Orakel auf Avenschwingen

Rittergut Randolpfshöh in Mark Rommilys, Boron 1041 BF

Schon viele Meilen Weg hatten der junge Ritter und seine Begleiter bereits hinter sich gebracht. Nur noch einige mehr und die kleine Gruppe Nordmärker hätte endlich ihr Ziel erreicht. Rommilys, der Schoß der Traiva-Kirche und das Herz der erblühenden Rommilyser Mark. Am heutigen Praioslauf würden sie ihr Ziel allerdings nicht mehr erreichen. Stattdessen kehrten sie in einem gepflegten Gasthaus ein. „Der Kupferkessel“ bestand aus einem großen Fachwerkhaus, einem Stall und einem kleineren Nebengelass in dem Pilger übernachten konnten. Gemeinsam kehrten sie ein, doch während seine Begleiter sich um die Pferde und ihre Unterkunft kümmerten, wurde die Aufmerksamkeit des Ritters von einer bunt gewandeten Person erregt.

Fast so, als spürte diese Person seinen Blick, sah sie auf und winkte den Ritter zu sich. „Aves zu Gruße, Edler Herr!“ Begrüßte er ihn und bestätigte zugleich bereits die Vermutung des Ritters. „Mein Name Avesmir und ich diese dem Fröhlichen Wanderer. Ein unbestimmtes Gefühl lenkte meine Aufmerksamkeit auf Euch, einen Edelmann. Darf ich Euch zu mir an den Tisch bitten und Euch noch Eurem werten Namen fragen?“

„Aves zum Gruße Euer Gnaden, das dürft Ihr gern und mein Name Basin Ucuriard von und zu Richtwald.“ Stellte sich der Nordmärker vor und setzte sich zu dem Geweihten an den Tisch.

„Wo liegt dieses Richtwald, Edler Herr?“ Erkundigte sich der Avesmir aufrichtig Neugierig.

Mit einem Schmunzeln nahm Basin diese Frage hin. „Das Junkertum Richtwald liegt im Herzen von Nordgratenfels in Herzogtum Nordmarken, Euer Gnaden.“ Klärte er den Geweihten auf und bereicherte damit wohl dessen geographische Kenntnisse um ein Detail das er seinen Lebtag lang nicht mehr brauchen würde.

„Dann seid Ihr aber fern Eurer Heimat, Euer Wohlgeboren.“ Sprudelte es direkt aus dem Aves-Diener heraus, vermutlich von seinem Wissensdurst getrieben.

„Das bin ich in der Tat, aber meine Reise hierher bereue ich keine Sekunde. Zumal ich damit meiner Pflicht gegenüber meinem Herrn nachkomme und um es genau zu nehmen, lautet es Hochgeborene Exzellenz.“ Deutlich war dem Ritter anzuhören, dass er dem Geweihten den Fehler nicht übelnahm.

Auch wenn Avesmir dies kaum für möglich gehalten hatte, war seine Neugier nun noch ein wenig mehr angestachelt worden. Er wusste nicht was seine Aufmerksamkeit auf diesen Mann gelenkt hatte, aber je mehr er erfuhr desto mehr wollte über ihn erfahren. „Wenn es Euch nichts ausmacht, wäre ich sehr an der Geschichte dahinter interessiert.“

Da die Gefährten des Nordmärkers noch immer nicht im Schankraum eingetroffen waren, blieb ausreichend Zeit in der dem Wunsch des Aves-Geweihten entsprochen wurde. Zufälle, Wendungen und Erlebnisse dieses Berichtes faszinierten ihn schwer und so war er sich bereits jetzt gewiss, sie würden ihn auch in den kommenden Praiosläufen noch beschäftigen. Die Ankunft eines alten Ritters, in den Farben des Gratenfelsers verhinderten jedoch das Avesmir seiner Neugier weitere Befriedigung verschaffen konnte. Er stand auf und verbeugte sich stattdessen leicht vor dem jungen Gratenfelser. „Ich danke Euch vielmals für Eure Zeit Hochgeborene Exzellenz.“ Sprach er wahrheitsgemäß, während er die Hand des ebenfalls aufgestandenen Richtwalders ergriff. „Als Zwölfgöttergläubiger und Gesandter der Nordmarken in der Rommilyser Mark wünsche ich Euch auf Eurem weiteren Wegen stets den Segen meines Herrn. Mögen Aves Schwingen Eure Reisen auch weiterhin beflügeln und sicher an Euer Ziel geleiten.“

Der Richtwalder war etwas verwundert ob der Wortwahl des Geweihten, doch nahm er den Segensspruch bereitwillig an. „Ich danke Euch, Euer Gnaden. Ich werde in den kommenden Monde die Mark bereisen, vielleicht treffen wir erneut aufeinander und können unser Gespräch dann fortführen. Bis wir uns wiedersehen, wünsche ich Euch alles Gute und Aves mit Euch.“

Damit trennten sich die Wege des Geweihten und des Nordmärkers. Während der Geweihte sich in sein Zimmer zurückzog, verbrachten die Nordmärker noch etwas Zeit im Schankraum – gemeinsam Speisten und Tranken sie, unterhielten sich miteinander und mit den Bewohnern von Randolpfshöh.

 

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Bereits der erste Blick verriet Basin, dass er sich in seiner Heimat befand. Er stand hoch oben auf den Mauern der Vairnburg und blickte hinunter auf die Felder Vairningens. Bald schon würden diese Felder verschwinden und die Pflanzen die dort jetzt noch heranwuchsen, würden von den Bewohnern der Stadt genutzt werden um erst die Stoffe zu färben und anschließend zu begehrten Kleidungsstücken weiterzuverarbeiten.

Er wusste, wandte er seinen Blick gen Firun würde er die Wälder von Nordgratenfels sehen. Jene Wälder in denen er Geboren und Aufgewachsen ist. Sein Blick aber, wandte sich gen Rahja. Dort erhoben sich die mächtigen Koschberge, die er früher auf seiner Reise passiert hatte. Ruhe und Geborgenheit erfüllten ihn, während die üblichen Geräusche aus der Burg an seine Ohren drangen. Er wollte die Augen schließen und einfach nur diesen Geräuschen lauschen, doch stattdessen erfasste ihn eine Böe und trug ihn fort.

Schnell gewann er an Höhe, während zugleich die Vairnburg hinter ihm zurückfiel. Immer kleiner wurden die Bauern auf den Feldern, genauso wie die Bäume und Häuser – bis sie in den Linien der Wälder, Felder und Gewässer verschwanden. Wind rauschte in seinen Ohren, während ihn selbiger immer weiter gen Rahja trug. Unter sich sah er den Tommel glitzern und die Reichsstraße die parallel zu ihm verlief. Bald schon war die Quelle des Flusses erreicht und in der Ferne erhoben sich die mächtigen Mauern der Stadt Gratenfels über das weite Land. Er wusste um ihre Wehrhaftigkeit, doch von ihr oben wirkten sie irgendwie klein und bedeutungslos – denn sie waren nicht mehr das unüberwindbare Hindernis, dass sie sonst darstellten. Dann lag die Stadt auch schon wieder hinter ihm und zusehends türmten sich die Wälle der Koschberge vor ihm auf. Als wären auch sie weiter als eine kleine Erhebung, passierte Basin auch sie. Flog vorbei an seinen schroffen, schneebedeckten Gipfeln.

Unter ihm lag nun der Kosch, beschaulich und friedlich. Schnell trug ihn der Wind über kleine Weiler und Siedlungen hinweg. Vorbei am Angbarer See und hinaus aus dem benachbarten Fürstentum. Noch immer der Reichstraße folgend überflog er als nächstes die Grafschaft Reichsforst. Nur weniges von dem was er sah, konnte er zuordnen. Es reichte gerade aus um ihm eine grobe Orientierung zu geben. Anders als das Grün des Reichsforstes, erstrahlte die Kaisermark im satten Goldgelb seiner Äcker. Wo sein Blick auch hinreichte, sah er Peraines Segen. Aufs schändlichste Verunstaltet wurde diese Pracht als er die Dämonenbrache erreichte. Ein eitrig faules Geschwür inmitten des Herzens des Reiches. Kein sattes Grün, sondern faules Braun prägte hier das Bild. Fremdartig. Abstoßend. Ja, geradezu feindselig war hier das Land und umso mehr fand Basin es befremdlich, wie sich die Ausläufer Gareths an dieses Geschwür anschmiegten. Der Anblick der Stadt spendete ihm, nach dem Übel der Brache, Trost, glänzten die goldenen Kuppeln der Stadt des Lichts doch Hoffnungsfroh im Schein der Praiosscheibe. Der Glanz der Ordnung. Ein Infernal des Zwölfgötterglaubens. Ein Hoffnungsschimmer in direkter Nachbarschaft von niederhöllischem Verderben. Einen kleinen Stich versetzte ihm ein Blick auf die Alte Residenz, doch dann lag Gareth auch schon wieder hinter ihm. Von der Grafschaft Hartsteen nahm der Richtwalder überhaupt nichts war, stattdessen beschäftigte ihn der Gedanke an die leerstehende Residenz. Gareth mochte im Herzen des Reiches liegen, doch weilte die Kaiserin nicht hier und damit schlug auch das Herz nicht hier – sondern dort, wo auch immer die Kaiserin derzeit wohl weilte.

Als Basin das Land unter sich wieder bewusst wahrnahm, erblickte er die Feste Hohenstein. Erst vor einigen Stundengläsern hatte er die alte Feste erblickt, wenn auch von der Straße aus. Kaum merklich wurde sein Flug langsamer, vielmehr bemerkte er die Veränderung dadurch das damit begann Kreise zu ziehen. Einem Adler gleich stand er nun hoch am Himmel und zog seine Kreise, während er seinen Blick nach unten richtete und Ausschau hielt. Dort unter ihm lag Rommilys. Es verströme eine angenehme Wärme und erinnerte ihn an das Gefühl das er früher hatte, wenn er nach Hause gekommen war. Eine hohe Gischtwolke hüllte die Stadt in einen feinen Nebel. Ihren Ursprung hatte sie an einem mächtige Wasserfall, in dem glitzernd und funkelnd unvorstellbare Wassermaßen in die Tiefe rauschten. Gespeist wurde Wasserfall von einem großen See, dem Ochsenwasser wie er wusste. Wie ein riesiger Saphir leuchtete und strahlte der See, ein Juwel von unvorstellbarer Pracht. Basin wusste nicht, wie lang ihn das Blau des Wassers in seinem Bann gehalten hatte, doch richtete er nun seinen Blick auf die nahen Berge. Ein Teil jenes Bollwerkes, dass über zwei Dekaden hinweg vor den Schrecken des Bethaniers geschützt hatte. Ein Schutzwall an dem die Welle der Schwarzen Horden gebrochen wurde, erst vor dem Dämonenkaiser und anschließend vor dem Verräter Helme Haffax geschützt hatte. Er kannte die Schrecken die hinter diesen Bergen gelauert haben und noch heute an abseits der Reichsstraße lauerten. Er hatte sie erlebt. Bevor die Erinnerungen an den Feldzug vollends präsent waren, flog er jedoch schon wieder weiter. Fort von den Bergen und von Rommliys. Er flog langsamer und tiefer, konnte mehr erkennen und hatte zugleich mehr Zeit alles in sich aufzunehmen. Dem Ufer des Ochsenwassers folgend sah er einen blühenden und wohlhanden Flecken Dere. Erneut begann er zu kreisen, als er eine Feste erreichte. Von Oben sah er, wie sich der Weg im die Kernburg im weiten Bogen einen Hügel hinaufwand und jedem Angreifer blutige Verluste verhieß.

Unvermittelt fiel er. Basin spürte wie der Wind an seinem Leib zerrte und ihm den Atem aus den Lungen presste. Es fiel ihm schwer, Luft zu holen und erst als er sein Gesicht aus dem unmittelbaren Luftstrom bewegt hatte vermochte er wieder normal zu Atmen. Sein Herz hämmerte in seiner Brust, pumpte sein Blut spürbar durch die Venen. Zugleich war er zur absoluten Tatenlosigkeit verdammt. Er konnte nichts an seiner Situation verändern. Er fiel! Immer schneller kam der Boden immer näher. Was eben noch ein kleiner grüner Punkt gewesen war, gewann in beängstigender Geschwindigkeit immer mehr Konturen und schien zu schreien: „ICH BIN KEIN GRÜNER PUNKT, ICH BIN EINE MÄCHTIGE EICHE!“ Nur das das Basin rein gar nicht interessierte. Es konnten nur noch wenigen Augenblicke sein, bis er auf dem Boden aufprallen würde. Und wenn bereits der Sturz von einem Ross äußerst unangenehm war, so das hier weitaus schlimmer sein. Inzwischen konnte er die einzelnen Schindeln auf den Dächern erkennen, konnte er mehrere Vögel an einer Tränke erkennen. Gleich war es soweit, doch selbst wenn er es gewollt hätte, was nicht der Fall war, so hätte er es nicht vermocht die Augen zu schließen. Im allerletzten Augenblick erfasste ihn erneut eine Böe, stoppte seinen Fall und als wäre nichts gewesen setzten seine Füße katzengleich auf. Erneut stand er auf einer Burgmauer und blickte hinaus aufs Land, nur das er dieses Land nicht kannte. Seltsamerweise fühlte er sich hier jedoch ebenso heimisch, wie er es auf der Vairnburg tat.