Gedanken, Gespräche und Gebäude

Wehrheimer Land, Praios 1045 BF: Auch wenn es bereits einige Zeit zurück lag, so beschäftige ihn noch immer die Questio der Praios-Kirche in Elenvina. Würde sich die Inquisition tatsächlich ändern und wenn ja, würden den Empfehlungen der Beratungen in Gänze entsprochen werden? Oder würden sich doch noch Traditionalisten mit ausreichend Einfluss finden, um die Waagschale mit dem Gewicht ihrer Worte zu ihren Gunsten zu kippen? So oder so, war dies tatsächlich die Frage, mit der größten Bedeutung? Gedankenverloren schüttelte er den Kopf, denn sie waren es nicht. Viele wichtiger waren die Fragen, mit welchen Leuten und von welchen Standorten aus sollte die Inquisition den vielen Brandherden begegnen.

„Ist etwas Herr?“, fragte seine neben ihm reitende Knappin bedächtig.  Seit der Tesralschlaufe begleitete sie den Richtwalder nun. War mit ihm bis vor Mendena gezogen und hatte auf dem Weg dorthin viele grauenvolle Dinge gesehen. Seitdem hatte sich ihr Herr anderen Schlachtfeldern gewidmet, auch Turnieren, doch vor allem der Politik. Und noch mehr als jedes Kampfgeschick, hatte sie dabei beeindruckt, wie gekonnt er im Gehaue und Gesteche des diplomatischen Parketts umhertänzelte und dabei seine Umgebung so dirigierte, dass Verhandlungen oft zu seiner Zufriedenheit beendet wurden. All das war für sie Grund genug zu ihrem Schwertvater aufzusehen und brachte sie dazu, alles was sie nur konnte von ihm zu lernen. Durch Beobachtung oder, wenn er es ihr gestattete, Gespräche in denen der Richtwalder sie in seine Gedankengänge einweihte und sie ihr erklärte. Beispielsweise, wenn er durch das Wehrheimer Land oder die Sichel ritt und Verträge mit den Adligen schloss. Verträge bei denen beide Seiten ihren Nutzen hatten. Der eigentliche Nutzen allerdings darin bestand, dass hatte ihr ihr Herr erklärt, dass Geld in die stärker verheerten Regionen floss und damit der Wiederaufbau gefördert wurde.

Von der Frage überrascht, fokussierte Basin von Richtwald seinen Blick wieder und sah in die Ferne. Einen Moment lang beobachte er die Umgebung und das Wolkenspiel. Dann erst reagierte er auf Mauras Frage. „Ein schweres Gewitter zieht auf, der Praioslauf wird früh enden und von viel Regen begleitet werden. Wir sollten uns schnell eine Bleibe für die Nacht suchen.“

Die junge Schwarzen Quellerin blickte etwas enttäuscht in die Ferne, so spürte das da etwas anderes war. Nicht das blöde Wetter, etwas Interessantes. Begann der Landvogt etwa wieder etwas auszuhecken? Gelegentlich hatte ihr Herr fixe Ideen, deren Nutzen sich oft nicht auf den ersten Blick offenbarten, wenn allerdings etwas Zeit zum Nachdenken verstrich wurde ihr oft bewusst, wie Hilfreich das Ergebnis sein würde, auch wenn noch Zeit vergehen musste bis es soweit war. Doch ehe sie nachbohren konnte, meldete sich bereits ihr entfernter Vetter zu Wort.

„Dort hinten ist eine Burg, wenn mich nicht alles täuscht dürfte es die Auraleth sein.“, stellte Jorgast-Jost vom Schwarzen Quell mehr fest, als dass er irgendwie unsicher erschien. Der erfahrene Ritter hatte in der Wildermark im kaiserlichen Aufgebot als Versorgungsoffizier gedient und kannte sich deshalb ausgezeichnet in der Mark aus.

Da der Richtwalder gern einmal jenseits der Straßen und Wege ritt, war es nicht allzu weit bis zum Tor der kleinen Feste. In die sie dank gekonnt gewählter Worte, aber wohl auch wegen des inzwischen deutlich auffrischenden Windes und der sich immer stärker offenbarenden Vorboten eines starken Unwetters, zügig eingelassen wurden. Kaum das die kleine Gruppe es in die Stallungen geschafft hatten, prasselten schwere Regentropfen auch schon auf den trockenen Hof. Gemeinsam mit den Bewohnern der Burg speisten sie zu Abend. Maura fühlte sich unter den Bannstrahlern nicht allzu wohl, es waren nicht ihre grimmen Gesichter oder die teils grobe Art. All dies kannte sie von den zahlreichen Reisen an der Seite ihres Schwertvaters. Es waren ihre Blicke, Blicke die ihr das Gefühl gaben, dass diese praiosfrommen Krieger in ihr Innerstes blickten und Praios prüfender Blick jeden noch so kleinen Schatten in ihr tilgte. Sodass sie innerlich feierlich gelobte den Silbertaler, den sie aus der Geldkatze des Herrn Basin genommen hatte, so schnell wie möglich zu erstatten. ‚Wenn nur dieses Zuckergebäck so gut ausgesehen hätte!‘, schallte sie sich dabei selbst ihrer Schwäche.

Basin von Richtwald hingegen bereiteten die Bannstrahler anscheinend kein Unbehagen, stattdessen unterhielt er sich sogar mit ihnen. Erkundigte sich über die aktuellen Vorkommnisse und darüber wie es um die Region bestellt war. Natürlich auch, wie es mit dem Wiederaufbau voranging. Doch vor allem, welche Fährnisse das einfache Volk das Leben erschwerten und welchen Schrecken die Bannstrahler oder gar die Inqusition begegnen mussten. Maura war viel zu Müde um den Unterhaltungen bis zum Ende folgen zu können, zumal ihr Herr sich längere Zeit mit einem Praios-Diener unterhielt. Und wenn Götter-Diener von Ordnung und dem gewollten Gefüge redeten, wurde sie doch immer so unglaublich müde. Erklärte ihr Basin etwas, dann war es als würde das Wissen in sie hineinfließen. Götter-Dienern hingegen fehlte oft ein wenig Distanz und die notwendige Portion Spaß und um ihre Predigen und Unterhaltungen spannend zu formulieren. Und während Maura vom Schwarzen Quell immer müder wurde, beobachtete sie wie ihr Schwertvater schier unmenschliches vollbrachte und nicht nur Wach blieb, sondern das Gespräch auch noch in die für ihn interessante Richtung lenkte.

Als Maura am nächsten Morgen in ihrem Lager, in der Kammer ihres Schwertvaters erwachte wusste sie nicht wie sie dort hingelangt war. Vor Schwarm rot anlaufend zog sie ihre Decke über den Kopf und versuchte sich zu erinnern, doch außer ein paar Gesprächsfetzen über die schweren Pflichten der Inquisition konnte sie sich nicht erinnern. Es war also wieder passiert, sie war eingeschlafen und der Richwalder hatte sie ins Bett getragen. Am liebsten wäre sie gern im Boden versunken, zugleich war sie ihren Herrn aber auch zutiefst dankbar – schließlich gab er stets acht auf sie.

Vom nächtlichen Gewitter war der Hof vollkommen aufgeweicht. Ihre Pferde standen parat und sie sich soeben in die Sättel schwingen wollten um ihre Reise fortzusetzen. Kam mit forschen Schritten ein hoher Würdenträger zu ihnen hinüber. „Hochgeborene Exzellenz, danke nochmals für das sehr spannende Gespräch gestern Abend. Ich hoffe ihr hattet in unserer kleinen Feste eine erholsame Nacht.“ Das merkwürdige Gefühl beschlich Maura, dass der Geweihte sie für einen Augenblick angesehen hatte und so wurde sie erneut rot. Dieser jedoch fuhr einfach fort: „Danke, dass Ihr mir von der Questio berichtet habt. Wie mir scheint, sind dort spannende Aspekte disputiert wurden.“ Und soweit die Knappin es einzuschätzen vermochte, meinte der Geweihte seine Worte tatsächlich ernst. „Doch um nochmals auf unser abschließendes Thema des gestrigen Abends zurückzukommen, ...“ Maura war schockiert, ein Praios-Geweihter der nicht forsch und gradlinig vorpreschte. „Wenn es Euch tatsächlich möglich ist, wäre es in der Tat eine sehr große Bereicherung für das gesamte Wehrheimer Land. Wenn wir die Mittel für den Bau eines Inquisitionsturms von Euch erhalten könnten.“

Mauras Gedanken rasten, wollte ihr Herr den Praioten wirklich einen Turm für die Inquistion in die Auraleth bauen? Was wollte er damit erreichen? Dachte er darüber schon länger nach oder war es etwas, was sich aus dem Gespräch ergeben hatte. ‚Wieso bin ich nur eingeschlafen?‘ Wohl oder übel würde sie in sicherer Reichweite zur Burg ihren Mut zusammennehmen müssen und sich dieses Vorhaben ihres Herrn erklären lassen müssen.

„Sobald ich zurück auf der Feenburg bin, werde ich meine Baumeisterin mit Planungen beauftragen.“ Erwiderte der Richtwalder freundlich, was dem Praioten ein erstaunlich dankbaren Ausdruck ins Gesicht zauberte. „Achja, es wäre gut, wenn mein Hof von verlässlicher Quelle einmal die Mindestvoraussetzungen benannt bekommt.“ Dann stieg Basin auch bereits in den Sattel. „Praios mit Euch.“, verabschiedete er sich noch und machte sich dann mit seinem Gefolge auf den weiteren Weg.

‚Die gute Darpatia Schildmacher wird sich über neue Arbeit freuen.‘, dachte sich Maura derweil. Einmal etwas Neues schaffen und nicht nur ausbessern und reparieren.