibt. Bei Phex, das machen wir...ich möchte mich endlich wieder...frei fühlen...raus aus dem Schweinewald..."
Gitta rappelte sich wieder auf. Phexlida, die Elster...Auf ihre Freundin konnte sie sich verlassen. Sie lächelte ihr tapfer zu. Ein eher verhaltenes Lächeln der Banditin antwortete ihr, aber auch ein zusammengezwinkertes Auge.
Erneut ein Jammern, dann schälte sich Fine aus der Tragetasche. Hastig griff die Magd nach dem Kätzchen, ihrem kleinen Liebling, das sich maunzend an sie schmiegte...

Mit klirrender Rüstung trat Bullkopp heran, auch Launiger genannt, ein von der Fahne gegangener fürstlicher Gardist, seine Beckenhaube umrahmte das breiten fleischige, von Wein, Kälte und unstillbarem Zorn auf die Welt gerötete Gesicht.
Der stämmige Mann wog einen Streitkolben in der Hand, schien bereits aus kleinen, arglistig glänzenden Augen heraus zu überlegen, wem er sie als nächstes auf den Kopf schlagen sollte.
"Ich sag auch, wir fingern uns noch die beiden Mersinger Schicksen dazu. Das gibt Moos ohne Ende...Wenn wir schon auf die Walz müssen, dann wenigstens mit zwei Säcken voller harter, schwerer Rabenmärker Duckern auf dem Buckel......"
"Harter, schwerer Schicksen, nicht Duckern..." Spöttisch sah Gundo, wie Gitta ihr Kätzechen streichelte. "Wir sind nur ein Dutzend...zu wenige für einen Überfall..."
"Wir setzen ihnen halt den Funkart aufs Dach...wenn sie abgelenkt sind mit Löschen..." Die stählerne Hand von Bullkopps Linker schloss sich um den Schaft des Streitkolbens, als wäre der das Hälslein einer jungen Adeligen.
"Dann greifen wir uns die Mädels, und ab mit ihnen durch die Mitte..."
"Aber..." jammerte Gitta. "Ihr könnt doch nicht...also..ihr könnt doch nicht jetzt im Winter...also ihr könnt doch nicht unser Gut Gernatsquell anzünden..."
"Boss dich..."schimpfte der Knochenbrecher. "Willst Schnapphenne sein und sitzt da, wehklagst im Duett mit deinem Kätzchen. Und du, Launiger, merk dir eins, merks dir gut: Wir sind immer noch anständige Phexensjünger, keine blutrünstigen Korgesellen und Leutschlitzer. Die Jungfern wären nur Ballast, wenn wir das Lager wechseln...Das gibt nur Ärger...und das Haus Mersingen...einmal hab ich den Fehler gemacht, einen jungen Adelschnösel hopps genommen, gar nicht weit von hier...und viele Freunde an Seilers Tochter verloren damals...Gute Freunde, fürwahr." Ein Schatten legte sich auf Gundos Gesicht. "Ich mags nicht noch mal erleben müssen..."
"Schade, Hauptmann, schade..."Bullkopp blickte in die Runde. "Verdammt, was soll das, glaubst du, ich tappe hier nur für lausige Blechlein in deinem Haufen mit? Ich will endlich mal richtig grimm Kohle machen...Ich denke, alle hier wollen das: mal wieder fuchsigen Zaster klimpern hören...das hier ist die Wilde Mark...wenn nicht jetzt Reibbach machen, wann dann?"
"Wir sind zuwenige, um einen offenen Kampf riskieren zu können. Am End schmiert uns bloß der Zwicker. In den Gutshof können wir gerne einsteigen, ein bißchen was gampfen, gut, aber mehr nicht..."
"Mehr nicht? Was ist mit den Goblins? Zusammen mit denen könnten wir es sogar mit dem Schlotzer Rotzjungenbund aufnehmen."
"Chraaz Horde? Ich mache mich nicht mit diesen rothaarigen Stinkern gemein..."
"Nuuuun...Schneid haben die, für Goblins Mit denen wären wir genug, um damit Gernatsquell anzugreifen...Storko ist ja jetzt auch dort, unser junger Waldlöwe...Zeit, mal dem das Fell über die Ohren zu ziehen. Wenn wir ihn erschlagen oder er in unsere Hände fällt, dann muss auch Gernatsborn gehorchen...und das Gut dort ist reich...die haben sogar Kupfer auf dem Dach...das gleißt und blitzt in der Sonne wie die Tür vom Hurenhaus..."
"Du weißt, dass ich lieber Eisen in der Hand halte als nach Kupfer auf hohen Dächern zu gieren...auf verdammt hohen Dächern...Und nicht nur, dass wir uns mit götterlosen Rotgepelz verbünden müssten...nein...Chraaz wäre bald unser Herr...Möchtest du das, Bulle? Einem Stinker gehorchen?"
"Warum nicht? Chraaz hat mehr Mumm als du...glaube ich langsam..."
"Was soll das heißen, Schmalkachel?" Gundo griff zum Degen, kam aber nicht weit. Eine Axt wurde ihm von hinten in den Rücken geschlagen: mit der stumpfen Seite voran. Ächzend sank er zu Boden...
Sholtan baute sich grinsend über den gefällten Räuberhauptmann auf.
"Mannmann...Einen Herzschlag länger dieses feige Gequassel, und ich hätte ihm den Schädel gespalten, unseren Schwätzerhauptmann..."
Die Elster griff nach ihren Armbrüsten - und fühlte zwei Klingen an ihrer Kehle. Von hinten drängte sich die übrige Bande heran, nur einige wenige, wie Rappel wirkten überrascht.
Fiona maunzte. Die Dienstmagd duckte sich. Die Dinge nahmen gerade einen unheilvollen Verlauf, so schien es.
Sholtan drehte den stöhnenden Knochenbrecher um, trieb ihm noch die Faust unters Kinn. Dann setzte er sich grinsend dessen Hut auf, stolzierte damit herum.
"Was soll das, Sholtan?" fragte Phexlida, um Gelassenheit bemüht. "Bist du jetzt unser neuer Hauptmann..."
"Wie von der Gruppe...fast einstimmig...beschlossen..." griente der Schmutzbart. "Du warts gerade mit Gundo im Wald, als wir darüber beraten haben...deswegen konnten wir euch nicht fragen..ahahaaa..."
Gitta schossen die Tränen in die Augen: Nicht nur, dass gerade ihr Idol niedergeschlagen wurde - ihre Geliebte hatte auch noch ein Techtelmechtel mit ihm gehabt...
"Also frage ich dich jetzt: Hast du was dagegen, dass jetzt Ich" Er deutete auf seine Brust. "Sholtan Flinkfinger euer neuer Anführer bin. Ich werde dafür sorgen, dass wir in Duckern baden, wenn die beiden Mersinger Weiber sich erstmal in Stricken vor uns winden, das freche Mündchen gestopft..."
"Bescheuerte Idee. Gundo hatte völlig Recht. Selbst wenn Gisborn zahlt...er wird uns danach jagen bis ans Ende der Welt...ich war damals dabei, als das mit dem jungen Friedwang passiert ist...Fast die ganze Bande ist draufgegangen..."
"Ja, weil ihr so blöd ward, einen Brief an Graf Answin höchstselbsten zu schreiben, von Gundo unterschrieben, dass ihr seinen Knappen verschleppt habt...statt ihn gleich, zk, stillschweigend an die Al´Anfaner zu verscheuern...oder von seinem Vetter das Gold zu kassieren und ihn kalt zu machen...Das Haus Rabenmund fordert man nicht ungestraft heraus..."
"Die Mersingens auch nicht..."
"Sie werden nie erfahren, was aus ihren beiden Kindern geworden ist, in der gefährlichen, bösen, herrenlosen Wildermark..."
"Willst du sie auch in die Sklaverei verscherbeln?"
Sholtan grinste, ein dreckige Räuberfratze.
"Viel besser...Ich habe die Jungferlein kurz gesehen, heute morgen auf dem Hof...Süüüß...Um nicht zu sagen: Niedlich. Drunten in Gallys, da treibt ein Rudel Verehrer der Herrin der Schwarzfaulen Lust ihr Unwesen...die würden sich freuen, einmal ihr Spielzeug, ihre oronischen Künste an Gisborns unerfahrenen Kinderlein auszuprobieren...und einen hübschen Batzen für ihr zartes, weißes Fleisch bezahlen..."
Die Elster schüttelte den Kopf. "Sholtan, ich habe dich immer nur für einen Affen gehalten...dumm im Kopf, aber geschickt mit den Fingern...jetzt weiß ich, dass du ein pervalisches Schwein bist..."
Sie schlug einer der Säbelklingen, die ihre Kehle suchte, einfach beiseite.
"Ein Trüffelschwein, um genau zu sein" kicherte Sholtan. "Zufällig kenne ich zwei der Kultisten, Beator Ussor und Dollan Baster, ich durfte einmal Gast in ihrer ...Herberge sein. Haben bei der Kriegsherrin Arnhild ein Stein im Brett, nach allem was man hört. Ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass sie über sehr viel Kohle verfügen, und den Willen, sie auszugeben. Wie sie ihre Lustsklaven foltern, auf widerwärtigste, niederhöllischste Weise, nun, das würden einen Oronier vor Scham erröten lassen. Gleich vier Opfer für ihre dunkle Göttin der Wollust - von dem Erlös können wir uns dauerhaft in Gallys niederlassen, glaub mir..."
"Vier Opfer...?"
"Ja doch: Syrenia, Glyrana, Gundo und Gitta..."
Phexlida griff wieder zur Armbrust.
"Du kannst nicht alle hier erschießen, Phexlida. Denk an Timoin...du willst ihn doch wiederhaben, nicht wahr? Außerdem könnten wir Gundo und die Kleine dort auch einfach..." Er fuhr mit der Handkante über die Kehle. "Um der alten Zeiten willen werde ich großzügig sein. Ich erlaube dir sogar, einen oder eine der beiden freizukaufen, von deinem Anteil an der Beute. Wenn du parierst...Nun schau nicht so verbittert. Liebe ist nun mal wie Honig von Dornen lecken...Du wirst dich entscheiden müssen, wer von deinen Lieblingen den Honig zu schmecken und wer die Dornen zu spüren bekommt."
Er nahm die eine Armbrust aus dem Gürtel der Bornländerin.
"Gitta, zieh deine Schuhe aus..."
"Aber es ist kalt..."
Krachend bohrte sich ein Pfeil in die Tasche, nur einen Fingerbreit von Fine entfernt. Die Magd schrie ängstlich auf.
Sholtan nahm auch die andere Armbrust an sich. "Bist eine kesse Schicks, Gitta. Du weißt, was der nächste Pfeil trifft..." Tatsächlich zielte er auf Fine.
Weinend und schniefend führte die Magd den Befehl aus.
"So...Phexlida...du hast ungefähr die gleiche Größe, das gleiche Gewicht...Du wirst die Schuhe dieser dummen Dotsch anziehen und damit zurück zum Gutshof latschen...So gewinnen wir Zeit, über den Fluss zu türmen...Sie sollen in Gernatsquell nach Gitta suchen..Dort versteckst du dich heute Nacht ...Wenn morgen das Duell stattfindet, legst du Feuer...den Rest erledigen wir und die Goblins...Und in ein paar Tagen nächtigen wir vielleicht schon in Gernatsborn..."
"Sholtan, ich muss mich entschuldigen...du bist kein Schwein...du bist ein Dämon..." Die Festumerin zog ihre Stiefel aus und die Bundschuhe der Magd an. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Gundo gefesselt wurde.
"Viel zu eng..." brummte sie mehrdeutig und versuchte in Gittas Schuhen einige Schritt zu laufen.
"Genauso siehst du es...viel zu eng...Die Zeiten der Räuberromantik, Diebesehre, Lagerfeuer und so weiter sind vorbei...Gundo hat ein viel zu weiches Herz...Jeder ist sich selbst der Nächste in der Wilden Mark. Und nun beeil dich, bevor hier ein Suchtrupp auftaucht..."
Sholtan wartete, bis Phexlida im Wald verschwunden war, dann wandte er sich wieder Gitta zu. Er lächelte ihr begütend zu. Das kleine Kätzchen hüpfte ihr aus den zitternden Händen, wuselte im Schnee davon.
"Miez, miez!"
Der Bandit hob, immer noch lächelnd, seine Waffe, der Armbrustmechanismus krachte.
"Danke, dass du uns was zu Essen mitgebracht hast, Gitta!"


Etwas lustig war es schon anzusehen. Wolfram hatte Storko nicht nur das Schwert geholt, sondern mangels geeignetem Übungspartner – der Grenzjäger kannte sich zwar gut mit Bogen und Armbrust aus, doch Klingen waren nicht sein Gebiet – auch einen Schneemann hinter dem Haus aufgebaut.
Sein schlankes Schwert fest im Griff schlug und stach er immer wieder auf den wackeren Firunsgesellen ein, der jeden Treffer ohne Jammern einsteckte.
Storko versuchte Finten zu schlagen und übte diese Technik, dann ein wuchtiger Schlag auf die Rechte Seite des weißen Feindes ... Schnee brach aus ihm heraus und eine eisige Wunde klaffte auf der Seite.
Er stellte sich den Golgariten vor sich vor, getroffen von seinem Schwerthieb, innerlich triumphierte Storko schon.
Gut, die Finte und der Wuchtschlag beherrschte er ja etwas. Manöver wie der Ysilische Wolfsbiss, die Arivorer Attacke oder ein Darpatischer Haken würden ihn erst gut aussehen lassen ... das Problem war nur, dass er diese alles andere als beherrschte, ja eigentlich hatte er sie nur in der Kadettenanstalt theoretisch im Fach Fechtlehre gelehrt bekommen, und noch dazu hatte er bei der Prüfung geschummelt. Gewöhnliche Hiebe und Stiche mussten also reichen, mit mehr konnte er nicht aufwarten.
Er prägte sich seine Finten genau ein, das Gute war jedoch, dass der Schneemann weder parierte, und noch wichtiger nicht zurückschlug.
So ging es bis zum Nachmittag und bis vom Gegner nur noch ein Häufchen über war.


Bishdarielon hatte die Arme verschränkt, starrte finster auf seinen Kontrahenten im Rittersaal.
"Bei meiner Seel...ich werde mich nicht entschuldigen. Für was denn auch? Dass meine Ehre und die einer Dame angetastet worden sind?"
Valyria blickte zu Storko.
Der Junker sah demonstrativ an dem Senkenthaler vorbei.
"Selbst wenn es nur ein Gerücht wäre...dass eure Diener es für möglich halten, dass so eine travialästerliche Tat stattgefunden hat, sagt schon
alles. Aber die Tatsachen sprechen für sich. Warum sollten Eure Diener so etwas erfinden?"
Der Golgarit lachte grimmig. "Geht am besten nach draußen, Gernatsborn, und übt weiterhin den Schwertkampf, mit Eurem Grenzjäger...Ihr habt es bitter nötig, dünkt mir. Morgen früh werde ich dann die Unterweisung übernehmen, wenns Recht ist...das zu zahlende Lehrgeld kennt Ihr ja schon..."
"Ihr hört es selbst, dieser Herr da denkt doch gar nicht an eine Entschuldigung für sein ungeheuerliches Benehmen, seine anschließenden niederträchtigen, höhnischen Worte mir gegenüber und die ehrabschneidenden Äußerungen bezüglich meiner Familie. Die leider überwiegend im Krieg geblieben ist. Es gibt auch keine Entschuldigung dafür..."
"Es ist unglaublich, wie hier alles verdreht wird...muss man sich eigentlich von jedem dahergelaufenen Grünschnabel mit Adelsbrief und Offizierspatent..."
"Da schon wieder...Es ist unglaublich! Einfach impertinent !!!" Storko schlug auf den Tisch, dass die Teller und Becher des (kaum angerührten) "Versöhnungsmahls" klapperten.
Valyria hob die Hand. Es fehlte nicht viel, und die beiden Streithanseln würden hier und jetzt aufeinander losgehen.
"Setzt Euch bitte...In Travias Namen, ja?"
Der Baron von Friedwang sah zur Tür. Er fragte sich, was der Schwarze Bär zu dem Ganzen sagen würde.


Eben noch hatte Alrik an den alten Waldläufer gedacht, als dieser auch schon in die Stube eintrat. Mit einigen stampfenden Fußtritten schüttelte Odilon sich den Schnee von den Füßen, dann hing er seinen Hut an den Haken. Mit einem freundlichen Nicken begrüßte Alrik ihn. Der schwarzbärtige fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, die ob des Windes und leichten Schneewirbelns wirr nach allen Seiten hingen und ihm den Blick einengten. Dann nahm er den Mantel von den Schultern und setzte sich zu den anderen an den Tisch.
„Und wie ist die Luft da draußen?“ erkundigte sich Alrik. „Gibt es was Neues?“
„Wie man’s nimmt...“ antwortete Odilon, ohne wirklich etwas zu sagen. „Valyria, ich halte dieses Duell für unsinnig. Du solltest es nicht zulassen. Du übst das Gastrecht aus, du kannst dem wahnsinnigen Treiben in Travias Namen Einhalt gebieten. “
„Und wie soll ich das tun?“ antwortete die Baronin. „Hier, unter meinem Dach, zieht niemand die Klinge. Aber wie soll ich erwachsene Männer daran hindern, sich draußen in den Wäldern zu schlagen, auch wenn ich selbst dem nichts abgewinnen kann?“ Valyria war selbst alles andere als glücklich über die Wendung der Dinge. „Die Kontrahenten haben ja schon ihre Sekundanten benannt. Jetzt wird keiner mehr den Rückzug antreten wollen, allein schon, um nicht als Feigling zu gelten.“
„Der Feind hat leichtes Spiel, wenn wir uns gegenseitig an die Gurgel gehen.... Odilons Stimme war leiser geworden. Seine Worte waren an Valyria gerichtet, aber Alrik - und auch die anderen am Tisch - konnten sie dennoch verstehen. „Ich habe im Wald nach Spuren gesucht. Es sind Leute in der Nähe. Sie haben im Wald gelagert, vielleicht eine Meile von hier entfernt. Wer lagert in der Kälte draußen, in der Nähe einer warmen Stube, ohne um Gastfreundschaft zu bitten, wenn er nichts zu verbergen hat?“
„Hmm.“ murmelte Valyria. „Feinde? Bewaffnete?“
„Eine interessante Frage, aber die Fußspuren von Bewaffneten unterscheiden sich nicht von den Spuren Unbewaffneter. Du kannst allerdings davon ausgehen, dass niemand unbewaffnet durch die Wildermark schleicht. Es waren etwa ein halbes Dutzend verschiedene Spuren, vielleicht etwas mehr. Sie trugen feste Stiefel, wie sie auch von Soldaten oder Söldnern verwendet werden, aber das muss nichts heißen. Reit- oder Packtiere hatten sie nicht bei sich.“
Valyria bemühte sich, gefasst zu bleiben. Es war an sich nichts ungewöhnliches, dass irgendwelche unerkannten Strauchdiebe oder herumziehendes Gesindel durch die Lande zog. Aber beunruhigend war es schon, wenn man nicht wusste, mit wem man es zu tun hatte.
„Eine Spur führte vom Lager auch zum Gutshaus“ setzte Odilon seinen Bericht fort.
„Dann haben sie uns wohl beobachtet?“ erkundigte sich Valyria.
„Möglich“ gab Odilon zur Antwort, obwohl er wusste, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Die Spur, die er verfolgt hatte, war zunächst vom Hof zum Lager der Fremden gegangen und dann wieder zurück. Das war im Schnee eindeutig erkennbar gewesen. Aber das wollte er hier nicht sagen. Nicht, bevor er wusste, von wem die Spur stammte. „Aber ich halte es für keine gute Idee, jetzt unbedarft durch die Wälder zu spazieren, völlig gleichgültig, ob man auf die Jagd geht oder sich duellieren will.“
Ohne sein Gesicht zu den anderen anwesenden zu drehen, beobachtete er diese aus den Augenwinkeln. Odilon hatte richtig kalkuliert, dass sein Senken der Stimme dazu führen würde, dass die anderen anwesenden ihm zuhören würden, aus reiner Neugier schon. Wenn irgendjemand Kontakt zu den Fremden hatte, dann war er jetzt hier im Haus. Aber wer? Storko schied aus. Der junge Edle war ehrlich überrascht angesichts des Gehörten. Auch sein Sekundant schien arglos zu sein. Odilon hatte es sich über die Jahre hinweg angeeignet, aus dem Minenspiel anderer Menschen zu lesen. Nun war er darin nicht so versiert wie ein Boltanspieler, aber durchaus nicht unerfahren.
Alriks Gesichtsausdruck konnte Odilon nicht deuten. Der Phexgeweihte besaß die Fähigkeit, seine Mimik zu kontrollieren und nichts seiner Gedanken Preis zu geben, und daher war ihm nichts anzumerken. Oder vielmehr war das Gesicht des Friedwangers genauso durchtrieben und undurchschaubar wie Odilon es gewohnt war. Es war mehr erforderlich, um den einstigen Brabaker König der Diebe aus der Reserve zu locken. Hesindian... der Magier war nervös, sichtlich nervös. Odilon kannte Hesindian seit Jahren und vertraute ihm, dennoch schien den Magier irgendetwas zu beschäftigen.
Nun, wenn die Spuren im Schnee nicht mehr offenbarten, dann musste eben die Spur des Profits für Aufschluss sorgen. Wer würde denn von einem Duell profitieren? Alrik etwa, dem sein wiedergekehrter Zwillingsbruder Konkurrenz machte, und der nun hoffte, dass Storko ihn aus dem Weg räumte? Denkbar... aber nicht unbedingt wahrscheinlich. Alrik hätte sich dazu einen Kämpfer ausgesucht, der seinem Bruder an Kampfkraft überlegen wäre. Aber wer sonst? Zumindest war es ein mögliches Motiv. Aber wie standen dann die fremden Schleicher im Schnee damit in Zusammenhang? Odilon beschloss, dem Friedwanger ein wenig auf den Zahn zu fühlen.
„Na, Freunde, grübelt nicht. Hier in Gernatsquell sind wir sicher.“ Odilon stand auf und schlug Alrik dabei väterlich auf die Schulter. „Mach Dir keine Sorgen, Friedwang. Ich werde schon dafür sorgen, dass hier keiner ein übles Spiel treibt.“ Die Formulierung war neutral genug, dass niemand darin irgendeinen Vorhalt verstehen konnte. Dennoch spürte Odilon, als seine Hand auf der Schulter Alriks lag, dass die Muskeln des Phexgeweihten sich anspannten, als wäre er auf frischer Tat ertappt worden. „Ich werde mal die Mägde befragen. Mal sehen, was dabei noch zu Tage tritt.“
Der Waldläufer schlurfte wieder zur Tür, um die Gesindekammern aufzusuchen. Die Fußspur vom Lager der Fremden zum Gutshaus hatte er sich genau eingeprägt. Es waren zierliche Frauenfüße gewesen, das war der Schuhgröße klar zu entnehmen, und es war noch nicht so lange her. So viele Mägde gab es nicht auf dem Gut, die so kleine Füße hatten. Und das Profil der Schuhe hatte Odilon sich gemerkt. Zeit, die Sohlen der Mägde genauer zu betrachten.

Ein halbes Wassermaß später hatte Odilon die Schuhe der Mägde und Knechte im Gesindehaus einer ausgiebigen Überprüfung unterzogen, ohne dabei etwas festzustellen. Keiner der von Odilon betrachteten Schuhe wies die markante Reparatur auf, die der fragliche Schuh haben musste. Und so viele Schuhe gab es ja auch nicht. Im Gegensatz zu den Horasischen Damen mit ihren teils immensen Schuhsammlungen hatten die Mägde auf Gernatsquell nur ein, bestenfalls zwei paar Schuhe. Nur eine blieb unauffindbar. Gitta. Im gesamten Gesindehaus war sie nicht, und auch nicht in den Stallungen oder den anderen Wirtschaftsgebäuden.
„Habt Ihr Erfolg gehabt?“ hörte Odilon die fragende Stimme Wolframs, der sich Sorgen machte ob des vorgefallenen und ob der Sicherheit seines Herrn, der hier so kurzfristig in einen Zweikampf gezogen worden war.
„Wie man es nimmt, Herr Wolfram. Ich hatte mir vorhin die Fußspur angesehen, die zum Lager der Fremden führte. Der Größe nach Frauenschuhe mit einem auffallenden geflickten Schaden an der Schuhsohle. An sich kein Problem, die zugehörigen Schuhe zu erkennen. Aber ich habe die Schuhe nicht gefunden. Die Schuhe nicht, und die Magd Gitta auch nicht.“
„Also stammt die Spur von Gitta?“
„Das ist möglich. Aber dann müsste Gitta ja irgendwo hier sein... außer sie hat Gernatsquell schon wieder verlassen.“
„Nun das lässt sich ja feststellen. Es hat über Nacht geschneit, und außer Euren Spuren und denen, die Ihr verfolgtet, dürften keine Spuren vom Hof weg führen, da niemand aus Gernatsquell aufgebrochen ist. Lasst uns einmal das Gut umrunden und sehen, ob sich weitere Spuren finden.“ Wolfram war hochmotiviert, die Wahrheit der seltsamen Vorfälle zu ergründen, auch um vielleicht seinem Herrn einen schweren Zweikampf zu ersparen, der vielleicht überflüssig werden könnte, wenn man hier Licht ins Dunkel brachte.
„Eine gute Idee“ stimmte Odilon zu. „An den meisten Seiten ist Gernatsquell ohnehin vom Fluß umgeben. Da müssten Spuren ja selbst dem unerfahrensten Stadtmenschen auffallen.“ Tatsächlich, auf dem zugefrorenen Altarm des Gernat war keine Spur, bis auf die bereits bekannte mit den schadhaften Frauenschuhen. Eine gute Meile östlich von hier, am Südufer des Gernat, hatte Odilon die Spuren des Lagers der Fremden gesehen. Und gen Firun hin waren auch keinerlei Spuren auf dem vereisten Gernat zu sehen. Die Spuren, die sie kürzlich hier hinterlassen hatten auf der Suche nach Timoin, waren längst wieder verschneit.
Blieb der Weg gen Praios, zur Pferdekoppel hin. Dort waren gleich mehrere Spuren, von Knechten, Mägden und Pferden, wie es nicht anders zu erwarten war. Doch diese Spuren sahen erstens anders aus - kein Sohlenschaden - als die bekannte Spur, und sie führten, wie unschwer festzustellen war, auch nicht weiter vom Gutshaus fort. Der Schnee hinter der Koppel war absolut unberührt.
„Gitta könnte in ihrer alten Spur das Gutshaus verlassen haben“ gab Wolfram zu bedenken.
Odilon nickte. „Nicht, dass ich Gitta so viel Umsicht zutrauen würde. Aber wir müssen das überprüfen.“
Wolfram ging mit zügigen Schritten zu der Spur über den Altarm des Gernat. Deutlich waren hier die Fußstapfen von Hin- und Rückweg zu erkennen. Der Grenzjäger bückte sich.
„Tatsächlich, hier sieht man den Schaden am Schuh deutlich. Völlig unverwechselbar. Eine Spur führt vom Gut fort, und eine zurück. Moment mal. Ist Euch das auch aufgefallen? Die Schrittweite des Heimweges ist größer als die des Hinweges. Könnte sein, dass Gitta auf dem Rückweg in Eile war und ein wenig schneller gelaufen ist?“
Odilon nickte bedächtig. „Denkbar. Wenn sie kurz vor mir zurückgekommen ist und mich bemerkt hat, das könnte sie zur Eile angespornt haben. Aber sie muss hier irgendwo sein. Die Spuren sind unverändert, dass Gitta hier inzwischen wieder geflohen ist können wir ausschließen. Das Spurenbild wäre ein anderes.“
„Ja, das stimmt“ bestätigte Wolfram. „Völlig zweifellos. Gitta, oder wer immer diese Spuren gelegt hat, befindet sich noch auf dem Gut. Aber wo?“
„Wenn sie nicht gefunden werden will, dann hält sie sich kaum in der Stube oder im Gesindehaus auf. Eines der Nebengebäude, Brennerei, Imkerei, Stallungen, irgendwo wird sie sich versteckt halten.“

Phexlida stand im Schatten hinter den Gärballons, in denen das Gallyser Ogermeth vergoren wurde. Zu gerne hätte sie etwas von dem leckeren süßen Honigwein geschlürft, hätte eine der im Weinregal zur Reifung liegenden Flaschen geöffnet und an die Lippen gesetzt. Dass sie, damals im ‚Wilden Eber’ in Gallys, an lauen Sommerabenden bei einem Glas Meth gesessen hatte, war auch schon wieder einige Jahre her. Und jetzt, in der wilden Zeit seit dem Einfall des Endlosen Heerwurms, war Ogermeth rar geworden.
Aber die Metherei war einer der wenigen Orte, an denen sie relativ sicher sein konnte, dass niemand sich hier hinein verirren würde. Der Honig war längst mit Wasser, Gärhefe und Gewürden verrührt und in Gärballons abgefüllt und würde mindestens bis zum mittwinterlichen Julfest reifen, ehe man ihn in Flaschen umfüllte. Es gab also keinerlei Handwerk zu verrichten, und niemand würde sie hier stören. Im Pferdestall wäre es mit Sicherheit wärmer gewesen, aber dort hätte sie auch das Risiko getragen, dass ein Stallbursche sie dort aufgestöbert hätte. So stand sie hier nun in der Kälte, wenn auch immerhin vor dem Wind geschützt, und wartete auf die Nacht. Viele Stunden des Wartens würden vergehen. Genug Zeit, um über Sholtans Plan nachzudenken. War der Plan wirklich so gut wie Sholtan ihnen einreden wollte? Mit den Goblins gemeinsam das Gutshaus überfallen. Der Plan hatte gleich mehrere grobe Haken. Da war zunächst einmal Gitta. Man würde sie irgendwann auf dem Hof vermissen, und das würde nicht erst morgen beim Duell sein. Und dann war da noch die Sache mit den Rotpelzen, die Phexlida gar nicht gefiel. Woher nahm Sholtan die Sicherheit, dass die Goblins nicht nach dem Überfall auf Gernatsquell schlicht das Teilen der Beute vergaßen? In der Überzahl waren die Goblins auf jeden Fall.
Oder hatte Sholtan sie hierher geschickt, um sie loszuwerden? Misstraute er ihr, nachdem Sholtan ihren Stecher Gundo hinterhältig niedergeschlagen und entmachtet hatte? Wollte Sholtan nur einen möglichen Unruheherd in seinen Reihen ausschalten auf elegante Weise?
Je länger er darüber nachdachte, um so mehr glaubte Phexlida an diese Theorie. Es war ja auch nur zu logisch. Bliebe Phexlida bei den Räubern müsste Sholtan befürchten, dass sie Gundo befreite. Würde er Phexlida niederschlagen, so wie er es mit Gundo getan hatte, so könnte sich das auch negativ auf die Loyalität der Gefolgsleute auswirken - wer vertraute schon einem Anführer, der die eigenen Leute erschlug. Nein, sie hier mit einem Alveranskommando zu beauftragen und die Drecksarbeit dieser Edlen und ihren Leuten zu überlassen, war doch viel eleganter. War doch nur zu leicht, schlicht drauf zu warten, dass sie hier in Gefangenschaft geriet und dann einfach das Weite zu suchen, bevor Phexlida bei der Befragung ihre Gefährten verpfeifen würde. Gernatsquell anzünden, die Mersinger Mädchen entführen... so wirklich überzeugt war Phexlida nicht von dem Plan.
Dennoch, im Augenblick blieb ihr gar keine andere Wahl, wenn sie Gundo retten wollte, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Phexlida ging vorsichtig zum Fenster und lurte auf den Hof hinaus. Näherten sich da nicht zwei Gestalten? Phexlida zog eine Flasche Hausmarke Wibke aus dem Regal. Phexverfluchtes Pech aber auch!
Im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür. Ein schwarzbärtiger Alter, das musste wohl Odilon sein, trat in die Metherei und steckte seinen Kopf in das Innere. ‚Schade um den guten Meth’ dachte Phexlida, als sie die Flasche dem alten Mann über den Schädel drosch. Es klirrte. Süßer Meth und rotes Blut tropften zu Boden, Glasscherben splitterten umher, und Odilon sank benommen zu Boden.
Dann sprang Phexlida über den am Boden liegenden Körper hinweg und rannte durch die Tür nach draußen... genau in die Arme von Wolfram, den sie schlicht über den Haufen rannte.
Noch im Fallen griff Wolfram nach Phexlida und bekam sie am Bein zu fassen, so dass auch Phexlida stolperte und zu Boden fiel. Wolfram raffte sich auf und klammerte sich an der Streunerin fest... und bekam einen Stiefeltritt ins Gesicht, so dass er das Knacken seines Nasenbeines nur zu deutlich hören konnte.
„Alarm! Storko!“ rief Wolfram.
Aber er ließ nicht los. Phexlida zappelte wild, aber der Grenzjäger hatte sie an den Hüften umfasst und hielt sie fest. Phexlida konnte nicht nach ihrem Degen greigen, dieser lag unter ihrem Körper begraben. Mit ihren Fäusten hieb sie auf Wolfram ein. Der Grenzjäger musste einige üble Schläge einstecken, doch sein klammernder Griff lockerte sich nicht.
Aus dem Gutshaus stürmten Storko, Alrik, Bishdarielon und Valyria heraus. Der Blick auf vier gezogene Klingen veranlassten Phexlida, sich zu ergeben. Valyria wäre kein ernst zu nehmender Gegner gewesen, aber gegen die drei Adeligen Kämpfer und mit diesem kräftigen Kerl, der sie umklammert hielt, hätte sie keine Chance gehabt. Phexlidas Körper erschlaffte. Sie ließ sich in den Schnee sinken und wehrte sich nicht, als man ihr Fesseln anlegte.

Man stellte die Diebin derb auf die Füße, ihre wirren schwarzen Haare hingen ihr, mit Schnee verklebt, ins Gesicht. Nun bäumte sie sich doch im Griff der Männer auf, die leicht geschlitzten Augen funkelten vor Zorn. Sie hatte etwas Zahorihaftes an sich. Eine regelrechte Wildkatze, dachte Bishdarielon...und keuchte auf, als ein Stiefeltritt seinen Unterleib traf. Zum Glück richtete der wenig gegen das Kettenhemd aus.
"Aberaber, meine Hübsche" Scharrend zog der Golgarit blank - und hielt der Spionin Jasperion an die Kuhle zwischen ihren bebenden Brüsten.
"Nun ist es aber mal gut, ja? Bist ja ein richtiger Wildfang..."
Die Augen der jungen Frau bohrten sich in die seinigen...erst verwirrt...dann zunehmend verstört...
Auch Bishdarielon runzelte die Stirn.

Eine Schar Kinder eilte lärmend herbei, sie spielten offenbar gerade Fangen: Valyrias Sohn Alrik, Adginna, der kleine Redenhardt und Timoin waren auch dabei. Erschrocken sahen die Buben und Mädchen die vielen Erwachsenen auf dem Hof - Timoin glitt aus und fiel der Länge nach hin.

Als er sich wieder aufrappelte, troff ihm Blut über die ganze Stirn. Kein schöner Anblick - ein ganzes Netz aus Blut hatte sich über das totenbleiche Gesicht des Kleinkinds gelegt.

Die Gefangene bäumte sich auf, schrie zum Göttererbarmen, ihr Blick ging erst zum weinenden Timoin, dann zum Golgariten.
Dann wurde sie von einer Art Krampf geschüttelt, sie verzog schmerzhaft das Gesicht. Storko sah irritiert, wie die Nase der jungen Frau zu wachsen (und sich ins Dunkle, Hornige zu verfärben) schien, sich ihre Kräuselhaaare glätteten, sie regelrecht zu schrumpfen begann. Die Fesseln fielen jäh von ihr ab, aber auch ihre Ledergewandung...Schwarzweiße Federn sproßen ihr über die Stummelärmchen, Mund und Nase verschmolzen zu einem scharfen Schnabel, die Frau bekam einen Moment lang etwas Harpyienartiges - was auch an dem verzerrten Kreischen lag, dass sich ihrer (jetzt gefiederten) Kehle entrang.
Doch die Verwandlung setzte sich in Windeseile fort...Lange Schwanzflügel sproßen der Vogelfrau aus dem Rücken, zwei Krallen schlüpften aus den Schuhen..
Nach wenigen Herzschlägen hoppste eine ...Elster über den schneebedeckten Boden des Innenhofs...Das Tier wirkte selbst überaus erstaunt, reckte seine schwarzglänzenden Flügel, schien sich erst nach und nach zu erinnern, für was diese verwendet werden konnten. Ein ungelenkes Flattern, dann hob die Elster ab, schwirrte, taumelte in den Winterhimmel davon, ließ einen wimmernden Wolfram, ein weinendes Kind und mehrere höchst verdutzte Adelige auf dem Gutshof zurück....

"BALSAMSALABUNDE - HEILE WUNDE!"
Wolframs blutende, gebrochene Nase fügte sich unter Hesindians Griff wieder zusammen, während Odilon aus der Metherei taumelte.
"Wo ist das Miststück?" schrie er. "Das war eine Flasche Hausmarke Wibke..."

Bishdarielon sah zu Valyria, die gerade den kleinen, wimmernden Timoin verarztete, mit Alaunsalz, um die Blutung zu stillen und einem Taschentuch. "Nur eine Platzwunde..." sagte sie. "Ist nicht so schlimm wie es aussieht. Scht, scht, wird schon wieder werden, mein kleiner Held..."
"Diese Frau...wer war das?" keuchte der Ritter, fast noch bleicher als das Findelkind. "Kennst du sie?"
Die Edle strich dem benommenen Jungen über den Kopf, übergab ihn einer Dienstmagd.
"Nein", antwortete sie. "Aber ich habe eine Vermutung...Zarah, nimm ihn mit, er braucht einen ordentlichen Verband. Halt den Lappen auf die Wunde ja.."
Sie blickte erst dem kleinen Timoin hinterher, dann zum Senkenthaler. Es war tatsächlich mehr eine weibliche Intuition als Gewissheit, die sie sagen ließ:
"Wahrscheinlich ist sie seine Mutter...Dem Alter und dem Aussehen nach. Sie wollte ihren Sohn einmal sehen, glaube ich...Offenbar ist sie der Zauberei mächtig. Eine Hexe vielleicht..."

Der Ritter sah sie merkwürdig an, irgendetwas kämpfte in ihm.
Valyria hatte das Gefühl, dass Bisch auch schon wieder mehr wusste, als er ihr mitzuteilen bereit war. Sie schüttelte den Kopf. Irgendwie ergab das alles keinen Sinn.
"Wo ist sie hin?" schimpfte Odilon. "Ich hab noch eine Rechnung offen..."
"Glaubst du, sie hat Gitta verschleppt?" sagte der Golgarit, es klang ein wenig wie ein Ablenkungsversuch.
"Gut möglich, immerhin war sie es, die das Kind damals angenommen hat. Vielleicht will sie Timoin gegen meine Dienstmagd austauschen."
"Wir müssen ihr hinterher..." grollte Odilon, der sich seinen Bogen gepackt hatte. "Dieser Elster verpass ich einen Pfeil, der sie lehren wird, in unsere Metherei einzubrechen und alles kaputtzuschlagen...auf meinem Kopf!"
"Dir wachsen aber keine Flügel, um sie zu verfolgen. Außerdem, wenn sie eine Hexe ist, wirst du ihr mit Wandelur und Bogen allein nicht beikommen. Sie ist schon längst über alle Berge, und der Abend nicht mehr fern...Wenn Ihr Euer Duell allerdings verschieben würdet, oder, was am besten wäre, ganz darauf verzichten...dann können wir morgen einmal die Umgebung genauer absuchen...Ich habe mal gehört, dass es hier irgendwo ein altes Hexenhaus geben soll, vielleicht versteckt sie sich dort, unsere Elsterfrau..."
Der Ritter sah zu Storko hinüber. "Ich glaube eher, dass der da damit zu tun hat...seitdem er hier aufgetaucht ist, geht es drunter und drüber. Nach dem Duell können wir uns gerne auf die Suche nach diesem Hexenhäuschen machen."

Alrik paffte einige Rauchwolken in die klare Winterluft, schritt durch den knirschenden, harschen Winterschnee, im Hangwald unweit des Gutshofes. Er suchte nicht ernsthaft nach der diebischen Elster, aber irgendwie war die Aufregung auf dem Hof zuviel für einen Mann seines Alters.
Mal einen Blick auf den Wald werfen, über dem das Vögelchen verschwunden war...und frische Luft schnappen und sich die Beine vertreten. Außerdem hatte er das unbestimmte Gefühl, dass der Gutshof schon die ganze Zeit beobachtet wurde, und die Spionin nur eine Vorbotin größerer Ereignisse war. Der Friedwanger blieb stehen, drehte sich um. Hier, von diesem Winkel aus sah man am besten in die Anlage herein, oder besser gesagt, auf den Gutshof hinunter, denn der bewaldete Hang war recht steil.


Einen Moment lang genoss er die malerische Ansicht, den zugefrorenen Gernat und seinen wassergrabenähnlichen Altarm, die rauchenden Kamine, die Schneekappen auf den hochaufragenden Dächern, Erkern und Mansardenfenstern des Gutshofs. Diese Wildnis hier, die hatte schon was, der mächtige, schweigende, eingeschneite Wutzenwald, die hügelige, urtümliche Landschaft.
Hm, dort drüben, auf der Freifläche diesseits des Seitenarms, würde morgen wohl das Duell stattfinden, zumindest war dort am meisten Platz.
Die Sonne zeigte sich bereits als im Sinken begriffen, färbte sich ins Rötliche - und er hatte, orkschnochmal, immer noch keinen Heckenschützen. Hm, und selbst wenn - wo sollte er den Burschen plazieren? Mal sehen...Das Mansardenfenster auf dem Dachboden des Haupthauses sah ganz interessant aus. Mindestens fünfzig, eher 75 Schritt Luftlinie bis zum Kampfplatz- für einen Balläster zu schaffen, der ohnehin oft schmählich unterschätzt wurde. Die Dinger hatten tüchtig Durchschlagskraft, die Kugeln konnten böse Wunden reißen. Was nichts daran änderte, dass er einen verdammt guten Schützen brauchte, wenn im Wirrwarr des Gefechts nicht der falsche (oder der Richtige zu heftig) angeschossen werden sollte.

Woher einen solchen Meisterschützen nehmen, wenn nicht stehlen? Vom Himmel fallen würde er wohl nicht - oder? Er blickte nach oben, zum frühen Abendhimmel, wo der Mond bereits aufgestiegen war...ein erhabener Anblick: Phex, der seinem Bruder Praios keck trotzte.

"O Heimlicher, du weißt, dass mir eine Verbindung meines Bruders mit dem Hause Mersingen leicht das Genick brechen kann, mir als deinem heimlichen Statthalter in Friedwang, der dir immer reichlich gespendet hat. Also, bitte, schick mir einen guten Einfall, wie ich seinen Sieg morgen verhindern kann...und zwar schnell...Am besten Standepete. Es soll dein Schaden nicht sein. Zwanzig Dukaten?" Er schloss die Augen, breitete betend die Arme aus.
Nichts geschah.
Er öffnete das Auge wieder, blinzelte zum Madamal. "Dreißig?"
In der Ferne heulte ein einsamer, hungriger Wolf. Klang nach Appettit auf mehr...
"35? Das kann nicht dein Ernst sein..."
Schweigen im Walde.
"Du ruinierst mich. 40 ist zu viel...Das Unsichtbarkeitselixier kostet mich ja auch noch ein paar hübsche Dukaten..."
Eisiger Wind heulte. Hörte sich nicht gerade nach Zustimmung der höheren Mächte an.
"Also gut..." Er atmete stoßweise ein kurzes eisiges Nebelwölkchen aus, vermischt mit Tabakrauch. "Fünfzig Dukaten...Mein letztes Angebot, sonst.." ein schelmisches Grinsen "werd ich Praiosgeweihter..."
Ein Elsterschrei, irgendwie angstvoll. Na also, das klang fast nach einem Zuschlag.

Er reckte die Hände in die Höhe. "So, aber dafür kann ich..."

Moment - hier schrie eine Elster !!!???

Irgendetwas Schweres prasselte wuchtig durch schneeschwere Tannenzweige, weiß stäubte die Firunspracht auf oder rutschte zu Boden. Ein nackter, warmer, weicher Frauenkörper plumpste auf ihn herab, fegte ihn zu Boden, in den Schnee...

Er blinzelte sich Schnee aus dem Auge, klappte die Augenbinde hoch - sah in das völlig verwirrte, benommene Gesicht der Diebin - die splitterfasernackt, mit wohlgeformtem, zarten Körper neben ihr lag.
"Hallo, halloooo...Habe ich gerade zu Phex gebetet oder zur Göttin Rahja?"
Er tastete nach seiner Pfeife, die ausgegangen war, aber zum Glück nicht zerbrochen. Phex hatte ihn wirklich geholfen, ihnen beiden, er war gerade im weichen Tiefschnee gestanden...
Die Frau, er schätzte sie auf 40 Jahre, sprang auf, wollte verstört weglaufen - und brach nach wenigen Schritten zusammen.
"Na, willst du etwa schon wieder die Flatter machen?"
Alrik rappelte sich auf, schlug sich den Schnee aus den Gewändern.
Dann öffnete er seinen Mantel, warf ihn der zitternden Frau um die Schulter.
"Keine Angst Phexlida...i c h bin k e i n anständiger, gesetzestreuer Mann, wie du weißt. Vor mir hast du nichts zu befürchten - wenn du mir hilfst. Ich nehme an, du kennst mich: Baron Alrik von Friedwang."
Phexlida nickte, hüllte sich schlotternd in den Mantel. Sie sah hektisch um sich, merkte erst jetzt, wo sie war.
"Sei unbesorgt, wir sind allein...ganz unter uns...also?"
"Woher...kennst d u meinen Namen?"
"Ein gutes Gedächtnis zahlt sich eben hin und wieder aus. Bishdarielon hat mir damals die Geschichte erzählt. Du warst bei der Räuberbande dabei, nicht wahr, die ihn damals entführt hat, als Knappe des Grafen Answin. Im Auftrag seines schurkischen Vetters Gernot, des Verräters. Über zwanzig Götterläufe ist das nun her - ich muss sagen, du hast dich gut gehalten...Phexlida, die Elster. Später, wenn ich mich recht entsinne, hast du versucht, die Feen des Schratenwald zu bestehlen, und wurdest zur Strafe in eine echte Elster verwandelt. Bishdarielon erhielt vom Karnmann ein silbernes Pfeifchen und die Macht, dich von deiner Strafe zu erlösen...aber eines Tages, kurz vor dem Beginn des Jahres des Feuers...warst du einfach verschwunden, aus dem Kloster Boronia in der Schwarzen Sichel entflogen. Tja, und so wies aussieht, stiehlst du nun mal in Menschengestalt, mal als Elster. Habe ich Recht? "
Er packte die Rechte der zitternden, nackten Frau, öffnete ihr die bläulich verfärbten Finger - und zog seinen Dukatenbeutel heraus.
"Eine diebische Wer-Elster, womöglich. Respekt, deine Reflexe stimmen noch...kaum vom Himmel gefallen, schon gampfst du m i r meine Barschaft. Aber so läuft das nicht, ich bin hier nämlich nicht der Klingelmann für irgendwelche dahergeflogene Straßenräuberinnen. Also, spucks aus...was wolltest du auf Gut Gernatsquell?"
Finsteres Schweigen, während Alrik seinen Geldbeutel verstaute.
"Ich kann dich auch meinen Adelsgefährten übergeben, wenn dir das lieber ist...Ts, tss, da hast du wirklich was angestellt. Eine gebrochene Nase, ein blutiger Schädel des Schwarzen Bären...sie werden dem kleinen Elsterlein ein für alle mal die Flügelchen stutzen wollen. Aber vielleicht lasse ich dich auf einfach im Wald liegen, als kühle, bornländische Schönheit und Nachtmahl für allerhand hungriges Getier...Als kaltes Buffet, wie man im Horasreich sagt."
Phexlida zitterte, versuchte sich zu wärmen, in dem sie sich über den eigenen Leib rieb.
"Timoin, was ist mit Timoin? Ist im gestern etwas passiert, als er geschlafwandelt hat..."
"Wa...was?"
"Timoin, mein Sohn...hat er sich vorhin verletzt? Ich erinnere mich wieder...Ist er übel gefallen?"
"Nicht härter als du gerade eben." Alrik verzog den Mund. "Er wirds überleben. So, dein Sohnemann ist das also. Wolltest also nur mal nach dem Kleinen sehen...und gleich ein bißchen Kindergeld einpacken oder was? Und der werte Herr Erzeuger? Lass mich raten: Der hockt im Wald, bei deiner neuen Räuberbande. So ein Gutshof, da kriegt man sein Küken ja auch viel einfacher satt, auf Abgabenleisters Kosten, da hat ers warm und gemütlich. Eine Elster, die Kuckuckseier legt... Und der Papa - ist das etwa dieser Kahlkopf, der Gitta eingeredet hat, sie müsse hier unbedingt ein Duell inszenieren...Hallo, ich rede mit dir?"
"Bi-bi..bitte...können wir nicht ins Warme gehen...Ich will zu meinem Kind...bitte..."
"Deine Mutterliebe ist rührend, wirklich. Gerade mal vier Jahre ist er alt, und du kümmerst dich schon um deine Elsterbrut, sehr traviagefällig, ich muss schon sagen. Ach egal, meine Mutter hat sich ein Leben lang nicht um mich geschert, mich gleich nach der Geburt in die Obhut einer Totengräberin gegeben. Seis drum. Du weißt, dass ich dir als frommer Diener des Heimlichen nichts geben darf ohne Gegenleistung. Also...bevor dir deine Zunge einfriert, solltest du sie besser ein wenig bewegen...Was soll dieses Zinnober? Plant Ihr einen Überfall auf den Gutshof? Soll das Duell eine Ablenkung sein? Wo ist Gitta?"
Alrik zog sein Rapier, legte ihn ihr mit der Schneide an den Hals.
Die Diebin zuckte zusammen.
"Fühlt sich kalt an, nicht? Bei innerer Anwendung ists noch viel schlimmer. Also, spucks aus...Wo ist die Magd? Was plant ihr? Das sind doch alles einfache Fragen, selbst für eine Elster..."
"Was bekomme i c h denn dafür, wenn ich rede? Deine Hose, deine Jacke und Schuhe?" Die Elster lachte.
"Auch ich tue nichts ohne Gegenleistung. Schwör mir bei Phex, dass du mich laufen lässt, wenn ich rede. Zusammen mit Timo."
"Warte mal...äh...ich glaube, du bist in der schlechteren Verhandlungsposition. Noch eine halbe Stunde, und du bist ein Eisklotz."
Sie warf sich zur Seite, sprang auf, griff nach einem Ast...viel zu langsam. Alrik hackte den Prügel entzwei, stieß sie zu Boden. Keuchend blieb sie liegen, starrte auf den Stahl mit der Blutrinne an ihrem Avesapfel.
"Temperament hast du, mehr aber auch nicht. Ich sollte dich einfach hier und jetzt in die Zwölfgöttliche Verdammnis schicken..." Er setzte ihr den Rapier an die Kehle.
"Dann werde ich dir aber nicht mehr sagen können, wer Timoins Vater ist..."
Alrik staunte.
"Schwöre bei Phex, dass du mir hilfst, dann sage ich dir alles."
"Ich schwöre beim Heimlichen, dass d u mir helfen wirst. Bist du eine gute Armbrustschützin?"
Nun sah die Festumerin verdutzt drein.
"Eine sehr gute sogar...wieso?"
"Gut...du bist engagiert...Großes Phexehrenwort, dass ich dir nichts tun werde und dich auch nicht ausliefern. Also, was ist nun?" Er warf ihr wieder den Mantel zu.
Phexlida zögerte nur kurz, seufzte.
Einen Momentlang war nur ihr Zähneklappern zu hören.
"Gitta ist im Räuberlager. Sholtan hat die Führung der Bande übernommen, Gundo abgesetzt..."
"Langsam. Wer ist Gundo?
"Unser Räuberhauptmann. Gundo Knochenbrecher..."
"Ach ja, der. Und Sholtan...?"
"Der Kahlkopf, wie du so schön gesagt hast. Ein Schwein. Sholtan Flinkfinger. Er will die Mersinger Schwestern entführen und an Dämonenbündler verscherbeln, an Gallyser Knechte der Rahjafeindin. Die Schöne Göttin steh uns bei. Den Gutshof mit Hilfe von Rotpelzen überfallen will er, der Narr. Morgen. Ich sollte Feuer legen...zur Ablenkung...wie der Zweikampf, ja."
"Ein Schwein soso...na, wir sind ja auch im Wutzenwald, das passt. Interessant, interessant. Eine Elster und ein Schwein wollen also Gernatsquell heimsuchen, zusammen mit Goblins. Um dann die zwei Jungferlein an Diener der Herrin der Schwarzfaulen Lust auszuliefern. Bunte Mischung, ich muss schon sagen...Und du machst bei dieser Schweinerei mit?"
"Was soll ich tun? Er hat Gitta und Gundo...als Faustpfand."
"Wo ist euer Lager?"
"Früher wars am alten Hexenhaus, in dessen Keller. Jetzt haben sie es gewechselt. Ich weiß nicht, wo sie hin sind...Nur dass er sich mit Goblins verbünden will. Wahrscheinlich hat ers schon längst getan...Womöglich sind sie jetzt in Chraaz Lager, ich weiß es nicht..."
"Also gut..." Der Mondschatten verstaute wieder seine Klinge.
"Das ist doch schon was. Und nun sollten wir schauen, dass wir wieder ins Warme kommen, an ein prasselndes Kaminfeuer..."
Phexlida lächelte sarkastisch, insoweit es ihre steifgefrorenen, blauen Lippen zuliessen.
"Nun wirst du mich doch ausliefern? Nicht wahr?"
"Blödsinn...Du weißt auch viel über mich, scheint mir. Ach ja, du wolltest mir ja noch sagen, wer der Vater deines kleinen Timoin ist..."
Die Elster lächelte. "Im Grunde war es damals wie jetzt auch. Er hat mich an eine Kette gelegt, im Kloster Boronia, auf einer Sitzstange. Aber ich kriege jedes Schloss auf, früher oder später, selbst mit dem Schnabel...Ich erinnere mich nur dunkel daran, wie an einen seltsamen Traum...Ich bin durch das geöffnete Fenster geflohen...und da war plötzlich dieser helle, durchdringende Pfiff...und ich bin abgestürzt, in den Wald, fast wie jetzt, hab mir den Fuß verstaucht...und in einer einsamen Berghütte..." Phexlidas Lächeln wurde breiter. "War er plötzlich da...Ist mir hinterhergeeilt, vom Kloster aus...Es war eine wundervolle Nacht...Ich in meiner wahren Gestalt und er...Eine Art Versöhnung, für alles, was ich ihm damals angetan habe."
"Diesen Teil der Geschichte hat er mir nicht erzählt" sagte Alrik leise. "Naja, mein Bruder pfeift gerne Frauen hinterher und war auch immer gut zu Vögeln." Ein prustendes Lachen.
"Dein Bruder?"
"Ja, wir sind Zwillingsbrüder. Er ist jetzt der Edle von Senkenthal, ein Golgarit. Eine ziemlich komplizierte Geschichte, hier draußen in der Kälte. So ist also Bisch...der Vater des kleinen Timoin?"
Phexlida nickte.
"Er sieht ihm sehr ähnlich. Wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich wusste nicht, dass er hier mit auf den Hof ist...Ich habe auch keine Ahnung, warum ich mich plötzlich wieder in eine Elster verwandelt habe...Nur dass ich einen fürchterlichen Schreck bekam, als ich...deinen Bruder sah...und mein Kind...wie es so fürchterlich geblutet hat...Geht es Timoin gut? Wie geht es ihm?"
"Jaja, nur eine Platzwunde, keine Sorge, sah schlimmer aus als es ist. Und nun? Willst du eine Vaterschaftsklage gegen Bishdarielon einreichen? Er duelliert sich wegen dieser Syrenia von Mersingen, wusstest du das? Seine neue Flamme..."
"Mir ist kalt..." stotterte Phexlida.
"Jaja...Ich finde auch, eine Festumer Banditin wäre ein weitaus besserer Umgang für mein Bruderherz als eine Tochter aus einer stinkreichen Adelsfamilie mit besten Beziehungen ins Kaiserhaus...Besser für mich. Es ist im Grunde einfach...du musst morgen nur dafür sorgen, dass er das Duell und damit seine Ehre verliert...Dann kannst du ihn haben...und der kleine Timoin hat einen Papa...." Alrik rieb sich die Hände. "Du sagtest, du wärest eine gute Armbrustschützin?"
"Das kann man sagen, ja...auch wenn mir Sholtan meine Waffen abgenommen hat...Was hast du vor?"
"Ihn einfach ein bißchen bluten lassen." Der Friedwanger tastete nach seiner Gürteltasche. "Oh, was haben wir denn da? Ein Unsichtbarkeitselixier. Genau das, was du jetzt brauchst, wenn du dir etwas bei mir anziehen und dich dann am Kamin von Gut Gernatsquell aufwärmen willst, nicht wahr?"


„Also fassen wir mal zusammen, was wir wissen“ begann Valyria, nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte. Sie war mit Storko, Wolfram, Hesindian und Bischdarielon zurück in die Stube gegangen, während Alrik sich noch in der Gegend nach Spuren umsehen wollte, und Odilon sich seinen lädierten Schädel von einer Magd verbinden ließ. „Während ich also dachte, dass Gernatsquell ein sicherer Ort wäre, dank seiner versteckten Lage, und mich dabei also offenbar geirrt habe, treibt sich da draußen im Wald also irgendwelches Gesindel umeinander. Völlig unbemerkt schlagen sie keine Meile entfernt ihr Lager auf und beobachten uns. Die Magd Gitta arbeitet offenbar mit Ihnen zusammen, warum auch immer, und schleicht zu ihnen. Zurück kommt dann eine Hexe, die sich hier auf dem Gutshof versteckt und nur dank Odilon und Wolfram entdeckt wird. Die schlägt Odilon nieder und flieht nachher mit ihrer finsteren Magie. Eigentlich ist das jetzt der Moment, in dem man die Inquisition ob hexischer Umtriebe zu Hilfe ruft. Nur dass sich von denen hier keiner aufhält, wenn man sie mal braucht. Und auch keine Büttel oder Soldaten, und auch die Kämpfer des Schlotzer Schutzbundes sind leider nicht da. Oder könnte man diese verständigen?“ Die letzte Frage galt Storko.
Der Junker hatte gerade ein Stück Holz in den Ofen nachgelegt. „Verständigen schon... Aber dazu müsste jemand nach Schattenholz reiten und Ritter Traviahold benachrichtigen. Ich kann aber nicht genau einschätzen, wie lange es dauern würde, bis dann die Bewaffneten gesammelt sind und hier eintreffen könnten.“
„Ich ßchätze mal ßu lange“ warf Hesindian ein. „Wenn jemand das Gut angreifen will bietet sich der ßeitpunkt deß Duellß an. Alle, die daß Gut verteidigen können, ßind dann auf der Wieße wie auf dem Präßentierteller.“
Storko wandte sich wieder vom Kamin ab. „Ich kann gewiss auch meine eigenen Soldaten rufen lassen, wenn Wolfram nach Gernatsborn reitet, dann könnten sie morgen in der Frühe in Gernatsquell anmarschieren“ und er murmelte noch weiter „auch wenn mein eigenes Gut dann weniger geschützt wäre...“
„Ein Verzicht auf das Duell lässt sich Euch beiden wohl nicht schmackhaft machen?“ Valyria hatte wenig Hoffnung.
Storko und Bischdarielon schüttelten gleichermaßen den Kopf „Es geht um die Ehre.“
„Gut. Dann bitte ich Euch, Euren Zweikampf nicht morgen, sondern sofort abzuhalten. Das Gesindel da draußen wird von Gitta wissen, dass das Duell morgen statt finden soll. Also werden sie für morgen ihre Schandtat planen, was immer sie vorhaben. Also duelliert Ihr beide Euch heute, und die Sache ist erledigt. Hesindian kann danach Eure Verletzungen heilen, sofern nötig. Und morgen können wir gemeinsam und unverletzt einem neuen Feind entgegen treten. Auch soll das Duell aus Gründen der Sicherheit nicht auf der Waldlichtung, die ursprünglich vorgesehen war, stattfinden, sondern hier im Hof vor dem Gutshaus. Seid Ihr beide damit einverstanden?“
Sowohl Storko als auch Bishdarielon war klar, dass man angesichts der Bedrohungslage den Wunsch der Gutsherrin nicht abschlagen konnte. Beide stimmten mit einem Nicken zu.
„Gut so. Dann also in einer Stunde. Möge das erste Blut, wer immer es erleiden wird, nur ein Kratzer oder eine Schramme sein.“


"Ganz einfach: Du verpasst ihm eine mit dem Balläster" verkündete Alrik, während sich die schlotternde Phexlida den entzweigeschnittenen Schal um die Füße schlang.
"In den Arm, am besten. Hauptsache, es fließt sein Blut. Danach werde ich dir helfen, Gundo und Gitta zu befreien. Und auch die Sache mit Timoin regeln..."
Er blickte nach oben, die ersten Sterne prangten bereits am Abendhimmel. Es wurde rasch dunkel - Zeit zurückzukehren.
Der Baron zog das Fläschchen aus der Gürteltasche, das für das Auge immer noch aus einer bräunlichgelben Flüssigkeits-Säule bestand (das Glas war wieder mal unsichtbar).
Die Elster sah ihn merkwürdig an. "Dadadas...tri...trin...trinke ich nicht..." Sie hachte sich in die kaum geöffneten Fäuste. "Ich ha..hasse...Ma...Ma..Magie..."
"So wie sich mal eben in eine Elster verwandeln? Sei nicht leuchtender als der Bote des Lichts, mit Praios hast dus dir schon verdorben. Dir bleibt keine andere Wahl. Und mir auch nicht. Mit amputierten Fingern kannst du nicht schießen. Hier, meine Handschuhe kannst du auch haben."
Er tastete nach dem Verschluss, zog den unsichtbaren Korken ploppend heraus, verstaute ihn sorgfältig im Täschchen, gleich neben der magischen Kugel. Die Festumerin zog die Handschuhe an, hüllte sich in den Mantel.
"Ach ja eins noch - denk nicht mal an einen Angriff aus dem Hinterhalt, wenn du unsichtbar bist, dann wirkt das Zeug nicht mehr. Verschwenden wollen wir es nicht. Trink nicht alles auf einmal, wir brauchen noch ein paar Tröpfchen für die Geschosse."
Er überreichte ihr die scheinbar nicht vorhandene Flasche. Sie setzte sich den Inhalt an die bebenden Lippen, nippte, trank nach kurzem Zögern einen ganzen Schluck - ihr Körper wurde durchsichtig, verschwamm, wurde eins mit der Luft und dem winterweißen Wald. Ein erstauntes Keuchen. Dafür tauchte nun die bis auf ein Drittel geleerte Phiole wieder auf, die Alrik hastig an sich nahm und wieder verschloss.
"Wenn du unsichtbar bleiben willst, da unten im Hof, bis morgen früh, dann solltest du dich besser in meiner Nähe halten", sagte er mit Rauschkrauthändlermiene.
"So, und jetzt wirst du in meine Fußstapfen treten...Hörst du?"
Keine Antwort.
Er tastete in die Luft - und spürte seinen warmen, flauschigen Mantel. Auch Zähneklappern war zu hören. Gut, sie war noch da.
"Du sollst nicht einfach nur nicken, sondern antworten...Denk an das Feuer und Timoin..."
"Jajaja...Ich-ich hab do-doch eh-eh..kei-kei-keine andere Wahl..."
Er eilte den Hang nach unten, auf den Gutshof zu.
Lauschte auf das leise Knirschen hinter sich und das leise Klappern von Phexlidas Zähnen...Hin und wieder schlug und wippte ein Zweiglein in der Luft, mehr war nicht von ihr zu sehen, zumal jetzt in der Dämmerung.

Die Dunkelheit erleichterte die Tarnung ungemein, niemand würde - hoffentlich - auf die merkwürdigen Doppelspuren achten. Erstaunt sah Alrik, wie im Hof Fackeln in den Schnee gesteckt und angezündet wurden - ein großerer Kreis wurde auf diese Art abgesteckt.
"Was hat das zu bedeuten?" fragte er einen der Diener.
"Befehl von der Herrin. Der Zweikampf findet noch heute statt..."
"Wie?" Alrik blickte verdutzt. "Im Hof...?"
"So wurde es von Ihrer Hochgeboren angeordnet, wegen dem Raubgesindel in der Nähe. Ihr solltet nicht ohne Mantel in der Kälte herumlaufen, edler Herr" sagte der Knecht, ehrlich besorgt. "Und besser auch nicht allein in den Wald gehen..."
"Jaja, ich werde mich eilen, auf mein Gemach zu gelangen, und mir etwas anziehen. Danach kann das Duell beginnen. Hörst du?"
Der alte Graubart sah verdutzt drein.
"Hörst du? Hast du das mitbekommen?"
"Ja, doch Herr..."
"Gut..."
Er eilte zur Tür, hielt sie auf, scheinbar um seine Stiefel abzutreten.
Dann spürte er Phexlida neben sich, ihr lockiges Haar, hörte ihren sanften Atem, roch den leichten Ledergeruch ihres Körpers. Er grinste. Wie es wohl war, mit einer Unsichtbaren...?
"Denk nicht mal im Traum dran..." zischte es.
"Wie meinen?"
"I c h bin unsichtbar, nicht dein lüsternes Gesicht..."
"Jaja, gewiss, erst die Arbeit, dann das Vergnügen..."
Er eilte nach oben, in sein Zimmer...Zum Glück bullerte dort ein Ofen, die Kammer war leer...Er öffnete die kleine Kiste mit den Reservesachen, kramte etwas hervor.
"Das müsste dir passen...Gib mir den Mantel, ich muss gleich wieder nach unten."
Wie von Geisterhand bewegt, erschien sein pelzbesetzter Umhang mitten im Zimmer.
"Die Handschuhe?"
Auch diese tauchten wieder auf.
"Danke...Ich werde dich jetzt allein lassen. Der Balläster liegt unter dem Bett, ebenso die Kugeltasche. Zieh dich an. Wärm dich etwas auf, dann gehst du nach oben, an eines der Fenster...Du wirst zwar jetzt bei Nacht schießen müssen, aber dafür ist der Kampfplatz klar begrenzt, und der Abstand auch nicht so groß...Hier, das Elixier...beträufel damit mehrere Kugeln, falls ein Schuss fehl geht...nur die Steinkugeln, Blei hemmt Magie, glaube ich..Ich verlass mich auf dich...Denk an deinen Sohn, und die gefangenen Gefährten...Und lass dich nicht wieder erwischen wie eine Anfängerin..."

Er eilte wieder nach draußen, wo nun fast sämtliche Fackeln brannten. Ölgeruch lag in der Luft. Dann fiel sein Blick auf zwei große Eimer mit Kies, neben dem Haupteingang.
"Phex, du verwöhnst mich", dachte er.
Laut sagte der Mondschatten: "Es ist sehr glatt geworden. Streut noch etwas Schotter auf den Kampfplatz, damit keiner der Kämpfer ausrutscht. Wir wollen doch, dass es nachher fair zugeht, nicht wahr...Möge allein der Bessere gewinnen."
Und zwar ich, dachte er. Niemandem würden Steinkugeln im Kies auffallen, wenn diese demnächst wieder sichtbar werden sollten...

Der Junker von Gernatsborn trat aus dem Haus in den kühlen Firunsabend. Er blickte hinauf auf den dunklen Himmel. Man konnte das Madamal und andere Sterne gut sehen, keine Wolken versperrten die sicht, was eine frostige Nacht versprach.
Der Platz inmitten des Hofes war mit vielen Fackeln beleutet und Storko musste seine Augen fast zusammen kneifen als er seinen Blick wieder hinunter senkte. Hinter ihm stand sein Sekundant Wolfram mit seinem Schwert in den Händen.
Ein Knecht war gerade dabei Kies auf den Kampfplatz zu streuen, denn der Schnee war gefroren und recht glatt geworden. Daneben stand schon der Baron zu Friedwang, der Storko freundlich zunickte als er ihn sah.
Seltsam, dachte er sich, da duelliert man sich mit jemadem und der leibliche Bruder des Gegners ist zu einem noch freundlich. Wie auch immer, Storko hatte jetzt andere Sorgen. Er versuchte seine ernste Miene zu verbergen um zurückzulächeln, dann positionierte er sich an der einen Seite des Fackelkreises und ließ sich sein Schwert übergeben.
Wieder blickte er in den Sternenhimmel. Viel war aufgrund des Fackelscheins nicht zu erkennen, doch das Madamal ... er kniff sich seine Augen zusammen ... nein, er muss sich geirrt haben, es schien ihm, als ob auf dem Madamal ein Fuchsgesicht zu erkennen war.
Verdammt, dachte er sich - und starrte inmitten des Kampfplatzes auf eine der Fackeln – er würde das Duell gewiss nicht gewinnen. Die Wunde würde ihm nicht viel Schmerz bereiten, aber die Schmach des Verlierers ... zuerst entehrt durch die Rahjasnacht des Friedwangers mit Syrenia und dann noch besiegt im Duell. Was würden die Jungfern von ihm halten ... nun hatte er sie ein, nein zwei Mal vor Üblem gerettet und dann das ... auch Glyrana würde ihn nicht mehr erwählen, selbst wenn sie einander gut leiden konnten und, wie er das Gefühl hatte, sie gar vielleicht mehr für ihn empfand.
Keine List war ihm bisher eingefallen, allein den Listigen hatte er angefleht ihm zu helfen ... doch bisher umsonst, so schien es.

Kurze Zeit später trat auch der Ritter von Sunkthal aus dem Haupthaus heraus, gefolgt von seinem Sekundaten, dem Waffenknecht Travius.
Pah, dachte sich Storko, „Travius“ das ist sicher nicht sein richtiger Name – sich einen Bosparano-Namen zu geben ist ganz schick – in Wirklichkeit heißt er wohl eher „Trottel“. Er lachte innerlich, obwohl der Witz auch für ihn eher dumm war – Galgenhumor.
Hinter seinem Konkurrenten kam auch die Gutsherrin heranmarschiert.
Bishdarielon stellte sich auf der anderen Seite des Kampfplatzes auf und nickte Storko zu, er erwiederte dies grimmig. Beide hatten keine Rüstungen an, auch wenn sie durch die dicke Winterkleidung einigermaßen gut geschützt waren, und trugen einfache Langschwerter in ihren Händen.


Odilon von Baernfarn war nicht zum Duell gekommen. Er war von Anfang an dagegen gewesen und hielt es für durch und durch sinnlos.
Auch wenn sie das Duell vorgezogen hatten und die vermeinlichen Räuber dies wohl nicht wussten, schlich Odilon miitlerweile wieder durch die schwarze Nacht am Rande des Guts – diese Hexe konnte ja noch irgendwo lauern und ihre Flüche senden ... ja mit ihr hatte er noch eine Rechnung offen.
Kurz sah er zum Platz, auf dem die Kontrahenden schon Stellung bezogen hatten, der Schein der vielen Fackeln war weit in die kalte Schwärze hinaus zu erblicken.
„Was haben wir denn hier da?“ murmelte er und erkannte im Schnee Pferdespuren. Frisch waren sie, gegen Nachmittag hörte es auf zu schneien und nur wenige Flocken bedeckten die Tritte der Rösser.
„Die Spuren müssen aus der Zeit am späten Nachmittag sein, nach dem ganzen Trubel mit der Hexe“ murmelte er wieder nachdenklich.
Schnell erkannte der gute Waldläufer, dass es sich genau um zwei Pferde handeln musste, die in südliche Richtung aufbrachen.
Odilon folgte den Spuren zum Gut bis er zu den Stallungen gelangte. Er wunderte sich, wer denn vor dem Abend noch aufgebrochen war, er wusste von niemandem.
Nun, erst einmal nachsehen welche Pferde fehlen, dachte er sich, und öffnete das Stalltor aus dem gar noch Licht drang.
„Beim grimmigen Firun, wenn das nicht die Hex’ ist“ sprach er, stieß etwas grob die hölzernen Balken des Eingangs beiseite und sah in das erschrockene Gesicht des Stallknechts Hane, der eine Laterne in der einen Hand und eine Heugabel in der anderen hielt.
„Ach“ sprach Odilon fast enttäuscht „du bist es nur.“
„Jja Ja, ihr habt mich zu Tode erschreckt Herr“ antortete Hane etwas ängstlich.
Der Waldläufer erklärte „ich dachte schon du wärst ... ich war nur vorsichtig, man kann ja nie wissen wer sich im Dunklen so herum treibt ... aber sag einmal, wer hat denn am Nachmittag noch einen Ausritt unternommen?“
„Die beiden edlen Jungfern aus dem Hause Mersingen“ erklärte Hane „sie haben mir angeordnet die Pferde zu satteln und sind dann los geritten ... und sie waren recht erzürnt und haben sich gestritten, wenn ich das sagen dürfte.“
„Und sind sie wieder zurückgekehrt?“ fragte er leicht gereizt, obwohl er die Antwort ohnehin wusste.
„Nein Herr.“
„Ja wo sind sie denn hin? Warum hast du niemanden Bescheid gesagt?“ schnauzte Odilon den Stallknecht fast etwas an.
Dieser zuckte mit den Schultern und wollte sich rechtfertigen „Wie könnte ich die edlen Damen nach wohin und woher fragen?“
Odilon blickte aus dem Stall in Richtung des Kampfplatzes und schüttelte den Kopf, „diese Dummköpfe, da müssen sie sich wie gecke Streithähne um Jungfern und Ehre streiten und dabei haben sie die um die es eigentlich geht schon längst außer Augen verloren ... denn sie sind schon längst ausgeflogen.“ Er begann etwas zu lachen, Hane schmunzelte höflichkeitshalber mit.


Valyria trat inmitten des Fackelkreises, atmete tief durch und begann dann zu sprechen.
„Auch wenn ich zutiefst gegen dieses Duell bin, so werde ich – wie ihr mich als Gutsherrin darum gebeten habt - Schiedsrichterin sein. Der, der als ersters Blut verliert, sei es auch eine noch so kleine Wunde, der soll der Verlierer dieses Duells sein.“
Sie trat zurück um machte eine Geste, auf dass sich die Kontrahenten in Position bringen sollen.
Ein kleiner Luftzug durchströmte den Platz und ließ die Flammen der Fackeln zittern. Storko fror auf seinen Ohren, die schon ganz rot waren. Er blickte Bishdarielon grimmig an, dessen schwarze Locken im Wind umherwehten.
Beide traten vor und verbeugten sich voreinander.
Bishdarielon war recht siegessicher, insbesondere nachdem er am Nachmittag von weiten gesehen hatte wie Storko in einer lächerlichen Manier gegen einen Schneegegner kämpfte. Da war er ein weit besserer Schwertfechter. Er werde diesem Gernatsborner schon noch etwas beibringen, dachte er sich, nachdem er ihn so verleumdet hatte – hinterwäldlerischer Landadel eben, ohne Manieren.

Beide erhoben ihre Klingen und richteten sie aufeinander.
Storko wollte sofort in die Offensive gehen - vielleicht konnte er den Golgariten damit aus der Ruhe bringen – und begann von Rechts einen kräftigen Hieb zu starten.
Der Stahl schnitt durch die Luft auf die Schulter Bishdarielons zu. Dieser hatte den schnellen Angriff tatsächlich nicht erwartet, versuchte gar nicht zu parieren, doch wich gekonnt nach hinten aus, während er die Zähne zusammen biss.
Storko wollte weiter seine bessere Position ausnützen und versuchte zuzustoßen. Bishdarielon jedoch war nun vorgewarnt und parierte den offensiven Versuch indem er die feindliche Klinge auf die Seite weg schlug. Dann holte er zum Hieb aus, Storko konnte den Schlag abwehren doch verlor an Boden. Ein Wuchtschlag konnte ihn vielleicht retten, er holte hoch aus um den Ritter an der Seite zu treffen, ließ die Klinge niedersausen, doch obwohl der Kampfplatz gut gestreut war rutschte er aus und das Schwert glitt ihm aus den Fingern.
Bishdarielon senkte sein Schwert – ohne den Gegner jedoch aus den Augen zu lassen – und deutete mit überlegenem Lächeln dem Gegner zu seine Waffe wieder aufzunehmen.
Storko schnaufte - seine Ohren waren nicht mehr kalt – und er erhob das Schwert abermals.
Diesmal machte der Golgarit den ersten Schlag, direkt in Richtung Kehle, so schien es jedenfalls zuerst. Storko wollte abwehren, doch bemerkte, dass Bishdarielon eine Finte gestartet hatte. Knapp wich er dem Schlag gegen seine Schulter aus, doch war in eine bedrengte Situation geraten.
Das Schwert des Friedwangers sauste schon wieder in seine Richtung.
Über Kopf wehrte Storko ab, der geschundene Stahl sang, Funken sprühten.
Der Gegenhieb zielte auf die Beine des Ordensritters, zerschlitzte ihm aber nur den Mantel. Bishdarielon keuchte. Das war knapp.
Fast schon bereute er es, es dem Gegner erlaubt zu haben, seine Waffe aufzuheben.
Vor allem wurde es ihm langsam zu heiß in seiner Winterkleidung. Er öffnete die Schließe seines Mantels (der junge Storko war ganz froh über die kleine Unterbrechung), streifte den Umhang mit theatralischer Geste ab und warf ihn Travius zu. Nun hatte er nur noch die wattierte Unterkleidung an. Auch Storko nutzte die Gelegeneit, mit hochrotem Kopf und Schweiß auf der Stirn "abzulegen".
Bishdarielon grüßte mit dem Schwert.
"Respekt, Ihr habt mir doch etwas heiß werden lassen, Gernatsborn", meinte er hochnäsig. "Chapeau, Ihr kämpft ganz annehmbar, dafür, dass Ihr nur mit Schneemännern übt. Wehrheimer Stil, nicht wahr? Wenn Ihr nun E u e r Mütchen kühlen wollt?"
Er ließ sein Schwert spielerisch um die nach hinten gereckte Rechte wirbeln. Der Golgarit gewährte eindeutig Einladung, winkte seinen Kontrahenten mit der behandschuhten Linken herbei.
Storko stieß in die vermeintliche Lücke hinein. Bishdarielon wich behende aus, wie ein almadanischer Stierkämpfer. Der Junker geriet ins Straucheln.

Der Friedwanger Steinbock, schoss es ihm durch den Kopf. Wolfram hatte ihn zuletzt davor gewarnt...Nun würde der unvermeidliche Schlag in die Seite kommen...
Doch Storko hatte Glück. Er strauchelte, vom eigenen Schwung mitgerissen, fiel kopfüber hin, riss eine Fackel um.
Der Hieb durchtrennte ihm nur eine Haarsträhne am Hinterkopf. Er landete auf dem Bauch, rollte zur Seite, Bishdarielons nächster Schlag ging ins Leere, ließ nur einige Kiesel tanzen.

Storko sprang wieder auf, parierte auf Kniehöhe, wirbelte scharrend das Schwert des Gegners in einem blitzenden Rad nach oben, ging in den Wehrheimer Block, sah in das kaum gerötete, hochmütige Gesicht des Edlen. Er gab ihm jäh eine Kopfnuss, auf die Bocksnase. Verdutzt taumelte der Edelmann zurück. Storko verzichtete großmütig auf einen weiteren Hieb - das nur als Denkzettel, dachte er.
Erschrocken tastete Bisch nach seinem Gesichtserker. Kein Blut quoll hervor - Rondra sei Dank. Das hätte er auch gar nicht als "Erstes Blut" anerkannt.
"Ihr seid wahrlich nur ein ehrloser Söldner..."
"Verzeiht, ich wollte mich nur vor Euch und Eurer Kampfeskunst verneigen..."
Storko griff erneut an. Stahl fauchte durch die kalte Nachtluft, frass sich in Jasperions Schneide, hinterließ eine Scharte. Die Zuschauer raunten.
"Das werdet Ihr büßen!" Der Edle hob wutschäumend das Schwert über den Kopf.
Der Trick des phexischen Junkers funktionierte: Bishdarielon zeigte erste Anzeichen von Jähzorn - eine Schwäche des Hauses Friedwang. Seine Angriffe wurden unbeherrschter, die Beinarbeit nachlässig.
Passierschlag. Die Schwerter raunten metallisch beim Zusammenprall, als wohne ihnen eine eigene Seele inne. Bisch wehrte Storkos schwachen Gegestoß ab, hieb zu. Stahl frass sich durch die Jacke des Gernatsborners, am rechten Oberarm.

"Ohoohoohhooo..." Wildes Murmeln der Umstehenden. Aber Storko spürte, dass der Schlag nur Stoff zerfetzt hatte.
Schreiend schlug der Edle auf den Junker ein, mit echtem Hass im Gesicht. Einen Moment lang erschien es Bisch, als wäre der für sämtliches Unglück in seinem Leben verantwortlich: Dem Tod seiner Eltern, die Verschleppung nach Al´Anfa, den verlorenen Baronsthron.
Schlag folgte auf Schlag, Stoß auf Stoß, ein irrer Klingen-Tanz im Feuerkreis hob an, die Schatten der Kämpfenden schwirrten im Fackelschein über die Hauswände und Gesichter. Alrik verzog das Gesicht. Jeden Herzschlag konnte, nein, musste jetzt der entscheidente Treffer kommen - und so wie die aufeinander eindroschen, würde der sogar sehr blutig werden. Trotz allem war Bishdarielon dem jungen Junker überlegen, wirkte ausdauernder, erfahrener.
Wo blieb die Elster mit ihrem finalen Rettungsschuss, beim Heiligen Assaf?


Phexlida durchwühlte die Truhe, aber ausser Gewändern war hier einfach nichts Wertvolles. Unsichtbar, jubilierte es in ihr. Sie sah auf ihre Hand, die einen Beutel mit Rasierzeug hielt - und sah nichts. Alrik, dieser Narr. Einer Diebin einen solchen Trank in die Hand zu drücken. Ah, ein Rucksack, sehr gut. Sie würde mit Timoin türmen, alles in den Sack stopfen, was auf diesem Gutshof wertvoll war...und dann...

Ja...und dann? Gute Frage. Sollte sie versuchen, Gundo und Gitta zu befreien? Wie, mit einem kleinen Kind im Schlepptau? Und wo sollte sie die beiden suchen? Sie glaubte nicht, dass Sholtan wirklich in Chraaz Lager war, aber es sollte noch eine weitere Horde Rotpelze geben, die sich im Streit vom Oberhäuptling abgespalten hatten. Deren Spuren sie ganz in der Nähe gefunden hatten...Oder sollte sie die beiden in Stich lassen: Hilf dir selbst, dann hilf dir Phex.
Mondlicht und Fackelschein drang von außen herein.
Sie verzog das unsichtbare Gesicht. Nein, sie wusste, dass ihre Diebesehre das nicht zuließ. Dieser Baron Alrik - sie hatte einen Moment lang Phexens Macht in ihm gespürt, eine Autorität eigener Art, die aber ebenfalls keinen Widerspruch duldete.

Sie wusste, dass er ihr helfen würde - mit merkwürdiger, ruhiger Gelassenheit und vollkommener Gewissheit. Und Bishdarielon - vielleicht konnte sie Timoins Vater wirklich für sich gewinnen...Es war besser, hier auf dem Gutshof zu bleiben, als hinaus in den grausamen Winter zu flüchten, ins Ungewisse...Sie hatte die Kälte gerade nur zu gut gespürt---
Eine Boltanspielerin wie sie schmiss die Karten nicht einfach hin, wenn es ein bisschen brenzlig wurde, sondern reizte sie aus bis zum letzten...

Sie griff nach dem Balläster und der Kugeltasche. Merkwürdigerweise wurde die Waffe nicht unsichtbar, wie die Gewänder auf ihren Leib - was im Grunde aber das Anvisieren erleichtern würde. Das Haupthaus schien leer zu stehen, natürlich, alle gafften draußen beim Duell den Kämpfenden zu. Wildes Schwertgeklirr und heisere Rufe drangen vom Hof her an ihre Ohren.
Sie ging zur Tür - und merkte, dass Alrik abgeschlossen hatte, während sie bibbernd ihre Finger an den bullernden Ofen gehalten hatte.
"Brat mir doch einer einen Storch...Himmelorkschundzwirn." Ganz so naiv war der Streunerbaron offenbar nicht, natürlich nicht...
Aber eigentlich...Sie eilte zum Fenster, öffnete die Butzenglasscheiben, die von Eisblumen geziert waren. Schnee türmte sich auf dem Fensterbrett.

Tatsächlich, da unten, im Fackelkreis, schlugen die Mannsbilder aufeinander ein wie jahrelange Todfeinde. Da hatte Gitta was angerichtet.
Sie beugte den Kopf nach draußen. Etwas ungünstiger Winkel, aber sie konnte dafür auch weiter hinausblicken, als für einen sichtbaren Heckenschützen möglich, ohne entdeckt zu werden - den Schnäpper würde im Dunkel der Nacht wohl so schnell niemand entdecken. Hoffentlich...
Sie legte rasch einige Kugeln aufs Fensterbrett, beträufelte sie mit dem Elixier - ein Tropfen genügte, und sie verschwanden für des Sterblichen Auge. Dann trank sie den Rest, zur Sicherheit. Die Diebin spannte zufrieden den Balläster mit dem Knebel, legte das erste Geschoss ein. Nur die leichte Wölbung des Kugelsacks an der Sehne zeigte,
dass die Waffe geladen war.


Storko wurde langsam müde, während Bishdarielon erst richtig aufdrehte.
Einen Moment lang vermisste der Golgarit regelrecht das Geschrei und die Erregung einer echten Schlacht. Im Grunde zögerte er das unvermeidliche Ende nur hinaus, wollte, durchaus eitel, den Zuschauern einen rondrianischen Augenschmaus bieten. Aber nun war es langsam gut. Der Junker stolperte bereits, keuchte vor Erschöpfung, Dampf vor dem Mund. Er hatte sichtlich Mühe, sein Schwert festzuhalten. Einer der nächsten Hiebe würde sein Blut fordern. Storko wich immer mehr aus, atmete schwer, lies sich im Kreis herumtreiben.

Alrik sah nach oben. Verdammt - jetzt musste Phexlida eingreifen...

Die Elster klappte das Visier des Schnäppers hoch, legte an. Worauf sollte sie zielen - ohne versehentlich den anderen, diesen Storko, zu treffen? Sie beschloss, auf die Beine anzulegen.
Sie nahm Druckpunkt, spähte über die Zielhilfe, wartete, bis sich die beiden Kämpfer lösten, nahm die hohen Stiefel des Golgariten ins Korn, konzentrierte sich auf den rechten Unterschenkel...drückte ab. Verdammt, der Abzug klemmte irgendwie, sie musste stark drücken, verriss leicht. Klack. Die Sehne sauste ruckartig vor. Ssssstttt....
Patsch. Ein paar Kieselsteine stäubten hoch, zwischen den Füßen der Duellanten, mehr nicht.
Fluchend griff sie nach der nächsten Kugel. Niemand hatte den fehlgegangenen Schuss bemerkt.

Wildes Gescharre der Schwerter. Bishdarielon rempelte Storko an, dieser taumelte, wäre um ein Haar wieder gestürzt. Er sprang beiseite, der Hieb des Edlen spaltete nur eine Fackel, glühende Pechtropfen sprühten umher wie Funken in einer Schmiede. Ein unbeherrschter Rundumhieb auf der Suche nach Storko, der erneut auswich, eine weitere Fackel umtrat. Hastig brachten sich einige Diener in Sicherheit.

Etwas Schnee fiel von einem der Fenster herab. Ah, da oben schwebte der Balläster. Sehr gut. Alrik war beruhigt...Demonstrativ sah er auf das Gerangel im Feuerkreis, um nicht die Aufmerksamkeit zum Fenster zu lenken. Das Fenster zu seinem Gemach...Auch er begann zu schwitzen...

Phexlida legte erneut an. Diesmal würde sie höher zielen...

Storko griff ungelenk an, spürte eine harte Parade. Das Schwert wäre ihm beinahe aus den schwitzigen Händen gefallen, die überbeanspruchten Muskeln schmerzten ebenso wie die Handgelenke. Müde...er wurde müde...Erneut verkeilten sich die Schwerter ineinander.
Storko schrie auf, mehr vor Anstrengung, während Bishdarielon mit gebleckten Zähnen drückte und er seine Beine in den Boden dagegen stemmte, wo der Kies klackerte und scharrte. In diesem Moment wusste er, dass er verloren hatte. Diesen Kampf konnte er einfach nicht gewinnen...

Ssst. Patsch. Ein Loch wurde jäh in Bishdarielons wattierten rechten Oberarm gerissen, der Stoff platzte auf, etwas Watte quoll heraus. Dann folgte Blut...sehr viel Blut...ein ganzer Schwall...Der Krieger schrie auf, ebenso erstaunt wie schmerzhaft, wich zurück, ließ widerwillig sein Schwert fallen, presste die Hand auf die Wunde..."Neeeiiin....aaaahhhh....das...aaarggg...."

Auch Phexlida hätte beinahe geschrien, als sie plötzlich wieder ihre Hände an der Armbrust auftauchen sah. Natürlich...sie hatte gerade Blut vergossen, war nicht länger unsichtbar...Hoffentlich kein Steckschuss...Hastig warf sie sich ins Halbdunkel des Zimmers...Eingesperrt war sie auch noch...


Sie musste raus hier, und zwar so schnell wie möglich. Phexlida durchwühlte die Habseligkeiten des Barons wie des Knappen nach irgendeinem "Dietrich", fand aber nur ein kleines Essmesser. Besser als nichts. Damit stocherte sie im Schlüsselloch herum.

Zu ihrem Erstaunen sprang die Tür sofort auf.
"Bemüht Euch nicht. Daß war ein CLAUDIBUSS CLAVISSTIBOR, meine Liebe..." Der weißhaarige Magier stand lächelnd vor der Tür, den Zauberstab erhoben. "Vertseiht, ich bin nicht ßo naiv wie mancher Phexjünger....ich habe alleß geßehen...oder eben nicht geßehen, je nachdem. Dass vermeintliche Selbstgeßpräch deß Baronß habe ich unten im Foyer ebenßo gehört wie Eure Antwort auß dem Nichtß und war ßo frei, Euch einzußperren...vorßichtßhalber..."
Die Elster überlegte, ob sie dem Zauberer das Messer zwischen die Rippen jagen solte.
"Intereßant, eure Verwandlung in eine Elßter vorhin, ßehr intereßant. Offenbar ein poßttranßmutatorischeß Sstressßymptom, wie eß bißweilen bei Opfern einer permanten Magica Mutanda auftritt. Tzuvörderßt beim SSALANDER. Wenn Ihr erlaubt, würde ich gerne einmal einen ANALÜß..."
Weiter kam er nicht...denn die Festumerin trat ihn zwischen die Beine. Jammernd brach der Magus zusammen.

"Weißt du waß - du sspuckßt beim Ssprechn!" höhnte die Elster - und verpasste dem verkrümmt vor ihr kauernden, sich das Gemächt haltenden Magus noch einen deftigen Kinnhaken. Stöhnend sank der Bursche auf den Dielenboden. Sie hob - erst mit leichter Furcht, dann fest zupackend - den Zauberstab hoch - und hieb ihn dem Magus, der sich bereits wieder aufrappeln wollte, auch noch über den weißhaarigen Kopf...mit Schwung, wie den Kork beim Imman. KLONK. Der Mann prallte seitlich mit der Schläfe gegen den Türrahmen, dass der Holzbalken nur so krachte, kippte seufzend vorneüber. Ächzend streckte die Goblinzunge, jetzt auf dem Bauch liegend, alle Viere von sich.

Timoin...sie musste Timoin finden...und dann nichts wie weg hier...

Ein Stöhnen von unten. Der Magier tastete doch wirklich noch um sich. Ein Hieb mit dem magischen Stecken in seinen Rücken, dann auf den Hinterkopf. Schließlich ein kurzer, harter Handkantenschlag ins Genick. Endlich lag der Bursche still. Das würde er wohl auch eine Zeitlang bleiben, bei der "Dosis".
Phexlida grinste. Sie hatte gerade ruckzuck einen Magier außer Gefecht gesetzt - nicht schlecht. Dann zog sie den Ohnmächtigen, dessen Kopf zu bluten begann, in Richtung des Fensters, drückte ihm den Balläster in die Hand. Dann streute sie ihm noch einige Kugeln unter die Füße, die mal hier hin, mal dorthin kullerten.
"Oh, da ist wohl ein trotteliger Attentäter auf der eigenen Munition ausgerutscht. Süße Träume, mein Hübscher..."

Jetzt aber raus aus diesem Gefängnis...

Storko war nicht weniger verwundet als sein Gegner. Er hatte ihn doch gar nicht am Arm getroffen, oder doch? Vielleicht vorhin, als sich ihre Schwerter ineinander verkeilt hatten.
Doch er war zu müde in diesem Moment um zuviel darüber nachdenken zu können. Der Junker sank sein Schwert um sich mit der Rechten daran am Boden etwas abzustützen und keuchte mit rotem Kopf die Anstrendung aus.

„Blut!“ rief Alrik „Das erste Blut ist geflossen!“

Der Golgarit hielt mit den Fingern entsetzt auf die Wunde aus der sogar recht viel Blut floss, sodass die Kleidung des Oberarms sich schnell mit dem Lebenssaft rot anfärbte. Travius eilte mit dem Umhang in den Händen zu seinem Herrn.

Besorgt und mit leichtem Kopfschütteln – wegen der Sinnlösigkeit des ganzen Duells – blickte die Schiedrichterin Valyria auf das Geschehen.
„Ja, das erste Blut ist geflossen. Junker Storko von Gernatsborn ist der Sieger des Duells.“
„Schnell“ ordnete sie einem Diener an, der neben einer Fackel stand „schick nach Zarah, sie soll gleich Verbände vorbereiten“.

Der siegreiche Gernatsborner reckte mit schwerem Atem sein Schwert in die Höhe und lächelte dabei.
Hatte er doch noch gesiegt. Tja, Rondra (und wohl auch Phex) streiten an der Seite der Gerechten, dachte er sich. E r wurde ja immerhin durch die Schandtat des Ritters entehrt, nun war die Ehre wieder hergestellt.

Mittlerweile waren Alrik und Valyria zu Bishdarielon gegangen um sich die Verletzung näher anzusehen.
Der Verlierer presste seine Finger auf die Wunde um das Blut stocken zu lassen – es war nicht seine erste Fleischwunde.

„Schaut nicht gut aus, mein Lieber“ meinte Alrik und blickte dann zum Fenster hinauf, in dem nichts mehr zu erkennen war.
„Nein“ fügte Valyria hinzu „das hätte wirklich nicht sein müssen. So eine Verletzung, obwohl wir jeden Schwertarm für gefährliche Feinde benötigen würden. Genau so etwas wollte ich vermeiden ... wo bleiben denn die Verbände ... kommt Bishdarielon, lasst uns ins Haus gehen, damit die Wunde recht versorgt werden kann.“

Da kam der Gewinner mit frisch gefülltem Ego näher heran. Storko begann mit erhobener Brust zu sprechen.
„Na, Edler von Suunkdal, wollt ihr euch jetzt bei mir entschuldigen. Die Götter stehen doch auf der Seite desjenigen, der im Recht ist.
Wenn ihr euren Fehltritt zugibt und Reue zeigt, so soll es Genüge getan sein und eure Ehre sei wieder hergestellt.“

Der Ritter blickte in das leicht grinsende Gesicht des Junkers und der Jähzorn begann in seinen Augen zu leuchten.
„Entschuldigen, für was denn. Auch wenn ihr gewonnen habt, ich weiß nicht wie ihr mich treffen konntet. Mir scheint es fast als hättet ihr mich mit einem Dolch von der Linken listig gestochen ...“

„Was für eine Frechheit, mir so etwas zu unterstellen. Nichts von alledem habe ich gemacht ... die anwesenden Hochgeboren können das bezeugen“ konterte Storko mit entrüstetem Gesicht.
Alrik nickte.
„Ich habe euch erhlich im Kampfe getroffen ... und e u c h besiegt.“
Tatsächlich hatte er selbst keinerlei Ahnung wie er ihn treffen hätte können, aber er sprach überzeugt.
„Wenn die beiden Jungfern Syrenia und Glyrana bei dem Duell anwesend gewesen wären, dann würden sie wissen wer ...“

Odilon – der aufgrund der Gespräche unbemerkt heranstapfen konnte -unterbrach die beiden. „Seid ihr mit dem Unsinn endlich fertig. Wie zwei verrückt gewordene Gockel aufeinander einhacken, wenn wir weit Besseres zu tun haben.“
Mit einer aufgesetzten Stimme sprach Storko ihn an: „Ich habe das Duell gewo...“.
Odilon unterbrach „Wusstet ihr, dass die beiden Jungfern um die ihr hier kämpft schon längst am Nachmittag ausgeflogen sind. Ihr ward so sehr mit euch selbst beschäftigt, dass ihr die Damen ganz außer Acht gelassen habt.“
Alle Anwesenden blickten verdutzt.
„Was meint ihr, wo sind denn, die beiden Edlen?“ sprach Alrik mit dem Waldläufer und setzte eine fragende Miene auf.
„Am späten Nachmittag sind sie eiligst in Richtung Süden davon geritten ... und nun wahrscheinlich mitten in der Nacht im tiefen Wutzenwald, in dem die Räuber und Hexen anscheinend nur auf unvorsichtige Opfer warten.“


Nachdem Valyria sicher war, dass dem verletzten Bishdarielon geholfen wurde, hatte sie sich von dem Trubel um die beiden Kämpfer abgewandt. Wenn sie ehrlich war, es interessierte sie auch nicht all zu sehr, wer Sieger des Zweikampfes werden war. Das die Herrin Rondra demjenigen den Sieg verlieh, der wegen so einer lächerlichen Sache im Recht war, glaubte sie schon lange nicht mehr. Die Herrin des Krieges hatte andere Nöte, als sich um den verletzten Stolz junger Adeliger zu kümmern.
Was Valyrias Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte war vielmehr die Art, wie die Verwundung zustande kam. Die Baronin hatte jedenfalls keinen Schwerthieb des Gernatsborners gesehen, der zu einer solchen Verletzung hätte führen können. Oder waren ihre Augen nur zu langsam gewesen? Ihre Neugier war geweckt. Das alles kam ihr ziemlich maraskanisch vor. Nach all den Ereignissen des heutigen Tages würde es sie nicht wundern, wenn auch der Zweikampf gealmadanischt worden war. Wenn jemand von außen eingegriffen hatte in diesen Kampf, dann befand sich dieser jemand jetzt im Haus. In ihrem Haus. Überhaupt... wo war dieser Magier? Hesindian befand sich nicht hier bei den anderen. Ob er und Alrik da ihre Finger im Spiel hatten? Unauffällig zog Valyria sich zurück und ging in das Haus. Sie wischte sich die die hüftlangen, hellblonden glatten Haare nach hinten aus dem Gesicht. Dann zog sie die schwarzen Lederstiefel aus - sie wollte auf den Treppenbohlen ja keinen Laut erzeugen - und schlich barfuß nach oben.
Stimmen, dann ein Schrei, erklang, als Valyria durch den Flur schlich. Gerade wollte Valyria die Tür zu dem Gästezimmer öffnen, in dem Alrik untergebracht war, als diese Tür von Innen aufgezogen wurde... und Valyria sich einer Frau gegenüber stehen sah. Die Hand der Frau - Valyria erkannte sie als den Eindringling vom Nachmittag wieder - griff nach dem Degen und fuhr der Baronin an die Kehle. „Kein Laut“ zischte eine Frauenstimme. Die Diebin, die Odilon heute Nachmittag niedergeschlagen hatte, allerdings nicht mit ihrem Wildnisgewand bekleidet, das sie ja auf ihrer Flucht - das Wort Flucht leitete sich dem Wortstamm nach nicht umsonst von fliegen oder Flug ab - zurück gelassen hatte, sondern nackt, bis auf einen schwarzen Wollmantel, in den sie, mehr schlecht als recht die Blöße verdeckend, gehüllt war. Alriks Mantel, wie Valyria zweifelsfrei erkannte. Die Binsböckel rang nach Luft ob ihres Erschreckens.
„Schweigt still oder Ihr hört Golgaris Schwingen, Baronin!“ drohte Phexlida noch einmal und hielt den Degen weiterhin auf Valyria gerichtet, mit dem sie die Baronin in Alriks Kammer bugsierte, bevor noch mehr Menschen in den Flur kommen sollten. Mit der Linken machte sie den Fensterladen zu, anschließend schloss sie auch die Tür und legte den Riegel vor. „Und jetzt gebt mir meinen Sohn zurück, Kindsräuberin.“
Valyria sah der Diebin in die Augen „Du hat gerade die Türe verriegelt? Soll ich sie wieder öffnen, um Timoin zu holen?“ Valyria erwartete nicht wirklich eine Antwort. „Als Dein Sohn von Gitta hierher gebracht wurde wusste ich nicht, dass Du seine Mutter bist. Ich habe Dir Deinen Sohn nicht genommen, Du hast ihn hierher gebracht, vergiss das nicht, und ich habe ihn hier aufgenommen und umsorgt. Nimm den Degen runter, wir können über alles reden.“
Phexlida verpasste Valyria mit der flachen linken Hand einen Schlag ins Gesicht, so dass die Baronin nach hinten stürzte in ihr Bett. Noch ehe Valyria sich wieder aufrappeln konnte hatte die kräftige Diebin sich auf sie geworfen. Valyria wehrte sich nicht, sie hätte ohnehin nicht die Chance zur Gegenwehr gegen die körperlich überlegene Streunerin gehabt. „Adoptieren wolltet Ihr meinen Timoin!“ warf Phexlida ihr vor. „Als ich nicht wusste, wer seine Mutter ist“ vollendete Valyria. Die Stimme der Baronin war fest und frei von Furcht, obwohl sich eine scharfe Klinge immer noch an ihrer Kehle befand. „Ich wollte dem Jungen damit eine Chance geben. Du weißt um den Einfluss der Traviakirche. Ein Findelkind ohne Eltern, vielleicht gar unehelich geboren, hätte sich doch nicht besser denn als Tagelöhner verdienen können. Dabei war aufgrund des Ohres klar, dass Timoin ein Friedwang ist. Ich konnte ihn doch nicht einfach so seinem Schicksal überlassen. Und überhaupt, was hast Du Deinem Sohn geboten? Warum hast Du ihn zu mir bringen lassen? Bei mir wird er Lesen und Schreiben lernen, er bekommt eine Erziehung, die ihm später einen guten Platz in der Gesellschaft einbringen kann. Wenn Phex ihm wohlgesonnen ist bekommt er später vielleicht einmal ein Gut, so wie dieser Junker Storko, oder der Senkenthaler. Wer ist eigentlich der Vater von Timoin? Alrik oder Bishdarielon? Vergiss auch nicht, ich habe hier die Macht, Timoin zu beschützen. Wenn es sein muss auch vor seinem Vater. Oder warum hast Du ihn denn sonst her gebracht.“ Valyria sah die Diebin mit gönnerhaftem Blick an. Valyria konnte es unschwer zugeben, aber sie hatte Timoin schon so sehr ins Herz geschlossen, dass es ihr schwer fallen würde, den Jungen wieder her zu geben. Phexlida antwortete nicht. Stattdessen griff sie Valyria bei den Haaren und zog... und zugleich drückte sich eine Träne aus ihrem Auge. Die Streunerin wusste nicht, ob sie wütend sein sollte oder dankbar. Und auch wenn sie hier jetzt in jedem Fall die Überlegene war, an Stärke gemessen, so konnte sie der Baronin doch eigentlich nichts antun? Selbst wenn es ihr gelänge, aus Gernatsquell zu fliehen, so wäre ihr Schicksal dennoch besiegelt. Die Baernfarns hatten genug Macht und Einfluss, um sie früher oder später zu fangen. Und was würde dann aus ihrem Sohn?
„Was willst Du eigentlich hier? Warum schleichst Du Dich auf meinem Gutshof herum und schlägst meinen Oheim nieder? Und meinen Lehnsmann“ Valyria blickte zu Hesindian, der noch immer besinnungslos am Boden lag.
„Ich wollte meinen Sohn holen“ log Phexlida. „Aha“ antwortete Valyria. „Und warum schießt Du dann mit einer Armbrust aus dem Fenster?“ äußerte Valyria ihre Vermutung, als ob dies bewiesene Gewissheit wäre... „Weil Alrik... verdammt noch mal, ich habe hier die Klinge in der Hand! Ihr tut jetzt, was ich Dir sage. Zieht die Kleider aus!“ herrschte Phexlida die gut zehn Jahre jüngere Gutsherrin an. Na macht schon!“ Phexlida gab Valyria aus ihrem Klammergriff frei, hielt ihr aber noch immer den Degen an den Hals. „Wird das jetzt ein Rahjafrevel?“ erwiderte Valyria unbeeindruckt. Mit einem Satz sprang Phexlida vor und drückte Valyria mit ihrem Körper gegen die Wand, noch immer die Klinge der Baronin an die Kehle haltend. „Nein, wofür haltet Ihr mich eigentlich. Ich brauche Kleidung. Wie Ihr seht habe ich meine verloren, und ich möchte nicht bis auf einen alten Mantel unbekleidet durch den Schnee fliehen. Dass ihr Adelsdamen immer nur an das eine denken müsst.“ Die Reaktion der Diebin hatte sie überrascht. Zugleich kam Valyria in den Sinn, dass sie seit dem Tod ihres Gatten nicht mehr der Herrin Rahja geopfert hatte. Nein, schon länger nicht mehr. Eigentlich nicht mehr seid der Geburt ihrer Zwillinge. Sie hatte ihre Schuldigkeit getan, einen Erben geboren, zwei sogar, aber Leidenschaft war zwischen ihr und Raul nie gewesen.
„Du findest genug Kleider im Schrank. Bedien dich, Alrik hat gewiss nichts dagegen, dir als Schützenlohn eine Hose und ein Hemd zu überlassen.“ antwortete Valyria, als sie sich wieder gefasst hatte. „Aber dann geh.“ Phexlida öffnete den Schrank, ließ dabei jedoch den Degen nicht sinken, damit die Gutsherrin nicht flüchten konnte. Phexlida suchte sich ein wärmendes Reisekleid heraus. Nachdem Phexlida sich angekleidet hatte schlug sie leicht die Hacken zusammen und hielt den Degen zum Fechtergruß vor das eigene Gesicht. „Gut so. Jetzt brauche ich nur noch meinen Sohn, und dann werdet Ihr uns nach draußen geleiten, damit Eure Leute mich nicht angreifen.“
Valyria schüttelte den Kopf. „Das wäre ein Fehler, Mädchen.“ Obwohl die Baronin jünger war als die Streunerin und sie sich in der derzeit schwächeren Position befand, wählte Valyria von oben herab klingende Worte. „Im Augenblick bin ich geneigt, dein rüdes Auftreten deiner Mutterliebe zuzuschreiben und zu verzeihen. Aber mit einer Geiselnahme... selbst wenn du vom Gutshof fliehen kannst, die Wildermark ist nicht groß genug, als dass du dich auf alle Zeit verstecken kannst. Der Arm meiner Familie reicht weit, und wenn Du offen für jeden sichtlich eine Baernfarn bedrohst und beraubst, dann ist das nicht mehr nur meine Angelegenheit, wie ich damit umgehe, dann ist das eine Familiensache. Nein, Mädchen. Du bist gerade dabei, dein Todesurteil zu unterzeichnen...“
„Ich möchte aber meinen Sohn zurück...“ Phexlida antwortete eher trotzig als selbstsicher. Valyria legte nach mit Argumenten. „Und wohin willst du mit dem Kind? Jetzt durch die Kälte irren und mit einem Vierjährigen in einem Räuberlager frieren und Hunger leiden? Das kann nicht dein Ernst sein. Eine um ihr Kind besorgte Mutter handelt nicht so.“ Die Baronin sah Phexlida mit tadelndem Blick an. „Nein, ich sage Dir jetzt, was du machst. Du verschwindest jetzt ungesehen von meinen Leuten vom Gutshof, denn wenn irgendjemand spitz kriegt, dass Du in das Duell eingegriffen hast, dass Du einen Adeligen verletzt hast, ist Dir der Galgen gewiss, und dein Sohn wird zum Waisenknaben. Im Frühling kommst Du dann wieder und erklärst, dass du deinen Sohn aus einer Notlage heraus hier zurück lassen musstest. Dann wird sich alles richten lassen.“
Phexlida dachte nach. Sie musste einsehen, dass die Baronin schlicht Recht hatte. Und abgesehen davon, wie sicher war es für Timoin im Räuberlager, wenn dieser Sholtan und nicht Gundo sie befehligte. Wenn sie wirklich die Schwestern entführen wollten, was sollte sie dann mit dem Jungen machen. „Gut“ nickte Phexlida. „Dann hole ich Timoin im Frühling. Ich empfehle mich dann. Phex befohlen. Aber damit ich sicher nach draußen gelange und Ihr mich nicht verratet kommt Ihr mit!“
„Was denkst Du von mir. Ich habe Deinen Sohn hier aufgenommen, ich habe Dich nicht an meine Leute verraten. Meinst Du, ich würde Dir Böses wollen? Komm, mit, ich führe Dich aus dem Gutshof heraus in Sicherheit. Noch stehen alle anderen auf dem Hof und kümmern sich um die Duellanten. Also genug Zeit, um ungesehen zu verschwinden. Auch wenn Du es ob Deines Auftretens eigentlich nicht verdienst, weil Du zum zweiten mal an einem Tag mein Haus ungebeten betrittst, und du zum viertten mal einen Gast meines Hauses tätlich angegriffen hast und mich bedrohst, gelten hier Travias Gebote der Gastfreundschaft auch für Dich. Dieses Mal. Ich will Deinem Sohn nicht die Mutter nehmen, daher lasse ich Dich ziehen. Aber merke Dir, dass ich nur dieses eine mal Gnade walten lasse. Das nächste Mal erwarte ich ein göttergefälligeres Auftreten von Dir. Und nun komm.“ Valyria ging zur Tür und schob den Riegel zurück. Der Flur war leer. Die Baronin führte die Diebin in ein gegenüberliegendes, leeres Zimmer und öffnete dort den Fensterladen. „Es sind nur zwei Schritt in die Tiefe, und der Boden unten ist weich durch den Schnee. Da kannst Du sicher herunter springen und dann über den zugefrorenen Gernat entkommen. Und noch etwas. Such dir eine ehrliche Arbeit, deinem Sohn zuliebe. Sonst bringst du ihm nur Unheil.“

Phexlida sah die Edle abschätzend (oder geringschätzig?) an.
Hälts du mich für blöd? schien ihr Gesichtsausdruck sagen zu wollen.
Dann wurde Stöhnen und Gepolter laut, draußen vom Nachbarzimmer her. Es klang, als würde jemand mühsam aufstehen, ausrutschen und gleich wieder auf den Rücken fallen...
"Dieses verdammte Miststück...aaahh"
"Klingt nach Hesindian..." meinte Valyria. "Wenn ich du wäre, würde ich mich jetzt trollen...Erzürnte Magier können grausam sein..."
Die Bornländerin schwang sich elegant über das Fensterbrett, tastete nach einem Efeugitter und war im nächsten Moment tatsächlich verschwunden, als hätte sie sich wieder in eine Elster verwandelt.

Valyria sah nach draußen, wo ein Schatten über den im Mondlicht glitzernden Schnee davonhuschte. "Im Frühling" hörte sie noch...es klang durchaus ein bißchen wie eine Drohung.

Sie beschloss, nach dem Magier zu sehen. Der lag im Gästezimmer und wälzte sich zwischen herumkullernden Steinchen herum, als wäre er heillos betrunken. Von draußen drang Fackellicht herein, der Fensterladen klapperte im Nachtwind. Dem arg benommenen Magus gelang es, sich wieder aufzurappeln - nur um mit dem Kopf gegen das Holz des Ladens zu stoßen. Stöhnend sank er wieder zusammen.
Langsam schien alles einen Sinn zu ergeben. Eine Ballästerkugel hatte Bishdarielon getroffen, natürlich. Der Golgarit war eindeutig der Überlegene gewesen, und plötzlich, wie aus dem Nichts, der Treffer. Hier lag wohl buchstäblich des Rätsels Lösung.
Die Edle überlegte, ob es der Orweilerer gewesen war, der geschossen hatte. Nein .... ihr Gespür sagte ihr, dass Phexlida das alles hier arrangiert hatte. Der Magier war ein schlechter Schütze, so gut kannte sie ihn, hatte das zumindest mal zu Odilon gesagt, als der ihn einen Langbogen in die Hand drücken wollte. Fragte sich nur, warum die Elster den Part der Scharfschützin übernommen hatte...

Sie half den sich den blutigen Kopf haltenden Magier aufs Bett.
"Gehts?"
"Danke...es könnte gar nicht besser sein. Wo ist das Dämonenweib?"
"Entkommen", sagte Valyria ausweichend. "Hat mir den Degen an die Nase gehalten und ist durchs Nachbarzimmer ab."
"Den Degen?"
Der Magister tastete nach seiner Seite, wo tatsächlich ein leeres Schwertgehänge baumelte.
"Mein Magierflorett...Sie hat mein Florett gestohlen". Er wollte aufspringen, trat aber erneut auf eine Ballästerkugel, stürzte nach hinten, auf Alriks Himmelbett. Klackernd prallte das davonkullernde Geschoss gegen die gegenüberliegende Wand.
"Gemach, gemach, bevor du dir noch das Genick brichst..." Valyria stutzte. "Aber...du lispelst ja gar nicht mehr?"
Auch Hesindian blickte verwirrt. "Ssti...stimmt...Ss...sssss..." Seine Zunge schlängelte sich heraus. "Bei der Allweisen Herrin...fürwahr...Es geht wieder...ich kann wieder normal sprechen...Gelobt sei Hesinde..."
"Sieht ja fast so aus, als läge es an der Roßkur der Elster...Sie hat geschossen, oder?"
Der Magier nickte, mühsam mit schmerzendem Nacken.
"Merkwürdige Geschichte...Ob sie mit Storko unter einer Decke steckt?" fragte Valyria, mehr sich selbst.
Der Edle antwortete nicht, sondern hielt sich die Rechte an die Stirn, als habe er Migräne. Vermutlich hatte er die auch...Blut tropfte ihn aus der Nase. Dankbar nahm er Valyrias Taschentuch an.
"BALSAMSALABUNDE, HEILE WUNDE" murmelte er dann.
Hm, das würde jetzt länger dauern. Valyria sammelte die Ballästerkugeln ein - und den Schnepper, den sie gut kannte. Das war eine ihrer Waffen...in Alriks Zimmer. Merkwürdig...Ebenso wie die Spontanheilung des Magiers...war dessen Lispeln mehr auf den Schreck zurückzuführen, damals, als ihm die Piratin auf der Fran-Horas die Zungenspitze abgeschnitten hatte - eine Verstümmelung, die nur mit maraskanischem Heilwasser kuriert werden konnte? Und Phexlida...irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es ebenfalls nur die Furcht gewesen war, die sie in eine Elster verwandelt hatte, draußen auf dem Hof...aus welchem Grund auch immer...


Mit frisch gefallenem Schnee bedeckte Tannenzweige schnalzten in Glyranas Gesicht als sie mehr schlecht als recht durch die dicht bewaldeten Ausläufer des Wutzenwaldes ritt.
Wäre sie doch nur im Kloster geblieben, dachte sie sich, dann wäre sie vor all dem bewahrt gewiesen.
„Nicht so schnell, Syrenia“ brüllte sie zu ihrer älteren Schwester nach vorne. „Ich komme im dichten Tannenwerk dir nicht gut nach...„. Wieder lud ein großer Ast seine winterliche Fracht auf das Haupt der Jungfer aus.
Syrenia drehte sich auf ihrem Ross um und erblickte die tollpatschige Reiterin: „Mach nicht solche Faxen und beeil dich“ sprach sie harsch.
Glyrana beutelte sich den Schnee von ihrem Pelzmantel.
„Wie stellst du dir das Ganze eigentlich vor, einfach so aufzubrechen, ohne unserem Gastgeber und der Baronin ‚Lebe Wohl’ zu sagen und wo willst du eigentlich hin, die Praiosscheibe neigt sich schon weit hinunter, in einer Studnde gewiss ist es hier dunkel und wir wollen doch nicht in diesem verwunschenen Wald übernachten. Wollen wir nicht doch lieber nach Gernatsquell zurück reiten?“
Syrenia entgegnete, während sie angespannt die Zügel des Pferdes hielt.
„Papperlapapp, verwunschener Wald, Wutzen, haha! Das sind doch nur Ammenmärchen um die Kinder abzuhalten davonzurennen. Sofern ich mich an unsere Reise nach Schlotz recht erinnern kann müsste hier südlich des Waldstückes das Dorf Wutzenbach oder so liegen – bevor der letzte Strahl der Sonne davon schwindet werden wir schon dort sein.“
An Selbstüberschätzung hat es Syrenia nie gemangelt, dachte sich Glyrana während sie versuchte ihr Ross wieder in Gang zu bringen.
Syrenia sprach weiter: „Und denkst du wirklich ich lasse mir so etwas gefallen. Diffamiert zu werden auf diese Art ist ja wohl das Höchste ... wenn das Vater erfährt ...“
„Ist der Gedanke wirklich so unabwägig, dass du und dieser Ritter Bishdarielon ...“ Glyrana schmunzelte.
Syrenia schmunzelte zurück. „Nein eigentlich gefällt mir Bisch schon recht gut, das könnte ich mir schon vorstellen ... aber“ und ihr Gesichtsausdruck war wieder verärgert „es stimmt einfach nicht und ist gelogen!“
„Aber warum erzählt es dann das Gesinde zu Gernatsquell, wenn ...“
Syrenia fiel ihr ins Wort, „wenn nicht irgendein übler Knecht seinen Spaß haben wollte und Lügen in die Welt setzt, und dieser Storko glaubt das noch ...“
„Ich meine wenn nicht doch etwas dran ist an der Sache. Kannst du nicht verstehen, dass der Junker Storko beleidigt ist.“
„Jetzt nimmst du ihn auch noch in Schutz. Ja aber kein Wunder, ich weiß nur zu gut, dass du dich bei ihm verschaut hast. Kannst ihn gern haben, den Krautjunker hinterm Wutzenwald – nach den vielen Klosterjahren verliert man wohl an den erst besten sein Herz ...“
Glyrana wurde rot am Kopf und begann wütend zu werden. „Hör auf mich zu ärgern, oder du wirst es büßen!“ schrie sie der Schwester zu.
Die Ältere antwortete nur mit hämischem Lachen „Haha ... Haha!“
„Na, du hast es nicht anders gewollt.“ Glyrana formte einen Schneeball und schleuderte ihn direkt auf das Gesicht ihrer Schwester.
Syrenia war nicht darauf gefasst. Das feuchtkalte Weiß bedeckte ihr Haupt und sie war fast zu baff um zu reagieren.

Die beiden Jungern waren an jenem Abend in den Ausläufern des Wutzenwaldes so laut, dass jedes Tier im Umkreis von mehr als hundert Schritt das Weite gesucht hatte ... aber nicht nur Tiere waren unterwegs, und jene anderen wurden von den lauten Stimmen eher angezogen.

Die beiden wurden in ihren Auseinandersetzungen abrupt gestört, denn Zweige knackten und aus dem schneebesetzten Gestüpp drangen finstere Gestalten, die durch das diffuse Licht der Abendsonne im dichten Wald nicht sofort erkannt werden konnten.
Glyrana und Syrenia zogen sofort ihre Kurzschwerter blank ...

Kleine, gedrungene Gestalten mit struppigem roten Fell, huschten, ein merkwürdiges Sammelsurium an Waffen, Lumpen, Fell und Rüstungsteilen am Leib, zwischen den Baumreihen herbei. Der eine hatte eine Lederhaube auf dem klobigen Schädel, der andere hielt eine Hellebarde in den Pranken. Ein unangenehmer Geruch drang an die feinen Näschen der Edlen...der unnachahmliche Gestank nach Goblin...Hauerähnliche Backenzähne mahlten, breite Mäuler grunzten, platte, affenähnliche Nasen schnaubten.

Die Mersinger Schwestern merkten, wie ihre Füße sich von selbst in Bewegung setzen - und sie plötzlich Rücken an Rücken standen. Es waren viele, verflucht viele...sicher ein Dutzend...und Storko war nicht bei ihnen...Sicher, mit einem oder zwei der kindergroßen Gestalten wären sie sicherlich noch fertiggeworden...
"Ob das die gleichen sind...von gestern..." hörte Syrenia ihre Schwester fragen.
"Ich weiß es nicht, aber ich werde mein Leben so teuer wie möglich verkaufen, Marbo sei meine Zeugin", knurrte sie und schwang die Klinge. Eines der zweibeinigen Raubtiere, das bereits nach ihrem ebenholzfarbenen Haar grabschen wollte, sprang respektvoll zurück.
Die Stinker kreisten sie sorgfältig ein.

Der Angriff kam ohne jede Vorwarnung. Der Speer stieß in Richtung von Glyranas Unterleib. Reflexartig hieb sie ihn beiseite - und musste einen Axthieb über Kopf abwehren. Die Jungfer konterte mit einem "Ochsen" - der Spalthieb traf den Rotpelz genau auf den zerbeulten Eisenhut. Jammernd sank er in den Schnee.
"Sehr gut, Glyra", lachte Syrenia - und verschaffte sich mit einem Rundumhieb Platz. Der nächste Stoß traf den Unterarm eines Goblins, der seinen Säbel fallen ließ.
Die roten Wichte taumelten zurück. War das die Möglichkeit - das feige Pack türmte tatsächlich, auf eine einsame, eingeschneite Felskante zu. Die Jungfer fühlte sich mit einem mal ungeheuer stark und furchtgebietend- eine wahre Mersingen ließ sich nicht von solchem Pack einschüchtern. Mit erhobenem Schwert jagte sie einem Rudel von drei, vier der Fliehenden hinterher.
"Syri, bleib hier..." hörte sie ihre Schwester hinter sich.
Da hatte sie schon den ersten Goblin erreicht, schlug ihm mit dem Schwert auf den Buckel. Leider eher mit der flachen Seite, aber es reichte, um ihn wehklagend in die Knie brechen zu lassen. Der Rest huschte den Felsen entlang.
Mühsam folgte sie ihnen durch den hohen Schnee. Etwas von der weißen, kalten Pracht stäubte ihr von oben auf den Kopf. Sie sah nach oben - genau in zwei Goblins hinein, die sich von dort auf sie warfen.
Sie flog hart in den Schnee, merkte, wie ihr das Kurzschwert entglitt. Einer der Krieger kollerte ebenfalls schwerfällig davon.
Die Jungfer raufte mit dem massigen Kerl, der ihr einen Fausthieb verpassen wollte, blockte den Schlag ab, stieß den Angreifer von sich. Mühsam rappelte sie sich auf - und wurde von hinten angesprungen und umgerissen...
"Glyra" rief sie, von plötzlicher Angst und zwei starken Fäusten gepackt.
Tatsächlich flog auch dieser Rotpelz, vom eigenen Schwung mitgerissen, über sie hinweg. Dann war ihre Schwester über ihm, stieß zu. Der Rotling blieb mit einer blutenden Wunde an der Seite liegen. Glyrana hieb mal hier hin, mal dorthin in die Luft. "Lasst die Klauen von meiner Schwester, ihr Dreckpack..."

Syrenia merkte, dass ihr Kurzschwert nun in der Faust eines der Goblins ruhte - mit grimmigem Gesichtsausdruck zog sie ihr Essmesser. Beide junge Frauen wichen zur Felskante zurück. Die Rotkittel kamen wieder näher, es waren aber deutlich weniger als vorher.

Ein flirrender Schatten über ihnen. Glyrana sah nach oben...genau in ein großes, grob gestricktes Netz hinein, das sich wie ein großer Raubvogel, der auf ein Kaninchen herabstösst, schwer über sie senkte und zu Boden riss...Gefangen! Die Leiber der Goblins warfen sich mit kehligem Triumphgeschrei über sie...

 

Syrenia blinzelte, als der übelriechende Fellsack von ihrem Gesicht gezogen wurde. Ihre Augen tränten, sie verspürte Niesreiz, wohl wegen der feinen Härchen des Fells.
"Tsiii..tsiii...tssiii..."
"Gesundheit."
Ein Taschentuch wurde ihr vor die Nase gehalten und sie schneuzte, was blieb ihr in dem Moment anderes übrig, hinein.
Ein hässlicher, kahlköpfiger Mann im bunten Wams grinste sie an, im Flackerlicht eines großen Lagerfeuers. Sie befanden sich im Halbdunkel einer Höhle. Die Jungfer war an Händen und Füßen mit Lederriemen gebunden - ebenso wie ihre Schwester, deren Augen mit irgendeinem groben Fetzen verbunden waren.
"Wer seid Ihr? Wie kann sich ein Mensch nur mit Goblins..." Syrenia kam nicht weiter, da wurde ihr auch schon das verrotzte, zusammengeballte Tuch in den Mund geschoben.
"Mmmh, mmhh..."
"Hier spricht nur einer, und das bin ich, Sholtan Flinkfinger, der König der Räuber des Wutzenwaldes." Selbstherrlich sah sich der Strauchdieb um.
Am Feuer saßen duckende, huschende Goblingestalten.
Nur an der gegenüberliegenden Wand kauerten ebenfalls zwei Menschen, ein älterer, kräftiger Mann mit ergrautem Spitzbart im Jagerwams sowie ein junges Ding, dass Syrenia als eine der Dienstmägde des Gutshofs erkannte. Natürlich, das musste diese Gitta sein, die vermisste Magd. Angewidert spuckte sie den Knebel aus.
"Schweig, Bursche. Ich bin Syrenia von Mersingen, Tochter des Burgherren Gisborn, und das ist meine Schwester Glyrana. Ich verlange, dass man uns sofort freilässt, oder ihr werdet es büßen..."
"Aber natürlich. Euer Wunsch ist mir Befehl, hochedles Fräulein..." Eine Ohrfeige ließ Syrenias Kopf gegen die Höhlenwand fliegen. "Genug der Fisimatenten. Hör zu Schicks, es ist mir orkschegal, ob dein Tate Kalif von Khunchom oder Kaiser vom Güldenland ist...Ihr werdet mir einen Haufen Kohle bringen, in Gallys...666 Duckern, um genau zu sein...Das ist nämlich die heilige Zahl der Schwarzfaulen Herrin, haha..."
Er ballte erneut die Faust - Syrenia konnte ihn nur wütend anstarren.
"Schlag mich ein weiteres Mal, du Unhold, und mein Vater wird diese Hand auf einen Pfahl vor seiner Burg spießen..."
"Ich hab keinen Bammel vor diesem alten Penner..." Sholtan holte aus.
"Lass das Mädchen in Ruhe..." sagte der spitzbärtige Gefangene ruhig. "Schlag mich, soviel du willst, aber lass das Mädchen gehen..."
"Halt die Klappe, Gundo, oder ich brech dir wirklich die Mümmelleiste." Sholtan Flinkfinger trat die Jungfer zu Boden und ging zum abgesetzten Räuberhauptmann hinüber. "Jetzt bin ich der Befehliger hier, ist das klar?"
"Du bist ein Depp. Die Mersingens würden mehr für ihre Kinder bezahlen...das heißt, sie werden dich so oder so jagen, bis ans Ende der Welt..."
"Wasdennwasdenn...die beiden Schlampen sind auf einem törichten Ausflug in den Wutzenwald hopps gegangen...spurlos verschwunden...niemand wird je erfahren, was aus ihnen geworden ist, haha...und was das beste ist: Nachdem dieser Trottel Storko letztens Blaak niedergeschossen und abgemurkst hat, den Anführer der Goblins, gehorchen die Knispels mir. Ich werde Kriegsherr werden, Kriegsherr...Sholtan Flinkfinger gibt es nicht mehr. Ab sofort werde ich Sholtan Starkhand sein, hahaha..." Der Bandit griff nach einer Tonflasche, die neben dem Lagerfeuer gegen einen Stein lehnte, trat nach einem Goblin, der bereits danach gefingert hatte...und nahm einen tiefen Schluck, vermutlich Brannt.
Tatsächlich schien Sholtan schon ziemlich betrunken zu sein.
"Aber erst...werden ich mich überzeugen...dass ich den Belkelelknechten wirklich einwandfreie Ware liefere..." Feixend griff sich der Bursche an den Hosenlatz. Hinter ihm brauste das Feuer hoch, die Goblins raunten furchtsam.
"Mit deiner Schwester werde ich anfangen, du blöde Metze! Und danach dürfen die Knispels da am Feuerchen ran...Euren Hochmut werde ich schon noch brechen, phexverfluchte Adelsschicksen...Macht euch schon mal ein paar warme Gedanken, denn wenn ich zurückkomme seid ihr fällig. Dann werdet Ihr angestochen wie ein Fass Bier...ihr Juuungfern...ahaahaaa..."
Ein weiterer Schluck, dann taumelte der Mann nach draußen, wo offenbar ein weiteres Feuer brannte. Worte in Menschensprache wurden dort gewechselt. Offenbar lungerten dort weitere Weggelagerer herum.

Syrena wandt sich in ihren Fesseln, aber die waren wirklich gut, stemmte sich hoch.
"Glyra...alles in Ordnung soweit..."
Ihre Schwester nickte trotz verbundener Augen.
"Dumme Situation."
"Kann man wohl sagen, Glyrana."
Mit schmerzverzerrtem Gesicht lehnte sich Syri gegen die Höhlenwand. Das Bett aus Steinbrocken unter ihr war alles andere als angenehm.
Sie versuchte Blickkontakt mit den anderen beiden Gefangenen aufzunehmen, aber die starrten nur trüb auf ihre Fußspitzen. Schrammen und Blutergüsse zeigten, dass auch sie geschlagen worden waren, diese Gitta hatte ein blaues Auge. Die am Feuer hockenden, irgendwas Ekles mampfenden und kauenden Goblins, vielleicht fünf oder sechs ließen wiederum bei ihrem Mahl die Jungfern nicht aus den Augen.

Überhaupt kam sie sich beobachtet vor. Unruhig ruckte sie hin und her.
Ein Klackern drang an ihr Ohr.
Tatsächlich, zwei glimmende Augenpaare starrten sie direkt an. Vom Höhlenboden her. Syrenia runzelte die hohe, blasse Stirn, blies sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Blickfeld. Nein, sie hatte sich nicht geirrt.

Ein Stein...ein knolliges Gesicht in einem Stein starrte sie an...große Augen, Knollnase, breiter Steinbeißer-Mund, Moosbelag als Haare...erneut das merkwürdige Klackern, das sich fast wie beschwichtigende (?) Worte anhörte.
Dann kollerte der kleine Felsbrocken, wie zufällig beiseite getreten, ins Dunkle...

Syrenia war ziemlich verwirrt. Da drüben rollte auch etwas, oder täuschte sie der Feuerschein? Und dort blinkten erneut zwei große Augen, auf Knöchelhöhe. Dazu das merkwürdige Klaklak-Geräusch.
Was waren denn das für Klackerer?


Mit Fackeln in den Händen stapften sie alle Odilon folgend durch den nächtlichen Winterwald. Auch wenn Mada wolkenlos die Nacht erhellte drang nur wenig Hell durch die schneebesetzten Äste der Bäume. Es hatte seit dem frühen Nachmittag nicht mehr wirklich geschneit gehabt und der erfahrene Spurenleser hatte keine großen Probleme den geradlienigen Pferdetritten zu folgen.
„Die Spuren führen doch fast direkt nach Süden, an der anderen Seite des Waldstückes hier ist der Ort Wutzenwald, möglicherweise haben die beiden schon längst dort eine warme Stube bezogen“ sprach Storko sich und den anderen Mut zu, obwohl er selbst nicht an dieses Szenario glaubte. Bishdarielon nickte grimmig im Fackelschein und blickte dann wieder misstrauisch in den dunklen Wald hinein.
In Anbetracht der Umstände hatten beide Streithähne ihre Diskrepanzen für den Moment vergessen – die Verletzung des Duells war durch die Zauberkünste Hesindians und die Verbände Zarahs hinreichend versorgt worden - und echte Sorge um die Damen hatte sich ausgebreitet.
Hinter den dreien folgten auch Alrik und Hesindian, Wolfram und die weiteren Bewaffneten der Friedwanger.

Direkt neben Bishdarielon stapfte Storko durch den wadentiefen Schnee und begann, mittlerweile wieder in gewohnter Ruhe und Besonnenheit, mit seinem Kontrahenten leise und in kühl berechnetem Unterton zu sprechen. „Wisst ihr, Edler zu Senkenthal, ich bin mir sicher ihr versteht warum ich Satisfaktion gefordert habe – ich denke ihr hättet in meiner Situation nicht anders reagiert. Ich will unsere Unstimmigkeiten in der Zukunft lassen, durch meinen Sieg wurde der Ehre Genüge getan und ich nehme eure Entschuldigung an.“ Er nickte dabei etwas selbstherrlich.
„Was, Entschuldigung. Ich habe mich für nichts zu entschuldigen...“ erwiederte der Golgarit mit finsterer Miene.
„Jaja ...“ unterbrach ihn Storko sogleich „seisdrum, ihr geht mit den Damen wohl immer so schnell an die Sache, nun ihr müsst es ja wissen, ihr seid ja wohl der Erfahrenere von nuns beiden.“ Er grinste frivol. „Die Mersinger Jungfern sind ja auch wirklich Prachtstücke – hübsch, klug und von gutem Hause. Da lässt man besser nichts anbrennen. Nun von mir aus könnt ihr Syrenia den Hof machen, sie ist nicht meine Favoritin. Meinen Segen sollt ihr haben.“
„Aber ich hatte doch keinerlei Absicht...“ warf Bisch ein.
„Sagt ihr etwa Syrenia würde euch nicht gefallen ... das wäre eine glatte Lüge und das wisst ihr selbst. Ich denke ihr hättet gute Chancen den Vater zu überzeugen. Ihr ein Golgarit, ein Edler ausgezeichnet durch gefochtene Schlachten, das wird Giborn sicher beeindrucken.“
Bishdarielon begann zu überlegen, eine Heirat ins mächtige Haus Mersingen würde ihn in Friedwang zweifellos stärken, und das würde seinem Bruder nicht gefallen. „Bei meiner Treu, wenn den Jungfern nicht zugestoßen ist.“
Die Waffenknechte unterbrachen ihr Gespräch.

„Da war doch was, ein Rascheln“ sprach der Waffenknecht Travius weiter hinten und die anderen Knechte richteten ihre Fackeln und gezogenen Waffen in die gewiesene Richtung. Schnee fiel von einem Baum neben ihnen herab und sie hörten leicht die Schwingen eines Vogels, der sich in die Lüfte erhob. „Nur ein Kauz“ versuchte Wolfram die Friedwanger zuerst zu beruhigen „aber seid gewarnt, wir befinden hier uns im Wutzenwald und man tut gut daran nicht zu tief hinein zu wandern, denn so manchen verirrten Wanderer sollen die Wutzen schon mitgenommen haben – besonders nachts“. Die Waffenknechte blickten den Grenzjäger misstrauisch an und wussten nicht ob sie das Gesagte erst nehmen oder als Ammenmärchen abtuen sollten.
„Aber, nur keine Sorgen“ sprach Storko nach hinten „wir befinden uns noch in den Ausläufern, hier haben wir nichts zu befürchten. Sofern man die Gebote Firuns befolgt jagdt hier der Adel seit Rauls Zeiten – nicht war Odilon...“
Odilon von Baernfarn, der den Zug anführte, war den Spuren schon ein paar Schritt weiter gefolgt.
„Hier verändert sich das Spurenbild“ drang die Stimme des Waidmannes unter dem Pelzschal hervor, während er die Umgebung mit der Fackel weiter ausleuchtete. „Sie müssen abgestiegen sein, denn da sind Stiefelabdrücke...“
„Da drüben sind noch mehr Spuren, die sehen aber eher aus wie von Tieren“ meinte ein Friedwanger Büttel. „Das sind Rotpelze, da gehe ich jede Wette ein, seht euch nur die Abdrücke an, überall“ bestätigte Wolfram.
„Blut“ sprach Odilon leise, „hier muss ein Kampf stattgefunden haben.“
Storko zog vor Angst blank. Nicht weil er Angst vor den Rotpelzen hatte, sondern vor lauter Sorge um die Jungfern.
„Sprecht Odilon, wo führen die Spuren hin? Wurden die beiden verschleppt? Bei den gütigen Göttern!“

 

Sholtan taumelte aus der Höhle nach draußen, nahm noch einen tiefen Schluck Brannt, rieb sich das feurige Zeug aus den Mundwinkeln. Knirschend schritt er durch den Schnee. Achtlos trat er einen großen, runden Stein beseite, der unterhalb der Felswand herumlag, glaubte einen Moment lang ein Ächzen zu hören, gefolgt von einem Klackern. Es folgte ein böses Grunzen, dann ein grelles Quieken, diesmal aus dem Wald. Es klang zornig. Der Streuner sah erstaunt drein. Was war denn das für ein merkwürdiges Durcheinander an Geräuschen?

Er lauschte, zuckte dann mit den Schultern. Ach was - das war gerade eben sicher nur der Schnaps gewesen. Einbildung. Dennoch, er brauchte einen klaren Kopf, wenn er seinen Plan in die Tat umsetzten wollte. Er warf die Flasche in eine Schneewächte, ruckte an seinem bunten Wams. Sholtan Starkhand, der neue, grausame Kriegsherr in der Wildermark, das klang gut. Mit den Rotpelzen und den Räubern zusammen würde er eine ernstzunehmende Macht im Wehrheimschen darstellen. Mit dem Gold, das ihm die Dämonenanbeter zahlen würden, konnte er dann weitere Söldner anwerben.

Seine blankhäutigen Gefährten standen draußen, im Halbdunkel am Lagerfeuer, trampelten sich die Kälte aus den Beinen, rieben sich die schlotternden Gelenke.
Bullkopp, der Fahnenflüchtige, starrten an rotglühenden Tannenwipfeln vorbei nach oben, in den Sternenhimmel, wohinauf der süßlich riechende Rauch und die Funken stiegen. Dem Langfinger fror die Glatze, also nahm er einem der Schnapphähne den speckigen Filzhut ab, stieß den Schwächling beiseite. Fast sofort spürte er kitzelnde Bewegungen auf der blanken Kopfhaut. Igitt, Flöhe...Naja, die würden bei ihm nicht glücklich werden. Sholtan lachte grimmig bei dem Gedanken.
"Halt die Fresse, Bodo!" schnauzte er den krummbeinigen Räuber an, bevor der überhaupt protestieren konnte. "Da drüben liegt ne Buddel Schnappes, hält deinen Kopp auch warm..."
"Es schneit heute nicht mehr!" brummte "Bullenkopf", rückte klirrend seine Rüstung zurecht und wirkte besorgt. "Was für ne Schweinekälte. Sternenklare Phexensnacht...Man sieht bis hinauf zum Madamal..." Weißer Dampf stand ihm bei diesen Worten vor dem Mund.
"Umso besser, dann ist es wenigstens nicht mehr so nasskalt." Sholtan nahm den Hut ab, rieb sich über die Platte und klopfte das Ungeziefer in den Schnee.
Der stämmige Söldner wies über die gepanzerte Schulter nach hinten.
"Das mein ich nicht. Der Schnee ist harsch. Die Stinker haben eine deutlich sichtbare Spur im Wald hinterlassen. Wenn jemand die beiden Metzweiber sucht, braucht er der Fährte nur zu folgen und dazu nicht einmal ein besonders guter Waldläufer zu sein, um uns zu finden, bei Kors neungezacktem Spieß..."

Der Kahlköpfige sah den grimmigen Darpaten verdutzt an. Dann ging er hinaus in den Wutzenwald, wo die Rotpelze ihre Opfer herbeigeschleift hatten - teilweise im Wortsinn. Selbst jetzt in der Nacht waren die Trittlöcher, zertretenen Äste und Schrunden gut zu sehen. Es stimmte: Nur ein Blinder würde diese Spur übersehen.
Der Dieb heulte wütend auf, trat Schnee über diesen Trampelpfad, ballte die Fäuste.
"Verdammtverdammtverdammt...was sind denn das für schieche Anfänger!" Er packte einen der Goblins, an dem Kragen einer rostigen Beutebrünne, stieß sein Opfer wütend gegen einen Baum, wo es scheppernd zu Boden sank. Schnee stäubte von oben herab. "Ihr versaut mir meinen ganzen Plan, ihr Mischpoke!"
Er starrte wütend in den Wald, als könne jeden Augenblick Marschall Ludalf von Wertlingen mit seinen Mannen herbeireiten. Eisnebel kroch vom nahen Fluss heran. Zusammen mit raureifgefrorenen Bäumen und schneeüberhauchten Tannen ein Anblick, der ihn innerlich wie äußerlich frösteln ließ. Über allen blinkten kleine Sterne, am wolkenleeren blauschwarzen Firmament. Das Madamal goss flüssiges Silber über die Szenerie: ein Anblick, der schrecklich und schön, großartig und grausig zugleich war.

Der weiße Winterwald schwieg in der frostigen Nacht. In seinem Rücken knackte, gloste und prasselte das Lagerfeuer, erinnerte ihn mehr an die fehlende Wärme, als dass es ihn wirklich Behagen bereitete. Sholtan fühlte sich einsam.

Wieder dieses Quieken. Dazu ein durchdringender Geruch, nach Schlamm, Wild, Jauche. Waren das die Suulak?
Der niedergeworfene Goblin rappelte sich am Fichtenstamm auf, wirkte unter seinem roten Pelz irgendwie blass. Er deutete mit seinem kurzen Affenärmchen in den Forst. "Tha´ang!" lispelte er durch seine hauergeschmückten Lippen, hob das klobige Kinn. "Tha´ang". Es hörte sich ängstlich an, aber auch - überaus respektvoll. Es folgte ein Redeschwall, von dem Sholtan nur das Wort "Orvai Kurim" verstand. War das nicht irgendso ein Götze dieser schwächlichen rothaarigen "Orks für Arme"? So´n Schweinekopf? Der Rotpelz deutete aufgeregt auf das Lagerfeuer, war ganz aus dem Häuschen. Nun fing er sogar an, Schnee auf die Flammen zu werfen und das brennende Holz auseinander zu zerren - wurde aber mit lauten "He,he,he" von den Umstehenden zurück gehalten.
Sholtan fluchte. Weitere Goblins eilten herbei, palaverten mit.
"Bodo, du verstehst doch denen ihre Affensprache, was will der übelriechende Penner?"
Der Krummbeinige schnupperte gerade hocherfreut am Branntwein, grinste mit schadhaften Zähnen und nahm dann einen tiefen Schluck. Sholtan bereute es, diesem ekligen Halbgoblin sein gutes Wässerchen übereignet zu haben, aber nun wars zu spät...
Der Strauchdieb zuckte mit den schiefen Schultern. "Der will, dass wir das Lagerfeuer ausmachen!" Bodo hachte, erfreut ob des Feuers in seinem Rachen, rieb sich über das unrasierte Kinn. "Gutes Tröpfchen, phexverdammich, verdammt gutes Tröpfchen..."
"He, ja und...sonst noch was?"
"Hat Angst, dass sein Schweinegötze ihn sonst bestraft. Sagt, das ist der Wald, der dem alten Orvai und den Tha´ang gehört...was auch immer das sein soll...irgendwelche Waldgeister, so wie der sich in die Fellhose kackt...Die mögen den Feuerschein nicht, meint er...Irgendson Goblinaberglaube halt..."
"Sag ihm, das hier is m e i n Wald. Und ganz bestimmt werd ich hier bei dieser Schweinekälte nicht das Feuer löschen, der spinnt doch..."
Einen Moment lang glaubte er, zwischen den Stämmen glühende Augenpaare zu sehen, ziemlich niedrig, knapp über dem Boden. Schnee knirschte. Eine Art Schnuffeln...Auf den zweiten Blick war nichts mehr zu sehen, auch nichts mehr zu hören. Nur der stechende Geruch lag in der Luft.

Verdammt, dieses Gerede von Gespenstern machte ihn ganz nervös. Dabei hatte er als Anführer der Bande ein ganz anderes Problem.
"Hinterlassen die hier so ne Fährte, was für ne Riesensauerei. Also, ich hab nen Plan...Wenn wir wirklich von den Gernatsquellern verfolgt werden, und so siehts aus, dann müssen wir sie abpassen...n kleiner Hinterhalt, am besten drüben bei den Felsen, wo sie die Schlampen hops genommen haben...und dann..." Er fuhr sich mit der Handkante über den Hals. "Dann räumen wir am besten gleich den ganzen Gutshof leer, wenn wir sämtliche Büttel im Wald abgemurkst haben...Das gibt Zaster, hoho..."
Wieder dieses verärgert klingende Quieken und Grunzen. Bewegungen am Rand der Schatten, helle Schemen, die schwerfällig über den Schnee heranstampfen. Und immer wieder diese bösartig glühenden Äuglein...

Trappeln, Grunzen, Schnauffen. Dazu der Geruch. Er hatte sich das Ganze wahrlich nicht nur eingebildet. Sie kamen...und es waren viele...
verflucht viele.

Er zuckte erschrocken zusammen, als ihn etwas von hinten berührte.
"Äh, Hauptmann", ließ sich eine sommersprossige Räuberin namens Zilli vernehmen. "Also, äh, ich geh da bestimmt nicht raus...wenn da all diese Viecher sind..."
Die Goblinwachen wichen zurück, bildeten in merkwürdiger Eintracht mit den Blankhäuten einen Halbkreis vor dem Feuer. Die ersten Waffen wurden gezogen. Aufgeregtes Geschnatter und Gezischel, und immer wieder "Tha´ang, Tha´ang!" Sie deuteten verstört in den Wald, schlotterten.
"Verdammte Schweinebande, habt Ihr etwa Angst vor ein paar Wutzen?"
Sholtan versuchte hart und befehlsgewohnt zu klingen.
Das Quieken schwoll an, und auch ihm wurde langsam mulmig zumute. Schatten, überall trampelnde Schatten...Es mussten Dutzende Wildsauen sein, wenn nicht...an die Hundert...
"Äh, vielleicht sollten wir wirklich das Feuer...in die Höhle verlagern...und wir uns besser auch..." knurrte Bullkopp und fingerte nach seinem Streitkolben. "Das sind wirklich orkschverflucht viele..."
Eine der Rotlinge deutete jetzt auf die Grotte, redete lautstark.
"Er sagt, Orvais Meute wird uns alle töten...wir hätten sie erzürnt, in dem wir nachts im Wald ein Feuer entzündet hätten...und müssten ihnen nun ein Opfer darbringen..." Bodo zog seinen Säbel. Er musste fast schon schreien, um das wütende Grunzen zu übertönen. Einige zogen brennende Äste aus dem Feuer...

Sholtan schüttelte den Kopf. "Ein Opfer? Was denn - Trüffel?"
Ein hektisches Zupfen am Ärmel, von einem der Stinker.
"Fleisss´....Fleisss´...Tha´ang fressen Fleisss´...Fleiss´ von annere Zweibein..." Der Mundgeruch des Goblins war atemberaubend.
Auch die Räuber sahen jetzt in Richtung Höhle...
Der "Kriegsherr" riss sich wütend los. "Fass mich nicht an, du kleine Ratte. Du stinkst aus dem Maul. Nix Fleisch...Die einzigen, die die beiden Mersinger Schlampen da drin vernaschen werden, das sind meine Gallyser Freunde, hehe...für gutes Gold."
Der Goblin stolperte ängstlich davon. Auch die anderen Rotpelze wichen jammernd zurück. Gut, sie hatten also Furcht vor ihm, ihren "großen Häuptling".
Sholtan hob seine Stimme noch etwas, während er sich Richtung Felsen wandte: "Ja, die Knechte der Herrin der Schwarzfaulen Lust werden für diese exquisite Delikatesse sehr gut blechen, anders als diese Wutzen da draußen...Also, Finger weg von den Dämchen, oder ich schneide sie euch ab, verstanden, feiges Goblinpack? I c h habe keine Angst...He Leute, her mit der Armbrust, es gibt nachher Spanferkel, haha..."
Er stutzte.
Hatte der Rotzpelz "Fleisss von annere Zweibein" gesagt? Und was hatte er eigentlich damit gemeint? Wieso a n d e r e Z w e i beiner?

Der Gestank nach Wildsau wurde bestialisch.

Ein tiefes, dumpfes, gurgelndes Grollen hinter ihm.

Instinktiv zog der Dieb blank, während er sich umdrehte.

Die Wildschweine drangen jetzt schnaubend und grunzend aus dem Wald, ein gewaltiges Rudel. Ihnen vorneweg sprang ein halbes Dutzend...Sholtan hätte nicht sagen können, was das für Wesen waren. Riesige schwarze, borstige Keiler, und dann doch wieder nicht. Denn tatsächlich stapften sie auf zwei Beinen heran, die vorderen Gliedmaßen berührten nur hier und da kurz den Schnee, statt Vorderhufen hatten sie hornige Klauenfinger, und struppig behaarte, muskelbepackte Menschenarme. Dennoch bewegten sich die...die "Tha´ang" tierhaft gekrümmt vorwärts, mit mächtigen Rückenkämmen und Hauern gleich Krummdolchen, als übermannsgroße Riesen.

Einer dieser Ebermänner hatte ihn nun entdeckt, starrte ihn grollend, aus bösen, gar nicht mal so kleinen Schweinsäuglein an. Heißer Atem stob aus den geblähten Nasenlöchern, Sabber tropfte dem Vieh aus dem mahlenden, klaffenden Schweinemaul. In der Rechten hielt es einen herausgewühlten Baumstrunk als Keule. Der Boden dröhnte unter seinen Tritten.
"Dass mich doch die namenlose Dämonenscheiße..." konnte Sholtan noch stöhnen, dann sprang das Ungeheuer auf ihn zu. Ein wütender Keulenschlags...
Er riss den Säbel hoch - und spürte erst die Urgewalt des Hiebs, dann, wie die Klinge einfach davon segelte, irgendwo im Boden stecken blieb.

Der Räuber sprang zurück, sah, wie seine Gefährten Richtung Höhle flohen, die feigen Rotpelze sowieso. Die dünne Verteidigungslinie brach einfach zusammen.
Das ist doch nicht möglich, dachte Sholtan noch, während er zitternd nach seinem versteckten Messer tastete. Was tat das Borstenvieh jetzt? Es kauerte sich nieder und verbeugte sich vor ihm?!! Nein, eher eine Art Nicken...

Im nächsten Moment flog er auch schon durch die Luft, von dem Biestinger auf die Hauern genommen. Der Flug war kurz und endete hart. Mit dem Rücken krachte er in den Schnee, neben dem Säbel. Na also, das Glück hatte ihn nicht ganz verlassen, dachte er noch, dann spürte er den klaffenden Riss in der Bauchdecke. Eine tief klaffende Wunde, die nun unter dem zerschlitzten Wams auflappte.

Gefolgt von unmenschlichen Schmerzen. Wieder zitterte der Boden, die Schockwellen eilten genau auf ihn zu. Schnee stäubte hoch wie die Bugwelle eines mächtigen Holken. Er wollte sich aufrappeln, sich verteidigen, nach der Klinge greifen und um sein Leben kämpfen. Was dampfte denn da rot und glitschig an seinem Unterleib? Irgendetwas begann ihm aus dem geschundenen Leib zu rutschen, in die völlig falsche Richtung. Er spürte etwas Warmes, Weiches. Nein, nein - nicht alles rausfallen. In schmerzhafter Panik versuchte er seine heraushängenden Eingeweide zu bändigen...Der Schnee färbte sich rot vor Blut. Seinem Blut? Warum soviel? Das durfte doch nicht sein...Neiiiin...Ihr guten Götter!!!

Ein gewaltiger Schatten lenkte ihn selbst noch von seinen körperlichen Qualen ab. Das letzte, was Sholtan Flinkfinger sah (und mehr noch hörte) war die Keule, die auf ihn herabstürzte wie ein gefällter Baum und auch seinen Kopf knackend zu einem ekligen Brei zermalmte...

Bodo rannte, stolperte um sein Leben, durch das Lagerfeuer hindurch, eilte auf die Höhle zu, während hinter ihm Sholtans Bezwinger triumphal brüllte und die besudelte Keule in den Nachthimmel reckte. Der Bandit drehte sich kurz um, bereute es fast ob des entsetzlichen Anblicks. Schweinespeichel flog dem blutbesprenkelten Ebermann aus dem Maul, Schnee fiel während seines röhrenden Gebrülls von den Bäumen. Weitere Biestinger stapften links und rechts herbei, dazwischen rannten vierbeinige Wildschweine.
"Die Gefangenen. Werft sie den Ungeheuern zum Fraß vor, dann lassen die Biester uns vielleicht am Leben!" japste Bodo.

 

„Was sind denn das für Geräusche von draußen?“ fragte Glyrana deren Augen ja verbunden waren.
„Seltsame Klackgeräusche, nichtwahr – vielleicht ist an den Geschichten der Wutzen doch was dran.“ Antwortete die Schwester. Dann hörte sie aber auch selbst von draußen ein komisch tiefes Grunzen, Grollen und heftiges Gerede.
Die Rotpelze am Feuer ließen sichtlich beunruhigt von ihrem Mahl – der Katze die Gitta mitgenommen hatte – ab und gingen zögernd und vorsichtig in Richtung des Ausgangs. Syrenia hörte noch wie sie so etwas wie „Tha´ang“ nuschelten. Auch die gefesselte Magd Gitta und der ältere Mann neben ihr schauten verwundert hoch.
Da tauchten schon wieder gar mehrere Gesichter samt kleinen Augen am Steinboden auf und begannen mit Klackslauten auf die beiden Jungfern einzureden – es klang heftig und schnell, doch nicht bedrohlich.
„Bei der heiligen Noiona, was geht hier vor, verlieren wir schon den Verstand!“ sprach Glyrana aus und versuchte vergebens am nackten Fels die Augenbinde abzureiben. „Warum musstest du uns auch nur hier in den Wald führen?“
Tatsächlich musste Syrenia in diesem Punkt Glyrana Recht geben, dass es keine gute Idee war Gernatsquell einfach so vor dem Abend zu verlassen und sie sprach zu ihrer jüngeren Schwester beschwichtigend und gar etwas reumütig:
„Ich bin mir sicher, dass sie in Gernatsquell unseren Aufbruch bemerkt haben … und Bisch und Storko werden gewiss nach uns suchen.“
Doch nach den Stimmen Gernatsborner oder Friedwanger Soldaten klangen die seltsamen Laute draußen ganz und gar nicht … und sie wurden lauter.

Ein Schrei erklang gefolgt von einem Brüllen … einige Rotpelze stürzen in die Höhle hinein. Der eine zeigte wild ächzend auf Syrenia während ein zweiter dahinter seltsam gestikulierte und immer wieder „Tha´ang“ aussprach; andere begannen aus unerfindlichen Gründen schnell das Feuer auszumachen.
Der erste machte einen Schritt in Richtung der Mersinger, zeigte immer noch auf sie und nuschelte „Fleischh...“
Da rollte einer dieser komischen Steinbrocken dem Goblin direkt vor die Füße als wolle er ihn aufhalten. Nicht darauf gefasst stolperte er knapp neben einem brennenden Scheit.
Da sahen auch die anderen Rotpelze dahinter die seltsamen Steingesichter die in einer klackenden Sprache scheinbar zu schimpfen begannen.
Panisch schrieen sie auf, der eine raufte sich vor Angst wild das Fell seines Hauptes.
Glyrana konnte die Szenerie mit ihren Augen nicht verfolgen, doch – auch wenn sie nie mit Rotpelzen im Besonderen zu tun gehabt hatte – konnte sie den Unterton von Angst und Verzweiflung in den Schreien erkennen, er war ähnlich wie bei den armen Seelen die sie im Kloster der Heiligen Noiona betreut hatte.

Sie pelzigen Wichte wichen zurück, doch wussten sie scheinbar nicht wohin sie fliehen sollten. Zwei liefen weiter in die Höhle hinein während ein anderer sich verstört in einer Felsnische hinkauerte.
Die Stimmen der Goblins wurden nur übertönt durch das Grunzen, Brüllen und Scharren - gefolgt von menschlichen und rotpelzigen Schreien - die von draußen herein klangen.


Alrik schüttelte den Kopf. „Welch Tölpel diese Rotpelze, haben eine so breite Spur hinterlassen.“ Odilon antwortete ebenfalls mit Nicken.
Die Goblins hatten tatsächlich nicht an etwaige Verfolger gedacht. Da es seit dem Nachmittag nicht mehr geschneit hatte, so war eine breite Schneise im Schnee zu erkennen. Die Äste der dicht aneinander stehenden Bäume waren abgeknickt und gar rote Blutreste im weißen Untergrund zu erspähen.
Eine gute Viertelstunde folgten sie schon den Spuren - die direkt in östliche Richtung tiefer in den Wutzenwald führten – seitdem sie den vermeintlichen Kampfplatz entdeckt hatten.
Storko nahem einen Batzen blutigen Schnee in seine pelzbesetzten Handschuhe um es genauer zu beäugen.
„Was sagt ihr Hesindian, ihr seid ja ein gelehrter Mann, könnte das das Blut der Jungfern sein, sodass sie verletzt sind, oder ist es von Rotpelzen?“ fragte er den Magier neben ihm.
„Jungfernblut?“ bemerkte der Zauberer etwas süffisant.
„Zum Scherzen bin ich nicht aufgelegt, ihr wisst was ich meine.“ Er sah Hesindian scharf an.
Der Gelehrte nahm das Häufchen des roten Schnees in seine Hände und beäugte auch es genauer.
„Nun ich bin mir nicht sicher.“
„Nicht sicher, habt ihr keinen Zauber dafür parat?“
„Ich denke es ist kein Blut von Menschen, die Farbe...“ antwortete er, mehr um Storko zu beruhigen, als dass er es genau wissen würde.

„Da war doch was rechts!“ murmelte Bishdarielon, während er schon einmal vorsichtshalber blank zog.
Tatsächlich, er hörte ein Rascheln, ein Grunzen ... kurz leuchtete ein Augenpaar in der Dunkelheit auf ... und woher stank es plötzlich wie in einem Schweinestall.
„Bei meiner Seel! Da schleicht was herum!“ rief er den anderen zu.
Die Friedwanger Waffenknechte samt Alrik kamen zu ihm herbei um die Umgebung auszuleuchten.
„Da ist nichts“ meinte der Friedwanger Baron. Auch Bishdarielon konnte nichts mehr erkennen und der Gestank hatte sich in der Winterluft auch verzogen. Der Wald war still, fast zu still.
„Aber, ich habe etwas gesehen und gehört, und gar gerochen...“
„Ja, suchen dich deine Dämonen wieder heim ... gerochen, wohl Schwefeldampf, hä“ versuchte er die Situation zu beschwichtigen.

Ein Friedwanger Büttel hustete krampfhaft. Es war ihnen einerseits die Anspannung, als auch die Kälte anzumerken. Die Edlen waren in dicke Pelze gehüllt um gegen die klirrende Kälte, die in jener wolkenlosen Winternacht herrschte, ankämpfen zu können – die Waffenknechte jedoch waren für dieses Unterfangen eher notdürftig ausgerüstet. Einer zog sich seine dünnen Handschuhe aus um die Hände mit Reiben zu erwärmen.

Storko griff in die Innentasche seines Mantels um einen Flakon heraus zu holen. In Wahrheit war er ja nie ein großer Kämpfer gewesen und immer auf andere in solchen Dingen angewiesen. Doch wusste er was zur Führung solcher Menschen – Soldaten – notwendig ist. Ist die Moral und der Kampfgeist gebrochen, dann konnte nur noch die Niederlage bevorstehen. Die Friedwanger Bewaffneten sahen im Moment nicht besonders motiviert aus.

„Da, trinkt einen Schluck“ sprach er mit ihnen in offizierlicher Manier „es ist Löwenbiss-Schnaps. Das wird eure Glieder wieder wärmen und die Lebensgeister zurück bringen.“
Der silberne Flakon machte die Runde und jeder nahm einen kräftigen Schluck des Brandts, sodass er am Ende fast leer schien.
„Wir müssen heute Nacht noch zwei Jungfern befreien, dazu brauche ich wackere Krieger!“ Wie als würde er eine Rede halten stellte er sich vor den Bewaffneten auf. Seine Soldaten waren nicht zugegen, so musste er sich die der Verbündeten zu Nutzen machen. Alrik und Bishdarielon beäugten missmutig wie der Gernatsborner Junker mit ihrem Waffengefolge umging.
Der Offizier Storko fuhr fort. „Für jeden besiegten Rotpelz oder Räuber sollt ihr drei Taler aus meiner Kasse bekommen, und wer mir die Mersinger Edeldamen unversehrt bringt, ja der soll gar eine Goldmünze als Lohn erhalten.“
Nach Schnaps und Lohnversprechen schien die Moral sich langsam zu verbessern, denn zwar vorsichtig nachdenklich aber leicht nickend sahen sie den Junker zu Gernatsborn an.

Ein Schrei aus der Ferne durchschnitt die Stille des Waldes. Ein Schrei, nein es war mehr ein Brüllen, ein lautes röhrendes Brüllen.
Alle zogen instinktiv sofort ihre Waffen.
„Was ist das?“ warf Bishdarielon den anderen zu.
„Ein Hirsch, ein Goblin?“ meinte Storko, obwohl er wusste, dass nicht Brunftzeit war und ein Rotpelz nicht solcherart Laute machte. Die Schreie der Jungfern waren es jedenfalls nicht.
„Nein, keines von beiden – das Brüllen kommt aber direkt aus der Richtung in die die Spur führt“ Odilon zeigte weiter nach Osten.

„Schnell vor, Soldaten!“ befahl Storko den verbündeten Bewaffneten als wären es die eigenen.

Die ganze Gruppe stapfte schleunigst tiefer in die Wälder hinein – wieder erklang das Brüllen und eine weitere Geräuschkulisse wurde stärker umso näher sie kamen.


Glyrana ruckte, zunehmend nervös, an den Fesseln. Den tosenden Lärm, das Quieken und Grunzen auch noch völlig blind mitanhören zu müssen, war beängstigend. Dazu das merkwürdige Klackern und Klicken in der Höhle...

Die Jungfer schrie auf, als sie grob gepackt und an den Beinen über den Höhlenboden geschleifft wurde...

"Werft sie den Schweinen zum Fraß vor!" johlte einer der Räuber.
"Jawoooll, besser die als wir..."
Syrenia sah entsetzt, wie auch die Dienstmagd und der gefangene Spitzbart Richtung Grottenausgang geschleift wurden, von Rotpelz und Blankhaut in seltsamer Eintracht, wie sie nur allerhöchste Panik zu schaffen vermochte...

Sie zerrte fluchend an den eigenen Stricken, die aber nur um so tiefer einschnitten. Schweine? Was meinten die Strauchdiebe mit Schweine? Sich selbst ja wohl nicht...
"Lasst eure dreckigen Finger von meiner Schwester!" brüllte sie, erhielt aber nur ein mattes Echo von der Höhlenwand zur Antwort...

Dann merkte sie, wie hinter ihr etwas am Seil knabberte, erst zaghaft, dann rasch kräftiger...

 

Das Grunzen war ohrenbetäubend. Bodo glitt auf einer vereisten Stelle aus und schlug der Länge nach hin, prellte sich schmerzhaft die Schulter.
Ein schnauffender, klobiger Schatten hielt genau auf ihn zu. Der Räuber schrie vor Angst, dachte an die Mannkeiler. Aber es war nur ein kapitales Wildsauweibchen, das mit ihren Hufen auf ihm herumzutrampeln begann. Eine weiteres Schwein biss ihm schmerzhaft ins Bein.
Er strampelte, schrie, griff nach seinem Dolch, trieb sie der Bache, deren Rücken schneebedeckt war, mit Schmackes in die Seite. Bläulichrotes dickes Blut suppte heraus, erinnerte an Rahjanisbeerensirup. Empört grunzend wich das Tier aus, das andere Vieh am Bein konnte er wegtreten. Er rappelte sich auf, fand sich in einer regelrechten, wilden Stampede aus Wildschweinen wieder, die hier einen Goblin niederrannten, dort sich in eine junge Räuberin, Lioba mit Namen, verbissen hatten. Schneestaub lag wie Nebel über allen. Er zog seinen Säbel, hackte mal hier, mal dorthin, traf einen nervös zuckenden Leib, spürte eine feuchte Schweineschnauze an der aufgerissenen Hose, wich, in Erwartung eines Bisses, stöhnend zur Seite aus, wäre beinahe über ein graues Halbstarkenschwein gefallen, die auch überall herumwuselten. Raus, weg hier...das war einfach zu viel...

Die Viecher schienen das Feuer gleichermaßen zu fürchten wie zu hassen - sie umringten es in großer Zahl, stampften respektvoll in den Randbereich hinein, versuchten mit wütenden Tritten die Äste auseinanderzu brechen, sie mit ihren Schnauzen auseinanderzuziehen, scharrten sogar Schnee auf die Flammen. Nicht, dass sich Bodo sonderlich mit säuischem Verhalten (außer bei Menschen) auskannte - aber normal war das sicher nicht...

Mit Entsetzen sah er, wie zwei der Ebermänner brüllend über den toten Sholtan herfielen, ihn mit den Pranken packten, ihre hauergeschmückten Schweineschnauzen in sein Fleisch schlugen, schmatzend und grunzend bluttriefende Brocken herausrissen...was für eine Riesensauerei...

Nur wenige leisteten Widerstand: Bullkopp etwa, der mit seinem Streitkolben bereits zwei Sauen erlegt hatte und nun dem keulenschwingenden Anführer der Meute gegenüberstand. Der Tha´ang hob seinen unförmigen Leib - und brüllte auf, als ein Armbrustbolzen aus dem Hinterhalt seine Seite traf. Und dennoch, für diesen Koloss war das nur ein Kratzer. Das musste Bullkopp spüren, als er, seinen vermeintlichen Vorteil ausnutzend, gegen das Bein des struppigen Riesen schlagen wollte - ein Keulenhieb zerbrach ihn den guten Arm, scheppernd gaben die stählernen Schienen nach. Ein zweiter Manneber näherte sich von hinten, packte ihn am Schlaffittchen und warf den Schwergerüsten einfach in den Wald, wie ein Fässchen oder eine Truhe, wo er krachend zwischen zwei Tannen liegenblieb - und eines ganzes Rudel vierbeiniger Sauen die Schwachstellen seiner Rüstung prüfte. Erst nach einer ganzen Weile verstummten seine Schreie.

Zur Höhle, er musste zur Höhle. Bodo raffte eine Fackel an sich, die niedergefallen war, verschaffte sich damit Raum. Dann sah er einen Stein auf sich zufliegen, einen klobigen Felsblock - von einem der Zweibeiner geworfen. Instinktiv hob er den Säbel zur Abwehr, das Ding zerbrach, er ließ es ächzend fallen, ebenso das brennende Holz. Ein Keiler nahm ihn von hinten auf die Hauer, er flog über dessen borstigen Rücken, kassierte einen Biss in die Wange. Das Schwein griff erneut an, wütende kleine Äuglein funkelten ihn an - böse, sehr böse. Dann spürte er die Schnapsflasche neben sich. So fest er konnte, hieb es dem quiekenden Vieh über den Schweinekopf. Es brach zusammen. Schade um den guten Brannt, aber dem Räuber war jetzt alles egal, nicht einmal den Huftritt in seinen Unterleib spürte er mehr richtig. Zur Grotte - sie mussten sich dort verschanzen, und die Gefangenen opfern, wie es die Goblins geraten hatten...

Die Räuber, und sogar einige Goblinkrieger, verteidigten den Eingang verbissen, ein Axthieb streckte eine wilde Sau zu Boden, eine zweite fiel unter einem gut gezielten Speerstoss. Dennoch, die Übermacht war erdrückend. Die Weggelager wichen zurück, nahmen Bodo in die Mitte.

"Verdammt, wo bleibt das Fleisch" keuchte er, taumelte in die Höhle.
Gundo Knochenbrecher wehrte sich trotz seiner Fesselung tapfer, wandt sich im Griff der feigen Goblins, Gitta wurde über deren Köpfe hinweg nach draußen getragen - und in den Schnee geworfen. Auch die eine Jungfer (Bodo wusste nicht, ob es diese Syrenia war oder Glyrana) folgte ihr, mit einem Tritt rollte sie der Schweinebande entgegen.

Dann sah Bodo deren Schwester, wie sie gerade versuchte, an einem kantigen Stein ihre Handfesseln aufzuschneiden - zumindest sah es für ihn so aus.
"Na, na, so nicht, meine Gutste" - er packte sie mit der Linken grob an die Schulter, hielt ihr mit der Rechten sein letztes verbliebenes Messerchen an die Kehle. Im nächsten Herzschlag schlug sie ihm auch schon den Stein ins Gesicht - wo dieser sich, aus welchem Grund auch immer, sofort festbiss! Bodo jammerte, fiel nach hinten.
Syrenia ebenfalls, als sie trotz ihrer Fußfesseln aufzuspringen versuchte. Bodo riss wütend das bissige Steingesicht aus seinem eigenen, wo nun eine tiefe, blutriefende Fleischwunde prangte, warf den Stein weg. Benommen taumelte er in Richtung der Jungfer, die nach seinem Messer tastete und sich die Fußfesselung abzuschneiden versuchte.

Ein wütender Fausthieb ließ ihr die Klinge aus der Hand gleiten, klirrend
fiel das Messer zu Boden. Bodo packte sein Opfer am schönen, ebenholzfarbenen Haar, zerrte sie in Richtung Höhlenausgang - und bleckte, als er erneut einen Biss spürte, diesmal von der Jungfer in seinen Unterarm. Er versuchte ihren Kopf nach hinten zu reißen - und erntete einen erstaunlich kräftigen Fausthieb. Als die Sternchen verschwunden waren, robbte die Jungfer gerade davon, wieder in Richtung Messer. Sie erreichte es schnell, schlitzte das Seil um ihre Fußgelenke auf.

Bodo wollte sich auf sie stürzen - und merkte erst jetzt, dass die Adelige die Waffe in der Hand hatte. Syrenia sprang federnd auf. "Fass mich nicht an, du Abschaum!" zischte sie - und griff an. Das Messer schrammte heiß über sein Handgelenk. Dennoch, wenn es um Messerstechereien ging, dann war er der Experte, nicht dieses Weibsstück. Er pendelte den nächsten Stoß aus, schlug ihr den Stahl erneut aus den Fingern, versetzte ihr einen Stoß, der sie hart gegen die Felswand prallen ließ.

Syrenia floh, aufs Geradewohl nach hinten, wo die Höhle tiefer in den Fels zu führen schien. Tastete sich in die Dunkelheit hinein, folgte einem matten Luftzug.


Glyrana spürte, dass sie jetzt wieder im kalten Schnee lag, in der Nachtluft. Ihre Augenbinde war etwas verrutscht, aber mehr als undeutliche Bewegungen nahm sie nicht wahr. Sie spürte ein leichtes Zittern des Bodens, hörte das Schnaufen und Grunzen, roch den Gestank nach Wildsaurotte.

Sie schienen gerade umringt zu werden, das spürte sie. Von irgendjemanden...nein, irgendetwas...etwas eindeutig Nichtmenschlichem. Unmenschlichem? Hektisch versuchte sie die Augenbinde an ihrer Schulter abzustreifen...Es gelang ihr erstaunlich leicht, doch was sie sah, ließ sie die gnädige Dunkelheit zurückwünschen.

Syrenia zwängte sich durch einen engen Felsspalt, durch den ihr der schmerbäuchige Räuber (so hoffte sie) so schnell nicht folgen würde. Die Höhle war trocken und angenehm warm, die Wände glitzerten matt. Zu ihrem Erstaunen war es irgendwann nicht mehr dunkler geworden, als sie sich ins Höhleninnere geflohen hatte, eher im Gegenteil...es gab Licht am Ende des Tunnels, ein warmes, freundliches Frühlingslicht...es schien sogar heller zu werden, aber nicht blendend oder gleißend...Einen Augenblick lang kämpfte sie mit sich und ihren aufgewühlten Gefühlen (sie konnte ihre Schwester nicht einfach im Stich lassen). Was sollte sie tun - und der Weg ins Licht lockte sie...Irgendetwas wartete dort auf sie...die Freiheit? Oder eine Verheißung?


Und war da nicht eine Art...sanftes Flüstern?

Sy-reeenia....Sy-reeeenia....

Das warme Licht kam näher, flutete auf sie zu, pulsierte in allen Farben des Regenbogens...

Syreeenia....

In ihrem Geist formten sich Worte, die keines Menschen Zunge je gesprochen, keines Sterblichen Ohr je gehört hatten.

"Aber...das ist nicht möglich...Warum ich? Warum ausgerechnet ich? Womit habe ich das verdient?"

Sie wich, eher erstaunt als furchtsam, mehrere Schritte zurück, hob die Hände - und spürte im nächsten Moment hart und grausam die Hand des Räubers in ihrem Haar. Hohnlachend zerrte und zog Bodo seine Beute wieder zurück, auf die Felsspalte zu, in die er sich halb hinein gepresst hatte. "Du bleibst gefälligst da, meine Hübsche!"


Glyranas Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie dem Unhold geradewegs in die Augen sah, in denen etwas wage Menschenähnliches mit etwas zutiefst Animalischem im Widerstreit lag. Die tierhafte Seite überwog eindeutig.
Das Blut um seine Schweineschnauze, ebenso wie auf den gekrümmten Hauern sah nicht gerade vertrauenserweckend aus. Eher eklig...Überall Wildschweine...Und riesige, unruhige Schatten, Ungetüme, die nicht Keiler waren und nicht Mensch, wie ihr Gegenüber. Unzählige Schnauzen schnüffelten an ihr, ebenso wie an den beiden Schicksalsgefährten (wo war eigentlich Syrenia?). Schnaufend, vibrierende Nasenlöcher. Schmatzende rote Zungen. Erst jetzt merkte sie, dass ihre Gewänder verrutscht waren, die Hose ebenso wie ihr Wams, und sie schon halbnackt im Schnee zitterte. Was, wenn diese Ungetüme nicht nur über sie herfallen würden, um sie zu fressen?

Nein. Sie hielten sie einfach nur umringt, Dutzende Augenpaare starrten sie aus der Finsternis an, die Schwarzkittel verharrten reglos und fast stumm, wie bei einer Boronsfeier. Aufgeregt wedelten sie mit ihren Schwänzen.
Es mussten an die Hundert sein, ein völlig unwirklicher Anblick. Im Hintergrund blakten und züngelten die Reste des Lagerfeuers...

Im ersten Moment hatte sie geglaubt, die sechs Zweibein-Schweine um sie herum wären allesamt männlich. Aber dem war nicht der Fall. Drei von ihnen hatten die markanten Zitzen von Muttersauen, der Rest - war durchaus beeindruckend bestückt. Das Gefühl der Bedrohung ließ nach. Sie wollten ihr nichts tun, ihnen allen drei nichts. Sie wollten sie - beschützen...Oder den Ort selbst?

Bodo hielt Syrenia gnadenlos am Haar fest. "Her mit dir...oder willst du dein Schwesterlein da draußen allein als Schweinefutter enden lassen?" Die Jungfer schlug verzweifelt um sich, aber halb in der Felsspalte steckend, war ihr Verfolger selbst gut geschützt, außerdem spürbar kräftiger und ausdauernder. Er zerrte sie in Richtung Durchlass, versuchte sie hindurchzuzwängen, fühllos und grausam, wie man einen Sack hinter sich herschleift.

Sie hatte keine Wahl, musste sich selbst durch das Gestein quetschen, um den Schmerzen ein Ende zu bereiten. Das Licht hinter ihr schwand. Stattdessen griente sie Bodo an, im Flackerlicht des Höhlenfeuers auf der anderen Seite.
Pervalisch grinsend holte er zum Fausthieb aus - dann fiel ihn ein Stein auf dem Kopf, von oben, einfach so. Ächzend sank er zu Boden.

Ein Knirschen, Grummeln, Vibrieren des Höhlenbodens. Mit einem dumpfen Rumpeln schloss sich die Spalte hinter ihr, als wäre sie ein Burgtor. Immer mehr Steine kollerten und bröckelten von oben und den Seitenwänden herab, neue Risse zeigten sich im Gestein. Die Höhle...sie stürzte ein!


Glyrana starrte wie gebannt auf die zweibeinige Muttersau, die sich über sie beugte - und mit den Pfoten über den nackten Bauch der Menschenfrau strich, in Richtung ihrer Unterschenkel. Sie schien etwas zu murmeln, in einer grunzenden, aber zugleich ungemein würdevollen, ja feierlichen Sprache. Sie spürte Schweineschnauzen an ihrer Seite. Sie bissen ihr tatsächlich die Fesseln auf, stießen unter die Gewänder, knabberten daran, zerrissen sie, leckten hektisch über ihren Leib. Auch die Mitgefangenen wurden befreit. Das Gelecke. Es fühlte sich, klebrig ...aber auch irgendwie...angenehm...an. Sauwohl, der Ausdruck passte ...sie kicherte...nicht nur ob des Geruchs war ihr zumute, als würde sie sich gerade suhlen...Die Kraft der Erde selbst schien in sie einzudringen, sie zu durchdringen...ein ungeheures Glücksgefühl, das aus dem Wald, der Wildnis, Natur und Meute um sie herum zu kommen schien. Nein, diese Kreaturen waren nicht böse...vielleicht auch nicht gerade das, was man landläufig "die Guten" nennen würde.

Lärm und Lichter zwischen den Bäumen. Knirschen im Schnee. Schemen, die sich rasch näherten.
"Glyrana! Syrenia! Haltet aus! Wir retten euch! Wir kommen!" War das Storko? Oder Bishdarielon? Dem mehrstimmigen Rufen nach zu urteilen mindestens beide.

Unzählige Wildschweinköpfe ruckten hoch, witterten, lugten, kleine Schweineohren stellten sich auf. Ein befehlendes Quieken.
Von einem Moment auf den nächsten war das Schauspiel auf der Lichtung wieder vorbei. Das gewaltige Rudel trottete davon, verstreute sich, als wäre nichts gewesen...Auch die Riesen verschwanden, wie vom Winde verweht. Die letzten Reste des Lagerfeuers verflackerten...Nur der Geruch nach Schwein, aber auch nach Blut, blieb noch lange zurück.

Dann erneut Geschrei, Krachen, Kollern, Bröckeln, diesmal hinter ihnen...Massen von Schiefergestein rutschten am Berghang ab, drohten den Grotteneingang zu verschütten. Die Höhle...Syrenia!!!

Die ältere Mersingerin nahm all ihre letzten Kräfte zusammen und setzte zum Sprung an. Hinter ihr schien alles zusammen zu fallen. Mit weit nach vorne gespreizten Beinen flog sie durch die Luft. Schnee, Staub und Geröll sausten ihr um die Ohren.

Bishdarielon, Storko und die weiteren Mannen stürmten auf die kleine Lichtung. Pulvriger Schnee wirbelte durch die Luft, sodass nichts zu erkennen war, allein die letzte Glut eines Lagerfeuers konnte man erspähen.

„Syrenia! Glyrana!“ riefen sie in das Diffuse Bild vor ihnen.
„Hier! Hier bin ich!“ erhallte es zurück.
Das konnte nur die Stimme Glyranas sein.
Vom Tatendrang gepackt kämpfte sich Storko, in einer Hand sein gezogenes Schwert in der anderen eine Fackel, durch das Weiß, das sich langsam zum Boden absenkte, in die Richtung der Stimme.
„Ich komme, Glyrana, ich werde euch befreien!“
Da sah er schon im ersten Fackelschein die Mersinger Jungfer vor sich.
Ihr schwarzes langes Haar war offen und ganz zerzaust, mit Schnee verklebt. Ihr edles Gewand hatte viele Risse, war durcheinander und schlampig wie nach einer wilden Liebesnacht. Gar konnte man in einem großen Riss an der Seite ihre feine Unterwäsche sehen, und da diese gerissen war die weiße feine Haut der jungen Frau.
Glyrana schien es den Umständen entsprechend gut zu gehen, keine schweren Verletzungen waren zu erkennen und ihr Ausdruck freudig erregt denn furchtsam angespannt. Sie war gerade vom Boden aufgestanden und rieb sich die Handgelenke an denen die Fesseln streng angebracht waren.
„Oh Jungfer Glyrana, ihr habt nichts mehr zu befürchten!“
Storko warf die Fackel beiseite und rammte sein Schwert in den Schnee.
„Den Göttern sei Dank, dass euch nicht Ernstes geschehen ist“ sprach er während er sie schützend in seine Arme gleiten ließ. Er sah in ihr Gesicht und die tiefen Augen die schwarz im Fackelschein glänzten. Die das weiße ansonsten makellose Gesicht wies ein paar Schrammen auf, Dreck klebte an ihrer Stirn und eine Seite der roten Lippen war aufgesprungen. Das dunkle Blut hatte schon zu stocken begonnen, nur ein roter Tropfen an ihrem Kinn zeugte von der Verletzung. Sie stank nach Schwein und das gar nicht so wenig, doch das ignorierte er oder es war ihm egal.
Schwer hob und senkte sich ihr Brustkorb in seinen Armen, doch schien sie die Erlebnisse gut weggesteckt zu haben.
„Was ist geschehen, wo sind die Banditen oder Rotpelze?“ fragte Storko während er die Umarmung wieder löste und der Jungfer, deren Kleidung zerrissen und zerzaust war, gegen die klirrende Winterkälte seinen Pelzmantel umschwung.
„Keiler und Bachen - Wildscheinmenschen - haben mich gerettet, sie kamen aus dem Wald um die Eindringlinge zu vertreiben. Sie waren gnadenlos zu den Räubern, uns aber haben sie beschützt. Ich bin Heil. Aber wo ist meine Schwester! Syrenia!.“

„Syrenia! Syrenia!“ rief Bishdarielon.
„Flim Flam...“ nuschelte Hesindian und sogleich erhellte das starke Licht einer magischen Kugel die kleine Lichtung.
Es bot sich eine seltsame Szenerie den Erblickenden. Mit aufgewirbeltem Schnee bedeckt lagen einige tote Menschen- und Goblinkörper am Boden. Die meisten von ihnen wiesen schreckliche Wunden auf: offene Brüche, zerquetschte Köpfe, zertrampelte Gliedmaßen und aufgerissene Bäuche. Wenige aufgeschlitzte Wildschweine lagen auch verstreut.

„Da!“ Alrik zeigte auf zwei gefesselte Gestalten, die sich gerade aufrappelten.
„Syrenia!“ rief der Bishdarielon wieder und lief gefolgt von seinen Waffenknechten in die Richtung der beiden. Doch es war nicht die Jungfer unter ihnen. Der eine war ein spitzbärtiger älterer Mann und die zweite eine junge Frau, wohl von den Räubern gefangen genommen.

Glyrana rief dem Golgariten hinüber und zeigte in eine Richtung: „Sie war in der Höhle bevor sie eingestürzt ist.“
Von einem Höhleneingang war nichts mehr zu erkennen, nur die Überreste einer Schnee- und Gerölllawine die einem Steilabhang an der einen Seite der Lichtung herabgeglitten war.
„Bei meiner Seel, nicht, dass sie unter den Massen begraben wurde!“
Nervös und auch hilflos durchsuchten er und seine Bewaffneten Schnee und Geröll nach etwas.

Alrik, Odilon und die restlichen hatten derweil die Umgebung gesichert, kein Räuber, Rotpelz war mehr zu erblicken, es mussten alle von den herabgestürzten Massen begraben oder von Wildschweinen niedergetrampelt worden sein. Auch von den Biestingern war keine Spur mehr, nur hier und da lag der Gestank von Schwein in der Luft.

Selbstbewusst kam der Magier mit der leuchtend schwebenden Kugel über seinem Stab näher an Bishdarielon heran. „Denkt ihr die Jungfer ist hier irgendwo unter dem Schnee?“
„Könnt ihr uns helfen?“ leicht verzweifelt blickte er Hesindian an.
„Gewiss.“ Er begann sich sichtlich zu konzentrieren und murmelte etwas von „Exposami...“
„Hier, hier drüben liegt sie unter dem Geröll“ wies er etwa fünf Schritt in eine Richtung.“
Sofort begannen sie an der gewiesenen Stelle im eisigen Schnee zu graben.
Bishdarielon hatte seine Handschuhe ausgezogen und mittlerweile waren sie schon ganz blau von der Kälte. Immer wieder rief er „Syrenia!“ in den Schnee hinein.
Endlich hörte er ein Husten.
Ein paar Steine schob er schnell zur Seite und erblickte einen blassen teils nackten Arm. Blut verschmiert, mit Schürfungen versehen, das Wams und die Bluse aufgerissen. Die Finger mit den langen dunkelrot lackierten Nägeln – wenn auch zwei davon eingerissen waren - bewegten sich leicht. Sie war noch am Leben!
„Schnell holt sie da raus!“ befahl er den Umherstehenden.


Syrenia stöhnte. Schwarz umgab es ihren Geist – sollte Golgari sie schon holen? Sie wurde gepackt. „Nein“ sprach sie „nimm mich noch nicht mit.“ Sie hörte die Schwingen in ihrem Geiste.
Dann wurde es heller...
„Syrenia! Syrenia!“ hörte sie und wurde wieder aus ihrem Dämmerzustand herausgerissen. Alles um sie verwand zu einem Brei aus Bildern.
Jemand hielt sie im Arm. Sie erblickte Bishdarielon vor sich. Das Bild von ihm wurde schärfer. Schwarze ‚Rabenaugen’ blickten sie sorgsam an. Die dunklen langen Ringellocken wehten in der kalten Winterluft.

Der Golgarit kniete im Schnee. In seinen Armen hielt er die verletzte Jungfer. Ihre Kleider waren zerrissen, mit Dreck und etwas Blut verschmiert und einige Blessuren waren zu erkennen.
Hesindian sah die Verletzungen der jungen Frau genauer an und verkündete erfreut „Macht euch keine Sorgen, es scheinen keine Ernst zu nehmenden Verletzungen zu sein. Nur ein paar Schürfungen und eine Kopferschütterung. Ihr habt wahres Glück gehabt.“

Nur den Kenntnissen der kompetenten Wildnisläufer zu danken kamen sie noch vor Sonnenaufgang aus dem mythischen Wutzenwald hinaus und gelangten nach Gernatsquell, wo die besorgte Valyria die ganze Nacht gebangt hatte. Es war fast wie ein Wunder anzusehen, dass außer Unterkühlungen und leichten Blassuren niemand verletzt wurde – der Wald hatte jedoch ein für alle Mal statuiert, dass sich niemand achtlos in das Gebiet wagen sollte.

Die Diskrepanzen zwischen den Adligen waren längst vergessen und das Erlebte hatte Gefühle der Verbundenheit und gar Liebe zwischen Syrenia und Bishdarielon sowie Glyrana und Storko geweckt, die von nun an offen gezeigt wurden, was unweigerlich – denn eine lange unzüchtige Beziehung in den hohen Adelskreisen war alles andere als angemessen - zur standesgemäßen Hochzeit führen musste.

Aufnahme in die Familie Mersingen auf Burg Weidleth – Travia 1033 BF

Wenige Tage vor dem Beginn des Mersinger Familienrates hatten sich Storko und Glyrana samt Kammerzofe, Leibwächter und weiteren acht Mann Bedeckung auf Weidleth nach einer Reise durch Wildermark und Mittelreich eingefunden.
Die beiden mussten nur kurz warten, dann wurden sie schon in die Kammer eingelassen um das Oberhaupt der Mersinger zu sprechen.
Glyrana machte einen Knicks und auch Storko verbeugte sich tief. Yolande grüßte sie mit einem stillen Nicken.
„Boron zum Gruße, liebste Tante, mein erst vor einigen Monden Vermählter und ich kommen gerade aus dem Herzen der Wildermark, die ich seitdem meine neue Heimat nennen darf. Wir danken Euch zu tiefst für die Einwilligung unseres Traviabundes.“ Der in gepflegtem Gewande gekleidete Gatte Glyranas verbeugte sich nochmals vor der Pfalzgräfin. „Euer Hochwohlgeboren, wie ihr schon wisst entstamme ich einem alten lokalen Junkergeschlecht der Baronie Schlotz in den Wehrheimer Landen. Alle meine Verwandten starben im Kampfe gegen dunkle Schergen, doch ich wurde über alle Maßen geehrt als meine geliebte Glyrana mich als Gatten annahm. Mit Demut und tiefstem Respekt will ich mich von nun an dem Hause Mersingen anschließen und den Namen Storko von Gernatsborn-Mersingen ä.H. tragen.“ Fast unterwürfig stand der Mittzwanziger in einer leichten Verbeugungsgeste erstarrt dar und erwartete eine Antwort des Oberhaupts des Hauses Mersingen.
Mit ernster Miene betrachte sie den Junker aus der Wildermark eingehend. "Mein Beileid für Euren Verlust, Wohlgeboren. Ich bin sicher der Herr Boron wird sich ihrer ob des ehrenvollen Opfers annehmen". Ihr Blick ruhte kurz auf Glyrana, die angespannt zu ihrer Tante aufsah, ehe sie fortfuhr. "Ich hörte Ihr seid ein tapferer Recke, der meine Nichten vor Schaden bewahrte und darüber hinaus äußerst einfallsreich." Ein leichtes Kräuseln umspielte ihre Lippen, und Storko kam sich unwillkürlich ertappt vor. Ihr Ausdruck wurde wieder ernst, als sie förmlich anhob. "So heißen Wir Euch, Storko von Gernatsborn-Mersingen im Hause Mersingen willkommen. Zeigt Euch der tausendjährigen Geschichte Unser Familie würdig. Und vergesst niemals, die Familie steht über allem."
Storko war angespannt und musste zuerst kräftig Schlucken. Er war nun in dieses alte und ehrwürdigen Adelshaus aufgenommen worden und würde alles daran setzten dem auch gerecht zu werden. „Habt dank Euer Hochwohlgeboren. Seid Euch gewiss, ich werde Euch nicht enttäuschen. Solltet Ihr die Dienste eines Stabsoffiziers der sich zudem gut mit dem Geschäft auskennt benötigen stehe ich Euch jederzeit zu Diensten.“
Yolande nickte und ihr Blick fiel auf Glyrana. Irgend etwas hatte sich kräftig geändert seit dem sie ihre Nichte das letzte Mal gesehen hatte. Gut, sie war eine Frau geworden, doch das erklärte nicht die gesunden Rundungen der sonst so schlanken Jungfer an ihrem Körper und im Gesicht. Zweifelsohne sie war tsagefälliger Hoffung.
Der sonst so kühle Blick der gestrengen Dame wurde sanft und zeugte von Freude, als sie das Wort an ihre Nichte richtete: "Meine besten Glückwünsche, mögen die Götter über Euch wachen, auf dass Ihr der Welt einen stolzen Spross schenket." "Und Ihr gebt gut Acht auf Eure Gemahlin und das Ungeborene in ihrem Leib, Wohlgeboren. Und seid bedankt für Euer Angebot. Ich werde darauf zurückkommen, wenn sich die Umstände anbieten." Yolandes Antlitz hatte zur alter Strenge zurückgefunden. "Dann erwarte ich Euch zur Besprechung, die in Kürze beginnen sollte. Doch bedenket, Wohlgeboren. Was in diesem Kreis besprochen wird, verlässt ihn nicht. Niemals. Daraus bezieht unser Haus seit jeher seine Kraft. Eine Zuwiderhandlung werde ich nicht dulden." Bei ihrem letzten Satz hatte sie auch ihre Nichte angesehen, als wollte sie klarstellen, dass dies für alle Mersingens gelten würde und auch ihre Nichte nicht ausnehmen würde.